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Vortragsbersicht. A. Thematische EingrenzungB. Rechtlicher Status des prnatalen Lebens im aktuellen juristischen DiskursC. Prvention genetisch bedingter BehinderungenD. Selektion behinderten prnatalen Lebens. A. Thematische Eingrenzung. PrventionTherapieSelektionPrvention von Behind
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1. Privatdozent Dr. iur. Ralf Müller-Terpitz „Der Traum vom perfekten Menschen“
Ethische, medizinische und juristische Aspekte der Pränatalmedizin
Moderne Medizin zwischen Prävention und Selektion von Menschen mit Behinderung
2. Medizinische Fachtagung, Vallendar
Samstag, 8. April 2006
2. Vortragsübersicht A. Thematische Eingrenzung
B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebensim aktuellen juristischen Diskurs
C. Prävention genetisch bedingter Behinderungen
D. Selektion behinderten pränatalen Lebens
3. A. Thematische Eingrenzung Prävention Therapie Selektion
Prävention von Behinderungen:
Verzicht auf Zeugung eines Kindes
Keimbahntherapie vor Erzeugung eines Embryos
Therapie von Behinderungen:
Keimbahntherapie am Embryo
Somatische Gentherapie am Embryo bzw. Fetus
Selektion von Behinderungen:
im pränidativen Stadium (assistierte Reproduktion)
im postnidativen Stadium (Schwangerschaftsabbruch)
4. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens Zentrum der juristischen Debatte: Würde- u. Lebensgarantie, Diskriminierungsverbot (Art. 1 I, 2 II u. 3 III 2 GG)
Grundrechtlicher Status des pränatalen Lebens vom BVerfG in zwei Entscheidungen zum Abtreibungsstrafrecht (1975/1993) entfaltet (BVerfGE 39, 1 ff u. BVerfGE 88, 203 ff.).
5. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens Grundaussagen des BVerfG:
„Jedenfalls ab der Nidation“ genießt vorgeburtliches menschliches Leben Würde- und Lebensschutz (Art. 1 I, 2 II GG).
Grundrechtliche Schutzpflicht verlangt nach schützenden Maßnahmen vor Lebensbeeinträchtigung.
Gesetzgeber steht weiter Gestaltungsspielraum zu. Pränatales Leben kann auch durch Beratungslösung geschützt werden, solange diese hinreichend effektiv.
Gericht zieht daraus u.a. folgende Konsequenzen:
Nur beratener Schwangerschaftsabbruch ist stets rechts-
6. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens widrig, auch wenn er vom Gesetzgeber straffrei gestellt werden darf („rechtswidrig, aber nicht strafbar“).
Dasein eines Kindes darf nicht als Unterhaltsschaden qualifiziert werden (anders 1997 erster Senat des BVerfG – BVerfGE 96, 375 ff.).
Kritik: BVerfG führt eigene Grundannahme (Lebens- und Würde-schutz des nasciturus) durch Vorgaben für Beratungskonzept ad absurdum. Vor allem Rechtswidrigkeitsverdikt bleibt nahezu folgenlos:
7. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens keine Nothilfe (§ 32 StGB) für nasciturus;
keine Unwirksamkeit (§ 134 BGB) des Arztvertrags;
Lohnfortzahlung auch während des Schwangerschaftsabbruchs;
bei Bedürftigkeit Anspruch auf Sozialhilfe;
Staat trägt für Beratungsverfahren volle Verantwortung;
Rechtspflicht zum Austragen des Kindes wird bei „Unzumutbarkeit“ aufgehoben (BVerfG akzeptiert damit medizinische, kriminologische, embryopathische und soziale Indikation als Rechtfertigungsgründe).
8. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens Aktuelle rechtswissenschaftliche Debatte:
Interessenorientierter Begründungsansatz (Überlebens-, Erlebens-interesse)
Biologisch-physiologischer Begründungsansatz (h.M.):
Würde- und Lebensgarantie stehen menschlichem Individuum unge-achtet seiner konkreten biologischen Charakteristika zu („Status aus-nahmsloser Gleichwertigkeit aller Lebenden“). Entscheidend: Wann beginnt menschliches Leben im biologischen Sinne? Streit besteht über Zeitpunkt des Lebensbeginns („Befruchtung“ oder Nidation?).
9. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens „Abstufbarer Lebensschutz“: Teilt Prämisse der h.M., will aber – je nach Entwicklungsfortschritt – Abstufungen des Lebensschutzes wegen Gesetzesvorbehalt (Art. 2 II 3 GG) zulassen.
Gesetzgeber: Leben beginnt mit Kernverschmelzung oder äquivalentem Entstehensakt (Zellkerntransfer) – Embryonenschutzgesetz (1990 – § 8 Abs. 1 ESchG) und Stamm-zellgesetz (2002 – § 3 Nr. 4 StZG).
10. B. Rechtlicher Status des pränatalen Lebens Inter- und supranationale Ebene:
Europäische Menschenrechtskonvention:
Vo v. France (2004): EGMR lässt Status des vorgeburtlichen Lebens aus-drücklich offen. Zivilrechtlicher Schutz ausreichend.
Evans v. UK (März 2006): Grundsätzlich haben EMRK-Mitgliedstaaten über Beginn menschlichen Lebens zu entscheiden.
EG-Recht: Gleiche Tendenz.
11. C. Prävention von Menschen mit Behinderung I. Recht auf Erzeugtwerden?
Ein solches Recht besteht nicht (unstreitig).
Menschen können aus freien Stücken auf Zeugung eines Kindes verzichten, wenn ihnen Risiko einer Behinderung zu groß erscheint.
Gesetzgeber darf medizinische Techniken verbieten, welche die Erzeugung behinderter Kinder zur Folge haben könnten (z.B. ICSI).
12. C. Prävention von Behinderungen II. Prävention von Behinderungen durch Eingriff in menschliche Keimbahn?
Keimbahntherapie = Verfahren zur permanenten Veränderung des Erbguts der Gameten (Ei- und Samenzellen) oder deren Vorläufer-zellen
Interessant für Prävention monogenetischer Erkrankungen oder Dispositionen (z.B. Cystische Fibrose, Chorea Huntington, Brust-krebs).
13. C. Prävention von Behinderungen II. Prävention von Behinderungen durch Eingriff in menschliche Keimbahn?
Hohes Fehlschlags- und Missbildungsrisiko – Übertragung auf Menschen nicht ohne Embryonenforschung möglich
Gesetzgeber verbietet deshalb gezielten Eingriff in Keimbahn (§ 5 ESchG), beruft sich aber nicht auf Verbot „positiver Eugenik“.
Auch international Keimbahnintervention verboten (Europarat, UNESCO).
14. C. Prävention von Behinderungen III. „Prävention“ von Behinderungen durch somatische Gentherapie?
Mangels Beherrschbarkeit werden pränatale genetische Therapien derzeit nicht praktiziert.
Rechtlich kein Unterschied zu Therapien am Geborenen.
Spezielle gesetzliche Grundlagen für (prä- oder postnatale) soma-tische Gentherapie fehlen.
Es gelten allgemeine arztrechtliche Vorgaben (Berufsordnungen – Deklaration von Helsinki, Beteiligung von Ethik-Kommissionen).
15. D. Selektion von Behinderungen I. Selektion im pränidativen Stadium?
Präimplantations- (PID) und Präfertilisationsdiagnostik (PFD)
Ob PID/PFD nach ESchG verboten, ist umstritten:
ESchG verbietet unstreitig diagnostische Verwendung totipotenter embryonaler Zellen („8-Zell-Stadium“) zur PID.
Für Diagnose an nicht-totipotenten Zellen oder am Polkörper Strafbarkeit aber umstritten.
PID wird durch Standesrecht ausgeschlossen und deshalb nicht praktiziert (vgl. MBO: „Verboten sind diagnostische Maßnahmen an Embryonen vor dem Transfer in die weiblichen Organe, es sei denn, es handelt sich um Maßnahmen zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener Erkrankungen im Sinne des § 3 ESchG.“)
16. D. Selektion von Behinderungen I. Selektion im pränidativen Stadium?
Als nicht verboten gilt hingegen PFD; sie wird in Deutschland praktiziert.
Konsens: Es bedarf gesetzlicher Regelung der PID/PFG („Fortpflanzungsmedizingesetz“).
Inhalt umstritten:
Wer pränidativen Embryo nicht für verfassungsrechtlich geschützt oder Schutz für abstufbar hält, kann für begrenzte Zulassung dieser Diagnosemöglichkeit („schwere Erbkrankheit“) eintreten.
