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Schafft die sozialökonomische Entwicklung neue Arbeitsfelder für Psychosomatik und Psychiatrie ?

Schafft die sozialökonomische Entwicklung neue Arbeitsfelder für Psychosomatik und Psychiatrie ?. Prof. Dr. Michael Sadre-Chirazi-Stark Asklepios Westklinikum Hamburg. Ja !!. Neue ökonomische Bedingungen. Die zukünftige Rolle Europas rechtshirnige Leistungen im Technikbereich,

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Schafft die sozialökonomische Entwicklung neue Arbeitsfelder für Psychosomatik und Psychiatrie ?

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Presentation Transcript


  1. Schafft die sozialökonomische Entwicklung neue Arbeitsfelder für Psychosomatik und Psychiatrie ? Prof. Dr. Michael Sadre-Chirazi-Stark Asklepios Westklinikum Hamburg

  2. Ja !!

  3. Neue ökonomische Bedingungen • Die zukünftige Rolle Europas • rechtshirnige Leistungen im Technikbereich, • Innovationen und Kreativität, • Dienstleistungen, • das produzierende Gewerbe hat keine Chance mehr gegenüber Billiglohnländern

  4. Die ökonomischen Bedingungen verschärfen sich • Forderungen an den „modernen“ Arbeitnehmer • Höchstmass an Mobilität • Höchstmass an Flexibilität: • bzgl. Arbeitsfeld • bzgl. Zeitmanagement • Höchstmass an Weiterbildungsanforderungen

  5. Die Haltefunktionen brechen weg • Verläßlichkeit des Arbeitsplatzes - keine Zukunft • Familie - nur noch am Wochenende • Soziales Netz, Freunde, Hobbies - keine Zeit • Gesundheitsfürsorge wie Sport - keine Zeit

  6. Hartz IV und die Folgen • Arbeitslos mit 40 ? • Geringe Chancen auf Wiedereinstellung unabhängig von der Qualifikation • massive Kränkung im psycho-sozialen Rahmen • Sinnkrise • Finanzielle Basis nach zwei Jahren auf Sozialhilfeniveau • Existentielle Bedrohung • Zerstörung von Lebensvisionen im Alter

  7. Der Wandel der Rahmenbedingungen • Arbeitsverdichtung • Erosion des Normalarbeitsverhältnisses • Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft • Entgrenzung und Subjektivierung (Expertenurteil DAK Report 2005)

  8. Was sind die neuen Arbeitsbelastungen? • Überhöhte Anforderungen • Geringe Beeinflußbarkeit • Geringe Berechenbarkeit (Expertenurteil DAK Report 2005)

  9. Was sind die neuen Arbeitsbelastungen? • Überhöhte Anforderungen • Überforderung und zeitliche Belastung mit Konsequenzen für die Gesamtlebensgestaltung • erhöhte Konzentrationsanforderungen • verstärkte Emotionsarbeit • häufiger Wechsel von Aufgaben und Zuständigkeiten • zunehmender Leistungsdruck und Anforderungen, die viele vor allem ältere Arbeitnehmer nicht mehr erfüllen können oder wollen

  10. Was sind die neuen Arbeitsbelastungen? • Überhöhte Anforderungen • durch erhöhte psychomentale Anforderungen sowie Anforderungen an höhere Flexibilität und „soft skills“ entsteht ein höheres Konfliktpotential im psychosozialen Bereich • gestiegene Qualitätsanforderungen, Zurückverfolgbarkeit von Fehlern, hohe Informationsdichte, Druck zu lebenslangem Lernen, Erwartung schneller Reaktionszeiten • in manchen Bereichen Arbeit in virtuellen Teams über Zeitzonen und kulturelle Grenzen hinweg

