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Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin

Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin . Anglo-German Law Programme: King‘s College London 26./27. März Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB). § 1 Überblick über die gesetzliche Regelung. § 812 enthält insgesamt vier Anspruchsgrundlagen:. Leistungskondiktion.

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  1. Prof. Dr. Reinhard Singer Humboldt – Universität zu Berlin Anglo-German Law Programme: King‘s College London 26./27. MärzBereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)

  2. § 1 Überblick über die gesetzliche Regelung § 812 enthält insgesamt vier Anspruchsgrundlagen: Leistungskondiktion Nicht-Leistungskondiktion § 812 I 1 F 2 Leistung ohne Rechtsgrund § 812 I 1 F 1 Bsp.: nichtiger Vertrag Besondere Formen Eingriffs- Kondiktion Bsp.: Verbrauch fremden Vermögens Sonder- fälle § 812 I 2, Fall 1 Wegfall des rechtlichen Grundes Bsp.: auflösend bedingter Vertrag § 812 I 2, Fall 2 Nichteintritt eines bezweckten Erfolges Bsp.: Leistung, um Strafanzeige abzuwenden Verwendungs -kondiktion Bsp.: Reparatur fremder Sachen Rückgriffs- Kondiktion Bsp.: Bezahlung fremder Schulden

  3. § 2 Die Leistungskondiktion (1) § 2 Die Leistungskondiktion (§ 812 I 1 Fall 1) I. Das Erlangte gem. § § 812 I Bereicherungsschuldner muss herausgeben, was er rechtsgrundlos „erlangt“ hat Daher ist das Erlangte genau zu bestimmen Beispiel 1: A verkauft und übereignet ein Buch an B. Kaufvertrag wegen Dissenses nichtig. Erlangt hat B Eigentum und Besitz am Buch; er muss daher das Buch rückübereignen (§ 812 I 1, Fall 1).

  4. § 2 Die Leistungskondiktion (2) Beispiel 2: der geisteskranke A verkauft und übereignet ein Grundstück an B. B hat nicht Eigentum erlangt (dies würde eine wirksame Übereignung voraussetzen) Erlangt hat B vielmehr Besitz an dem Grundstück und gegebenenfalls eine Eintragung ins Grundbuch. Rechtsfolge: B muss Besitz (insbesondere auch Hausschlüssel) und Buchposition zurückgeben Rückgabe Buchposition: Erteilung einer Eintragungsbewilligung (§ 29 GBO) für den Bereicherungsgläubiger A

  5. Fall 1: Parkplatzfall Rathausmarkt Stadt Hamburg parkgeldpflichtig und bewacht U A („kein Entgelt“)

  6. Fall 1: Parkplatzfall (1) Fall 1: Parkplatzfall Anspruch U gegen A auf Bezahlung der Parkplatzgebühren I. §§ 535, 611, 612 BGB: kombinierter Miet- und Dienstvertrag Keine übereinstimmenden Willenserklärungen; A will keinen Vertrag, keine Bewachung und kein Entgelt entrichten. Berliner U-Bahnfahrer: T-Shirt mit Aufschrift: „Schwarzfahrer“

  7. Fall 1: Parkplatzfall (2) II. Ausweg: Lehre vom sozialtypischen Verhalten (Haupt, 1941; Larenz bis zur 6. Aufl.) 1. Zustandekommen des Vertrages nicht nur durch übereinstimmende Willenserklärungen, sondern auch durch sozialtypisches Verhalten (=tatsächliche Inanspruchnahme einer angebotenen entgeltlichen Leistung). Begründung: BGB angeblich zu individualistisch; Bedürfnisse des modernen Massenverkehrs. BGHZ 21, 319, 333 ff. folgte der Lehre im Parkplatzfall Folge: A musste Parkgebühren zahlen. 2. Bedenken: Lehre verstößt gegen das Prinzip der Privatautonomie.

  8. Fall 1: Parkplatzfall (3) III. § 823 I BGB? • Rechtsgut: a) Eigentum: U nicht Eigentümer des Platzes b) Besitz: § 823 I schützt auch (berechtigten) Besitzer; Besitzstörung: unbefugtes Parken (+) 2. Rechtswidrigkeit, Schuld: (+) 3. Rechtsfolge: Schadensersatz (§ 249 I); Grundsatz: Naturalrestitution: wie stünde U ohne Pflichtverletzung des A?

