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Spracherwerb. 11. Vorlesung (07.07.2011). apl. Professor Dr. Ulrich Schade Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie ulrich.schade@fkie.fraunhofer.de. Spracherwerb. Kontaktdaten. apl. Professor Dr. Ulrich Schade Fraunhofer-Institut für Kommunikation,
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Spracherwerb 11. Vorlesung (07.07.2011) apl. Professor Dr. Ulrich Schade Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie ulrich.schade@fkie.fraunhofer.de
Spracherwerb Kontaktdaten apl. Professor Dr. Ulrich Schade Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) Neuenahrer Straße 20 53343 Wachtberg E-Mail: ulrich.schade@fkie.fraunhofer.de Telefon: 0228 9435 376 Fax: 0228 9435 685
Spracherwerb Überblick • Frühphase • Zum Erwerb der Syntax • Zum Erwerb des Lexikons und der Semantik • Zum Erwerb der Phonologie • Zum Erwerb der Schriftsprache • Sprachentwicklungsstörungen
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Komponenten der schriftlichen Sprachverarbeitung Die Modellvorstellungen zu schriftsprachlichen Prozessen gehen zurück auf das so genannte Logogen-Modell (Morton, 1969), welches insbesondere genutzt wurde, um die unterschiedlichen Arten von Lesestörungen (bei Aphasie), so genannte „Dyslexien“, zu klassifizieren. Das Schema zum Logogen-Modell ist abgeleitet aus dem Wernicke-Lichtheim-Schema (nach Wernicke, 1874, und Lichtheim, 1885).
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Komponenten der schriftlichen Sprachverarbeitung Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Komponenten der schriftlichen Sprachverarbeitung Das Schema wird ergänzt um Module zur Verarbeitung geschriebener Sprache. GPK = Graphem-Phonem-Konversion Semantik Lexikon phon. Analyse graph. Analyse GPK phon. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Komponenten der schriftlichen Sprachverarbeitung … sowohl für die Analyse als auch für die Kodierung. Semantik PGK = Phonem-Graphem-Konversion Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung PGK GPK
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Erwerb der Graphem-Phonem-Konversion (GPK) Ein Vorschlag, wie der Erwerb der Graphem-Phonem-Konversion erfolgen könnte, findet sich in Coltheart et al. (1993). Dieser Artikel richtete sich gegen die distribuiert-konnektionistische Vorstellung vom Prozess des lauten Lesens, wie sie von Seidenberg und McClelland (1989) formuliert wurde. Der Vorschlag von Coltheart et al. basiert auf einem Regelsystem.
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Erwerb der Graphem-Phonem-Konversion (GPK) Die Regeln basieren auf einem Abgleich zwischen Orthographie und Phonologie. Dabei gibt es „single letter rules“ und „multi letter rules“. Prinzipiell werden zunächst die „single letter rules“ abgeleitet, etwas aus Wörtern wie „kalt“. k /k/ a /a/ l /l/ t /t/
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Erwerb der Graphem-Phonem-Konversion (GPK) „kamm“ Es gibt vier Buchstaben, aber nur drei Phoneme. Damit gibt es mehrere Möglichkeiten der Zuordnung: Nicht immer setzen sich Wörter aber auch derselben Anzahl von Phonemen und Buchstaben zusammen. ka /k/ m /a/ m /m/ k /k/ am /a/ m /m/ k /k/ a /a/ mm /m/
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Erwerb der Graphem-Phonem-Konversion (GPK) „kamm“ Gewählt wird die Zuordnung, die am meisten Übereinstimmung mit den vorliegenden „single letter rules“ aufweist. „kalt“ k /k/ a /a/ l /l/ t /t/ single letter rules ka /k/ m /a/ m /m/ k /k/ am /a/ m /m/ k /k/ a /a/ mm /m/
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Erwerb der Graphem-Phonem-Konversion (GPK) „kamm“ Aus der gewählten Zuordnung wird dann eine „multi letter rule“ extrahiert. Im Beispielsfall ist das „ mm /m/“. „kalt“ k /k/ a /a/ l /l/ t /t/ single letter rules k /k/ a /a/ mm /m/
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Komponenten der schriftlichen Sprachverarbeitung Bildquelle: www.rauschenbach.de/ Semantik GPK und PGK allein genügen nicht, wie das Beispiel zeigt. Wal Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung Waal / Wahl / Wal ?
