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26 Europäische Integration und weltwirtschaftliche Verflechtung. Ziel und Umfang der Europäischen Gemeinschaft war zwischen den sechs Mitgliedstaaten von Anfang an umstritten. Sehr schnell wurde die Frage nach einer Erweiterung zum Stolperstein.
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26 Europäische Integration und weltwirtschaftliche Verflechtung • Ziel und Umfang der Europäischen Gemeinschaft war zwischen den sechs Mitgliedstaaten von Anfang an umstritten. Sehr schnell wurde die Frage nach einer Erweiterung zum Stolperstein. Die wirtschaftlichen Erfolge erhöhten die Attraktivität der Gemeinschaft für den Beitrittskandidaten Großbritannien. Für die deutsche Politik galt es, zwischen dem Partner Frankreich und den anglo-amerikanischen Interessen zu steuern und daraus keine Zerreißprobe werden zu lassen. Bundeskanzler Adenauer wollte die deutsch-französischen Beziehungen nicht belasten und war deshalb gegen eine schnelle Erweiterung. Die Atlantiker um Wirtschaftsminister Erhard und seine Anhänger in Handel und Industrie hätten eigentlich lieber eine großeuropäische Freihandelszone gesehen. Sie wollten jedenfalls mit Kleineuropa nicht in einen Gegensatz zu den Vereinigten Staaten geraten.
Da das britische Projekt einer europäischen Freihandelszone aus 17 Ländern scheiterte, bildete sich im Mai 1960 ersatzweise die Europäische Freihandels-Assoziation (EFTA). Der französische Staatspräsident General de Gaulle wollte hingegen den Beitritt Großbritanniens verhindern, das er als Trojanisches Pferd der Ameri-kaner auf dem Kontinent ansah. Die USA hätten lieber eine Erweiterung der EWG gesehen, als die EFTA als britische Ersatzlösung. Die globalen amerikanischen Interessen sollten mit Hilfe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gewahrt werden. Die OECD wurde im Dezember 1960 als Nachfolgeorganisation der OEEC, praktisch der Marshall-Plan-Überwachungsbehörde, ins Leben gerufen. Als Dachorganisation aller westlichen Industriestaaten sollte die OECD eine transatlantische Wirtschaftsordnung sicherstellen helfen.
Walter Hallstein, der erste deutsche Präsident der Kommission, wollte vor allem die Institutionen der Gemeinschaft stärken. In einer Erweiterung sah er Hindernisse für seine integrativen Vorstellungen einer beschleunigten westeuropäischen Einigung. Sein Plan vom März 1960 sah eine Verdoppelung der internen zehnprozentigen Zollreduzierung vor und die schnelle Inkraftsetzung eines gemeinsamen Außenzolls. Dafür war ursprünglich erst der 1. Januar 1962 vorgesehen gewesen. Mitte 1961 beantragte die britische Regierung die volle Mitgliedschaft. De Gaulle wurde dadurch in seinen Ablehnungsabsichten nur bestärkt. Am 14. Januar 1963 hielt er seine berühmt gewordene Pressekonferenz ab, auf der er die französische Entscheidung bekannt gab, Großbritanniens Beitrittswunsch abzulehnen. Adenauer hatte überhaupt nicht ernsthaft versucht, ihn umzustimmen. Doch seine Kanzlerschaft ging im Herbst 1963 mit der Nachfolge durch Ludwig Erhard zu Ende.
Mit dem Atlantiker Erhard an der Spitze der deutschen Regierung verschärften sich die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich. Je mehr de Gaulle sich mit Washington anlegte, desto stärker entschied sich Erhard für die USA. Auch innerhalb der Gemeinschaft stießen die deutsche und die französische Linie aufeinander. 1966 sollte mit dem Inkrafttreten der dritten Stufe der Verträge von Rom im Ministerrat der EWG Mehrheitsentscheidungen möglich sein. De Gaulle war aber nicht bereit, der Gemeinschaft diese Kompetenzen einzuräumen. Für Erhard stellte sich die französische Politik so dar, dass de Gaulle die Bundesrepublik mehr als Objekt denn als Partner ansah.
