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Wie neu ist der „Neue Atheismus“? 1. Schon gehört? 2. Agnostizismus und Atheismus 3. Rückblick auf den „alten“ Atheismus 4. Die Argumente des „neuen Atheismus“ 5. Warum die Debatte mit dem N.A. schräg läuft 6. Warum sie mich doch interessiert 7. Zu Dawkins‘ einzelnen Argumenten
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Wie neu ist der „Neue Atheismus“? • 1. Schon gehört?2. Agnostizismus und Atheismus3. Rückblick auf den „alten“ Atheismus 4. Die Argumente des „neuen Atheismus“ 5. Warum die Debatte mit dem N.A. schräg läuft6. Warum sie mich doch interessiert • 7. Zu Dawkins‘ einzelnen Argumenten • 8. Unterrichtsziele Prof. DDr. Winfried Löffler, Institut für Christliche Philosophie http://www.uibk.ac.at/philtheol/loeffler
1. Schon gehört? Richard Dawkins(*1941)Biologe Sam Harris(*1967)Neurowissensch. Daniel Dennett(*1942)Philosoph Christopher Hitchens (1949-2011)Publizist 2006 1996 1995 2004 2007 2006 2006 2006
1. Schon gehört? „Neue Atheisten“ – österreichische Phänomene Gruppierungen • www.konfessionsfrei.at • www.religion-ist-privatsache.at • www.giordano-bruno-stiftung.at (sind z.T. dieselben Leute!) • Die „Science Busters“ Anliegen • Ethikunterricht statt Religion / und Religion? (Enqueten & Podiumsdiskussionen, z.T. im www) • Kirchenfinanzierung? Privilegien wie Religion? • Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien (geplant 2013) „Negative“ und „positive Identitäten“ • Kirchenkritik (gegen…) oder mehr („säkularer Humanismus“)?
1. Schon gehört?»New Atheism«− angelsächsische Protagonisten Richard Dawkins(*1941)Biologe Sam Harris(*1967)Neurowissensch. Daniel Dennett(*1942)Philosoph Christopher Hitchens (1949-2011)Publizist 2006 1996 1995 2004 2007 2006 2006 2006
„Neue Atheisten“ – einige prominente kontinentaleuropäische Autoren Michel Onfray Michael Schmidt-Salomon Piergiorgio Odifreddi
Soziologische Hintergründe des „neuen Atheismus“ USA: - die „Christian Right“ (Bush, Santorum, Romney, …) - Irrtum von Säkularisierungsthese und „Absterben der Religion“ - Evolutionsgegner in der Schulpolitik, www.discovery.org - … also eine hochpolitische Sache! (Dawkins u.a. schreiben dafür!)
Soziologische Hintergründe des „neuen Atheismus“ • Europa: • Die US-Problematik besteht hier kaum, insgesamt weniger Resonanz • Restbestände alter Freidenker-Vereine • Missbrauchsaffären • Islam-Gefahrenwahrnehmung (Sonderfall Großbritannien: islamische Stadtviertel, Frage der Scharia-Duldung) • politische Einschätzung in D/Ö: von weit links (KP, linke Flügel von SP und Grünen) bis weit rechts (Euthanasiebefürworter, Anti-Islamisten, rechte Antiklerikale)
2. Begriffsklärungen: “Agnostizismus” und “Atheismus” „Agnostizismus“ starker A.: „es gibt überhaupt keine rationalen Argumente pro/contra Gottes Existenz“ schwacher A.: „es gibt keine starken rationalen Argumente pro/contra Gottes Existenz“ „Atheismus“ „praktischer“: Behauptung, dass Gott nicht existiert, und danach leben „doktrinärer“: wie praktischer, plus: ausgearbeitete Begründungen/Argumente dafür
3. Rückblick auf den »alten« Atheismus (19.Jh.) S. Freud L. Feuerbach (1) Unwissenschaftlichkeitsargument: Es gibt keine stichhaltigen Argumente für Gottes Existenz, und der Gottesglaube erklärt auch nichts; ist wie eine unnötige Hypothese (2) Argument der natürlichen Erklärbarkeit: Die Entstehung und Verbreitung des Gottesglaubens (bzw. der Religion) lassen sich natürlich erklären K. Marx F. Nietzsche (3) Schädlichkeitsargument: Die praktischen Auswirkungen des Gottesglaubens (bzw. der Religion) sind schädlich (für den Einzelnen / für die Gesellschaft)
4. Die Argumente des neuen Atheismus • 4.1 Unwissenschaftlichkeitsargument: • Die klassischen Gottesbeweise sind gescheitert, d.h. der Gottesglaube (bzw. die Religion) erklären nichts. • Heutige Argumente würden auch scheitern, Gott wäre keine gute Erklärung • Religiöse Wirklichkeitsdeutungen sind in intellektueller Hinsicht nicht nur überflüssig und überholt − • … sie sind unbegründet, irrational, widerlegt, naiv, unreif, dumm, verrückt usw. • gilt besonders für „Seitenbereiche“ der Frömmigkeit (Wunderglaube, Mariener-scheinungen, naive Vorstellungen der Auferstehung etc.)
