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Wissenschaftstheorie Begriffe und Konzepte. Karin Fischer PS Transdisziplinäre Entwicklungsforschung II SS 2009. Teil 1, 27.3.2009. Systematische Tätigkeit: neue Erkenntnisse hervorbringen, Fragen stellen, Vorhersagen treffen Arbeitet prognostisch, normativ oder empirisch
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WissenschaftstheorieBegriffe und Konzepte Karin Fischer PS Transdisziplinäre Entwicklungsforschung II SS 2009 Teil 1, 27.3.2009
Systematische Tätigkeit: neue Erkenntnisse hervorbringen, Fragen stellen, Vorhersagen treffen Arbeitet prognostisch, normativ oder empirisch Arbeitet entlang einer benennbaren Methodik Bietet detailgenaue Beschreibungen, Erklärungen und Interpretationsvorschläge Belegbarkeit, Überprüfbarkeit, Reproduzierbarkeit Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Wissenschaft–Theorie–Wissenschaftstheorie Was ist Wissenschaft?
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Was ist Wissenschaft? Beansprucht allgemeine Gültigkeit? Produziert letztgültige Wahrheiten? Oder macht Vorschläge in einem offenen Diskussionsprozess? Unterschied zwischen Meinung und Wissen, zwischen Wissenschaft und Ideologie – was als Ideologie gilt, ist geknüpft an gesellschaftliche Bedingungen Denken und Arbeiten innerhalb eines institutionalisierten Rahmens – Spielregeln und Zwänge des Wissenschaftsbetriebs
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Was tun WissenschafterInnen? Beobachten, beschreiben, erklären, interpretieren ... ABER • Fakten werden nicht durch korrekte Methoden „entdeckt“, sondern „geschaffen“ und interpretiert • Auswahl der Studienobjekte, Perspektive, Untersuchungseinheit ... entscheidet über Erkenntnis! • Auswahl ist nicht neutral: theoretisches Grundverständnis, persönliche Erfahrungen und Vorlieben, ontologische Position des/der Forschenden ...
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Forschungsprozess beginnt mit Vor-Urteilen, aber .... • intersubjektive Überprüfbarkeit • methodische Nachvollziehbarkeit • Beweis- und Begründungspflicht • „Öffnen“ für Prüfung, Diskussion, Kritik
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Was tun WissenschafterInnen? Beobachten, beschreiben, erklären, interpretieren ... ABER „(E)very statement of fact implies assumptions about what is considered factural ...“ Kees van der Pijl
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Was ist Theorie? • vollständige, durchgängige, in sich widerspruchsfreie und präzise Erfassung des Gegenstandes • Logische Aussagen und Thesen darüber, wie die soziale Welt strukturiert ist, wie sie „funktioniert“ • wie ihre Teile und diese mit dem „Ganzen“ zusammenhängen • Entwickelt eine eigene Sprache, hat eine bestimmte Grammatik, legt Bedeutungen fest
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Was ist Theorie? • Theorie = modellhaft, die abstrakte Essenz abbildend • Entwicklungen der Vergangenheit erklären und Voraussagen für die Zukunft treffen • intersubjektiv überprüfbar (Empirie!)
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Wozu Theorie? • um Informationen / „Fakten“ zu ordnen • Werkzeuge, um die soziale Welt zu verstehen bzw. zu deuten • Probleme zu definieren • Möglichkeiten für Handeln zu erkennen bzw. zu entwerfen • Den Radius des Mach- und Denkbaren, des Sag- und Wissbaren erweitern
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Wozu Theorie? Theorie beeinflusst die Wahl des Untersuchungsgegenstandes & die Interpretation der Ergebnisse „theoriegeleitete Forschung“ „theoriebeeinflusste Fragestellung“
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Ausgewählte Zitate: Theorie Theory is a set of logical propositions …about how the real world is structured, or the way in which it operates (…) which aim to explain how development has occurred in the past, and/or how it should occur in the future. Robert P. Potter (2002)
Theorie – „Große Erzählung“ – Ontologie Was ist Theorie? Theoretical perspectives serve to define the nature of and the problemswithin the „real world“ of the political economy. Generaltheory or ontology (…) involves assumptions regarding the nature of a lived reality, the way that parts of this reality relate to the whole, and how that reality changes or might change over time. Stephen Gill (1993)
Theorie – „Große Erzählung“ – Ontologie Was ist Theorie? There is no theory in itself, no theory independent of a concrete historical context. (...) Theory is always for someone and for some purpose. Robert Cox (1995)
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Was ist Wissenschaftstheorie? • Wissenschaftstheorie setzt sich mit den Bedingungen auseinander, unter denen Wissenschaft entsteht und betrieben wird • Reflexion über Theorie und die Konstruktionsregeln von Wissenschaft
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Wissenschaftstheorie – wozu? • Welche (Vor-)Annahmen haben wir über die soziale Welt, die wir beforschen? • Wie positionieren wir uns selbst als Forschende? • Wie und mit welchen Techniken können wir soziale Phänomene erkennen und erforschen?
