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Der “ Eid des Hippokrates ”. Prof. Dr. Dr. Daniel Schäfer Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität zu Köln. Folien-Download siehe uk-online, Homepage D. Schäfer, Lehrmaterialien. Ein Lieblings-Ahnherr der Ärzte …. Mauricio Kagel, Der Eid des Hippokrates (1984)
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Der “Eid des Hippokrates” Prof. Dr. Dr. Daniel Schäfer Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität zu Köln Folien-Download siehe uk-online, Homepage D. Schäfer, Lehrmaterialien
Ein Lieblings-Ahnherr der Ärzte … Mauricio Kagel, Der Eid des Hippokrates (1984) Komponiert im Auftrag des „Deutschen Ärzteblatts“für Klavier zu drei Händen (warum?) "Eid des Hippokrates"
Ein Haupt-Kritikpunkt an den Weißkitteln … Die ZEIT (20.9.2012, Titelseite) "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (1) • Ich schwöre bei Apollon, dem Arzt, bei Asklepios, Hygieia und Panakeia und bei allen Göttern und Göttinnen, indem ich sie zu Zeugen mache, dass ich entsprechend meiner Kraft und meinem Urteilsvermögen folgenden Eid und folgenden Vertrag erfüllen werde: "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (2) • Denjenigen, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich zu achten meinen Eltern, • ihn an meinem Lebensunterhalt teilhaben zu lassen und ihm an den für ihn erforderlichen Dingen, wenn er ihrer bedarf, Anteil zu geben, • seine Nachkommenschaft meinen männlichen Geschwistern gleich zu werten, • sie diese Kunst zu lehren, wenn sie sie zu lernen wünschen, ohne Entgelt und Vertrag, • an Unterweisung, Vorlesung und an der gesamten übrigen Lehre Anteil zu geben meinen Söhnen und den Söhnen dessen, der mich unterrichtet hat, den vertraglich gebundenen und durch ärztlichen Brauch eidlich verpflichteten Schülern, sonst aber niemandem. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (3) • Diätetische Maßnahmen werde ich zum Nutzen der Kranken entsprechend meiner Kraft und meinem Urteilsvermögen anwenden; vor Schaden und Unrecht werde ich sie bewahren. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (4) • Auch werde ich niemandem auf seine Bitte hin ein tödlich wirkendes Mittel geben, noch werde ich einen derartigen Rat erteilen; in gleicher Weise werde ich auch keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben. Rein und heilig werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (5) • Das Schneiden werde ich nicht anwenden, nicht einmal bei Steinleidenden; dies werde ich vielmehr den Männern überlassen, die diese Tätigkeit ausüben. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (6) • In alle Häuser, die ich betrete, werde ich eintreten zum Nutzen der Kranken, frei von jedem absichtlichen Unrecht, von sonstigem verderblichen Tun und von sexuellen Handlungen an weiblichen und männlichen Personen, sowohl Freien als auch Sklaven. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (7) • Was auch immer ich bei der Behandlung oder auch unabhängig von der Behandlung im Leben der Menschen sehe oder höre, werde ich, soweit es niemals nach außen verbreitet werden darf, verschweigen, in der Überzeugung, dass derartige Dinge unaussprechbar sind. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“ (8) • Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht verletze, möge es mir zuteil werden, dass ich mich meines Lebens und meiner Kunst erfreue, geachtet bei allen Menschen für alle Zeit, wenn ich ihn aber übertrete und meineidig werde, möge das Gegenteil davon eintreten. Zitiert aus: Antike Heilkunst. Ausgewählte Texte aus den medizinischen Schriften der Griechen und Römer, Hrsgg. J. Kollesch, D. Nickel, Stuttgart 1994, S. 53-55. "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Einordnung in den historischen Kontext • Stammt aus dem Corpus Hippocraticum, wurde aber wahr-scheinlich nicht von Hippokrates (460-370 v. Chr.?), sondern erst sehr viel später verfasst (erste Textzeugen: 1. Jh. n. Chr.!) • Die heute