Zu den Spannungen traten noch konkrete Wirtschaftsprobleme hinzu, die in eine Krise des Gemeinsamen Marktes mündeten. Im Jahr 1963 hatten sich die EWG-Partner nur vorläufig über eine Preisregelung im Agrarsektor geeinigt. 1964 stand die endgültige Abmachung an. Dafür war ein Kompromiss zwischen der Bundesrepublik und Frankreich erforderlich. Ein Einheitspreis für Getreide wurde vereinbart, der in der Sache auf hohe Subventionen für die deutsche Landwirtschaft hinauslief.
Die Agrarmarktordnung und ihre Finanzierung fanden nicht de Gaulles Zustimmung, der Anfang Juli 1965 die Verhandlungen von französischer Seite boykottieren ließ. Das integrative Potential der Gemeinschaft erlebt dadurch einen schweren Rückschlag. Im Mai 1966 stimmte de Gaulle dann doch der Agrarfinanzierung zu. Er stellte aber drei Bedingungen für die weitere Mitgliedschaft Frankreichs. Er verlangte eine längerfristige Einigung über die Agrarfinanzierung, die Zurückstellung der supranationalen Ambitionen der Kommission, und er wollte das in den Verträgen von Rom festgelegte Prinzip der bindenden Mehrheitsentscheidung abschaffen. Letzteres gelang nicht, allerdings behielt Frankreich ein Vetorecht für den Fall, dass zentrale französische Interessen bedroht wären.
Unter der Großen Koalition des CDU-Kanzlers Kurt Georg Kiesinger beruhigte sich das deutsch-französische Verhältnis wieder. Kiesinger und sein Außenminister Willy Brandt verbesserten bewusst wieder das bilaterale Klima. Kiesinger gab sogar dem Druck Frankreichs nach, den Vorsitzenden der Kommission, Walter Hallstein, abzusetzen. Mit der Fusion der drei Gemeinschaften EWG, Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und Europäische Atomgemeinschaft (EAG) am 1. Juli 1967 entstand dann die Europäische Gemeinschaft (EG).
Einen neuen Tiefpunkt mit deutsch-französischer Differenzen gab es dann 1968 im Zuge der Krise des französischen Franc. Durch ein Zahlungsbilanzdefizit Frankreichs geriet der Franc unter Druck, de Gaulle wollte ihn aber nicht abwerten. Die deutsche Seite wollte sich diesmal de Gaulles Prestigepolitik nicht beugen und verweigerte sich einer Aufwertung der DM. Diesmal setzte sich die deutsche Seite durch. Das war eine Umsetzung währungspolitischer Stärke der Bundesrepublik in politische Macht, die de Gaulle besonders verärgerte. Da sein binnenwirtschaftliches Sanierungs-programm scheiterte, trat er nach den Unruhen im Mai 1968 im April 1969 zurück.
Auch die Bundesrepublik wurde mit ihrem währungspolitischen Machtwort nicht glücklich. Die offene Demonstration der deutschen Wirtschaftsmacht brachte Frankreich, Großbritannien und die USA, die alle drei unter Zahlungs-bilanzschwierigkeiten litten, auf eine Linie. Innenpolitisch war der Zusammenhalt der Großen Koalition belastet, weil Wirtschaftsminister Karl Schiller eine gemäßigte Aufwertung befürwortete, die Finanzminister Franz Josef Strauß eindeutig ablehnte. Nach de Gaulles Rücktritt beschloss die neue französische Regierung unter Georges Pompidou eine Abwertung des Franc um 12,5 Prozent. Diesem Beschluss folgte eine neue Krise des Franc.
Innerhalb der EG wurde das komplizierte Agrarpreissystem immer mehr zum Problemfall. Ohne währungspolitische Absicherung war die Gemeinsame Agrarpolitik gefährdet. Jeder EG-Mitgliedstaat betrieb seine eigene Wirtschaftspolitik, was zu Spannungen in den Währungsbeziehungen führte. Schon damals zeigte sich, dass wirkliche Integrationsfortschritte ohne Fortschritte bei der Währungspolitik nicht zu haben waren.