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Ein klares Verständnis über unsere Annahmen ist notwendig, um • Verwirrung bei der Diskussion von theoretischen Standpunkten und Zugängen zu vermeiden • andere Positionen zu erkennen und die eigenen Positionen zu begründen • den Zusammenhang zwischen den Schlüsselkomponenten von Forschung – soziale Realität, Erkenntnisprozess und Methodologie/Methoden – zu verstehen
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Grundlegende Begriffe • Ontologie: Lehre des Seins Was existiert? Was kann erforscht werden? • Epistemologie: Lehre des Wissens Was können wir wissen? Wie können wir Wissen erlangen? • Methodologie: Lehre von den Methoden Mit welchen Mitteln und Methoden kann systematisch Wissen gewonnen werden?
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Grundlegende Begriffe • Methodologie: Lehre von den Methoden Mit welchen Mitteln und Methoden kann systematisch Wissen gewonnen werden? • Methode: Art und Weise des Vorgehens, um ein bestimmtes Ziel mit bestimmten Mitteln zu erreichen • Quellen
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Grundlegende Begriffe Ontologie What is out there to know about? who we are Methodologie Epistemologie How can we go about acquiring knowledge? how and what to do What and how can we know about it? how to know
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Warum sich damit auseinandersetzen? Ontologische und epistemologische Positionen … “They are like a skin not a sweater: they cannot be put on and taken off whenever the researcher sees fit.” “should not be treated like a sweater that can be `put on´ when we are addressing such philosophical issues and `taken off´ when we are doing research.” ...prägen Zugang zu Gegenstand, Theorie, Methoden Quelle: Marsh/Furlong 2002
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Positivismus Die Welt existiert unabhängig von unserer Kenntnis über sie = ontologische Grundposition
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Positivismus Epistemologische Grundposition • Geht von der Möglichkeit eines direkten Zugriffs auf „Wirklichkeit“ aus, die entlang von Regelmäßigkeiten und kausalen Zusammenhängen organisiert ist • Beobachtung, Messung, Experiment – lässt nur gelten, was demonstrierbar und empirisch belegbar ist • kausale Zusammenhänge feststellen • empirische Fragestellung (was ist) trennen von normativen (was soll sein) – Wertfreiheit, Objektivität • Forscher = getrennt vom Gegenstand, objektiv
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Positivismus Methodologie / Methoden • Beobachtung, Messung, Experiment – lässt nur gelten, was demonstrierbar und empirisch belegbar ist • quantitative Methoden
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 (Neo-)Positivismus Ich verfüge über empirische Gewissheit … Fakten und etabliertes Wissen Fakten rationale Einsicht Mit Bezug auf van der Pijl (o.J.)
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Kritische Einwände gegen Positivismus • Glaube an eine kausal konstruierte Welt • Wissenschaft als neutrale Technik • Objektivität / Irrelevanz des erkennenden Subjekts • ahistorisches Verständnis von Wissen und Erkenntnis • Zentralität quantitativer Methoden
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Konstruktivismus Hermeneutik Die Welt ist sozial / diskursiv konstruiert. Subjekte agieren auf Grundlage ihrer Werte und Erwartungen – Gesellschaft kann man sich nur denken als intersubjektiv konstruiert Die Welt ist nicht unmittelbar und eindeutig erfahrbar ontologische Grundpositionen
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Hermeneutik Epistemologische Grundposition • Der Beobachter versteht soziale Handlungen / Akteure durch Empathie • Dem Verstehen liegen immer Prämissen zu Grunde • Kunst der Interpretation (von Texten, von Handlungen) • Prämissen prägen den Zugang zum Gegenstand und die Interpretation • Soziale Strukturen existieren nicht unabhängig von unserer Interpretation • Verlangt eine gewisse Forschungsethik
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Hermeneutik Werte / Rationalität „Subjektive Rationalität“
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Konstruktivismus Epistemologische Grundposition • Es gibt keine unmittelbare Erkenntnis • „Wirklichkeit“ wird nicht abgebildet, sondern erzeugt • Soziale Strukturen existieren nicht unabhängig von unserer Interpretation • (radikaler K.): Jedes Bild, das wir uns von der Welt machen, ist eine Konstruktion • Abschied von der Objektivität
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Hermeneutik Methodologie / Methoden • Welt ist nicht unmittelbar und eindeutig erfahrbar • Wechselseitige Abhängigkeit von Vorannahmen und Ergebnissen • Notwendigkeit von Interpretation • Erschließung von Sinnzusammenhängen • Fokussierung auf qualitative Methoden Hermeneutischer Zirkel Interpretatives Paradigma