  9. Fall 1: Parkplatzfall (4) a) Vertragsschluss als pflichtgemäßes Verhalten? A nicht zum Vertragsschluss bereit und auch nicht verpflichtet (-) b) Vermögensschaden nur, wenn U einen anderen Kunden, der zahlungswillig gewesen wäre, abgewiesen hätte. Denkbar, wenn Parkplatz restlos überfüllt war, aber eben nur dann!

  10. Fall 1: Parkplatzfall (5) IV. Bereicherungsrechtlicher Anspruch: § 812 Abs. 1 S. 1, Fall 2 BGB 1. Etwas erlangt: a) Vom BGH nicht sauber geprüft: „Aufwendungsersparnis“ BGH lehnte Kondiktion ab, weil es schwierig sei, Aufwendungsersparnis des A zu berechnen (wie viel Benzin benötigt A für Parkplatzsuche?). b) Besser: erlangt hat A nicht Aufwendungsersparnis, sondern Nutzung des Parkplatzes. 2. Nutzung kann zwar nicht herausgegeben werden, aber gem. § 818 Abs. 2 BGB schuldet A dann Wertersatz (= übliche Vergütung).

  11. Fall 1: Parkplatzfall (6) 3. Wegfall der Bereicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB? A war bösgläubig, haftet verschärft gemäß § 819 Abs. 1 BGB und darf sich daher nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Ergebnis: A haftet gem. §§ 812, 818, 819 Abs. 1 BGB und muss die übliche Vergütung zahlen.

  12. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen V 433, 929 (50.000.-) K 104 433, 929 (55.000.-) D

  13. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (1) II. Der Leistungsbegriff Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen Ausgangsfall: V war geisteskrank (§ 104) A. Ansprüche V/D gem. § 985: Voraussetzung ist, dass V = Eigentümer ist. Ursprünglich war V Eigentümer (§ 1006). I. Eigentumsverlust durch Veräußerung V/K? ( - ), §§ 929, 104, 105 I BGB.

  14. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (2) II. Eigentumsverlust durch Veräußerung K/D? § 929 BGB: 1. Einigung ( + ) 2. Übergabe ( + ) 3. Berechtigung: fehlt, aber gem. §§ 929, 932 BGB gutgläubiger Erwerb des D. Grund: Verkehrsschutz. Ergebnis: V hat Eigentum an D verloren.

  15. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (3) B. Bereicherungsansprüche § 812 I 1, Fall 1 oder Fall 2 V/D I. Etwas erlangt:D hat Eigentum und Besitz am Porsche erlangt. II. Durch Leistung oder in sonstiger Weise? 1. Eigentumserwerb des D geschah durch Leistung des K, nicht durch Leistung des V. 2. Durchgriffskondiktion V gegen D? a) H.M. lehnt ab, da D aufgrund des gutgläubigen Erwerbs einen Rechtsgrund zum Behaltendürfen hat.

  16. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (4) b) BGH lehnt eine Durchgriffskondiktion ebenfalls ab. arg.: Rückabwicklung grds. nur innerhalb der Leistungsbeziehungen (Vertragspartner ausgesucht; jeder trägt Insolvenzrisiko des jeweiligen Vertragspartners, nicht das von Dritten) Prinzip vom Vorrang der Leistung schließt Durchgriffskondiktion aus. Verbot der Durchgriffskondiktion folgt auch aus § 816 I 1 und 2 BGB Verfügt ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand in der Weise, dass die Verfügung gegenüber dem Berechtigten wirksam war, dann schuldet der Verfügende K (nicht der Empfänger D!) Herausgabe des Erlangten (§ 816 I 1: 55.000.- Euro) Empfänger D haftet nur, wenn er unentgeltlich erworben hat (§ 816 I 2 BGB); unentgeltlicher Erwerb weniger schutzwürdig (vgl. auch § 822 BGB).

  17. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (5) Variante 2: Wie ist die Rechtslage, wenn nur Kaufvertrag V- K wegen Dissenses (§ 154) nichtig ist? 1. Kondiktion V – K (= Vertragspartner); §§ 812 I 1, 818 II. 2. Keine Durchgriffskondiktion V/D Mängel im Verhältnis V/K gehen D nichts an; D haftet nur, wenn er unentgeltlich erworben hat und K deswegen nicht mehr bereichert ist (§ 822 BGB). Vergleich zum Ausgangsfall: Selbst bei nichtiger Übereignung besteht keine Direktkondiktion wegen der Wertungen der §§ 816 I, 932 BGB.

