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Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: King‘s College London 19./20.

Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: King‘s College London 19./20. März Die Haftung für unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB). Die Haftung für unerlaubte Handlungen: Inhalt (1). § 1 Überblick I. Funktion des Deliktsrechts

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Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: King‘s College London 19./20.

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  1. Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: King‘s College London 19./20. März Die Haftung für unerlaubte Handlungen (§§ 823 ff. BGB)

  2. Die Haftung für unerlaubte Handlungen:Inhalt (1) § 1 Überblick I. Funktion des Deliktsrechts II. Grundgedanke der gesetzlichen Regelung • Deliktsrecht als Abgrenzung von Güter- und Freiheitssphären • Das Prinzip der Einstandspflicht für verschuldetes Unrecht • Das System der drei „kleinen“ Generalklauseln III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung

  3. Die Haftung für unerlaubte Handlungen:Inhalt (2) § 2 Die Verletzung von Rechten und Rechtsgütern gem. § 823 I BGB I. Die nach § 823 I BGB geschützten Güter und Rechte und ihr Schutzbereich 1. Leben, Körper und Gesundheit 2. Freiheit 3. Eigentum 4. Die Verletzung eines „sonstigen Rechts“ a) Gewerbebetrieb b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht

  4. Die Haftung für unerlaubte Handlungen: Inhalt (3) II. Die allgemeinen Voraussetzungen der Deliktshaftung 1. Tun und Unterlassen 2. Rechtswidrigkeit 3. Verschulden 4. Kausalität a)Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität b) Äquivalenz c) Adäquanz d) Schutzzweck der Norm e) Haftung für Folgeschäden § 3 Haftung für vermutetes Verschulden (Produzentenhaftung) § 4 Gefährdungshaftung

  5. § 1 Überblick (1) I. Funktion des Deliktsrechts 1. Funktion des Deliktsrechts: Schutz bestimmter Rechtsgüter (Körper, Gesundheit, Leben usw.) und Ausgleich von Nachteilen 2. Gegensatz:Bereicherungsrecht: dient Abschöpfen von ungerechtfertigten Vorteilen.

  6. § 1 Überblick (2) II. Grundgedanken der gesetzlichen Regelung 1. Deliktsrecht als Abgrenzung von Güter- und Freiheitssphären Nicht jeder, der Ursache für einen Schaden gesetzt hat, sollte für verursachten Schaden verantwortlich sein. Bsp.: Automobilhersteller setzt zwar Ursache für Schäden, die durch das von ihm hergestellte Auto entstehen, aber eine Haftung für Unfallschäden ist nur gerechtfertigt, wenn Hersteller Pflichten verletzt hat (§ 823 I) oder das Produkt fehlerhaft ist (§ 1 ProdHG). arg.: Gewährleistung von Handlungsfreiheit und wirtschaftlicher Dynamik (Risikobereitschaft)

  7. § 1 Überblick (3) 2. Prinzip der Einstandspflicht für verschuldetes Unrecht Das deutsche Deliktsrecht ist geprägt durch den römisch-rechtlichen Grundsatz „casum sentit dominus“: für zufällig erlittene Schäden muss jeder selbst einstehen (allgemeines Lebensrisiko). Haftung eines anderen setzt Zurechnung voraus; wichtigster Zurechnungsgrund ist das Verschulden (§§ 823 I, II 2 und 826 BGB). Bloße „Gefährlichkeit“ des Verhaltens (z.B. Fahrradfahrens) reicht für Zurechnung nicht aus; Gefährdungshaftung zwar im Vordringen - Bsp.: Tierhalter (§ 833), Kfz-Halter (§ 7 StVG), Produzenten (ProdHaftG), § 1 UmwhaftG; § 32 GentechnikG usw. -, aber kein allgemeines Prinzip!

  8. 3. Drei "kleine"Generalklauseln des BGB § 823 I § 823 II § 826 Rechtsgüter: Schutzgesetze: Rechtsethisches Minimum Leben, Gesundheit, klar definierte Eigentum, Freiheit, Verhaltens- erkennbar und vermeidbar sonstiges Recht pflichten nicht: Vermögen (StrafR, UWG, StVO) hier:Vermögen geschützt Legitimation: Legitimation: Schutzwürdigkeit Klarheit, Ver- der Rechtsgüter; letzung erkenn- Verletzung er- bar und vermeid- kennbar und bar vermeidbar hier:Vermögen geschützt Konsequenz: Absage an reinen Vermögensschutz; Gewährleistung von Handlungsfreiheit