Die ungenügende wirtschaftliche Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten legte die Kompetenzschwäche der Institutionen der EG offen. Zehn Jahre nach Abschluss der Römischen Verträge hatten die sechs Mitgliedsstaaten ihren Handel stark intensiviert, an Wohlstand gewonnen, eine Zollunion zustande gebracht und die Gemeinsame Agrarmarktpolitik eingeführt. Jetzt war die Gemeinschaft Opfer ihres eigenen Erfolgs. Der Trend ging im funktionalistischen Sinne eigentlich auf weitere Integrationsschritte. Die Interessen der Mitgliedsstaaten folgten aber dieser wirtschaftlichen Logik nicht, weil politische Interessen dagegen standen. Die Verteilungsinteressen in den Mitgliedsstaaten erforderten nämlich nicht weniger, sondern mehr Verteilungs-spielräume für die Mitgliedsstaaten.
Für die Bundesrepublik begann jetzt eine Phase der Steuerungsprobleme zwischen den Erfordernissen globaler Interdependenz, regionaler Integration und nationaler Autonomie. Das System fester Wechselkurse erwies sich immer weniger als flexibel genug für die Weltwirtschaft. Allein die Bundesrepublik hatte erhebliche Zahlungs-bilanzüberschüsse zu verzeichnen. Das war die Grundlage ihrer relativen Währungsstabilität. Die USA gerieten immer mehr ins Defizit, was unter den Bedingungen freier Konvertierbarkeit bei festen Wechselkursraten auf einen Export von Inflation hinauslief.
Ein massiver Dollarabfluss aus den USA schuf einen erheblichen Dollarüberhang im Ausland. Die USA hatten sich mit dem Vietnamkrieg und den Sozialleistungen des Great-Society-Programs der Regierung Johnson übernommen. Wegen der schwindenden amerikanischen Goldbestände konnte die Dollarankaufpflicht in Gold nicht mehr umgesetzt werden (1 Unze Gold = 35 US-Dollar). Aus europäischer Sicht missbrauchten die USA ihr Privileg als Leitwährung. „Papierfabrik“ oder „perfekte Inflationsmaschine“ waren die Etiketten, die kritische Europäer der Geldpolitik der USA anhefteten. Das System der festen Wechselkurse war nicht zu retten.
Als Hort der Stabilität geriet die Bundesrepublik in die Rolle eines strikt stabilitätsorientierten Außenseiters, und die DM wurde zum Objekt massiver Spekulation. Diese Kapitalzuflüsse setzten die D-Mark unter dauernden Aufwertungsdruck. Zugleich überforderte die deutsche Stabilitätspolitik die Partner. Die Deutsche Bundesbank erschien von außen als geradezu stabilitätsmanische Institution. Was aus der Sicht deutscher Wirtschaftskultur nach zwei katastrophalen Inflationen von 1923 und 1948 richtig schien, war für die Nachbarn ein Stein des Anstoßes. Die Bundesrepublik wurde über das System fester Wechselkurse immer wohlhabender und hortete auf Grund ihrer ständigen großen Export- und Zahlungsbilanzüberschüsse riesige Gold- und Devisenreserven. Für die Partner war das Wirtschaftsnationalismus. Erforderliche Auf- oder Abwertungen erfolgten in der Regel immer zu spät und fielen zu gering aus. Dieser Verzögerungseffekt begünstigte die Spekulation und löste enorme Kapitalströme aus.
Dennoch unterminierte die Bundesrepublik das Bretton-Woods-System nicht. Die Bundesbank hatte sich sogar 1967 bereit gefunden, ihre US-Dollar nicht mehr gegen Gold einzutauschen. Sie stützte also das geschwächte System der festen Wechselkurse, während es die französische Seite durch das Bestehen auf dem Umtausch unterhöhlte. Hier drückte sich das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Bundesrepublik und den USA exemplarisch aus. Die Bundesrepublik musste wegen der amerikanischen Sicherheitsgarantie wirtschaftlich still halten, die USA ihrerseits waren auf das Wohlwollen der deutschen Finanzpolitik angewiesen. Das änderte allerdings nichts daran, dass in Washington und Bonn völlig unterschiedliche Auffassungen über Währungs- und Fiskalpolitik herrschten. Die deutsche Seite klagte über die aus den USA importierte Inflation, die amerikanische Seite bestand immer mehr auf Lastenteilung, d. h. sie wollte die reich gewordenen Deutschen für die immer teurere Weltpolitik der USA zur Kasse bitten.