Wer pränidativen Embryo für verfassungsrechtlich geschützt hält, muss kon-sequenterweise für Totalverbot der PID eintreten („Selektionsautomatismus“).
17. D. Selektion von Behinderungen II. Selektion im postnidativen Stadium
Pränataldiagnostik (PND) mit anschließender Abtreibung
Unterschied zur PID: kein „Selektionsautomatismus“; Früherkennung soll bestmögliche Behandlung der Schwangeren und des Ungeborenen – sei es intrauterin oder perinatal – ermöglichen.
18. D. Selektion von Behinderungen II. Selektion im postnidativen Stadium
Gesetzliche Regelung fehlt => PND voraussetzungslos zulässig (kein Wertungswiderspruch zum gesetzlichen Verbot der PID).
Praxis der PND momentan bestimmt durch:
„Mutterschafts-Richtlinie“ des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (12.7.2003);
BÄK-Richtlinie zur pränatalen Diagnostik von Krankheiten und Krankheitsdispositionen (21.1.2003).
Grundrechtlich höchst bedenklich, da:
19. D. Selektion von Behinderungen II. Selektion im postnidativen Stadium
von invasiven Methoden selbst Lebensgefährdung für Embryo bzw. Fetus ausgeht (Abortrisiko > 0,5 - 1%);
PND sich in erstes Schwangerschaftsdrittel verlagert, was „beratene“ Abtreibung erleichtert; Gesetzgeber duldet damit „embryopathische“ Indikation, obwohl 1995 explizit aufgegeben.
Indes: Nicht jeder diagnostizierte Defekt rechtfertigt Abtreibung:
indikationslose Abtreibung nach Beratung nur in ersten 12. Wochen p.c.;
20. D. Selektion von Behinderungen II. Selektion im postnidativen Stadium
danach Abtreibung nur noch bei „medizinisch-sozialer“ Indikation
(§ 218a II StGB); dies setzt Lebensgefahr oder Gefahr einer schwer-wiegenden körperlichen oder seelischen Beeinträchtigung des Gesundheits-zustands der Schwangeren voraus. Ferner darf keine zumutbare andere Ab-wendungsmöglichkeit bestehen.
Entgegen verbreiteter Annahme braucht Arzt Schwangere nicht zur PND zu drängen:
BGH (2002): Unterbleiben eines rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruchs kann bei ärztlichem Behandlungsfehler Arzt verpflichten, Eltern (gesamten) Unterhalts-aufwand für behindertes Kind zu ersetzen (BGH, NJW 2002, 2636).
21. D. Selektion von Behinderungen II. Selektion im postnidativen Stadium
OLG Hamm (2001): Medizinische Indikation nur bei schweren Schäden des Kindes denkbar (Fehlen linker Hand und der Hälfte des linken Unterarms nicht ausreichend). Behandlungsverträge über PND zudem nicht darauf gerichtet, jeden denkbaren kindlichen Schaden auszuschließen (OLG Hamm, NJW 2002, 2649).
OLG Hamm (2000): Auch „ältere“ Schwangere (37 Jahre) muss von Ärzten nicht zu PND gedrängt werden; sachliche Information ausreichend (OLG Hamm, NJW 2001, 3417).
OLG Düsseldorf (2002): Down-Syndrom rechtfertigt nicht per se medizinische Indikation (nur in gravierender Ausnahmesituation).
22. D. Selektion von Behinderungen II. Selektion im postnidativen Stadium
OLG Nürnberg (2002): Arzt muss nicht auf rechtlich zulässigen Schwanger-schaftsabbruch hinwirken; er muss lediglich objektiv und verständlich aufklären (Ausmaß der Schädigung bei einem Hydrozephalus) (OLG Nürnberg, ZfL 2002, 79).
KG Berlin (2002): Schutzzweck des Behandlungsvertrags erfasst ausschließlich Gesundheit der Mutter; Unterhaltsschaden für behindertes Kind braucht deshalb nicht gezahlt zu werden (= Gegenauffassung zum BGH, allerdings noch nicht rechtskräftig).
23. Fazit
Rechtlicher status quo trotz Weiterentwicklung gendiagnostischer Möglichkeiten und intensiver Lebensschutzdebatte seit 1995 unverändert.
Wenn überhaupt, nur „Politik der kleinen Schritte“ zu erwarten (z.B. Verbot der Spätabtreibung).