  9. § 823 Schadensersatzpflicht • Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

  10. § 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

  11. § 1 Überblick (4) 4. Wichtige Konsequenz aus dem System des deutschen Deliktsrechts:Kein genereller Schutz des Vermögens oder der Handlungsfreiheit. Beispiel: Passant erkundigt sich nach dem Weg zu einem Bürogebäude; S erteilt versehentlich falsche Auskunft Keine Verletzung eines Rechtsguts (§ 823 I), Schutzgesetzes (§ 823 II) und keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB). Auch keine rechtsgeschäftsähnliche Haftung; Auskunft reine Gefälligkeit (vgl. § 675 II BGB).

  12. § 675 Entgeltliche Geschäftsbesorgung (1) Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, finden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt wird, die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichteten das Recht zusteht, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, auch die Vorschriften des § 671 Abs. 2 entsprechende Anwendung. (2) Wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, ist, unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstehenden Schadens nicht verpflichtet.

  13. Fall 1:Einführung in das System des Deliktsrechts Roland rast bei strömendem Regen über eine Pflasterstraße in Berlin-Mitte und kann nicht mehr bremsen, als der beliebte Sänger Sahnig vorschriftsmäßig die Straße überquert. Sahnig erleidet eine leichte Gehirnerschütterung, muss vom Arzt behandelt werden und den für den gleichen Tag geplanten Auftritt in der Open-Air-Bühne „Wuhlheide“ absagen. a) Kann Sahnig von Roland Ersatz der Arztkosten (200 €) und des Verdienstausfalls (5.000 €) verlangen? b) Das ausgefallene Konzert bedeutet für den Veranstalter Matt einen Geschäftsverlust von 10.000 €. Welche Ansprüche hat er gegen Roland? Literatur:Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 3 c.

  14. Lösung Fall 1: A. Ansprüche Sahnig gegen Roland (S-R) I. § 823 I BGB: 1. Rechtsgut: Körper (Faustformel Körper: außen/Gesundheit: innen) 2. Verletzung: Kausalität ( + ) 3. Rechtswidrig und schuldhaft (Verstoß gegen § 1 StVO) 4. Rechtsfolge: Schadensersatz § 249 I: Heilbehandlungskosten 200.- Euro § 252: Verdienstausfall (= entgangener Gewinn) – 5000.- Euro

  15. II. §§ 7, 18 StVG 1. Rechtsgut: Körper 2. Verletzung: Kausalität 3. Bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs (Betriebsgefahr) verkehrstechnische Auffassung: auch stehendes Fahrzeug, wenn es verkehrsbeeinflussend ruht (Bsp.: auf Autobahn abgestellter Sattelschlepper) 4. Rechtsfolge: • Haftung des Halters (idR: Eigentümer) • Schadensersatz (Berechnung siehe oben I)

  16. § 7 StVG: Haftung des Halters, Schwarzfahrt (1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. (2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird. -------------------------------------------------------------------------------------------- § 18 Ersatzpflicht des Fahrzeugführers (1) In den Fällen des § 7 Abs. 1 ist auch der Führer des Kraftfahrzeugs oder des Anhängers zum Ersatz des Schadens nach den Vorschriften der §§ 8 bis 15 verpflichtet. Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist. …

  17. Halter (§ 7 StVG) BGHZ 13, 351/354: „wer das Fahrzeug für eigene Rechnung [nicht nur kurzfristig] in Gebrauch hat und die [tatsächliche] Verfügungsgewalt darüber besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt“. Eigentümer (+) Mieter oder Entleiher i.d.R. nicht, weil Vermieter für Unterhalt (Reparaturen, Versicherung und dgl. aufkommt)

  18. B. Ansprüche Matt gegen Roland? I. § 823 I BGB: Rechtsgut (-) für reine Vermögensschäden (entgangener Gewinn 10.000 €) muss man nach § 823 I grundsätzlich nicht einstehen, allenfalls nach § 823 II, 826 BGB. Rechtsgutsverletzung des R (Körper) irrelevant, weil in Bezug darauf M lediglich mittelbar geschädigt ist. II. Zwischen M und R bestehen auch keine vertraglichen Beziehungen; daher keine Haftung gem. § 280 I