  18. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (6) Variante 3: Sog. Doppelmangel: a) Kondiktion im Verhältnis V/K und K/D b) Kondiktion der Kondiktion? aa) K ist im Ergebnis nur um seinen Bereicherungsanspruch gegen D bereichert! bb) Dennoch nach h.M. Haftung des K auf Wertersatz; dieser darf sich nicht auf den Wegfall seiner Bereicherung berufen. arg.: Kondiktion der Kondiktion würde die Nachteile für V kumulieren; er hätte sowohl Einwendungen des K, als auch die des D gegen sich, und trüge das doppelte Insolvenzrisiko. Ergebnis: V – K §§ 812 I 1, F. 1, 818 II (+)

  19. Variante 4: abgekürzte Lieferung V 433, 929 (50.000.-) K 104 Direktlieferung433, 929 (55.000.-) D

  20. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (7) Variante 4: Wenn K den V gebeten hat, den Porsche direkt an D zu liefern (sog. abgekürzte Lieferung), stellt sich die Frage, ob eine Leistung V/D vorliegt? 1. Bei beweglichen Sachen:Keine Übereignung V/D, sondern zwei Übereignungen entlang der Kausalketten V/K und K/D. § 929 verlangt „Übergabe“. H.M.: Übergabe an eine sog. „Geheißperson“ genügt. a) Bei der Übereignung V/K ist D Geheißperson für K. b) Bei der Übereignung K/D ist V die Geheißperson für K. Da die Übereignung entlang den Kausalverhältnissen verläuft, wird ebenfalls entlang der Kausalverhältnissegeleistet i.S.v. § 812.

  21. Fall 2: Kondiktion in Mehrpersonenverhältnissen (8) 2. Bei der Übereignung von Grundstücken: Kondiktion verläuft auch hier innerhalb der defekten Kausalverhältnisse; erforderlich ist dann Zwischeneintragung des K C. Gesamtergebnisse: I. Bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung sind die Wertungen des Sachenrechts zu beachten (§§ 816, 822, 932 ff. BGB). II. Kondiktion erfolgt grundsätzlich innerhalb der defekten Kausal-verhältnisse, es findet kein Durchgriff statt. III. Insolvenz- und Einwendungsrisiken bestehen immer nur bezüglich des jeweiligen Vertragspartners IV. Leistungsempfänger ist von Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis zu Dritten geschützt.

  22. § 2 Die Leistungskondiktion (3) III. Die Leistungskondiktionen gem. § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB 1. § 812 I 2, Fall 1: condictio ob causam finitam a) Voraussetzung: späterer Wegfall des rechtlichen Grundes b) Bsp.: (aa) Eintritt einer auflösenden Bedingung, Vertragsaufhebung oder vorzeitige Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses (bb) nicht Anfechtung gem. §§ 119 ff.; arg. § 142 I Nichtigkeit der angefochtenen WE ex tunc ( = § 812 I 1 Fall 1; str.; a.A. vertretbar).

  23. § 2 Die Leistungskondiktion (4) 2. § 812 I 2, Fall 2:Nichteintritt mit der Leistung bezweckten des Erfolges (sog. „condictio ob rem“ oder „causa data, causa non secuta“) a) Voraussetzung: Nichteintritt eines mit der Leistung bezweckten Erfolges „Erfolg“: nicht der Erfolg, der durch Erfüllung einer Verbindlichkeit angestrebt wird (solvendi causa); dieser Fall wird bereits von § 812 I 1 Fall 1 erfasst. § 812 I 2 Fall 2 meint nur solche Erfolge, auf die der Leistungsempfänger keinen erzwingbaren Anspruch hat.