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Komponenten der schriftlichen Sprachverarbeitung Offensichtlich muss es (auch) direkte Routen zum und vom Lexikon aus geben. Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Lautes Lesen „tiefe“ Route „lexikalische“ Route Oberflächenroute Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Lautes Lesen Fehler, sofern nur eine Route genutzt wird: oft häufig Vera ver-a (mit /f/) Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Die Oberflächenroute wird auch für das laute Lesen von Nichtwörtern genutzt. Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Je nach Repräsentation der Wörter in den Modellen werden die Nichtwörter unterschiedlich ausgesprochen. Im Englischen gibt es für „jook“ etwa die Aussprache nach dem Vorbild von „spook“ und die nach dem Vorbild von „book“ und „look“. phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Nach Kay (1982) erfolgt die Aussprache bei guten menschlichen Lesern nach der Häufigkeit der Grapheme, was für die Regeln von Coltheart et al. spricht, und nicht nach der Häufigkeit von Rhimes. phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Ein Problem für die Modelle ist der Prozess der lexikalischen Entscheidung. Semantik ja/ nein Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Schreiben „lexikalische“ Route Kontrollroute Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Routen der schriftlichen Sprachverarbeitung Schreiben nach Diktat „tiefe“ Route „lexikalische“ Route Oberflächenroute Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Strategien des Erwerbs Erwerb des Schreibens „lexikalische“ Strategie Das Kind lernt die Schriftbilder auswendig. Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse graph. Analyse graph. Kodierung
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Strategien des Erwerbs Erwerb des Schreibens „phonologische“ Strategie Das Kind lernt, die Lautfolgen umzusetzen. Semantik Lexikon phon. Kodierung phon. Analyse GPK graph. Analyse graph. Kodierung PGK
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Strategien des Erwerbs Letztlich erfolgt der Schriftspracherwerb über eine (individuelle) Mischung beider Strategien, wobei die beiden Strategien im schulischen Unterricht auch in unterschiedlichen Gewichtungen angeboten werden. Die Kinder müssen die Konversionsregeln erwerben und die Ausnahmen davon „auswendig“ lernen.
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Strategien des Erwerbs Das Auswendiglernen aller Schriftformen ohne Rückgriff auf die Konversionsregeln scheitert wohl an der zu großen Anzahl von Wörtern. [Dies steht in Analogie dazu, dass der Vokabelspurt mit der Ausprägung der Phoneme verbunden ist.] Außerdem stellt die phonologische Route beim Schreiben eine Kontrolle dar, die insbesondere Vertauschungen benachbarter Grapheme [*Bleistfit oder *Beilstift statt Bleistift] entgegenwirkt (Marini & Blanken, 1996).
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Probleme des Schriftspracherwerbs Die GPK und die PKG sind sprachspezifisch. Beispiel: die orthographische Repräsentation des // Deutsch: „sch“ (oder „s“ initial vor „p“ und „t“) Englisch: „sh“ [„sch“ repräsentiert /sk/] Türkisch: „ş“ (oder „ç“ für /t/) Polnisch: „sz“ Tschechisch: „š“
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Probleme des Schriftspracherwerbs Wird zeitüberlappend die Schriftsprache für zwei Sprachen erworben, kommt es zu Interferenzen zwischen den PGK/GPK-Regelmengen der beiden Sprachen. Ein Beispiel dafür ist die Tendenz türkischer Kinder beim Schreiben in Deutsch auf PGK-Regeln des Türkischen zurückzugreifen: „Stadt“ „Ştadt“. (Ein inhärent deutschsprachiger Fehler wäre „Schtadt“.)
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Probleme des Schriftspracherwerbs Wird zeitüberlappend die Schriftsprache für zwei Sprachen erworben, kommt es zu Interferenzen zwischen den PGK/GPK-Regelmengen der beiden Sprachen. Die Interferenzen zeigen sich auch mit dem Erwerb einer Zweit-sprache, sofern die PGK/GPK-Regeln für die Erstsprache nicht gefestigt sind. Entsprechende Interferenzen treten damit auf beim Erwerb des Englischen in der Grundschule.
