200 likes | 331 Views
Die Auswirkungen der Internierungspraxis auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Migranten: Die Erfahrung der Médecins Sans Frontières in Griechenland. MSF und Migration.
E N D
Die Auswirkungen der Internierungspraxis auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Migranten: Die Erfahrung der Médecins Sans Frontières in Griechenland
MSF und Migration • MSF hat bereits eine lange Geschichte in der Arbeit mit Flüchtlingen und Internierten, die bis in die 1970er zurückgeht. Seit den späten 1990er Jahren hat sich MSF in Aufnahmeländern (Spanien, Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland) und Transitländern (Marokko, Jemen, Ägypten, Mexiko) zur Bewältigung von Verwundbarkeiten aufgrund einer zunehmend restriktiven Migrationspolitik eingesetzt. • Als einehumanitäre Organisation setzt sich MSF für Menschen ein, die Hilfe brauchen, unabhängig von ihrem legalen Status. MSF’sEinsatz zur Hilfe von Bevölkerung, die auf der Flucht ist, lässt sich auf ihre verstärkte Verwundbarkeit in verschiedenen Phasen des Migrationsprozesses zurückführen. Das ist für MFS eine Krise, in der das Leben, die Gesundheit und die Menschenwürde gefährdet werden.
Restriktive Migrationspolitiken • Ein breites Spektrum restriktiver Migrationspolitiken sind im letzten Jahrzehnt in Europa zunehmend in Kraft gesetzt worden. Sie umfassen strengere Grenzkontrollen und Überwachungsmaßnahmen; Kooperations- und Rückschaffungsabkommen mit den Herkunfts- und Transitländern; erhöhte und verlängerte Anwendung von Gewahrsamsmaßnahmen. • Die EU-Rückführungsrichtlinie erhöhte die maximale Haftdauer auf 18 Monate (für Ausländer, die zurückkehren müssen). • Viele europäische Länder wenden jedoch systematisch die für Einwanderer vorgesehene Haftpraxis nicht nur bei auszuweisenden Migranten sondern auch bei Einwanderern und Asylsuchenden gleich nach ihrer Ankunft an.
MSF Einsatz • Seit 2004 hat MSF medizinische und psychologische Unterstützung bei Einwanderern in Internierungszentren überall in Europa geleistet: in Griechenland (2008– jetzt), Malta (2008-2010), Belgien (2004-2007) und Italien (2012). • Die gesundheitliche und humanitäre Situation internierter Einwanderer ist überall besorgniserregend: ernsthafte Hindernisse beim Zugang von Gesundheitsversorgung, inkl. für seelische Gesundheit, überfüllte Lebensbedingungen in Verbindung mit unzureichenden sanitären Einrichtungen, Mangel an Bestimmungen für schutzbedürftige Gruppen.
MSF Einsatz in Griechenland MSF Einsatz in Griechenland 2008 - bis heute • medizinische Versorgung • psychologische Unterstützung • Identifizierung gefährdeter Fälle • humanitäre Hilfe (Versorgung mit Hygieneartikelnund anderen Nothilfegegenständen) • Aufklärungs- und Lobbyarbeit bei Behörden, damit akzeptable Haftbedingungen und medizinische Leistungen gewährt werden.
Medizinisches Notprojekt in Polizeigrenzstationen (Dez. 2010 - Apr. 2011) 1.809 Patienten – 32 Überweisungen zur Sekundärversorgung Zusätzlich erhielten 75 Patienten psychologische Unterstützung in 122 Einzelsitzungen zur seelischen Gesundheit – 11 Überweisungen in psychiatrische Behandlung Patienten: 89% männlich, darunter 5,9% Minderjährige, 11% weiblich Hauptherkunftsländer: Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan, Bangladesch, Somalia, Nordafrika
Auswirkungen der Internierungspraxisauf die körperliche Gesundheit • Infektion der oberen Atemwege (18,7%), Infektionen der unteren Atemwege(7%), nicht blutige Diarrhoe (8,3%), Erkrankungen des Bewegungsapparats (10,9%), Hautinfektionen (5,3%), Kopfschmerzen (4%). • Insgesamt 63% aller Diagnosen hatten direkt oder indirekt mit den unwürdigen Haftverhältnissen zu tun: Überfüllung, fehlende Hygiene, Wasser- und Hygieneprobleme, mangelnde Lüftung und keine Aufenthaltsmöglichkeit im Freien.
ECDC Besuchsbericht, 2011 „Das Hauptproblem ist die erhöhte Gefahr an übertragbaren Krankheiten in den Haftzentren, hauptsächlich in Verbindung mit erheblicher Überfüllung, fehlender Hygiene, fehlender Grundversorgung (z.B. Decken, Schuhe, Seife usw.), fehlender Möglichkeit für Aktivitäten im Freien und der langen Haftdauer. Die Verhältnisse in den Zentren sind unter den international akzeptierten Mindeststandards in allen besichtigten Haftzentren. Es ist wohl dokumentiert, dass die Überfüllung die Gefahr für die Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten erhöht, wie z.B. Tuberkulose, Diarrhoe, Infektionen der oberen Atemwege, usw.“ Europäisches Zentrum für Seuchenbekämpfung, 2011.