  24. § 2 Die Leistungskondiktion (5) b) Beispiel: untreuer Geschäftsführer gibt gegenüber Gesellschaftern Schuldanerkenntnis ab, um diese von einer Strafanzeige abzuhalten. Ges.ter 780 Gf 812 I 2 F 2 Falls diese dennoch Strafanzeige erstatten, kann er sein Schuldanerkenntnis gem. § 812 I 2 Fall 2 zurückfordern. Erfolg (Nichtanzeige der Straftat) kann nicht Gegenstand eines wirksamen Rechtsgeschäfts sein (§ 134) arg.: Rechtsgeschäft verstieße gegen gesetzliches Verbot - § 258 StGB. c) Bsp. 2 – Schwarzkauf (dazu Fall 3):

  25. Schwarzkauf – Fall 3 V 433, 311b (100.000.-€) K 150.000.- 812 I 2 F 2

  26. Schwarzkauf – Fall 3 (1) I. Anspruch K gegen V aus § 812 I 1, Fall 1 BGB 1. Etwas erlangt: Eigentum und Besitz am Geld 150.000 € (oder Gutschrift) 2. durchLeistung: bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens (+) a) Leistungszweck § 812 I 1, Fall 1 BGB: Erfüllung einer Verbindlichkeit? Wird ein unwirksamer Vertrag erfüllt, hat Leistender i.d.R. Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 BGB Wenn Leistender weiß, dass noch keine Verbindlichkeit bestanden hat, ist § 812 I 1 F 1 nicht interessengerecht. Grund: Leistungskondiktion gem. § 812 I 1 Fall 1 wegen § 814 ausgeschlossen.

  27. Schwarzkauf – Fall 3 (2) b) Leistungszweck § 812 I 2 Fall 2 Leistung bezweckt einen bestimmten Erfolg, der nicht Gegenstand einer erfüllbaren vertraglichen Verpflichtung sein kann: Erwerb des Eigentums aa) Wirksamer Kaufvertrag über 150.000.- (§ 433)? (1) Einigung über Parteien, Gegenstand und Kaufpreis (150.000 €) (2) Form: Kaufvertrag über Grundstück bedarf der notariellen Beurkundung (§ 311 b I Satz 1). Kaufvertrag bei „Schwarzkauf“ nicht wirksam

  28. Schwarzkauf – Fall 3 (3) bb)Wirksamkeit des Kaufvertrages bei Schwarzbeurkundung (1) Beurkundet waren 100.000 € als Kaufpreis. Dieser beurkundete Preis ist freilich nicht gewollt (§ 117 I), sondern als Scheingeschäft nichtig. (2) Gewollt ist Kaufpreis in Höhe von 150.000 €. Dieser Preis ist aber nicht beurkundet worden (§ 311 b I Satz 1); gem. § 117 II BGB ist das verdeckte Rechtsgeschäft nur wirksam, wenn dessen Voraussetzungen im vollen Umfang erfüllt sind. (3) „falsa demonstratio“? schadet zwar nicht bei versehentlicher Falschbezeichnung (Parzellenverwechslung), wohl aber bei einer absichtlichen Falschbeurkundung.

  29. Schwarzkauf – Fall 3 (4) cc) Mangel heilbar, wenn Erwerber als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wird (§ 311 b I Satz 2). Wegen der Heilungsmöglichkeit wird nun angenommen, dass der Zweck der Leistung nicht in der Erfüllung einer nichtigen Verbindlichkeit besteht, sondern darin, den Gegner zu veranlassen, die Voraussetzungen für die Heilung herbeizuführen (Mitwirkung bei Auflassung und Eintragung). Auf diesen Erfolg (Heilung) besteht wegen § 311 b I Satz 1 kein Anspruch. 3. Erfolg iSd § 812 I 2 F 2 nicht eingetreten: V weigert sich, Grundstück aufzulassen

  30. Schwarzkauf – Fall 3 (5) 4. Ausschlussgrund: a) § 814: gilt nur für Leistungskondiktion (§ 812 I 1 F 1) b) § 815 BGB aa) Anwendbar: Kondiktion wegen Nichteintritt des bezweckten Erfolges (§ 812 I 2 Fall 2) bb) § 815 Fall 1: der Leistende hat gewusst, dass der Erfolgseintritt von Anfang an unmöglich war (-) cc) § 815 Fall 2: der Leistende hat den Eintritt des Erfolges wider Treu und Glauben verhindert.

