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Terror als Ermächtigungsstrategie? Palästinensische Fida’iyun und Selbstmordattentäter Sabine Damir-Geilsdorf. RV Fundamentalismus und Terrorismus – Zur Geschichte und Gegenwart radikalisierter Religion WS 2007/08.
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Terror als Ermächtigungsstrategie? Palästinensische Fida’iyun und Selbstmordattentäter Sabine Damir-Geilsdorf RV Fundamentalismus und Terrorismus – Zur Geschichte und Gegenwart radikalisierter Religion WS 2007/08
Hamas (Akronym aus Harakat al-muqawama al-islamiya = „Islamische Widerstandsbewegung“, im arab. auch „Eifer“) PLO (Palestine Liberation Organisation)
Wechselnde Akteure, Ziele, Taktiken und Rhetoriken - klassische Guerilla-Anschläge auf militärische Ziele, Flugzeugentführungen und Geiselnahmen (1970er Jahre), Kassam-Raketen und Selbstmordattentate - Akteure bis 1980er Jahre vor allem ‚marxistisch‘ orientiert, dann zunehmend sich religiös legitimierende -Zusammenhang mit: nation-building Prozess, Gewaltanwendungen des ‚Feindes’, Streitigkeiten und Machtkämpfen zwischen und innerhalb verschiedenen Gruppierungen, Nahost-Politik westlicher Länder, Einflüsse anderer Staaten der Region
Palästinensische Selbstmordattentate 2000-2005 40% Hamas 23% Fatah-Gruppierungen 27% Dschihad islami 5% PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine) weitere 5% koordinierte Aktionen verschiedener Gruppen (Intelligence and Terrorism Information Center at the Center for Special Studies (C.S.S), 2006) 2006: 4 Attentate: 3 von Dschihad islami, 1 von Fatah (Israel Ministry of Foreign Affairs)
Kosten-Nutzen-Kalkulationen? Bei militärischer Unterlegenheit: hohe Opferzahl und disproportionale Furcht im Feind-Kollektiv
Rückhalt in Bevölkerung und Etablierung eines ‚Märtyrerkults‘ in den Krisenzeiten der Aqsa-Intifada? Plausibilitätsstrukturen durch politische Lagen und nationale Meistererzählungen?
Kampf in Karameh, 21.03.1968, als Gründungsmythos der PLO Abdallah Frangi (1982): „Einige warfen sich mit um den Leib gebundenen Sprengstoffgürteln unter die Ketten der israelischen Panzer und jagten sich und die Panzer in die Luft. [...] Karameh gab den Palästinensern und der gesamten arabischen Welt Würde und Hochachtung zurück. Karameh wies den Weg aus dem Desaster des Juni-Kriegs von 1967. [...] In der gesamten arabischen Welt wurde diese Schlacht als glänzender Sieg gefeiert. [...] Die Bewunderung für die Feddayin war überschwenglich. In den Flüchtlingslagern liefen die Menschen zusammen und riefen immer nur ein Wort ‚Karameh, Karameh’“
- Entfaltung nationaler Identitätsbildungen zwischen den Polen Triumph und Trauma (Bernhard Giesen) • nationale Niederlagen als historische Perspektive des gemeinschaftsstiftenden Gedächtnisses problematisch für nationale Zugehörigkeit, wenn sie das positive Selbstwertgefühl einer vorgestellten Nation in Frage stellen (Jörn Rüsen) • -vielfältige Formen des Emplotments eigener Niederlagen oder ‚Untaten’ in nationale Meistererzählungen: Verdrängen oder Verschweigen, Schuldabwehr, Umdeutungen in Siege, Kontrastieren der Opfer- und Leidensgeschichte mit Anstrengungen zu ihrer Überwindung (Jarausch/Sabrow)
„In der Tat werden Niederlagen dort mit großem Pathos und zeremonialem Aufwand erinnert und reaktiviert, wo eine Nation ihre Identität auf ein Opferbewusstsein gründet. In solchen Fällen wird die Erinnerung an ein erlittenes Unrecht wach gehalten, um unter äußerem Druck den Zusammenhalt einer Gemeinschaft zu forcieren, Ansprüche zu legitimieren und Gegenwehr zu mobilisieren.“ Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, 64f.
