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Das Recht auf Selbstbestimmung. Vorlesung: Vertiefung Völkerrecht. Historische Entwicklung. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Recht auf Selbstbestimmung als rein politisches Konzept angesehen (vgl. Aaland Islands Fall (1921))
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Das Recht auf Selbstbestimmung Vorlesung: Vertiefung Völkerrecht
Historische Entwicklung • Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Recht auf Selbstbestimmung als rein politisches Konzept angesehen (vgl. Aaland Islands Fall (1921)) Auf den zu Finnland gehörenden Inseln bildete sich eine Separatistenbewegung, die für den Anschluss der Inseln an Schweden plädierte. 95% Prozent der Bevölkerung votierten für einen Anschluss an Schweden. Expertenkommission kam zu dem Ergebnis, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht Bestandteil des Völkerrechts sei und die Separatistenbewegung daher keinerlei Ansprüche aus dem Selbstbestimmungsrecht ableiten könnte • Achtung der Selbstbestimmung der Völker wurde eines der Hauptziele der UN-Charta, Art. 1 (2) UN-Charta • Str, ob die ein rein programmatischer Ausspruch ohne rechtliche Bedeutung war bzw. ist. • UNGA Res. 1514 (1969): „All peopleshavetherighttoself-determination“ • GA/RES/2625(XXV) – Friendly Relations Declaration (1970): „überzeugt, daß der Grundsatz der (…) Selbstbestimmung der Völker einen bedeutsamen Beitrag zum modernen Völkerrecht darstellt (…).“ • Aufgeführt in Art. 1 (1) IPBürG bzw. IPwskR jeweils von 1976: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung.“
Praxis des Internationalen Gerichtshof • Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), ICJ Reports 1971,MN 52: “Furthermore, the subsequent development of international law in regard to non-self-governing territories, as enshrined in the Charter of the United Nations, made the principle of self-determination applicable to all ofthem.“ • Western Sahara, ICJ Reports 1975, MN 55: “The principle of self-determination as a right of peoples, and its application for the purpose of bringing all colonial situations to a speedy end, were enunciated in the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples (…).” • Frontier Dispute, ICJ Reports 1986, MN 25: “At first sight this principle [utipossidetis] conflicts outright with another one, the right of peoples to self-determination.” • East Timor, ICJ Reports 1995, MN 29: In the Court's view, Portugal's assertion that the right of peoples to self-determination, as it evolved from the Charter and from United Nations practice, has an ergaomnes character, is irreproachable. The principle of self-determination of peoples has been recognized by the United Nations Charter and in the jurisprudence of the Court. It is one of the essential principles of con-temporary international law. • Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, ICJ Reports 2004, MN 88: “The Court would recall that in 1971 it emphasized that current developments in "international law in regard to non-self-governing territories, as enshrined in the Charter of the United Nations, made the principle of self-determination applicable to all [such territories]". (…) The Court indeed made it clear that the right of peoples to self-determination is today a right ergaomnes.”
Umfang und Grenzen des SelbstbestimmungsR Art. 1 IPBürgR stellt die umfassendste Kodifizierung des SelbstbestimmungsRdar: (1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. Friendly Relations Declaration präzisiert Art. 1 IPBürgR teilweise • Hieraus lassen sich folgende Prämissen ableiten • Existenz eines äußeren SelbstbestimmungsR • Existenz eines inneren SelbstbestimmungsR • Enge Verknüpfung mit der Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten (vglinsb FRD: „frei und ohne Einmischung von außen“)
Umfang und Grenzen des SelbstbestimmungsR Selbstbestimmungsrecht Inneres Selbstbestim-mungsrecht Äußeres Selbstbestim-mungsrecht
Das äußere Selbstbestimmungsrecht • Äußere SelbstbestimmungsR ist immer auf eine territoriale Statusänderung gerichtet • Friendly Relations Declaration nennt ua: • Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates • Vereinigung mit einem Staat (zu einem neuen Staat) • Eingliederung in einen bestehenden Staat • Kriterium ist immer eine freie Willensentschei-dung des Volkes (Referendum oä)
Das äußere SelbstbestimmungsR • Problem: Lässt sich ein Recht auf Sezession (=Abspaltung) aus dem (äußeren) SelbstbestimmungsRableiten? Wie ist Spannungsverhältnis zwischen völkerrechtlich anerkanntem Bestandsinteresse des Staates und „Wunsch“ nach eigenem Staat aufzulösen? • Georges Abi-Saab: „While international lawdoes not recognize a righttosecession, neitherdoesitprohibitsecession, unlessthelatterresultsfrom a violationofoneofthe fundamental principlesofcontemporary international lawandperpetuatestheeffectsof such a violation.“ • James Crawford: „Itistruethat international lawdoes not prohibitsecessionofanygroupwhateverwithin a state(…) The questionofsecessionis a matter withinthejurisdictionofthemetropolitanstate (…) For international lawspecificallytoprohibitsecession, itwouldneedtoaddressthesecedingentityas such, andthisitgenerallydoes not.“ • Ausgangspunkt dieser Überlegungen: Volk verletzt die staatliche Souveränität bzw. dessen territoriale Integrität nicht durch Sezession, denn die Verpflichtung zur Achtung der territorialen Integrität eines Staates richtet sich nur an Staaten
Das äußere SelbstbestimmungsR • FriendlyRelations Declarationist hier nicht eindeutig: „Die vorstehenden Absätze sind nicht als Ermächtigung oder Ermunterung zu Maßnahmen aufzufassen, welche die territoriale Unversehrtheit oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten teilweise oder vollständig auflösen oder beeinträchtigen würden, die sich in ihrem Verhalten von dem oben erwähnten Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker leiten lassen und daher eine Regierung besitzen, welche die gesamte Bevölkerung des Gebietes ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertritt.“ • Supreme Court of Canada, Reference Re Seseccion of QuebecRn. 138: “In summary, the international law right to self-determinationonlygenerates, at best, a right to externalself-determination in situations of former colonies; where a people isoppressed, as for exampleunderforeignmilitary occupation; or where a definable group isdeniedmeaningfulaccesstogovernmenttopursuetheirpolitical, economic, social and cultural development.” • StellungnahmeDeutschlandsimRahmen des Kosovo Verfahrensvordem IGH: “It follows that international law neither totally excludes secession, nor does it give a liberal right of secession to all and every group. While self-determination should, fot the sake of the stability of the international system, normally be enjoyed and exercised inside the existing framework of States, it may exceptionally legitimize secission if this can be shown to be the only remedy against a prolonged and rigorous refusal of internal self-determination.”