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Anmerkungen zum Zweitspracherwerb Generell verbreitet ist folgende Ansicht: „[...] in der Grundschule sollte mit der ersten Fremdsprache begonnen werden. Nie in seinem Leben lernt der Mensch so leicht wie in der frühen Kindheit. Das gilt allgemein und ganz besonders für Fremdsprachen.“ Elisabeth Noelle-Neumann: „Die Wiederentdeckung der Bildung: Die Pisa-Studie hat Deutschland aufgeschreckt.“ (FAZ vom 19.06.2002, S. 5)
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Anmerkungen zum Zweitspracherwerb Die weit verbreitete Ansicht, der Erwerb einer Zweitsprache solle möglichst früh (Englisch in der Grundschule) erfolgen, wird von der Spracherwerbsforschung nicht unbedingt geteilt: „Mit zunehmendem Alter lernen Kinder eine fremde Sprache zunehmend effizienter als jüngere [...]. Lediglich im raschen Erwerb der Aussprache [...] sind jüngere Kinder vor Schulbeginn älteren überlegen.“ Rehbein & Grießhaber (1996, S. 71)
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Anmerkungen zum Zweitspracherwerb Die weit verbreitete Ansicht, der Erwerb einer Zweitsprache solle möglichst früh (Englisch in der Grundschule) erfolgen, wird von der Spracherwerbsforschung nicht unbedingt geteilt: „Die Schulversuche führten eindeutig zu dem Ergebnis, dass es für das schulische Fremdsprachenlernen keine allgemeine Überlegenheit des frühen Kindesalters gibt. Der auch heute noch immer wiederholte Satz ,je früher des besser‘ kann so allgemein nur für das Fremdsprachenlernen mit hohen Kontaktzeiten zur Zielsprache gelten.“ (Sauer, 2000, S. 3; zitiert nach Schmid-Schönbein, 2008, S. 14f.)
Spracherwerb Erwerb der Schriftsprache Anmerkungen zum Zweitspracherwerb Zu der empirisch festgestellten geringen Effektivität des frühen Fremdsprachenerwerbs (Englisch in der Grundschule) kommt das aufgezeigte Problem der Interferenzen beim gleichzeitigen Erwerb mehrerer Systeme von PGK/GPK. Diese Interferenzen verstärken Tendenzen zur Lese-Rechtschreibschwäche (LRS). Man kann sagen, dass Englisch in der Grundschule in erster Linie mehr LRS-Fälle verursacht, ohne dass positive Auswirkungen (etwa bessere Englischfähigkeiten beim Eintritt in die Oberstufe) nachweisbar sind. Die Probleme treffen dabei besonders bilinguale Kinder, da diese ohnehin schon mit zwei PGK/GPK-Regelmengen operieren müssen.
Spracherwerb Literatur Coltheart, M., Curtis, B. Atkins, P. & Haller, M. (1993). Models of Reading Aloud. Psychological Review, 100, 589-608. Kay, J. (1982). Psychological Mechanisms of Oral Reading of Single Words. Cambridge, UK: University of Cambridge, Dissertationsschrift. Lichtheim L. (1885). On Aphasia. Brain, 7, 433–484. Marini, V. & Blanken, G. (1996). Orthographie ohne Phonologie: Ein Fall von Tiefenagraphie bei neologistischer Jargon-Aphasie. Neurolinguistik, 10, 117-142. Morton, J. (1969). Interaction of information in word recognition. Psychological Review, 76, 165-178.
Spracherwerb Literatur Rehbein, J. & Grießhaber, W. (1996): L2-Erwerb vs. L1-Erwerb. In: Ehlich, K. (Hrsg.), Kindliche Sprachentwicklung. Opladen: Westdeutscher Verlag. Sauer, H. (2000). Frühes Fremdsprachenlernen in Grundschulen – ein Irrweg? Neusprachliche Mitteilungen, 53/1, 2-7. Schmid-Schönbein, G. (2008). Didaktik und Methodik für den Englischunterricht. Berlin: Cornelsen. Seidenberg, M. & McClelland, J.L. (1989). A distributed, developmental model of word recognition and naming. Psychological Review, 96, 523-568. Wernicke, C. (1874). Der aphasische Symptomenkomplex. Eine psychologische Studie auf anatomischer Basis. Breslau: M. Cohn & Weigert.