Beispiele zum Unwissenschaftlichkeitsargument: Ein Potpourri verbreiteter religiöser Überzeugungen Gott verfasst Heilige Schriften. Die Welt wurde vor ca. 6.000 Jahren mit allen Arten erschaffen. Jesus wurde von einer Jungfrau geboren. Mohammed flog auf einem Pferd gen Himmel. Wer den eigenen Glauben nicht teilt, kommt in die Hölle. Jesus wird in den nächsten 50 Jahren auf die Erde zurückkommen. Wer Ungläubige tötet, kommt in den Himmel. kritikimmun Die Seele wird der Zygote bei der Befruchtung eingehaucht. akzeptiert toleriert
Unwissenschaftlichkeitsargument „Wir wissen, als was wir einen Menschen bezeichnen sollen, der an vieles glaubt, für das es keine rationale Berechtigung gibt. Sind die Inhalte eines solchen Glaubens ungewöhnlich weit verbreitet, bezeichnen wir solche Menschen als 'religiös'; ansonsten sprechen wir vermutlich von 'Verrückten', 'Psychotikern' oder 'an Wahnvorstellungen Leidenden'.“ (S. 72) „The time has come for people of reason to say: enough is enough. Religious faith... discourages independent thought, it's divisive, and it's dangerous.“ (R. Dawkins) „Glaube ist genau deshalb bösartig, weil er keine Rechtfertigung braucht und keine Diskussion duldet.“ (R. Dawkins, Der Gotteswahn, S. 429)
4.2 Argument der natürlichen Erklärbarkeit • »Genetische« Kritik (von griech. genesis = Entstehung): Die Entstehung und Verbreitung des Gottesglaubens (bzw. der Religion) lassen sich natürlich erklären. • Diverse Spielarten davon, z.B.: • „Neurotheologie“: Religiöse Zustände sind mit bestimmten Hirnaktivitäten gekoppelt • HADD (Dennett u.a.): hyperactive agent detecting device: „animistisches“ Denken (agent detection) war auf bestimmten Stufen der Evolution nützlich, ist heute aber unreif/leichtgläubig; Projektion in „Himmel“ etc. • Religion ist evolutionär stabile Strategie: stabilisiert Gruppe, kontrolliert Abweichler/Trittbrettfahrer, … • Wie Religionen entstehen: „Cargo-Kulte“ auf Vanuatu u.a. (Botschaft: … und alle Religionen entstehen so!) Gene
Enough is enough!!!!! 4.3. Das Schädlichkeitsargument Die praktischen Auswirkungen des Gottesglaubens sind für die Menschheit schädlich. Individuell ebenso wie politisch. Freudlosigkeit Gewalt Sündenangst Verdummung Intoleranz Indoktrination Fanatismus Terrorismus Wahnideen
Imagine Imagine there's no heavenIt's easy if you tryNo hell below usAbove us only sky Imagine there's no countriesIt isn't hard to doNothing to kill or die forAnd no religion too You may say I am a dreamerBut I'm not the only oneI hope someday you'll join usAnd the world will live as one
5. Warum die Debatte mit dem “neuen Atheismus” schräg läuft Fazit bisher:Grundsätzlich neu ist keines der Argumente, Manche gehen noch weiter zurück als ins 19.Jh. Im Detail neu könnte das Evolutionäre Argument sein (Dawkins’ Version ist aber schon biologisch fragwürdig!) Reaktion vieler TheologInnen, PhilosophInnen: “Einfach zu seicht.” - Warum?
Was die Debatte mühsam und schräg macht Neue Atheisten haben erstaunlich wenig Insider-Wissen über Religionen, viele sachliche Fehler (z.B. Dawkins); “Ferndiagnose” N.A. attackieren bloße Zerrbilder der Religion (Altes Testament gilt wörtlich, Neues Testament ist alles historisch wahr, Wunderglaube, Tötung Andersdenkender, Papst redet dauernd unfehlbar, etc. etc.) N.A. errichten double binds (Zwickmühlen): Christen sind entweder dumm (wenn sie diesen Unsinn glauben) oder eben keine echten Christen (wenn sie ihn nicht glauben; wie moderate, aufgeklärte Christen/Muslime/…)
Was die Debatte mühsam und schräg macht N.A. halten beharrlich (mutwillig?) an ganz simplen Argumentationsfehlern fest: - Generalisierung: Religion ist Wurzel allen Übels, z.B. aller Kriege - Beliebige Ausdehnung des “Religions-”Begriffes: “Aber Hitler und Stalin waren doch nicht religiös??” - “Doch, weil sie kritiklos dachten!” - Was eine evolutionäre Geschichte oder einen begleitenden Hirnprozess hat, hat, muss deshalb noch nicht falsch sein N.A. haben primär missionarisches Selbstverständnis; Diffamierung und Polemik statt Argument und Diskurs? Will man überhaupt debattieren?