  19. § 1 Überblick (5) 5. Wichtige Regel: Der mittelbar Geschädigte hat grundsätzlich keinen Deliktsanspruch gegen den Schädiger. a) Grundsatzsinnvoll, da sonst Gefahr einer uferlosen Haftung drohte. Bsp.: Verletzung oder Tötung eines Arbeitnehmers führt zu Vermögensschäden beim Arbeitgeber, u.U. bei den Arbeitskollegen, bei Lieferanten, Gastwirten, im Einzelhandel usw. (vgl. Medicus, Rn. 741). b) Aber: mittelbare Rechtsgutsverletzungen (im Unterschied zu mittelbaren Vermögensschäden!) sehr wohl ersatzfähig. Bsp: Bei Tunnelarbeiten stürzt Haus ein und beschädigt vor dem Haus stehende Autos. Beschädigung der Autos (mittelbare Rechtsgutsverletzung) ersatzfähig.

  20. III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung (1) 1. Tatbestand: § 823 I BGB a) Rechtsgut: Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum (nicht Vermögen). b) Verletzung: aa) Positives Tun: Handlung; jedes vom Willen beherrschbare Tun (nicht: vis absoluta, Schlaf; Zuckungen). Auch unwillkürliche Handlungen, z.B. das versehentliche Umstoßen einer Vase arg.: hier besteht wenigstens die Möglichkeit der Willenskontrolle (Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 75 II 1 a = S. 361).

  21. III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung (2) bb) Unterlassen steht dem positiven Tun gleich, wenn Rechtspflicht zum Handeln besteht, insbesondere sog. Verkehrssicherungspflichten. Beispiele: • Eröffnung und Duldung von Gefahrenquellen (z.B. Kinderspielplatz, Gaststätte, Weg)

  22. III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung (2a) (2) Übernahme einer Aufgabe (Milzbrandfall RGZ 102, 372): Tierarzt T sollte Milzbrandinfektion bei Rindern bekämpfen und beauftragte den Fleischer F mit der Notschlachtung der Tiere. T hat versäumt, eine offene Wunde des Fleischers zu desinfizieren. (3) Vorausgegangenes gefährliches Verhalten: Beispiel: Stiefvater erklärt Kindern, wie man mit einem Luftdruckgewehr umgeht, und überlässt anschließend Kinder sich selbst.

  23. III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung (3) b) Haftungsbegründende Kausalität: 3 Kriterien zur Einschränkung der Verantwortung Äquivalenz (conditio sine qua non) Adäquanz Schutzzweck der Norm Hundegebell führt zu Herzinfarkt; Erfolg extrem unwahrscheinlich; keine Kausalität Einzelheiten unten Folien 63 ff.

  24. III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung (4) 2. Rechtswidrigkeit: Rechtsgutsverletzung indiziertgrundsätzlich Rechtswidrigkeit. a) Konsequenz: TB-Verwirklichung ist Unrecht Rechtswidrigkeit entfällt nur, wenn Rechtsfertigungsgrund (z.B. Einwilligung des Verletzten) besteht. b) 2 Ausnahmen: Fernwirkungen (mittelbare Rechtsgutsverletzungen) Verkehrssicherungspflichten. Rechtswidrigkeit muss in diesen (Ausnahme-)Fällen immer positiv festgestellt werden = Pflichtverletzung

  25. III. Der „Aufbau“ der deliktsrechtlichen Haftung (5) 3. Verschulden: a) Formen: Vorsatz oder Fahrlässigkeit (§ 823 I BGB) b) Ausnahmen: Deliktsunfähigkeit Kindern unter 7 (§ 828 I) Kinder unter 10 bei Unfällen mit KfZ (§ 828 II – dazu Fall 2) bei fehlender Einsichtsfähigkeit (§ 828 III - selten) Bewusstlosigkeit, Geisteskrankheit (§ 827 Satz 1).

  26. § 828 BGB Minderjährige (1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. (2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat. (3) Wer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat.

  27. Fall 2: Haftung Minderjähriger Am 12.2. 2010 veranstalteten die damals neun Jahre alten Zwillingsbrüder Siggi und Leo auf der Fahrbahn der Straße Unter den Linden in Berlin ein Wettrennen mit Kickboards. Obgleich Siggi im Umgang mit einem Kickboard geübt war, stürzte er aus Unachtsamkeit. Sein Kickboard prallte gegen den ordnungsgemäß am rechten Straßenrand geparkten PKW von Gerber. Dieser verlangt Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 1904, 16 Euro. Literatur: BGH NJW 2005, 354; s. ferner BGH NJW-RR 2005, 327; NJW 2005, 356; 2007, 2113; 2008, 147; 2009, 95; Medicus, Schuldrecht II, Rn. 768.