  31. Schwarzkauf – Fall 3 (6) (1) Berufung auf den Formmangel nur unter besonderen Umständen treuwidrig Grund: sonst Aushöhlung der Form über § 242 BGB (2) Fallgruppen: - arglistige Täuschung über die Form oder - Veranlassen eines Formmangels durch schuldhaftes Verhalten - widersprüchliches Verhalten (z.B., wenn eine Seite die Vorteile aus dem Geschäft gezogen hat und sich nun auf den Formmangel beruft; Bürgschaft – Kreditgewährung – Berufung auf Form des § 766) Für Treuwidrigkeit genügt es nicht, dass Veräußerer die Auflassung verweigert, da der Erwerber darauf keinen Anspruch hat. Deshalb liegt insoweit auch kein widersprüchliches Verhalten vor. Ergebnis: kein Ausschlussgrund; Rückforderung K – V gem. § 812 I 2, Fall 2 (+).

  32. § 2 Die Leistungskondiktion (6) IV. Die Leistungskondiktion gem. § 817 BGB 1. § 817 Satz 1:Verstößt der Zweck einer Leistung gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot, besteht gem. § 817 Satz 1 eine Kondiktion gegen den Empfänger (condictio ob turpem vel iniustam causam). Wenn Rechtsgeschäft gegen die §§ 134, 138 BGB verstößt und nichtig ist, liegt freilich immer auch eine Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 vor (condictio indebiti). Insofern ist fraglich, worin der eigenständige Anwendungsbereich von § 817 S. 1 BGB bestehen soll. Beispiel (Medicus, SR II, Rn. 645): Erpressung von Schutzgeldern (nur Erpresser = Leistungsempfänger macht sich strafbar); m.E. auch hier § 812 I 1 F.1 einschlägig (condictio indebiti)

  33. § 2 Die Leistungskondiktion (7) • Einschlägig sind Fälle, in denen condictio indebiti (§ 812 I 1 F 1) wegen Kenntnis des Leistenden vom fehlenden Rechtsgrund an § 814 scheitert. (z.B. Kauf eines Radarwarngeräts – Fall 5; Verkäufer klärt Kunden auf, dass Geschäft sittenwidrig; BGH NJW 2010, 610: § 817 S.1 +) Ergebnis: § 817 Satz 1 hat kaum praktische Bedeutung, weil in der Regel zugleich § 812 I 1, Fall 1 BGB erfüllt ist. 2. Viel wichtiger ist Ausschlussgrund der Kondiktion gem. § 817 Satz 2: Kondiktion gem. § 817 Satz 1 ausgeschlossen, wenn auch dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last fällt. § 817 Satz 2 muss auch für die Kondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 gelten, weil sonst der Ausschlussgrund weitgehend leer liefe. Immer wenn § 817 Satz 1 erfüllt ist, ist ja fast immer auch § 812 I 1, Fall 1 gegeben.

  34. § 2 Die Leistungskondiktion (8) 3. Umstritten ist die ratio legis von § 817 Satz 2 BGB: a) Früher Strafsanktion für sittenwidriges oder gesetzwidriges Tun dagegen spricht, • dass nur der Leistende bestraft wird, nicht aber derjenige, der die Leistung empfangen hat (deshalb häufig Korrektur durch § 242!) . - die fehlende Proportionalität zwischen Verschulden und Strafmaß: Wer viel leistet, wird viel härter bestraft, als derjenige, der weniger leistet. b) H.L.: Rechtsschutzverweigerung wenig überzeugend, weil alleine der Verstoß gegen Gesetze oder die guten Sitten nicht rechtfertigen würde, den Leistenden für quasi „vogelfrei“ zu erklären.

  35. § 2 Die Leistungskondiktion (9) c) Generalprävention: (aa) Kondiktionsausschluss trägt zur Prävention bei. arg.: Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts keine ausreichende Sanktion für Sitten- und Gesetzesverstöße; häufig liegt keine Straftat vor; Ordnungswidrigkeiten werden aus der Portokasse bezahlt. (bb) Präventionsgedanke eingeschränkt durch Verhältnismäßigkeitsprinzip. Konsequenzen: § 817 Satz 2 setzt wenigstens Kenntnis vom Sitten- oder Gesetzesverstoß voraus. Außerdem ist der Leistungsbegriff i.S.v. § 817 einschränkend auszulegen.