6. Warum mich die Debatte trotzdem interessiert • Christentum war immer auf Argumentation ausgerichtet • Das evolutionäre Argument ist im Detail interessant (bessere Varianten als Dawkins, z.B. Eckart Voland (Spektrum der Wissenschaft 1/2012) • Glaube und Naturwissenschaft sind miteinander vereinbar. Warum glauben die Neuen Atheisten, dass es nicht so ist? • Selbstkritische Frage: Was haben wir Theologen falsch gemacht, dass solche Zerrbilder der Religion für viele Menschen glaubwürdig sind? • Wie schaut der Kirchenbetrieb faktisch aus, wie erscheinen wir nach außen?
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten 4 Argumente: • Die Existenz Gottes ist eine wissenschaftliche These, aber alle alten Argumente für sie scheitern • Das heute zentrale Argument wäre aus dem “design” auf einen Weltenschöpfer. Ein Weltenschöpfer müsste mindestens gleich kompliziert sein wie die Welt, hat also wenig Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlicher ist die Evolution der Welt durch natürliche Selektion. • Religion ist ein Nebenprodukt der Evolution, also natürlich erklärbar • Religion ist insgesamt schädlich: Ihre Moral widerspricht dem fortschrittlichen Zeitgeist, das Gottesbild des AT wie des NT ist inhuman (Erbsünde, Kreuzesopfer) und spielt die Menschen gegeneinander aus. Altruismus dagegen gäbe es auch ohne Religion.
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten 4 Argumente: • Dawkins: “Die Existenz Gottes ist eine wissenschaftliche These, aber alle üblichen Argumente für sie scheitern” • ABER: Zur 1. Teilbehauptung: Nicht alles, was rational diskutierbar ist, ist auch “wissenschaftlich”! • Zur 2.Teilbehauptung: zum Teil tendenziöse, grob fehlerhafte Darstellung (heute nicht mein Thema)
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten 4 Argumente: • Dawkins: Das heute zentrale Argument wäre aus dem “design” auf einen Weltenschöpfer. Ein Weltenschöpfer müsste mindestens gleich kompliziert sein wie die Welt, hätte also wenig Wahrscheinlichkeit (“Boeing 747-Argument”). Wahrscheinlicher ist die Evolution der Welt durch natürliche Selektion • ABER: 1. Teilbehauptung stimmt nicht. Es gibt salonfähige und bessere Argumente, z.B. aus dem kosmologischen Standardmodelle. • 2. Teilbehauptung missversteht Gott als einen Faktor in der Welt, eine innerweltliche Ursache. Die wäre in der Tat kompliziert. Die Tradition hat aber anders gedacht: Gott als “Erstursache”, innerweltliche “Zweitursachen”
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten 4 Argumente: • Dawkins: Religion ist ein Nebenprodukt der Evolution, also natürlich erklärbar. Heute ist Religion ein infantile, primitive Denkform. • ABER: Dawkins erzählt eher spekulative Story, wie man es sich denken könnte. Es gibt Seriöseres (E. Voland u.a.). • Wenn R. nur ein Nebenprodukt und so schädlich ist, wieso ist sie evolutionär nicht ausgemerzt worden? Wieso sind nicht alle Menschen religiös? • Einerseits stabilisieren sich Religionen selber (Abweichler-Kontrolle), andererseits entstehen sie ganz schnell (Cargo-Kult)? • Zentraler Einwand: Evolutionäre Geschichte sagt nichts über die Wahrheit aus! (Auch zB Mathematik hat eine evolutionäre Geschichte!)
7. Zu Dawkins’ einzelnen Argumenten 4 Argumente: • Religion ist insgesamt schädlich: Ihre Moral widerspricht dem fortschrittlichen Zeitgeist, das Gottesbild des AT wie des NT ist inhuman (Erbsünde, Kreuzesopfer) und spielt die Menschen gegeneinander aus. Altruismus dagegen gäbe es auch ohne Religion. • ABER: Was genau ist jeweils schädlich? (Bsp. Genitalverstümmelung, Nordirlandkonflikt, Missbrauchsfälle) • Was ist schädlich, die Hochform oder die Zerrform? • Religion ist manchmal schädlich und nützlich, Bsp. Lateinamerikas • Überhaupt: “imagine there’s no religion” ist nicht so leicht – die Welt sähe ganz anders aus ohne Religion
8. Unterrichtsziele • Vorbereitung, im www orientieren! • Information oder Werbung? • Unterrichtsziele (positive Wendung statt reiner Defensive?) • Literaturhinweise aus der Diskussion • A. McGrath / J. Collicutt-McGrath, Der Atheismus-Wahn (München 2007) • http://www.weltanschauungsfragen.at