  28. Lösung Fall 2: Deliktische Haftung Minderjähriger (1) Ansprüche G – S: § 823 I I. Rechtsgutsverletzung: Eigentum II. Tun: (+) III. Kausalität: Rechtsgutsverletzung äquivalent, adäquat kausal IV. Rechtswidrigkeit: indiziert V. Deliktische Verantwortung Minderjähriger

  29. Lösung Fall 2: Deliktische Haftung Minderjähriger (2) Haftungsprivileg bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug § 828 II • Kraftfahrzeug: § 1 II StVO: mit Maschinenkraft betriebenes Fahrzeug • Unfall: plötzliches von außen auftretendes Ereignis • Aber teleologische Reduktion der Norm: Vorschrift soll Kinder vor typischen Überforderungssituationen im Straßenverkehr schützen, also vor dem Risiko, Geschwindigkeiten und Entfernungen falsch einzuschätzen BGH: Norm greift daher nicht, wenn sich nicht dieses Risiko verwirklicht haben kann, das ist beim Kick-Board-Fahren der Fall

  30. Lösung Fall 2: Deliktische Haftung Minderjähriger (3) c) Kritik: Gesetz abstrakt gefasst: „Unfall mit KfZ“ Teleologische Reduktion führt zu erheblichen Abgrenzungsschwierig-keiten, ob im Einzelfall typische Überforderungssituation vorliegt aa) BGH NJW 2005, 356: kein Privileg für 9-Jährigen, der mit Fahrrad auf einem Parkplatz zwischen parkenden Autos herumfuhr bb) Anders BGH NJW 2007, 2113: Fahrradfahrer übersah infolge erhöhter Geschwindigkeit beim Rechtsabbiegen ein in der Straßenmitte korrekt wartendes Fahrzeug, das links abbiegen wollte. Hier bejahte BGH typische Überforderungssituation, da Fahrzeug ein Hindernis bildete, mit dem Kind nicht rechnete. Nahezu unberechenbare Kasuistik! Besser wäre es, Teilnahme am Verkehr genügen zu lassen; diese Voraussetzung liegt in allen Fällen vor.

  31. Lösung Fall 2: Deliktische Haftung Minderjähriger (4) 2. Haftungsausschluss wegen fehlender Einsichtsfähigkeit: § 828 III Maßgebend, ob Kind infolge individueller Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen bewusst zu sein. Auf Steuerungsfähigkeit = Fähigkeit, sich der Einsicht gemäß zu verhalten, kommt es insoweit nicht an a) Einsichtsfähigkeit wird vom Gesetzgeber vermutet (§ 828 III = Ausnahme) aa) Konsequenz: Kind muss fehlende Einsichtsfähigkeit darlegen und beweisen bb) Bei normal entwickelten Kindern geht Rspr. stets von Einsichtsfähigkeit voraus

  32. Lösung Fall 2: Deliktische Haftung Minderjähriger (5) • Ein 7-jähriger weiß, dass beim Fußballspielen in der Nähe von Wohnhäusern Außenlampen beschädigt können (OLG Nürnberg NJW-RR 2006, 1170). • Kinder im Alter von 8 Jahren müssen in der Lage sein, das Entzünden von Kerzen in einer Scheune als gefährlich zu erkennen (BGH NJW 1984, 1958 – sogar bei geistig etwas zurückgebliebenen Kindern bejaht). • Vermutung kaum zu widerlegen: Vortrag, dass Kind im Eifer des Wettrennens mit den Kickboards das Ende der Fahrbahn übersehen habe, betrifft nicht Einsichtsfähigkeit, sondern Verschulden:

  33. Lösung Fall 2: Deliktische Haftung Minderjähriger (6) b) Verschulden: Gruppenfahrlässigkeit (§ 276 II) – BGH streng • Kinder im Alter von 9 Jahren wissen, dass sie vorsichtig mit dem Kickboard umgehen müssen und parkende Autos nicht beschädigen dürfen. • Selbst einem 7-jährigen Jungen wird abverlangt, dass er vorsichtig mit dem Ball umgeht und nicht im Eifer des Spiels einfach drauf los ballern darf (OLG Nürnberg, NJW-RR 2006, 1170 f.) Ergebnis: S haftet G voll.

  34. § 276 BGB Verantwortlichkeit des Schuldners (1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung. (2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. (3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.