Projekte für psychische Erkrankungen in Internierungslagern in Evros und Rodopi (Aug. 2009-Apr. 2010) 305 Patienten in 381 Einzelberatungen betreut. 79 Gruppensitzungen und 258 Spieltherapien-Sitzungen. Patienten: 89% männlich, darunter 12% Minderjährige, 11% weiblich Hauptherkunftsländer: Afghanistan, Iran, Irak, Pakistan, Somalia, Palästina, Bangladesch.
Auswirkungen der Internierungauf die seelische Gesundheit 39%der Patienten zeigten Angstsymptome, wie ständige Sorge, Angst, Panik, Unruhe. 31%der Patienten zeigten Depressionssymptome, wie Traurigkeit, Interessenlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Gedanken an Tod. 17,3%der Patienten suchten psychologische Hilfe aufgrund früherer traumatischer Erfahrungen -PTSDwurde bei 9,5%aller Patienten diagnostiziert. Die Internierung verschärfte bereits vorhandene Symptome, störte den Heilungsprozess und trug zu psychischen Belastungen bei. 3,2%der Patienten hatten Selbstmord oder Selbstbeschädigung während ihrer Internierung versucht.
Auswirkungen der Internierungauf die seelische Gesundheit • Für die Mehrheit der MSF-Patienten war die Internierung der einzige wichtige Grund für Stress und Frustration. • Viele erwarteten eine Art humanitärer Unterstützung und Schutz bei ihrer Ankunft in Europa. Als Ergebnis wurden die Internierung und das Gefühl, wie Kriminelle behandelt zu werden, als besonders brutal und ungerecht empfunden. • Schwierige Lebensbedingungen, Überfüllung, ständiger Lärm, fehlende Aktivitäten, Abhängigkeit von den Entscheidungen anderer Menschen, Dauer und Ungewissheit der Internierungsperiode und die ständige Bedrohung einer gezwungenen Rückkehr trugen zu Niederlage- und Hoffnungslosigkeitsgefühlen bei.
„Ich bin noch nie in Haft gewesen. Ich fühle mich sehr unsicher und habe Angst.“ „Ich weine ständig. Ich mache mir große Sorgen darüber, wie lange ich hier bleiben muss. In Haft zu sein macht mich verzweifelt.“
M.S.S. v. Belgien und Griechenland „eine ähnliche Situation in unterschiedlichem Maß [wird beschrieben]: Überfüllung, Schmutz, Raummangel, fehlende Lüftung, keine oder kaum Möglichkeit eines Spaziergangs, kein Raum zum Entspannen, fehlende Matratzen, schmutzige Matratzen, kein freier Zugang zu den Toiletten, ungeeignete sanitäre Einrichtungen, keine Privatsphäre, beschränkter Zugang zur Versorgung.“Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte,2011
Jüngste Verbesserungen • Medizinische Gruppen des Gesundheitsministeriums anwesend in Internierungszentren und Polizeigrenzstationen (aber keine volle Kapazität und mit Unterbrechungen). • Anwesenheit (aber sehr begrenzt)anderer NGOs (Rechtshilfe, Unterstützung unbegleiteter Minderjährige). • Geringe Verbesserungen in der Infrastruktur mancher Einrichtungen. • Neue Gesetzgebung seit 2011 sieht die Einrichtung einer Aufnahmeagentur und einer reformierten Asylagentur vor.
Fortbestehende Mängel • Ungeeignete Einrichtungen (Überfüllung, sehr schlechte sanitäre Bedingungen). • Lücken / Unterbrechungen bei der Dienstleistung (z.B. medizinische Leistungen). • Mangel an geeigneten Leistungen für schutzbedürftige Gruppen (z.B. Folteropfer). • Unzureichende personelle Ausstattung und Mangel an Fachpersonal, wie Dolmetschern. • Mangel an Protokollen und Prozeduren für das Management der Einrichtungen und die Überprüfung der neuen Ankünfte (inkl. ärztliche Untersuchung) – keine systematische Überwachung.
Fortbestehende Mängel • Beschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung. Laut griechischer Gesetzgebung wird irregulären Migranten nur in lebensbedrohlichen Notfällen der Zugang zum Nationalen Gesundheitssystem erlaubt und dann müssen sie die angefallenen Kosten decken. • Keine Weiterverfolgung der Fälle, sobald sie das Lager verlassen. • Sehr begrenzte Aufnahmekapazität für schutzbedürftige Fälle (erst 900 verfügbare Betten in Heimen für die Unterbringung von Asylsuchenden, schutzbedürftigen Personen, unbegleiteten Minderjährigen).
Aktuelle MSF Aktivitäten • Evros Registrierungszentrum in Poros (seit März 2012): medizinische Versorgung der Neuankömmlinge (Triage, erste Hilfe). Internierungszentren und Polizeigrenzstationen in Filakio und Venna: humanitäre Unterstützung (z.B. Hygieneartikel) von Migranten / Asylsuchenden in Internierung. • Insel Lesvos: medizinische und humanitäre Unterstützung bei Ankunft und in Polizeistationen.
Ioanna Kotsioni, Migrationsreferentin,Médecins Sans Frontières, Athen ioanna.kotsioni@athens.msf.org