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Was versteht manunter Emotionen? Nach Ulich und Mayring stimmen die unterschiedlichen Ansätze in zwei Punkten überein: „1. Emotionen sind leib-seelische Zuständlichkeiten einer Person, an denen sich 2. je nach Betrachtungsweise verschiedene Aspekte oder Komponenten unterscheiden lassen: eine subjektive Erlebniskomponente, eine neurophysiologische Bewertungskomponente und eine interpersonale Ausdrucks- und Mitteilungskomponente.“ Vielfach werden in der Forschung so genannte Basisemotionen, die oft auch als primäre Emotionen bezeichnet werden, von „sekundären“ Emotionen unterschieden. Autoren wie beispielsweise Darwin, James, McDougall, Gray, Tomkins, Emde oder Oatley und Johnson-Laird benennen unterschiedliche Emotionen als primäre Emotionen. Im wissenschaftlichen Diskurs besteht weitgehend Konsens darüber, dass “happiness, fear, anger and sadness” menschliche Universalia sind: „At a minimum, we can conclude that happiness, fear, anger, and sadness are universal among humans, with a few other emotions as potential candidates for inclusion in the list of primary emotions“. Diesen primären Emotionen entsprechen ganz bestimmte mimische Ausdrucksformen. In ihren jeweiligen emotionssoziologischen Modellen gehen Plutchik und Kemper davon aus, dass das Zusammentreffen bzw. die Vermischung primärer Emotionen sekundäre Emotionen generieren kann. Siehe Tabelle von Putchnik, vgl. Ausführungen zu Elias.
Sozial-kulturelle Einbettung von Emotionen Im Alltag beobachten wir Emotionen stets eingebettet in "Geschichten", wobei der Mensch über ein Repertoire von rund 100 Emotionen verfügt, die in Routineinteraktionen zur Anwendung kommen. „Die Relationalität bzw. der Beziehungscharakter von Gefühlsregungen kommt (...) darin zum Ausdruck, daß Gefühlsregungen stets sowohl ereignis-bezogen wie schema-gebunden sind: Ich beziehe mich auf etwas, und ich bin es, der sich darauf bezieht.“ (Mayring, Ulich) Die Ich-Beteiligung, das Berührt-, Betroffen- beziehungsweise Beteiligt-Sein sowie bestimmte Wertbindungen sind inhärente Bestandteile des emotionalen Erlebens, wobei das Erleben von Gefühlen eher als passiver Akt vom Individuum erfahren wird: „Emotionen gehören eher zur Kategorie der Widerfahrnisse“. Im Prozeß der Sozialisation werden emotionale Schemata generiert; durch diese Schemagebundenheit von Emotionen erfolgen Gefühlsregungen schließlich "automatisch". Frage nach der Determiniertheit von Emotionen: Anlage versus Umwelt
Sozial-kulturelle Einbettung von Emotionen Im Prozess der Sozialisation werden emotionale Schemata generiert; durch diese Schemagebundenheit von Emotionen erfolgen Gefühlsregungen schließlich „automatisch“. Geteilte Deutungsmuster legen zwar den Rahmen fest, was und wie in bestimmten Situationen gefühlt werden soll. Der Prozess der Sinnstiftung vollzieht sich jedoch durch das „Nadelöhr der beteiligten Akteure“. Es existieren also so genannte feeling rules (Hochschild), die die Grenzen für das Fühlen selbst und für dessen Ausdruck abstecken: „Gefühlsregeln kodieren die Richtung, die Dauer und die Intensität von Gefühlen und Expressionen.“ Neben diesen unmittelbaren „Gefühlregeln“ wirken kulturelle Deutungen mittelbar auf die Genese von Emotionen, indem sie Sozialstrukturen, beispielsweise das als gerecht betrachtete Maß an Macht- und Statusgebrauch, definieren. Zentral in diesem Zusammenhang erweist sich nach Gerhards, wem die Verantwortung für Macht- und Statuskonstellationen zugeschrieben wird. Fühlt sich das Individuum selbst dafür verantwortlich oder wird die Verantwortung an andere Akteure oder Gebilde wie beispielsweise an den Staat übertragen?