  35. Leben Tod = Hirntod (med.) Rechtsfolge: Ersatz mittelbarer Schäden 1.Beerdigungskosten (§ 844 I) 2. Unterhalt für Unterhalts- berechtigte (§ 844 II 1) §§ 1570 ff, 1601 ff. Körper, Gesundheit Faustformel: Körper: außen Gesundheit: innen Problem: Schädigung des nasciturus (vor der Geburt); arg. § 218 StGB Wrongful life (Fall 3) § 2 Rechte und Rechtsgüter § 823 I

  36. § 844 Ersatzansprüche Dritter bei Tötung (1) Im Falle der Tötung hat der Ersatzpflichtige die Kosten der Beerdigung demjenigen zu ersetzen, welchem die Verpflichtung obliegt, diese Kosten zu tragen. (2) Stand der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem gegenüber kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung das Recht auf den Unterhalt entzogen, so hat der Ersatzpflichtige dem Dritten durch Entrichtung einer Geldrente insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen sein würde; die Vorschriften des § 843 Abs. 2 bis 4 finden entsprechende Anwendung. Die Ersatzpflicht tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt, aber noch nicht geboren war.

  37. Fall 3: „wrongful life“ K ist gesundheitlich aufs Schwerste beschädigt, weil ihre Mutter M während der ersten Schwangerschaftswochen an Röteln erkrankt war. K und ihre Eltern werfen dem behandelnden Frauenarzt A vor, dass er diese Erkrankung der Mutter nicht erkannt habe, so dass die an sich erwünscht gewesene Schwangerschaft nicht unterbrochen worden sei. A wendet ein, er habe die Schädigung von K nicht verursacht, vielmehr werde ihm ein Verhalten vorgeworfen, dem das Kind sein Leben und seine Rechtsfähigkeit verdanke. Es sei mit der Anerkennung der Menschenwürde nicht zu vereinbaren, das Leben mit einer Behinderung als Schaden zu begreifen. Wie ist zu entscheiden? Literatur: BGHZ 86, 240; s. ferner BGHZ 129, 178; 151, 133; BGH NJW 2007, 989; Medicus, Schuldrecht AT, Rn. 666 f.; ders., BT Rn. 782;s.a. BVerfG NJW 1993, 1751; 1998, 519.

  38. Lösung Fall 3: wrongful life (1) Ansprüche der Mutter: I. Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages gem. §§ 280 I, 611 BGB: 1. Schuldverhältnis M/A: § 611 BGB (Behandlungsvertrag ist Dienst-, nicht Werkvertrag). 2. Pflichtverletzung: Arzt musste Rötelerkrankung der Mutter in der Frühphase der Schwangerschaft erkennen. Schutzpflichten zugunsten der Mutter (und des Kindes) gem. § 241 II BGB. 3. Verschulden: Vermutung nicht widerlegt II. Rechtsfolge: Schadensersatz (neben der Leistung)

  39. §§ 241, 280 I § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung • Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat…. § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis (1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. (2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

  40. Lösung Fall 3: wrongful life (2) Unterhaltsaufwendungen für Kind sind Schaden der Eltern; dieser ist gem. § 249 Abs. 1 BGB zu ersetzen (Naturalrestitution): Herstellung des Zustandes, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde. Bei rechtlich erlaubter und gebotener Abtreibung wären keine Unterhaltsaufwendungen entstanden. 1. 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts: mit dem staatlichen Schutzauftrag für das menschliche Leben gem. Art. 1 I, 2 I GG sei es nicht vereinbar, die Unterhaltspflicht für ein ungewolltes Kind überhaupt als Schaden zu begreifen (vgl. NJW 1993, 1751, 1764).

  41. § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes (1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. (2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen….

  42. GG Art 1 (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Art 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

  43. Lösung Fall 3: wrongful life (2a) 2. BGHZ 124, 128 (136) widerspricht: • Es gehe nicht darum, das Kind in seiner Existenz als Schaden zu begreifen, sondern um die gerechte Verteilung von Unterhaltslasten als Folge einer planwidrigen Geburt; diese ist lediglich Tatbestands-voraussetzung für § 280 I BGB - Begründung des BVerfG sei nicht bindend gem. § 31 BVerfGG („Entscheidungen ... bindend“), weil nicht entscheidungserheblich (zustimmend 1. SenatBVerfG NJW 1998, 519)

  44. Lösung Fall 3: wrongful life (3) 3. Ablehnend 2. Senat, NJW 1998, 523: Straffreiheit der Abtreibung nach Beratung durch zuständige Stelle setze Rahmenbedingungen voraus; zu diesen gehöre, dass Unterhaltspflichten für ein Kind nicht als Schaden begriffen werde. 4. Stellungnahme: BGH und 1. Senat verdienen m.E. Zustimmung, weil Menschenwürde des Kindes durch Unterhaltsansprüche gegen Arzt nicht in Frage gestellt wird.