  11. Was sind die neuen Arbeitsbelastungen? • Geringe Beeinflußbarkeit • fehlende Handlungs- und Entscheidungs-/ Zeitspielräume • Zunahme von Kontrollverlust und Erlebnis geringer persönlicher Einflussmöglichkeiten: Arbeitsumwelt birgt immer mehr Unsicherheiten (Arbeitslosigkeit, Jobwechsel, Qualitätsanforderungen) und immer weniger Zukunftsperspektiven • auch nur leichter psychisch Erkrankte haben keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt • Die Stimmung in der Öffentlichkeit wird schlechter, es entsteht ein Ohnmachtsgefühl für den Einzelnen

  12. Was sind die neuen Arbeitsbelastungen? • Geringe Berechenbarkeit • Angst, unter steigendem Leistungsdruck zu versagen • Angst, krank zu werden • befristete Arbeitsverhältnisse, Schwinden des Kündigungsschutzes • Ängste vor Outsourcing, Arbeitsplatzverlust • Unsicherheit in Verantwortung und Aufgabenstellung • Unternehmensentscheidungen haben immer kürzere Bestandsdauer und Verläßlichkeit. Das vergrößert das Unsicherheitsempfinden

  13. Die Botschaft der neuen ökonomischen Rahmenbedingungen • keine Sicherheit mehr, im Ausbildungsberuf zu bleiben • keine Sicherheit mehr, am Lebensort berufstätig sein zu können • keine Sicherheit mehr, seinen Lebensunterhalt bis ins Alter erwirtschaften zu können Keine Lebensziele, keine Visionen mehr formulierbar

  14. Die Folgen:Gesellschaftliche Dimension • BRD • Rückgang des Krankenstandes bei gleichzeitiger Zunahme von psychischen Erkrankungen (Dtsch. Ärzteblatt 4/2005) • vierthäufigste Ursache für Fehltage • Angst- und Depressionen die häufigsten Krankheitsbilder (DAK Bericht 2005) • Krankschreibungen aus psychischen Gründen um 20 % gestiegen in den letzten 5 Jahren

  15. Die Folgen:Gesellschaftliche Dimension • BRD • Diagnose Depression stieg auf Rang 3 der wichtigsten Einzeldiagnosen für Arbeitsunfähigkeit nur noch übertroffen von Rückenschmerzen und Atemwegserkrankungen • bedeutsamsten Zuwächse 2001-2004 entfallen vollständig auf Diagnosen aus dem Bereich „Psychische Störungen“ • überproportionaler Anstieg bei Arbeitslosen um 13,5 %, bei Berufstätigen „nur“ um 2,7% Quellen: DAK Report 2005, Gesundheitsreport TK 2005

  16. Die Folgen:Gesellschaftliche Dimension • Großbritannien: • Arbeitsmediziner berichten über Abnahme der Krankschreibungen von Rückenschmerzen von 42% seit 1994 bei gleichzeitiger Zunahme der psychischen Erkrankungen • USA: • 16 % der Amerikaner sind einmal im Leben depressiv, die Krankheit Depression kostet den Haushalt jährlich 44 Milliarden $

  17. Die Folgen:Gesellschaftliche Dimension • WHO Prognose Global Burden durch depressive Erkrankungen: 1990 an 4. Stelle 2020 an 1. Stelle

  18. Fallbeispiele • Herr X, 50 Jahre, • selbständiger, erfolgreicher Fotograf, immer nur für den Beruf gelebt, Ehe gesch., Tochter lebt bei der Mutter, seit Jahren zum 1. Mal „richtig“ verliebt und Beruf endlich mal dafür zurückgefahren, neue Beziehung scheitert, Wiedereinstieg in den Beruf schwer wegen zwischenzeitlicher Umstellung auf digitale Fotografie, existentielle Bedrohung, schwere narzistische Kränkung, starke Regressionsneigung, Abgabe der Verantwortlichkeit, Versagen als Vater, anhaltende Suizidalität

  19. Fallbeispiele • Herr Y, 55 Jahre • Lagerist und Dispositionsmanager, hochgearbeitet, immer nur für Familie und Beruf gearbeitet, Frau verließ ihn am 50. Geb. mit zwei Söhnen, nach der Scheidung noch mehr gearbeitet bis zum Zusammenbruch mit pectanginösen Beschwerden, nach Rückkehr in die Firma Arbeitsplatz (Computer und Schreibtisch) verloren, „degradiert“ und gemobbt bis zur Arbeitsunfähigkeit wegen depressiver Dekompensation, stärkste Unruhe- und Angstzustände, fast wahnhafte Krankheits-, Verarmungs- und Schuldideen, anhaltende Suizidalität