Schaffung neuer Heldenfiguren ab den 1960er Jahren Fida‘iyun als Erlöser des Kollektivs, die den im Krieg 1948 verloren gegangenen Stolz und die Ehre wiederherstellen -bewaffnete Kämpfer wenden die nationale Geschichte in Siegergeschichte Opfer- und Leidensnarrative der Niederlage 1948 als Negativfolie, Referenzpunkt -in Dichtung und Prosa säkularer Märtyrermythos
Märtyrerfiguren religiös-politischer Bewegungen Märtyrer als „Opfer“ - durch Israelis getötete Erwachsene und Kinder (Zivilisten u. Kämpfende) • Sinnstiftung Selbstmordattentäter (seit 1990er Jahre) • vom ohnmächtigen Objekt zum handelnden Subjekt • Helden- und Erlösertopoi • Selbst-Opferung für die Sache Gottes zum Triumph des Kollektivs Einfluss säkulare Heldenfigur des Freiheitskämpfers säkularer Gruppen wie PLO,PFLP
nationalistische und religiöse Argumente greifen ineinander über; vielfach pragmatisch-strategische Begründungen • „Botschaft“ in vielfachen medialen Selbstinszenierungen • Abhängigkeit von medialer Vermittlung an Publikum; Attentat als political theater und Medienspektakel • Martyrium als „reality television show“, kollektive Zeugenschaft der Fernsehzuschauer
Frauen als Attentäterinnen? -Steigerung erwünschter Schockeffekte auch durch die Durchbrechung herkömmlicher Geschlechterstereotypen -Präsentation von Frauen in Dschihad- und Intifada-Rhetoriken i.d.R. als Opfer, stellvertretend für Leiden der Zivilbevölkerung; Inszenierung des Dschihad und bewaffneten Kampfs als ‚männliche‘ Handlung -
Attentäterinnen - Einsatz aus taktischen Erwägungen und pragmatischen Überlegungen - Steigerung des Schockeffekts - Beschämung ‚männlicher‘ Ehre im eigenen Kollektiv als Mobilisierungsstrategie?
Firqat ash-Shuhada‘: ash-Shahid („Der Märtyrer“), Sprechgesang Meine Herren, Besitzer des Martyriums. Wir werden uns an euch erinnern, weil ihr in uns das Verbleiben gesät habt. Weil ihr die Stärke des Siegs auf der Karte unserer Heimat entlang gezeichnet habt. [...] Das Grün eurer Seelen ist wie das Grün unserer Olivenbäume. Meine Herren, Herren der Erfüllung des Versprechens, streckt die Hände, damit wir erlangen, was wir wünschen und auf den Blitzen eures Dschihads leben und von euren Bäumen die besten Testamente für unsere Kinder pflücken. Meine Herren, Palästina bekleidet sich mit euren Körpern. Friede sei mit euch, Friede sei mit ihm, ihr schwebenden Monde. Seid gegrüßt, ihr Schmuck der prächtigen Heimat, Fingerabdruck des revolutionären Geistes; seid gegrüßt, ihr Lebenden in der Blüte des Martyriums.
Firqat ash-Shuhada‘:ash-Shahid („Der Märtyrer“) Das Heldentum hat die Farbe von Blut Mut ist, dass wir zum Himmel laufen [...] Der Klang von Kugeln ist ein Lied in meinem Gehör Das Blut der Märtyrer – oh Himmel, schicke es freiwillig Lächle, Mutter des Märtyrers, und verabschiede dich Denn der Märtyrer hat die Kleidung des Stolzes an.
Gaish ad-Durra: „Mit der Revolution, mit Blut und mit Feuer“ Die Nacht des Unrechts ist lang geworden Und lang ist unser Warten geworden auf das neue Morgengrauen Da zeigt sich das Morgengrauen Da glänzen seine ersten Strahlen Sie glänzen in diesen reinen Tropfen Aus vergossenem Blut
Motive? -traumatisierende Erfahrungen als Auslöser? -in medialen (Selbst-)inszenierungen: Rache, Ohnmacht, „Effizienz“ -politische Situation: -Perspektive von Verhandlungen u. gewaltfreien Mitteln in Krisenzeiten der Aqsa-Intifada? Islamisierung -Legitimitätsverlust palästinensischer Behörden -rivalisierende Oppositionsgruppen