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Wer hat Angst vor dem Volk? Vom Nutzen der Direkten Demokratie (DD). Denk- und Diskussionsanstösse und andere Ermutigungen zur Stärkung der Demokratie - und der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger von Andreas Gross (Zürich) Politikwissenschafter/Lehrbeauftragter
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Wer hat Angst vor dem Volk?Vom Nutzen der Direkten Demokratie (DD) Denk- und Diskussionsanstösse und andere Ermutigungen zur Stärkung der Demokratie - und der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger von Andreas Gross (Zürich) Politikwissenschafter/Lehrbeauftragter Leiter ADD/National- und Europarat SPD Stadtverband Fellbach Fellbach, den 15. Januar 2008 www.andigross.ch info@andigross.ch
Gliederung des Vortrages Sozialdemokratischer Anspruch Die Demokratie ist heute in einer Krise Zur Geschichte der Direkten Demokratie Zum Wesen der Direkten Demokratie(DD) Zum Anspruchsprofil der DD Entscheidend ist das Design der DD Deutsche Ängste vor dem Volk sind ... DD und die Berliner Republik DD auf kommunaler Ebene, inbes.BWü
“Es kam und kommt darauf an, den Staat wirklich bis in die letztmöglichen Konsequenzen zu demokratisieren und für die politische Demokratie feste Fundamente durch die Verankerung der Demokratie im Wirtschaftsbereich und im Sozialen zu schaffen” Herbert Wehner am Godesberger Parteitag der SPD von 1959 Zit.in: Christoph Meyer, H.W., DVA, 2006, p.496
Wir sollten die Banalisierung zentraler Begriffe wie Demokratie und Freiheit überwinden Freiheit , bedeutet mit anderen zusammen auf unsere Lebensgrundlagen so einzuwirken können, dass das Leben kein Schicksal ist, die Zukunft keine Fatalität Demokratie ermöglicht die mit Freiheit natürlicherweise verbundenen Konflikte gewaltfrei auszutragen Demokratie ist ein Menschenrecht: Zur Würde des Menschen gehört, dass er auf die Entscheidungen einwirken kann, deren Folgen ihn betreffen.
Zur gegenwärtigen Krise der Demokratie: Die Demokratie braucht mehr Zuwendung. Viele BürgerInnen wären dazu bereit - doch die insti-tutionelle Ausgestaltung der Demokratie weist sie ab. Die Deutungs- und Handlungskompetenzen vieler BürgerInnen sind heute in vielen europäischen Staaten grösser als ihnen institutionell zugestanden wird. Dieser gesellschaftl.Überschuss liegt brach. Dies ist individuell frustrierend und lähmend und gesellschaftlich eine riesige Verschwendung von Energie, kollektiver Intelligenz und Kreativität.
Die repräsentative Demokratie ist ein integraler Bestandteil der DD.Doch sie war der Anfang, nicht das Ende, und hat kein Monopol Die Direkte Demokratie macht die repräsentative Demokratie repräsentativer als diese in der bloss indirekten Demokratie ist. Die Demokratie im Sinne der Demokratisierung ist ein unendlicher (Lern-)Prozess, dieser muss entsprechend der gesellschaftlichen Potenziale vertieft (Oek), erweitert (transnational) und substantiviert (DD) werden.
Die DD ist keine Erfindung der Schweiz - sie wurde in der Schweiz nur früh und gut realisiert und praktiziert Die alte Schweiz war eher eine Oligarchie als eine Demokratie Die Versammlungsdemokratie ist eine vormoderne Form der Demokratie (FA.Lange) Die ersten Verfassungsreferenden gab es im 17.Jh in den Neuenglandstaaten Das Gesetzesreferendum erfand 1793 Condorcet (Humboldt Frankreichs) Die Volksinitiative ist ein Gemeindschaftsprodukt von französischen und rheinländischen Demokraten (M.Rittinghausen)
Die DD war in der CH und den USA ein Werk von oppositionellen Volksbewegungen„Durch das Volk - für das Volk“ Der Schweiz gelang 1848 der Aufbau einer der ersten repräsentativen Demokratien mit oblig Verf’ref Die Schöpfer der modernen Schweiz waren liberal und elitär Viele Bauern, Handwerker, Arbeiter, fühlten sich durch sie schlecht vertreten Deshalb verlangten sie nach “dem letzten Wort” in wesentlichen Fragen
