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Strafprozessuale Vernehmungslehre. RiAG Gernot Hermann 2010. Literaturhinweise. Advocom, Praxisseminar Fragen und Vernehmen (Grünwald o.J.) Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage (4. Auflage, München 2007) Bender, Nack, Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (3. Auflage, München 2007)
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Strafprozessuale Vernehmungslehre RiAG Gernot Hermann 2010
Literaturhinweise • Advocom, Praxisseminar Fragen und Vernehmen (Grünwald o.J.) • Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage (4. Auflage, München 2007) • Bender, Nack, Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht (3. Auflage, München 2007) • Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung (6. Auflage, München 2008) • Meyer-Goßner, Strafprozessordnung (52. Auflage, München 2009) • Schulz von Thun, Miteinander Reden (3 Bände, Reinbek 1981) RiAG Gernot Hermann 2010
Gliederung • Kommunikation • Wahrnehmung, Speicherung, Wieder-gabe • Rechtliche Grenze: Täuschung • Durchführung einer Vernehmung • Glaubwürdigkeitsbeurteilung • Geständnis • Beweiskraft RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Man kann nicht nicht kommunizieren. (Paul Watzlawick) RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Communicare = etwas gemeinschaftlich machen / etwas mit jemandem teilen (Mitteilen) => Verbales / Nonverbales Miteinander-in-Beziehung-Treten von Menschen zum Austausch von Informationen RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Mündliche Kommunikation: • Das wechselseitige • aufeinander bezogene • Sprechen und Hören • von mindestens zwei Menschen, • die gemeinsam versuchen, • sich über etwas zu verständigen. RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation „Es steht ja gar keine Milch auf dem Tisch.“ Sache: „Auf dem Tisch steht keine Milch.“ Person: „Ich mag keinen schwarzen Kaffee.“ Beziehung: „Wir sind jetzt seit fünf Jahren verheiratet, und du weißt das immer noch nicht!“ Appell: „Hol bitte die Milch!“ Jede Nachricht hat vier Seiten • für den Sprecher • und für den Hörer RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Wer gut zuhört, • signalisiert Interesse und Wertschätzung • ist besser und schneller über die Sache und die Denkweisen und Bedürfnisse des Gesprächspartners informiert • kann damit strategisch geschickter handeln RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Verständlichkeit • zeigt Kompetenz • führt zur Überzeugung erreicht man durch • Struktur • Prägnanz • Einfachheit im Ausdruck • Stimulanz Holen Sie Ihren Gesprächspartner dort ab, wo er steht! RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Professionelle Kommunikation • ist zielgerichtet, • rollenbewusst und • situationsangemessen • und setzt unterschiedliche Mittel • überlegt ein. RiAG Gernot Hermann 2010
1. Kommunikation Kommunikationsfähigkeit ist ein Schlüssel zum beruflichen und privaten Erfolg. RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Der größte Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern der Irrtum. RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Irrtumsquellen: • Wahrnehmung • Speicherung • Erinnerung • Wiedergabe RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Wahrnehmung: Sinnesreize -> Sinnesorgane Webersches Gesetz Die „Tatsache“ als solche gibt es nicht. RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Wahrnehmungsprobleme: • Körperliche Verfassung Auge Ohr Tastsinn Geruchs- und Geschmackssinn • Seelische Verfassung Wahrgenommen / gespeichert wird (nur), was sich lohnt, behalten zu werden. • Geistige Verfassung -> Auswahl RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Sinngebung: • Ausfüllungsneigung • Schlussfolgerung • Gesetze der Gestaltpsychologie • Hofeffekt • Erwartungshorizont • Beeinflussung RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Speicherung • Angleichung / Nivellierung • Verfestigung • Verbindung • Ausfüllung • Zeitfolge RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Erinnerung • Ultra-Kurzzeitgedächtnis • Kurzzeitgedächtnis • Langzeitgedächtnis RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe • Keine Erinnerung an Reflexe / Sofortreaktionen • Verblassung • Anreicherungstendenzen • Verfälschung zum Zweckmäßigen • Verschmelzung • Retrograde Amnesie • Fixierung im Langzeitgedächtnis • Abwehrmechanismen RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach. (Friedrich Nietzsche) RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe Wiedergabe: • Verfälschungen • Schätzungen RiAG Gernot Hermann 2010