für ursprünglich gehaltene Version stammt aus Handschriften des 14./15. Jahrhunderts n. Chr. • Schwur auf den Eid (oft im Kombination mit anderen Schriften) bei Promotion/Approbation seit dem 16. Jahrhundert. • Erweiterte/gekürzte Fassungen • Christianisierte/Islamisierte/jüdische Versionen • Adaptation zum Genfer Gelöbnis (1948) des Weltärztebundes als Teil der Musterberufsordnung für alle deutschen Ärzte mit der Approbation „bindend“ (neueste Version 2011) "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Inhaltsanalyse (1) Ich schwöre bei Apollon, dem Arzt, bei Asklepios, Hygieia und Panakeia und bei allen Göttern und Göttinnen, indem ich sie zu Zeugen mache, daß ich entsprechend meiner Kraft und meinem Urteilsvermögen folgenden Eid und folgenden Vertrag erfüllen werde … (4) […] Rein und heilig werde ich mein Leben und meine Kunst bewahren. (8)Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht verletze, möge es mir zuteil werden, dass ich mich meines Lebens und meiner Kunst erfreue, geachtet bei allen Menschen für alle Zeit, wenn ich ihn aber übertrete und meineidig werde, möge das Gegenteil davon eintreten. • Schwur/Eidesformel mit religiöser Anbindung, Verheißung und Fluch • Wahrscheinlich Eid zu einem verlorengegangenen Ausbildungsvertrag: Ausbildungskontext • Zentral positioniertes „Reinheitsgebot“ (§ 4): Kultischer Kontext der antiken Medizin; möglicher Hinweis auf neopythagoräische Medizinsekte: - nicht repräsentativ für die antike Medizin! "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Inhaltsanalyse (2) Denjenigen, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleich zu achten meinen Eltern, ihn an meinem Lebensunterhalt teilhaben zu lassen und ihm an den für ihn erforderlichen Dingen, wenn er ihrer bedarf, Anteil zu geben, seine Nachkommenschaft meinen männlichen Geschwistern gleich zu werten, sie diese Kunst zu lehren, wenn sie sie zu lernen wünschen, ohne Entgelt und Vertrag, an Unterweisung, Vorlesung, und an der gesamten übrigen Lehre Anteil zu geben meinen Söhnen und den Söhnen dessen, der mich unterrichtet hat, den vertraglich gebundenen und durch ärztlichen Brauch eidlich verpflichteten Schülern, sonst aber niemandem. • Lehrer-Schüler-Verhältnis („Kunst“ = Lehre, keine akademische Ausbildung); gegenseitige Unterstützung wie in einer Familie • Medizin = Geheimwissen nur für Insider (Weitergabe schädlich für Einkommen) zwischen Magie und Brotberuf angesiedelt "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Inhaltsanalyse (3) Diätetische Maßnahmen werde ich zum Nutzen der Kranken entsprechend meiner Kraft und meinem Urteilsvermögen anwenden; vor Schaden und Unrecht werde ich sie bewahren. • Empfehlungen zur Regelung der Lebensweise (Diätetik) stehen im Mittelpunkt der antiken Medizin; Medikamente (§ 4) und Chirurgie (§ 5) nur in wirklichen Notfällen, weil gefährlich. Chronische oder lebensgefährliche Erkrankungen werden (im Gegensatz zu heute!) selten behandelt. • Zwei entscheidende Fundamente einer (einseitigen)Arzt-Patient-Beziehung: • Gebot des therapeutischen Nutzens • Verbot, durch Medizin Schaden zuzufügen • Urteilsvermögen („nach bestem Wissen“), aber noch keine Pflicht zur Fortbildung! "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Inhaltsanalyse (4) Auch werde ich niemandem auf seine Bitte hin ein tödlich wirkendes Mittel geben, noch werde ich einen derartigen Rat erteilen; in gleicher Weise werde ich auch keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben … • Ablehnung von medizinischer Sterbehilfe? (in der Antike ethisch umstritten) Eher: Selbstverpflichtung, niemals (auch nicht im Auftrag anderer) einen Patienten mit Gift zu töten: Vertrauensschutz für Auftraggeber Reputation des Freiberuflers • Abtreibungsverbot? (in der Antike ethisch umstritten) Eher: Vermeidung einer gefährlichen Abtreibungsmethode • Weiterer Hinweis auf Neopythagoräer? („Reinheitsgebot“) "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Inhaltsanalyse (5) Das Schneiden werde ich nicht anwenden, nicht einmal bei Steinleidenden, dies werde ich vielmehr den Männern überlassen, die diese Tätigkeit ausüben. • Generelle Ablehnung der Chirurgie, oder nur des Blasensteinschnitts? Eher: Ablehnung von Methoden, die zu gefährlich oder zu verachtet sind (Reputation). • Spezialisierung innerhalb der Medizin schon in der Antike! "Eid des Hippokrates"