Die 5 Eckpunkte der DD 1.Geheime Sachabstimmung per Post, per Mail oder an der Urne; Keine (vormoderne) Versammlungs-(“Basis”)-Demokratie 2. Ein Teil/ Minderheit der BürgerInnen entscheidet, ob alle BürgerInnen entscheiden sollen, kein Plebiszit 3. Wer teilnimmt, entscheidet; wer nicht teilnimmt, überlässt die Entscheidungen den Teilnehmenden. 4. Es gibt keine superqualifizierten (Volks-) Mehrheiten 5. Feine Ausgestaltung der Schnittstelle ID/DD und Festlegung von Fristen für jede Phase eines DD-Prozesses
Die DD ist ein Ensemble verschiedener partizipativer BürgerInnenrechteDie BürgerInnen jeder Ebene vereinbaren/verfassen das ihnen passende partizipative Set Oblig. Verfassungsreferendum (1848) Fakultatives Gesetzesreferendum (1874) - Verfassungsinitiative (1891) + Staatsvertragsreferendum (1918 ff) Gesetzesinitiative /Allgemeine In. + Finanzreferenden - Konstruktives Referendum + Einzelinitiative Volksmotion
Das Leistungs- und Anspruchsprofil der DD Diskussionen/Deliberationen schaffen Lernprozesse ermöglichen Distanzen verkleinern Politik öffnen, anregen, besser verankern Legitimation und Identifikation ermöglichen Verschiedene, vielfältige Menschen integrieren Zynismus und Apathie abbauen Zum Handeln motivieren Vertrauen und Selbstvertrauen erneuern
Das Design entscheidet über die Güte der DD...es kommt nicht mehr auf das ob, sondern auf das wie an ! Die Ausgestaltung der DD ist entscheidend dafür, ob die DD leisten kann, was sie verspricht. Jede Ebene benötigt ihr spezifisches DD-Design
Die Konsequenzen der Ansprüche auf die Ausgestaltung der DD Teilung von Macht Tiefe Unterschriftenzahlen Kommunikation Freies Unterschriftensammeln Oeffnen der Politik (policy & Akteure) Tiefe Unterschriftenzahlen Ueberzeugen& Deliberation Keine Quoren Kooperativ statt antagonistisch Nicht am Parlament vorbei (GV-Recht) Integrativ und reflexiv Keine zu engen zeitl.Fristen Volk als Souverän Keine Änderung eines VE ohne VE
Was die DD nicht ist • Kein Quick fix, kein Fastfood eigener Zeitbegriff • Beitrag zum Abbau , nicht der Stärkung von Herrschaft Rekonstruktion der Freiheit • Weder Umfrage, noch Meinungsbild Deliberatives Ergebnis, Deliberation als Legitimat‘quelle • E-Demokratie hilft, ist aber noch keine DD Verfassungsverank.
Thesen zur Titelfrage: • 1949 mögen Ängste “vor dem Volk” berechtigt gewesen sein - heute wären sie m.E, auch in D unberechtigt und viel mehr Ausdruck einer politisch gefährlichen elitären Selbstüberhebung • Statt dem Motto “Die Sache des Volkes ist zu wichtig als dass sie dem Volk überlassen werden darf” - sollten wir J.W.Goethe folgen: “Die beste Regierung ist jene, die das Volk lehrt, sich selber zu regieren.” • Möglicherweise sind solche Ängste aber vorgeschoben. Es geht vielmehr um den fehlenden Willen, Macht zu teilen, und um ein Verkennen des Wesens der Demokratie und der Menschen. Demokratie ist vielmehr als eine Technologie der Macht. • Und es geht um das zweifelhafte „Privileg, nicht lernen zu müssen“, beziehungsweise nicht lernen zu wollen.
In der Berliner Republik besser beachten • 1949 Versprochenes endlich nachholen Verfassung statt Grundgesetz (Carlo Schmid) • Keine Angst vor Verfassungsreferendum mehr • DD-Instrumente ausdifferenzieren (fak.Gesetzesref/fak.Verfass‘ref/Verf‘initiative und Gesetzesinitiative) • Vor parlamentarischer Beratung Prüfung durch Bund‘verf‘gericht • Abstimmungskampagnen-Kosten- Vorerstattung • Fairnessregeln für Chancenausgleich in der öffentl.Meinungsbildung • Zum Anwalt statt zum Schlusslicht der europ.DD werden • Von Anfang an benutzerInnenfreundlich statt abschreckend à la BL
Die Beschränkung der DD im ”deutschen Verfahrenstyp” (T. Schiller) Starke Themenrestriktion, weitgehend bei Finanzentcheidungen Zu hohe Unterschriften-Einstiegshürden (10% um) Relativ kurze Fristen in allen Phasen des Prozesses Zustimmungs- und Beteiligungsquoren behindern
Das DD-Paradox in Baden-Württemberg:Die älteste DD auf kommunaler Ebene - und bis heute mit am restriktivsten Bwü kennt in seinen 1111 Gemeinden seit 1976 212 Bürgerbegehren und 116 Bürgerentscheide (+ 56) • Bayern mit 2056 Gemeinden seit 1995 1058 Bürgerbegehren und 538 Bürgerentscheide (+305) Bayern kennt dank der Demokratie Initiative: • Geringerer Themenausschluss (Bauleitpläne nicht ausg.) • Günstigere Quoren und Fristen