2. Wahrnehmung, Speicherung, Wiedergabe „Mit welcher Geschwindigkeit sind / haben die Autos …?“ „zusammengekracht (smashed)“ 40,8 m/h „kollidiert (collided)“ 39,3 m/h „aufeinander gefahren (bumped)“ 38,1 m/h „zusammengestoßen (hit)“ 34,0 m/h „sich berührt (contacted)“ 31,8 m/h RiAG Gernot Hermann 2010
3. Rechtliche Grenze: Täuschung • Begriff der „Täuschung“ i.S.d. § 136 a StPO ist zu weit gefasst und wird einschränkend ausgelegt. • Abgrenzung: (zulässige) kriminalistische List <-> (unzulässige) Lüge • Maßgeblich: Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und –betätigung des Vernommenen, der sich auf Grund falscher Vorstellungen zur Aussage entschließt RiAG Gernot Hermann 2010
3. Rechtliche Grenze: Täuschung Unzulässig: • Bewusstes Vorspiegeln / Entstellen von Tatsachen (erdrückende Beweislage, Aussage werde nicht zum Nachteil des Beschuldigten verwertet) • Täuschung über Rechtsfragen (Vorspiegelung einer Zeugenvernehmung, Pflicht zur Aussage) RiAG Gernot Hermann 2010
3. Rechtliche Grenze: Täuschung Keine Täuschung: • Vorspiegeln freundschaftlicher Gesinnung • Verschweigen bestimmter Punkte / den Beschuldigten über den eigenen Kenntnisstand im Ungewissen Lassen • Ausnutzen vorhandener Irrtümer (nicht: Hervorrufen, Aufrechterhalten, Verstärken) • Unterlassen der Belehrung nach § 136 StPO • Fahrlässigkeit (str., soweit es um Rechtsfragen geht) • Fangfragen • Suggestivfragen? RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Acht Regeln für den Vernehmer: • Kontaktsuche • Freundlichkeit • Interesse • Lob • Selbsteröffnung • Geduld • Verständlichkeit • Kompetenz RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Der Bericht: -> Filterfrage -> offene Fragen -> Tendenz der Auskunftsperson gegenüber anderen Beteiligten erkennen -> Klare Angaben oder Floskeln? -> Auffällige Lücken? -> Fragen für das Verhör vormerken RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Das Verhör: -> erbringt die noch fehlenden Details -> enthält weniger Lücken, aber mehr Fantasie als der Bericht RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Probleme: • Pygmalioneffekt • Gedächtnisverschluss • Beharrungstendenz • Othello-Effekt RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Fragetechnik: • Verständlich • Eindeutig • Personenbezogen fragen • Nur eine Frage zur Zeit stellen • Verschnörkelte Einleitungen vermeiden • Abmildernd (nicht provozieren) • Den Eindruck vermeiden, die Auskunftsperson müsste die Antwort wissen • Unnötige Assoziationen vermeiden • Negative Ansprachen vermeiden • Vorwürfe nur in der Schlussphase (mit „Brücke zur Wahrheit“) RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Fragetaktik: Nicht zu früh offenbaren, welche Antwort man erwartet / was man selbst schon weiß! RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Fragetypen (I): • Filterfrage -> Kann die Auskunftsperson aussagen? Hat sie eigene Wahrnehmungen gemacht? • Offene Fragen -> i.d.R. „W-Fragen“, grds. vorzuziehen, da sie suggestionsfrei sind und eine eigene Aussage ermöglichen (-> Leerfrage, Anstoßfrage, Auswahlfrage) • Geschlossene Fragen -> sollten grds. nicht gestellt werden (-> Alternativfrage, Ja-/Nein-Frage, Suggestivfrage, Gegensatzfrage, Unmöglichkeitsfrage) RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Fragetypen (II): • Herausforderungsfrage -> soll die Auskunftsperson, die ihr Wissen bewusst zurückhält, aus der Reserve locken (Gefahr: „Totstellreflex“) • Sondierungsfrage -> soll Unklarheiten beseitigen • Testfragen -> betreffen nicht das Aussagethema selbst, schaffen aber eine Grundlage für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit) (-> Situationsfragen, Thema-Wechsel-Frage, Überprüfung der Wahrheitswilligkeit, Vorurteilsfreiheit oder Aussagetüchtigkeit) • Lenkungsfragen -> lenken die Vernehmung in eine bestimmte Richtung RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Besondere Vernehmungsmethoden: • Mehrkanalmethode • Kognitives Interview • Zick-Zack-Verhör RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Die Beschuldigtenvernehmung: Ablauf: • Kontaktgespräch • Vernehmung zur Person • Eröffnung des Tatvorwurfs • Belehrungen • Vernehmung zur Sache RiAG Gernot Hermann 2010