„Eid des Hippokrates“: Inhaltsanalyse (6) In alle Häuser, die ich betrete, werde ich eintreten zum Nutzen der Kranken, frei von jedem absichtlichen Unrecht, von sonstigem verderblichen Tun und von sexuellen Handlungen an weiblichen und männlichen Personen, sowohl Freien als auch Sklaven. (7) Was auch immer ich bei der Behandlung oder auch unabhängig von der Behandlung im Leben der Menschen sehe oder höre, werde ich, soweit es niemals nach außen verbreitet werden darf, verschweigen, in der Überzeugung, dass derartige Dinge unaussprechbar sind. • Kein Unterschied in der Behandlung der Geschlechter und der sozialen Gruppen; gilt aber nur für Schadensverbot, nicht für die Vielfalt an Therapien: Mehrklassenmedizin in der Antike selbstverständlich • Verbot von Missbrauch der körperzentrierten Arzt-Patient-Beziehung zu eigenen Zwecken (sexueller Missbrauch!) • Schweigepflicht: Vertrauensschutz für den paterfamilias und die Privatsphäre, dient ebenfalls der Reputation des Arztes. "Eid des Hippokrates"
Zusammenfassung: Der „Eid des Hippokrates“ ist nicht… • … eine Zusammenfassung grundlegende Aspekte der modernen Medizinethik (z.B. fehlen die Aspekte: Honorierung von Hilfe, Lernen am kranken Patienten, Patientenautonomie, Forschungsethik, …) • … ein ethischer Kodex, sondern eine Sammlung von handlungsrelevanten Anweisungen in einem bestimmten Kontext der antiken Medizin, die zum Teil völlig überholt sind. • … in irgendeiner Weise für heutige Ärzte verbindlich, auch wenn er aus folkloristischen Gründen an verschiedenen ausländischen Universitäten in Kurzformen geschworen wird. Moderne Nachbildung („Genfer Ärztegelöbnis“ von 1948/2011) als Teil der Musterberufsordnung für deutsche Ärzte nur rechtsunverbindlicheAbsichtserklärung. • … ein historischer Steinbruch, aus dem man beliebige Brocken herausziehen kann, die die eigene Meinung normativ unterstützen. "Eid des Hippokrates"
Zusammenfassung: Der „Eid des Hippokrates“ ist … • … vermutlich Teil eines Ausbildungs-vertrags, der verloren gegangen ist: Triade: Schüler – Lehrer – Gottheit (nicht Patient!) „3 Hände“ bei M. Kagel hat (wenn überhaupt) seinen Platz am Beginn des Medizinstudiums • … wegen seiner Kürze bis heute dazu geeignet, in nahezu jeder Hinsicht ausgedeutet zu werden. • Enthält trotz vieler Lücken und Antiquiertheiten fundamentale Aspekte für das sich ständig wandelnde Selbstverständnis der Medizin • Diese Aspekte sind bis heute wichtig, auch wenn sie in jedem Fall genau zu hinterfragen sind: "Eid des Hippokrates"
Heutige (erweiterte) Bedeutung des „Hippokratischen Eids“: Zehn Antworten • Gebot des therapeutischen Nutzens • Verbot des therapeutischen Schadens und des Missbrauchs ärztlicher Macht in der Privatsphäre • Achtung der Lehrer, Kollegen (und auch der Kommilitoninnen und Kommilitonen!); sie sind nicht durch Bücher oder Medien zu ersetzen. • Notwendige Spezialisierung; Ärzte sind keine Allround-Genies • Fundamentale Bedeutung der vertraulichen Arzt-Patient-Beziehung (inkl. Schweigegebot) "Eid des Hippokrates"
Heutige (erweiterte) Bedeutung des „Hippokratischen Eids“: Zehn Antworten • Gleichbehandlung aller Menschen • Schutz des Lebens an seinem Anfang und Ende • Enger Bezug zwischen Beruf und Lebensführung; moralische Integrität des Arztes • Beruf zwischen Prestige und Verachtung • Verantwortung gegenüber einer höheren Instanz: Meta-Physik des Heilens "Eid des Hippokrates"
Der “Eid des Hippokrates”Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Dr. Daniel Schäfer Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität zu Köln Folien-Download: Homepage in uk-online (Lehrmaterialien)