Das äußere SelbstbestimmungsR • Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo, ICJ Reports 2010, MN. 82/83: „A number of participants in the present proceedings have claimed (…) that the population of Kosovo has the right to create an independent State either as a manifestation of a right to self-determination or pursuant to what they described as a right of “remedial secession” in the face of the situation in Kosovo. (…) Whether, outside the context of non-self-governing territories and peoples subject to alien subjugation, domination and exploitation, the international law of self-determination confers upon part of the population of an existing State a right to separate from that State is, however, a subject on which radically different views were expressed by those taking part in the proceedings and expressing a position on the question. Similar differences existed regarding whether international law provides for a right of “remedial secession” and, if so, in what circumstances. (…) The Court considers that it is not necessary to resolve these questions in thepresentcase.“
Das innereSelbstbestimmungsR • Diese Ausgestaltung betrifft das Verhältnis zwischen Volk und Regierung • Da es in seiner Konzeption dem „klassischen“ Menschenrecht sehr nahe kommt, wird hier auch von einem „kollektiven Menschenrecht“ gesprochen • Recht auf Identitätswahrung = Abwehraspekt • Recht auf Partizipation = Teilhabeaspekt Problem: Verlangt SelbstbestimmungsR demokratisches Organisation des Staates?
Rechtsinhaber: Volk • Keine allgemein anerkannte Definition des Begriffes „Volk“ im Völkerrecht • Begriffsbestimmung kommt teilweise der Quadratur des Kreises gleich • Staatsvolk und Kolonialvölker unstrittig • Zusammengehörigkeitsgefühl ausreichend? • Ausschließlich objektive Kriterien maßgebend (gemeinsames Siedlungsgebiet, Sprache, Religion etc)? • Kombinationstheorie (hM) Menschengruppe ist dann ein Volk, wenn es auf einem dauerhaft Gebiet ansässig ist, gewisse Gemeinsamkeiten aufweist und durch eine entsprechendes Zusammengehörigkeitsgefühl miteinander verbunden ist • Problem: Abgrenzung zu Minderheiten • Minderheiten stellt eine Personengruppe dar, die innerhalb eines Staates zahlenmäßig unterlegen ist und sich von ihr durch ethnische uä Gemeinsamkeiten unterscheidet und durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl miteinander verbunden ist. • Problem: Ausländer und Immigrant mit umfasst? Oder ist eine historische Verbundenheit mit dem Territorium von Nöten? • Problem: Meeresspiegelanstieg und der damit verbundene Verlust des ursprünglichen Siedlungsgebiet von Inselstaaten
Rechtsinhaber: Volk Problem: Abgrenzung Volk/Minderheit • Fall Western Sahara: Hierhatte der IGH zweiFragezubeantworten: • War das Gebiet der Westsaharavor der spanischenKolonialherrschaftterra nullis? • Wennnicht, bestehenRechtezwischendiesemGebiet und MauretanienbzwMarokko? • Western Sahara, Advisory Opinion, ICJ Reports 1975, 12 (MN 162): “(…) the Court's conclusion is that the materials and information presented to it do not establish any tie of territorial sovereignty between the territory of Western Sahara and the Kingdom of Morocco or the Mauritanian entity. Thus the Court has not found legal ties of such a nature as might affect the application of resolution 1514 (XV) in the decolonization of Western Sahara and, in particular, of the principle of self-determination through the free and genuine expression of the will of the peoples of the Territory“ • Ohne dies explizit zu nennen, scheint der IGH davon auszugehen, dass wenn Marokko oder Mauretanien Gebietshoheit (=territorial sovereignty) über das Gebiet der Westsahara gehabt hätten, die Bevölkerung als Minderheit innerhalb des Staates anzusehen wäre, die wiederum kein Recht auf Selbstbestimmung geltend machen könnten. • Strikte Trennung zwischen Volk und Minderheit scheint verfehlt. Innerhalb eines Staates können durchaus mehrere Völker leben. Den Mitglieder des quantitativ unterlegenen Volkes kommen sodann Minderheitenrechte zugute. Dies ändert jedoch nichts daran, dass diese Minderheit ihr Recht auf Selbstbestimmung unter gewissen Umständen geltend machen kann (zB Sezession) [persönliche Ansicht]