  45. Lösung Fall 3: wrongful life (4) 5. Kein Schadensersatzanspruch besteht allerdings dann, wenn für den Schwangerschaftsabbruch keine medizinische (§ 218a II) oder kriminologische Indikation (§ 218a III) bestanden hat. • Frühere embryopathische Indikation wird jetzt weitgehend von medizinischer Indikation erfasst (seelische Gefahren für Mutter jedenfalls bei erheblicher Behinderung, BGH NJW 2002, 2636, 2637) b) Schwangerschaftsabbruch aufgrund sozialer Indikation ist – im Unterschied zu den Indikationen gem. § 218a II, III StGB - zwar innerhalb bestimmter Fristen straflos (§ 218a I, IV), aber eben rechtswidrig (BGHZ 129, 178, 185; BGH NJW 2002, 886).

  46. StGB § 218 Schwangerschaftsabbruch • Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft…. § 218a Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (1) Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung … nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

  47. StGB (Forts.) (2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn der Abbruch der Schwangerschaft … nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. (3) Die Voraussetzungen des Absatzes 2 gelten bei einem Schwangerschaftsabbruch, der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, auch als erfüllt, wenn ärztlicher Erkenntnis an der Schwangeren eine rechtswidrige Tat nach den §§ 176 bis 179 des Strafgesetzbuches begangen worden ist … (4) Die Schwangere ist nicht nach § 218 strafbar, wenn der Schwangerschaftsabbruch nach Beratung (§ 219) von einem Arzt vorgenommen worden ist und seit der Empfängnis nicht mehr als zweiundzwanzig Wochen verstrichen sind. Das Gericht kann von Strafe nach § 218 absehen, wenn die Schwangere sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.

  48. Lösung Fall 3: wrongful life (5) Rechtsprechung: Geschädigte kann nicht verlangen, wirtschaftlich so gestellt zu werden, wie sie bei Durchführung eines rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruchs stünde. Bei sozialer Indikation gibt es daher grundsätzlich keinen Schadensersatzanspruch, wohl aber bei embryopathischer. c) Arzt haftet daher für Unterhalt, wenn er – wie hier – Gefahr der Fehlbildungübersieht; auch hier verlangt allerdings die Rechtsprechung den Nachweis, dass sich Schwangere für den – rechtmäßigen - Abbruch der Schwangerschaft entschieden hätte (BGH NJW 2006, 1660, 1661); Indiz: schwere Missbildung (SV). Ergebnis: M kann von A Ersatz der Unterhaltsaufwendungen für unerwünschtes Kind verlangen

  49. Lösung Fall 3: wrongful life (6) B. Eigene Ansprüche des Kindes: I. Hier geht es um die Problematik des „wrongful life“. • Problem: Kind muss Arzt zum Vorwurf machen, dass er seine eigene Existenz ermöglicht hat (also sein Leben nicht verhindert hat). • Bei Röteln liegt embryopathtische Indikation vor, so dass der Abbruch der Schwangerschaft rechtmäßig gewesen wäre (§ 218a II StGB). • Schaden kaum darstellbar, weil der Geschädigte bei dem von ihm verlangten Verhalten des Arztes überhaupt nicht existiert hätte.

  50. Lösung Fall 3: wrongful life (6) II. BGH: Unwerturteil, das über das Leben eines Behinderten gefällt werden muss, mit Menschenwürde nicht vereinbar. Menschliches Leben absolut erhaltungswürdig; Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu, auch nicht einem Richter. Gesamtergebnis: Nichtverhinderung von Leben keine Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 823 I BGB. Jedenfalls kein Schaden des Kindes und kein eigener Anspruch. Aber: Eltern können gesamten Unterhaltsaufwand (nicht nur Mehraufwendungen wegen Behinderung; arg.: Differenztheorie!) als Schaden geltend machen, wenn durch ärztlichen Behandlungsfehler persönliche Familienplanung durchkreuzt wurde (§§ 280 I, 249).

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