4. Durchführung einer Vernehmung Die Beschuldigtenvernehmung: Grundsätze: • Vernehmungsort / -situation • Person des Vernehmenden • Rasche und gründliche Vernehmung • Gefährlichste Fehlerquelle ist die „eingleisige Anfangshypothese“. • Auch Unschuldige können lügen. • Gemeinsamer Rekonstruktionsprozess („Aushandeln“ / „Kampf“) • Geständnis • „Alles verstehen heißt nicht alles verzeihen.“ RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Der Aussagende: Nicht maßgeblich für die Beurteilung sind: • Prozessuale Stellung der Person (Beschuldigter, Zeuge) • „allgemeine Glaubwürdigkeit“ der Person Maßgeblich ist allein die Qualität der Aussage. RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Nullhypothese: Jede Aussage gilt solange als unwahr, bis diese Vermutung sich angesichts der Zahl und der Qualität der Realitätskriterien in der Aussage nicht mehr aufrechterhalten lässt. (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Widerlegung der Nullhypothese: • Subjektiv: Der Richter hält die Aussage für zuverlässig. • Objektiv: Für diese Bewertung existiert eine hinreichende Tatsachengrundlage. RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Gefährlichkeitskalkül: Je geringer die Gefahr der Aufdeckung ist, desto leichter fällt die Lüge. -> War das Geschehen heimlich oder öffentlich wahrnehmbar? -> War es dauerhaft bzw. hat es Spuren hinterlassen oder war es flüchtig? -> Sind andere Zeugen bzw. Beweismittel vorhanden oder nicht? -> Ist das Geschehen komplex und schwer überschaubar oder einfach zu verstehen? Kennt sich der Vernehmer auf dem Gebiet aus oder nicht? RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Lügner-Dilemma: • Glaubwürdigkeit erfordert: Details, Spontaneität • Gefährlichkeitskalkül und Mangel an Kompetenz bewirken: Detailarmut, Verzögerung bei Ergänzungen RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Ausgangspunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung: Denken in Alternativen RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Notwendige Bedingungen: • Logische Konsistenz (nicht „logisches Verhalten“) • Zahlreiche (qualitativ hochrangige) Details RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Detailreichtum: • Wieviel bleibt übrig, wenn man alle Details streicht, die nicht unmittelbar mit dem Kerngeschehen zusammenhängen? • Wechselseitige Gespräche (außer das Gespräch ist selbst das Beweisthema) • Nebensächlichkeiten • Komplikationen • Nicht allgemein bekannte Deliktstypik RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Originalität (insbesondere bzgl. Nebensächlichkeiten) RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Gefühle für Echtheit spricht: • Originalität • Ambivalenz • Differenzierung RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Gefühle Lügensignale: • Ausweichen von Fakten • Gefühlsschilderungen, die zielgerichtet das Beweisthema abstützen oder mögliche Ungereimtheiten nicht erklären können • Stimmungsmache • Übersteigerter Gefühlsausdruck ohne Differenzierung („Eintönigkeit“) RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Strukturelle Kriterien: • Gleichgewicht zwischen den für die „Partei“ günstigen und ungünstigen Teilen der Aussage • Gleiche sprachliche Struktur zwischen relevanten und unerheblichen Teilen der Aussage • Gleiche Struktur wie frühere Aussagen der Auskunftsperson, von denen man weiß, ob sie wahr oder falsch waren RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Nichtsteuerung: • Nebensächlichkeiten • Schnelle, spontane Ergänzungen • Inversion (Umkehrung) RiAG Gernot Hermann 2010
5. Glaubwürdigkeitsbeurteilung Homogenität: • Keine (unauflösbaren) Widersprüche • Psychologische Stimmigkeit • Gegenseitige Bestätigung der Vorgangsschilderung durch Einzelheiten • Es bleiben keine wesentlichen Teile unerklärt. • Schilderung von Eindrücken aus verschiedenen Sinneskanälen RiAG Gernot Hermann 2010