  20. Die Folgen:Individuelle Dimension • Der Leistungsdruck wird größer; subjektiv und objektiv • Der individuelle Erwartungsdruck an sich selbst wird größer • Es fehlt das Gegenregulativ • Familie • Soziales Netz • Gesundheitsfürsorge

  21. Das Energiefass Kraftspender Lebensfelder 1 Arbeit 2 Familie 3 Freizeit 4 Gesundheit Krafträuber Quelle: Stark & Sandmeyer, Wenn die Seele SOS funkt, Rowohlt, 1999

  22. Fehlende Gegenregulation Die gesellschaftlich transportierten Gegenmechanismen: • Konsum aller Art: mein Haus, mein Auto, mein Boot • außergewöhnliche und damit kostspielige Urlaube sind in direktem Maße kontraproduktiv. Keine Kompensation oder Erholung, sondern Beschleunigung der psychischen wie physischen Erschöpfung.

  23. Wer wird krank? Quelle: DAK AU Daten für Krankschreibungen aus psychischen Gründen 2004

  24. Alte und neue Störungsbilder • Unspezifische Ängste • psychovegetative Erschöpfung • Mobbing • Verbitterungssyndrom

  25. Das Posttraumatische Verbitterungssyndrom (Linden, 2004) Diagnostische Kriterien A Kernkriterien • Es ist ein einmaliges schwerwiegendes negatives Lebensereignis zu identifizieren, in dessen Folge sich die psychische Störung entwickelt hat • Dem Patienten ist dieses Lebensereignis bewusst, und er sieht seinen Zustand als direkte und anhaltende Konsequenz aus dem Ereignis • Der Patient erlebt das kritische Lebensereignis als ungerecht • Wenn das kritische Ereignis angesprochen wird, reagiert der Patient mit Verbitterung und emotionaler Erregung

  26. Das Posttraumatische Verbitterungssyndrom (Linden, 2004) Diagnostische Kriterien A Kernkriterien 5. Der Patient berichtet wiederholte intrusive Erinnerungen an das Ereignis; teilweise ist es ihm sogar wichtig, nicht zu vergessen 6. Die emotionale Schwingungsfähigkeit ist nicht beeinträchtigt. Der Patient zeigt normalen Affekt, wenn er abgelenkt wird oder kann beim Gedanken an Rache lächeln 7. Es trat keine manifeste psychische Störung im Jahr vor dem kritischen Lebensereignis auf; der gegenwärtige Zustand ist kein Rezidiv einer vorbestehenden psychischen Erkrankung

  27. Das Posttraumatische Verbitterungssyndrom (Linden, 2004) Diagnostische Kriterien B Zusatzsymptome 1. Der Patient nimmt sich als Opfer und hilflos wahr und sieht sich nicht in der Lage, das Ereignis oder seine Ursache zu bewältigen 2. Der Patient macht sich selbst Vorwürfe, das Ereignis nicht verhindert zu haben oder nicht damit umgehen zu können 3. Der Patient kann Suizidgedanken äußern 4. Der Patient meint, dass es ihm egal sei, wie es ihm gehe und dass er nicht wisse, ob er die Wunde heilen lassen wolle

  28. Das Posttraumatische Verbitterungssyndrom (Linden, 2004) Diagnostische Kriterien B Zusatzsymptome 5. Die emotionale Grundstimmung ist dysphorisch-aggressiv-depressiv getönt und erinnert prima vista an eine Depression mit somatischem Syndrom (sog. endogene Depression) 6. Patienten können eine Reihe unspezifischer somatischer Beschwerden zeigen, z. B. Schlafstörungen, Appetitverlust oder Schmerzen 7. Der Patient berichtet über eine phobische Symptomatik. die eng mit dem Ort oder Urheber des kritischen Ereignisses verbunden ist 8. Der Antrieb Ist reduziert und wirkt blockiert. Der Patient erlebt sich weniger als antriebsgehemmt, sondern eher im Sinne einer Antriebsverharrung als antriebsunwillig