Manfred Holodynski wählt in diesem Zusammenhang mit seinem dreiphasigen „Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung“ einen entwicklungs-psychologischen, ontogenetischen Zugang, indem er zunächst bei Neugeborenen die bereits vorhandenen Emotionen beobachtet und anschließend Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Emotionshaushalt von Erwachsenen festmacht. (Siehe Emotion – Entwicklung und Regulation, Heidelberg 2006. Säuglinge scheinen von Geburt an über fünf „Vorläuferemotionen“ zu verfügen: erstens „Distress“, das speziell durch Schreien ausgedrückt wird und den dringenden Bedarf nach Nahrung, Wärme oder Körperkontakt signalisiert; zweitens „Interesse“ (Blickfokussierung mit oder ohne offenem Mund); drittens „endogenes“ Wohlbehagen (Lächeln); viertens „Erschrecken/Furcht“, ausgedrückt durch weit aufgerissene Augen und Körperanspannung; und fünftens „Ekel“, welcher durch ein Rümpfen der Nase und durch ein Vorstrecken der Zunge, um Nahrung auszuspucken, angezeigt wird.
Im Anschluss an unterschiedliche Klassifikationsversuche von Emotionen entwickelten Mayring und Ulich schließlich in ihrer „Psychologie der Emotionen“ eine Liste von 24 Emotionen, die sie in vier Gruppen zusammenfassten: in die Gruppe der „Zuneigungsgefühle“, der „Abneigungsgefühle“, der „Wohlbefindensgefühle“ und der „Unbehagensgefühle“.
Liste der Emotionen • Tomkins: Drei Basisemotionen im Evolutionsprozeß: • Furcht bei Lebensgefahr • Freude • Erregung durch Neues; dazu weiters: Scham, Disgust, Dissmell, Schmerz (distress), Trauer, Überraschung Plutchik: Acht Emotionen • Furcht - Vertrauen • Wut - Ekel • Freude - Neugier • Kummer - Überraschung
Grundemotionen nach Plutchik • Gefühl Reizereignis Kognition Verhalten Wirkung • Furcht (Panik) Bedrohung Gefahr Davonlaufen oder –fliegen Schutz • Zorn (Wut) Hindernis Feind Beißen, Schlagen Vernichtung • Ekstase (Freude) Sexualpartner Werben Paaren Fortpfanzung • Kummer (Trauer) Verlust Verlassen Weinen Wiedervereinigung • Billigung(Vertrauen)Gruppe Freund Pflegeverhalten, Teilen Sich anschließen • Ekel Abstoßend Gift Erbrechen, Wegstoßen • Neugierde Neues Was ist da? Untersuchen, Kartieren Organisieren, • Erkundung • Erstaunen Unerwartet Was ist das? Anhalten, Alarmieren Orientierung
Emotion und die Konstruktion sozialer Wirklichkeit Als eine Art der Weltdeutung tragen Emotionen dazu bei, den Hiatus der menschlichen Existenz zu überwinden und das Individuum an die Welt zu binden. Simmel unterschied in diesem Kontext zwischen primären, soziale Wirklichkeit produzierenden und sekundären Emotionen, die er als psychische Resultate sozialer Wechselwirkungen verstand. (Eine Trennung ist allerdings oft nur in analytischer Hinsicht möglich.) Primäre Funktionen als apriorische Formen, mit welchen Individuen in Beziehung zu ihrer sozialen Umwelt treten, übernehmen nach Simmel die Funktion einer basalen Konstruktionsform, indem sie die Welt in Bedeutsames/Nichtbedeutsames, Nähe und Distanz, Eigenes und Fremdes et cetera einteilen und somit strukturieren.
Emotion und die Konstruktion sozialer Wirklichkeit Emotionen reduzieren also Handlungsalternativen durch Schaffen sozialer Nähe beziehungsweise Distanz, indem sie Objektbesetzungen nach dem dichotomen Schema angenehm/unangenehm, sympathisch/-unsympathisch et cetera vornehmen, Grenzen zwischen ingroups und outgroups ziehen. Indem Gefühle sich intentional auf die Umwelt auf das Individuum selbst richten, übernehmen sie eine Regulationsfunktion zwischen dem Subjekt und seiner Umwelt. Soziale Strukturen wiederum erzeugen, begünstigen oder behindern die Genese und Wirkungsmächtigkeit von Emotionen.