  36. Fall 4: Wucherdarlehen Adler Gierig 488: 5.000.- € Zinsen: 30% 488 (138) 812 I 1 F 1

  37. Fall 4: Wucherdarlehen (1) A. Vertraglicher Rückzahlungsanspruch I. Voraussetzungen des § 488 I 2: 1. Wirksamer Darlehensvertrag 2. Fälligkeit der Rückzahlung (§ 488 I 2). Zu 2.: Bei Verbraucherdarlehen (§ 491 I) setzt Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 498 I (= 12 VerbrKrG a.F.) voraus: - Verzug des Darlehensnehmers (§ 286) mit mindestens zwei Raten, - 10 % der Darlehenssumme oder - bei einer Laufzeit über drei Jahre - 5 % (Nr.1) und - zweiwöchige Frist mit Androhung der Restfälligstellung (Nr. 2).

  38. Fall 4: Wucherdarlehen (2) Zu 1.: Wirksamkeit des Darlehensvertrages; dazu II. II. Wucher gem. § 138 II BGB 1. Erhebliches Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung: = sobald Marktzins relativ um mehr als 100 % überschritten wird oder absolut gesehen um mehr als 12 % Punkte (BGHZ 80, 153). 2. subjektive Voraussetzungen a) Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen = bewusstes Ausnutzen der Lage des Geschäftspartners, um übermäßigen Gewinn zu erzielen.

  39. Fall 4: Wucherdarlehen (3) aa) Zwangslage = dringendes Bedürfnis nach der Leistung des Wucherers bb) Unerfahrenheit Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrung - regelmäßig nur bei Jugendlichen und geistig beschränkten Personen - Unerfahrenheit auf einem bestimmten Rechtsgebiet genügt nicht (BGH NJW 1979, 758), wenn im allgemeinen Lebenserfahrung besteht (hier: Geschäftsmann).

  40. Fall 4: Wucherdarlehen (4) cc) Mangel an Urteilsvermögen Wenn der Geschäftspartner die Bedeutung des konkreten Geschäfts bzw. das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nicht vernünftig beurteilen kann (Verstandesschwäche, allgemeine Sorglosigkeit). dd) erhebliche Willensschwäche Der Geschäftspartner erfasst zwar Umfang und Bedeutung des Geschäfts, hat aber nicht die Willenskraft, sein Verhalten entsprechend zu steuern (Alkohol- und Drogensucht). b) Kriterien aa) – dd) selten erfüllt; deshalb hat die Rechtsprechung für sog. „wucherähnliche Rechtsgeschäfte“ die Sittenwidrigkeit nicht mit 138 II begründet, sondern mit § 138 IBGB

  41. Fall 4: Wucherdarlehen (5) Unterschied Wucher und wucherähnliches Rechtsgeschäft gem. § 138 I BGB: bei einem objektiv wucherischen Darlehensvertrag (Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) wird die fehlende Geschäftserfahrung vermutet (BGHZ 104, 102, 107; 80, 153 ff.). c) Fallbezogen: § 138 II: A evtl. in Zwangslage, weil er nicht in der Lage war, die Miete für seine existentiell notwendige Unterkunft zu zahlen; allerdings ist § 138 II nur erfüllt, wenn Gierig dies weiß (Tatfrage). § 138 I: Darlehensvertrag ist jedenfalls nach § 138 I nichtig, da 30 % Kreditzinsen deutlich über den Marktzinsen für Konsumentenkredite liegen (z.B. Berliner Volksbank 2009: 6,99 – 13,99 %) Folge: subjektiver Tatbestand (Ausnutzung) wird vermutet

  42. Fall 4: Wucherdarlehen (6) B. Anspruch aus § 812 I 1 Fall 1 I. Etwas erlangt: ( + ) II. Durch Leistung: ( + ) III. Ohne Rechtsgrund: §§ 488 I i.V.m. § 138 I BGB (Wucherdarlehen) (+) IV. Rechtsfolge: 1. Herausgabe des Erlangten; erlangt hat A die Darlehensvaluta (5.000 €).

  43. Fall 4: Wucherdarlehen (7) 2. § 818 I: Nutzungen = gezogene Zinsen (§ 100 III) Nutzungen gegenständlich nicht mehr vorhanden, aber dafür schuldet A Wertersatz in Höhe des üblichen Marktzinses gem. § 818 II. V. Ausschlussgrund § 817 Satz 2 BGB: 1. § 817 Satz 2 gilt auch für Leistungskondiktion gem. § 812 I 1, Fall 1 (s.o. Folie 33). 2. Sittenverstoß des Leistenden? a) G ist der Wucherer, hat also einen Sittenverstoß begangen; merkwürdige Konsequenz: A dürfte Darlehen behalten. Empfehlung, in Zukunft bei Wucherern Geld zu borgen?