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Konstruktivismus Methodologie / Methoden • Fakten sind ideologisch geladene „Tat-Sachen“ und keine realen Phänomene • wissenschaftliche Erkenntnis ist mit Macht verbunden, nicht mit Wahrheit relativ, kontextgebunden, kontingent • Fokussierung auf qualitative Methoden
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Unterscheidung von Theorien • „problemlösungsorientiert“ vs. „kritisch“ • akteursorientiert vs. strukturalistisch • positivistisch vs. normativ • Subjekt-Objekt-Verhältnis Theorien haben ontologische und epistemologische Positionen keine Frage von „rechts“ und „links“
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Kritische Theorie und integrative Sozialwissenschaft Theorien „Vorausgesagtes“ Methoden zur Bearbeitung des Kulturellen Methoden zur Bearbeitung der sozialen Realität Ideologiekritik Diskursanalyse Hermeneutik Dekonstruktion empirisch- analytisches Vorgehen Glaubenssysteme Alltagserfahrungen Soziale Realität Werte Ideologien, Deutungen, Annahmen; „Bevorzugtes“ Daten Analyse des Konkreten „Beobachtetes“
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Theorien und ihre Ontologien & Epistemologien – Beispiele Akteursorientierte Theorien: Rational Choice, Public Choice ontologische Grundposition • Ausgangspunkt = individuelle Einheit (Individuum, Staat) – agiert in der Welt auf der Grundlage von Eigeninteressen • Die Welt (Gesellschaft) ist die Summe dieser Handlungen • Ereignisse haben ihren Ursprung im individuellen Subjekt, das in der Welt aktiv wird
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Strukturalistische Theorien: Regulationstheorie • Kapitalistische Ökonomie, (National-) Staaten als regulative Instanzen • Handeln bleibt innerhalb funktionaler Grenzen • Soziale Klassen und Klassenkonflikt, regulierender Staat ontologische Grundposition: (schwaches) System • Problemlösend: Datensammlung für staatliche Intervention und Regulierung (positivistisch) • Kritische Theorie: historische Analyse von Akkumulationsweisen und -regimen epistemologische Grundposition
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Schwache Systemtheorien: Regulationstheorie Subjektive Rationalität Entwicklung des Systems
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Weltsystemansatz • Kapitalistische Weltwirtschaft, entwickelt sich seit dem 16. Jahrhundert zu einem starken System • Aufstieg und Niedergang der hegemonialen Staaten • Staaten – Gesellschaften – Klassen • Peripherie – Zentrum • Lange Wirtschaftszyklen unter wechselnder Dominanz von produktivem und Finanzkapital ontologische Grundposition: (starkes) System epistemologische Grundposition • Historisch-positivistisch (Annales-Schule)
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Starke Systemtheorien: Weltsystemansatz und Theorie der langen Wellen Ich bin Teil des Systems Entwicklung des Systems
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Marxistische Imperialismus- und Abhängigkeitstheorien • Ungleiche Entwicklung • Konflikt und Krieg, Ausbeutung • Geschichte ist die Geschichte eines Kampfes mit offenem Ausgang • Gesellschaft (Objekt) besteht aus sozialen Klassen (Subjekte) ontologische Grundposition: Menschheit = Gesellschaft epistemologische Position • Kritisch-dialektisch: gegen Harmonie, Widersprüche! Wissen hat Klassencharakter
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen (Neo-) gramscianische Klassenanalyse • Klassenfiguration – organische Intellektuelle • Herstellung von Hegemonie • transnationale Ebene ontologische Grundposition epistemologische Grundposition • Kritisch: Analyse hegemonialer Konstellationen, „Kontrollkonzepte“
Wissenschaftstheoretische Grundpositionen Struktur und Handeln Soziale Welt ist Ergebnis von Gesetzmäßigkeiten oder Kräften, die unabhängig von den Akteuren wirken Kollektive historische Subjekte versuchen, die Welt zu verändern – „within the limits of the possible“ Ereignisse haben ihren Ursprung im individuellen Subjekt, das in der Welt aktiv wird Ereignisse haben ihre eigene Dynamik, gemäß inhärenter Prinzipien, die die Handlungen der Akteure determinieren
Wissenschaftstheorie PS TEF 2 Literaturhinweise • Cox, Robert W. (1995): Critical Political Economy. In: Hettne, Björn (ed.): International Political Economy. Understanding Global Disorder. London: Zed Books, 31-45. • Gill, Stephen (1993): Epistemology, Ontology and the "Italian School". In: ders. (ed.): Gramsci, Historical Materialism and International Relations, 21-48. • Marsh, David/Furlong, Paul (2002): A Skin, not a Sweater: Ontology and Epistemology in Political Science. In: Marsh, David/Stoker, Gerry (eds.): Theory and Methods in Political Science. Basingstoke: Palgrave, 17-41. • Potter, Robert P. (2002): Theories, strategies and ideologies of development. In: Desai, Vandana/Potter, Robert B. (eds.): The Companion to Development Studies. London: Arnold, 61-65. • Van der Pijl, Kees (o.J.): Sources of Contemporary Theory in Global Political Economy. University of Sussex, Department of International Relations and Politics.