Emotion und die Konstruktion sozialer Wirklichkeit „Sympathie und Antipathie, Freundschaft und Feindschaft, Liebe, Haß und Gleichgültigkeit zwischen den jeweiligen Mitgliedern geben dem Feld seine Struktur, sorgen für Erwartungssicherheiten und Verläßlichkeiten und dienen somit als funktionales Äquivalent für eine sprachlich kodierte Formalisierung der Beziehungen, wie sie für Organisationen typisch ist. Man weiß, wie wer zu wem emotional steht, wie das soziale Feld strukturiert ist und kann daran sein eigenes Handeln und Erwarten orientieren. Gleichzeitig werden durch eine emotionale Strukturierung des Feldes Enttäuschungstoleranzen, die durch Diskrepanzen auf der sprachlichen Ebene in Anspruch genommen werden können, eingebaut. Gefühle räumen dem anderen (...) Kredit ein. Die Tatsache, daß Gruppen dominant emotional strukturiert sind, sagt noch nichts über das positive oder negative Vorzeichen dieser Strukturierung aus. Sowohl Sympathie als auch Antipathie, sowohl Liebe als auch Haß, sind mögliche Strukturierungsformen“. (Gerhards, 1988, S. 110 f.)
Emotion und die Konstruktion sozialer Wirklichkeit schichtspezifische Rollensysteme – schichtspezifischer Sprachgebrauch Modulation eigener Emotionen als spezifische Form kulturellen Kapitals, als emotionales Kapital (Bourdieu) Emotionen steuern Verhalten.
Das limbische System Das limbische System ist eine komplexe Gruppe von 3 wie ein C konfigurierten Strukturen, die sowohl graue als auch weiße Substanz enthalten. Es liegt tief im Hirn und enthält Teile aller Hirnlappen. Es hat Verbindungen zu vielen tiefen Kerngebieten und zum Geruchsapparat. Phylogenetisch ist das limbische System einer der primitiven alten Teile des Gehirns. Es ist eine heterogene Gruppe von Strukturen rund um das Mittelhirn, die mit dem Geruchssinn, nicht durch den Willen gesteuerten Funktionen, Emotionen und Verhalten verknüpft sind. Das Limbische System hat sich bei Säugetieren und insbesondere beim Menschen zu einem ausgedehnten System von Schaltkreisen des Gehirns entwickelt, das einen umfassenden Einfluss auf die emotionale Bewertung aller Sinneserfahrungen bzw. eine Motivationskontrolle über Verhalten ausübt. Das limbische System ist die Zentralstelle des endokrinen, vegetativen und psychischen Regulationssystems. Es verarbeitet Reize aus dem Körperinneren und von außen. Das limbische System steuert das emotionale Verhalten mit. Es gilt als das Zentrum für Gefühle. Außerdem ist es mit anderen Zentren am Gedächtnis beteiligt. Störungen des limbischen Systems führen zu Störungen der emotionalen Verhaltensweisen und beim Tier zu Störungen des artspezifischen Verhaltens. Darüber hinaus haben sich die Hinweise darauf verdichtet, dass Funktionsstörungen limbischer Strukturen und ihrer Bezugssysteme die pathophysiologische Basis von häufigen Hirnkrankheiten darstellen. Mehr als 20 Prozent der Bevölkerung erkranken im Verlauf des Lebens an einer behandlungsbedürftigen neurologischen oder psychischen Erkrankung, bei der strukturelle oder funktionelle Beeinträchtigungen des limbischen Systems oder damit in engem Funktionszusammenhang stehender Hirnbereiche nachgewiesen sind oder vermutet werden. Hierzu gehören die so genannten Neurosen (z.B. Angst- oder Zwangskrankheiten), Suchterkrankungen (z.B. Alkoholismus), Schizophrenien, depressive Syndrome, bestimmte Formen von Epilepsie und Hirnabbauerkrankungen wie die Alzheimer´sche Krankheit. Fast allen Formen von Gedächtnisstörungen, von emotionalen Störungen, psychotischen Syndromen mit Realitätsverlust, Wahnideen und Halluzination liegen Störungen in einem oder mehreren Teilbereichen des limbischen Systems zugrunde.