  44. Fall 4: Wucherdarlehen (8) b) Rspr. korrigiert dieses Ergebnis mit Hilfe eines modifizierten Leistungsbegriffs: anstößige Leistung nicht Kapitalüberlassung, sondern Kapitalnutzung. aa) A darf also für die Laufzeit des Vertrages das Darlehen zinslos behalten, muss aber die Darlehensvaluta an G zurückbezahlen. bb) Dies muss er im Übrigen nicht in einem Schritt, sondern entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen ratenweise. Rückzahlung des Kapitals trotz § 817 Satz 2 sachlich gerechtfertigt, weil dem bereicherten A stets klar war, dass er das Kapital selbst nicht endgültig würde behalten dürfen.

  45. Exkurs § 817 S. 2 § 817 S. 2 wird bei unbilligen Ergebnissen oft mit Hilfe von § 242 BGB korrigiert 1. Beim Bordellkauf verwehrt RGZ 71, 432 dem Käufer, sich gegen den Herausgabeanspruch des Verkäufers gem. §§ 812, 817 auf § 817 S. 2 zu berufen (§ 242 – Einrede der Arglist) 2. Ähnlich entscheidet BGHZ 41, 341 bei der Bordellpacht; hier würde der Ausschluss der Rückforderung der Leistung (Gebrauchsüberlassung) im Ergebnis dazu führen, dass der gesetzeswidrige Zustand aufrechterhalten bleibt (§ 242) 3. BGHZ 111, 308 verwehrt dem Leistungsempfänger, der Leistungen unter Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz erhalten hat, die Berufung auf § 817 S. 2 (über 10.000.- Euro „Handwerker“-Lohn); arg.: Auftraggeber ist häufig wirtschaftlich stärker

  46. Fall 5: Radarwarngerät V 433 (138) K 812 I 1; 817 S. 1 346, 312 b, d

  47. Fall 5: Radarwarngerät (1) A. Anspruch K – V auf Rückzahlung des Kaufpreises: §§ 346 i.V.m. §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323, 326 V BGB I. Kaufvertrag K - V (+) II. Wirksamkeitshindernisse: 1. § 134 BGB: § 23 Abs. 1b StVO verbietet das Benutzen oder Mitführen von Radarwarngeräten, nicht den Erwerb. Kauf bloße Vorbereitungshandlung (§ 134 - ).

  48. Fall 5: Radarwarngerät (2) 2. Nichtigkeit des Kaufvertrags gem. § 138 I BGB a) Sittenverstoß wegen Zweck des Kaufs: Kaufvertrag ist auf die Begehung eines ordnungswidrigen Verhaltens im Straßenverkehr gerichtet; Verbot des § 23 Abs. 1b StVO dient dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer. b) Subjektiver Tatbestand: wenn Beteiligte Tatsachen, welche die Sittenwidrigkeit begründen, kennen oder sich ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Kaufvertrag nichtig (§ 138 I BGB); kein Rückzahlungsanspruch gem. § 346 i.V.m. §§ 433 ff.

  49. Fall 5: Radarwarngerät (3) II. Anspruch aus § 812 I 1 F. 1 BGB: • K hat durch Leistung des V jedenfalls Besitz an dem Radarwarngerät erlangt • Ohne Rechtsgrund: Kaufvertrag nichtig (§ 138 I) • Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten (Besitz) • Ausschluss gem. § 814? - ja, da K aufgeklärt: positive Kenntnis von Nichtigkeit des Vertrages Grund für Kondiktionsausschluss? Verbot widersprüchlichen Verhaltens; Selbstschutz zumutbar

  50. Fall 5: Radarwarngerät (4) • Aber K hat auch einen Anspruch aus § 817 S. 1 Dieser Anspruch scheitert aber an § 817 S. 2 BGB, da dem Leistenden auch ein Sittenverstoß zur Last fällt. BGH: Keine Korrektur des § 817 S. 2 mit Hilfe von Treu und Glauben (§ 242 BGB) Käufer eher noch weniger schutzwürdig als Verkäufer, da er die Verkehrsteilnehmer unmittelbar gefährdet.

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