  29. Die WeisheitspsychologieTherapeutische Ansätze (Schippan, Baumann, Linden, 2004) 1. Perspektivwechsel: Fähigkeit zum Erkennen der verschiedenen Perspektiven der an einem Problem beteiligten Personen. 2. Selbstdistanz: Fähigkeit, sich selbst aus der Sicht einer anderen Person wahrzunehmen. 3. Empathie: Fähigkeit zum Erkennen und Nachempfinden von Gefühlen anderer. 4. Emotionswahrnehmung und Emotionsakzeptanz: Fähigkeit zur Wahrnehmung und Akzeptanz eigener Gefühle. 5. Emotionale Serenität und Humor: Fähigkeit zur emotionalen Ausgeglichenheit bei der Vertretung eigener Überzeugungen und Standpunkte sowie die Fähigkeit, sich selbst und die eigenen Schwierigkeiten mit Humor zu betrachten.

  30. Die WeisheitspsychologieTherapeutische Ansätze (Schippan, Baumann, Linden, 2004) 6. Fakten- und Problemlösewissen: Generelles und spezifisches Wissen um Probleme und Möglichkeiten der Problemlösung. 7. Kontextualismus: Wissen um die zeitliche und situative Einbettung von Problemen und die zahlreichen Umstände, in die ein Leben eingebunden ist. 8. Wertrelativismus: Wissen um die Vielfalt von Werten und Lebenszielen und die Notwendigkeit, jede Person innerhalb ihres Wertesystems zu betrachten, ohne dabei eine kleine Anzahl universeller Werte aus dem Auge zu verlieren. 9. Selbstrelativierung: Fähigkeit zu akzeptieren, dass in der Welt vieles nicht nach dem eigenen Willen läuft und man selbst nicht immer am wichtigsten ist.

  31. Die WeisheitspsychologieTherapeutische Ansätze (Schippan, Baumann, Linden, 2004) 10. Ungewissheitstoleranz: Wissen um die dem Leben inhärente Ungewissheit bezüglich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 11. Nachhaltigkeit: Wissen um negative und positive Aspekte jedes Geschehens und Verhaltens sowie kurz- und langfristige Konsequenzen, die sich auch widersprechen können. 12. Problem- und Anspruchsrelativierung: Fähigkeit, die eigenen Probleme durch einen Vergleich mit den Problemen anderer Personen zu relativieren.

  32. Konsequenzen für Therapie und Prophylaxe • Exkurs Neurobiologie: • Formierung des neuronalen Netzwerks fördern: adäquate Balance zwischen Angst- und Genußzentren bedeutet Prophylaxe vor vorschneller ängstlich- depressiver Reaktionsbereitschaft • Erziehung: • Anleitung zur Frustrationstoleranz und sozialem Lernen: sich auseinandersetzen lernen, nicht sich durchsetzen

  33. Konsequenzen für Therapie und Prophylaxe • Beratung / Öffentlichkeitsarbeit: Psychoedukation über psychosomatische Zusammenhänge von Dauerüberlastung (z.B. Energiefaßmodell) und Wissen über adäquate Rekreation = Erholung • Psychotherapie: Focus neben den individuellen Bestimmungsstücken auch auf die derzeitigen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhänge richten. Rolle des abhängigen Arbeitnehmers: die Gratifikation des sicheren Arbeitsplatzes und damit langfristig planbaren Einkommens ist dahin. Individuelle Quellen für Gratifikation und Sinnfindung müssen gefunden und entwickelt werden.

  34. Konsequenzen für Therapie und Prophylaxe • Hauptherausforderung an eine Therapie in diesen Zeiten: Nicht nur Aufarbeitung pathologischer Strukturen, sondern Anleitung zum Genießen Lernen

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