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Fallvorstellung. Extreme Hypothermie. Frank Kaiser. Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Helios Klinikum Erfurt. Situation bei Eintreffen des Notarztes. 71-jähriger Mann leicht bekleidet, in Decken eingewickelt somnolent bis soporös, GCS 8
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Fallvorstellung Extreme Hypothermie Frank Kaiser Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Helios Klinikum Erfurt
Situation bei Eintreffen des Notarztes • 71-jähriger Mann • leicht bekleidet, in Decken eingewickelt • somnolent bis soporös, GCS 8 • gezielte Abwehrbewegungen • hypoton RR 85/50 mmHg, Sinusrhythmus ca. 90 bpm • suffiziente Spontanatmung • BZ 61 mg% (physiologischer Bereich 70-120 mg%) • Körpertemperatur 26,6 °C axillär • kein Anhalt für Erfrierungen
Präklinische Versorgung • 2 venöse Zugänge • 20 ml Glukose 40% • 2000 ml Vollelektrolytlösung • 6 l Sauerstoff per Nasensonde • Monitoring • Nach Primärdiagnostik- und versorgung Einlieferung in das Notfallzentrum
Notfallzentrum • Vigilanz unverändert • kardiopulmonal unverändert • Körpertempertatur 27,1°C tympanal • keine äusseren Verletzungszeichen • auf eine bildgebende Diagnostik wird aufgrund der niedrigen Körpertemperatur verzichtet und der Patient auf die Intensivstation aufgenommen
Intensivstation 09:30 Uhr • Patient wird in NFZ-Bett belassen, um unnötige Manipulationen zu vermeiden • Körpertemperatur 28,8°C rektal • Patient suffizient spontanatmend, hypoton, tachyarrhythmisch • Auffällige Laborbefunde: Leukozyten 25,4 Gpt/l, Quick 33%, BE -5 mmol/l, Myoglobin 3946 µg/l, Blutalkohol < 0,1 Promill • Anlage eines Icy-Katheters zur internen Wiedererwärmung über Cool Gard-System • Anschliessende Erwärmung des Patienten mit 1,2°C/h auf 36,5°C • Volumensubstitution
Intensivstation 16:00 Uhr • Körpertemperatur 36,6°C (Blase) • Patient wach und adäquat • mit Wiedererwärmung spontane Konversion in Sinusrhythmus • mit Wiedererwärmung spontane Normalisierung der Gerinnungsfunktion (Quick 83%) • Demarkierung 1-2° Erfrierungen an den Akren • Durch kontinuierliche forcierte Diurese (Lasix-Perfusor und Urinausgleich) Abfall des Myoglobins von maximal 6834 auf 1423 µg/l am Folgetag
Normalstation Der Patient wurde 2 Tage nach Aufnahme mit adäquater Vigilanz und stabilen Vitalfunktionen auf die unfallchirurgische Station verlegt. Dort wurde für 3 Tage eine rheologische Therapie mit HAES-Infusionen durchgeführt und der Patient anschliessend nach Hause entlassen. Eine operative Therapie musste nicht durchgeführt werden.
Hypothermie/Unterkühlung Körperkerntemperatur sinkt unter 35°C Die akuten Folgen und Symptome einer Hypothermie werden in 3 Stadien eingeteilt
Schweregrad der Hypothermie • Mäßige Hypothermie: 35 – 32°C • Schwere Hypothermie: 32 – 28°C • Extreme Hypothermie: < 28°C
Pathophysiologische Veränderungen • Verminderung der Herzleistung • Herzrhythmusstörungen aller Art (Kammerflimmern ab Temperaturen von 34 – 32°C), u.a. abhängig von Elektrolytverschiebungen und metabolischen Veränderungen • Pupillenweite und –reaktion nicht aussagekräftig. Tiefe Hypothermie kann zu weiten, lichtstarren Pupillen führen • Hyperglykämie durch verminderte Freisetzung von Insulin und periphere Insulinresistenz • Störung der Thrombozytenfunktion TRAUMA • Störung der plasmatischen Gerinnung. Selten disseminierte intravasale Koagulopathie • Hypokaliämie • Relative Hypovolämie durch zunehmende Permeabilitätsstörung
Protektive Wirkung der Hypothermie • Reduktion des Metabolismus: Pro Grad Abfall der Körperkerntemperatur nimmt der Sauerstoffbedarf des Gehirns um 6-7% ab • Bei 28°C Körpertemperatur beträgt der Grundumsatz 50%, bei 20°C 20% des normothermen Grundumsatzes • Verringerte Glutamatfreisetzung • Membranstabilisierung • Verbesserte Aufrechterhaltung der Blut-Hirn-Schranke • Verbesserte Glukose-Utilisation des Gehirns • Weniger Produktion von Sauerstoffradikalen • Abschwächung der Endothelschädigung • Eingriff in die Arachidonsäurekaskade?? • Verzögerte Entleerung der energiereichen Phosphatspeicher
Temperaturmessung – welche Methode? • Die Körperkerntemperatur korreliert am engsten mit der Temperatur der Harnblase, des Bulbus jugularis sowie der A. pulmonalis • Die rektale Temperaturmessung wird ebenfalls als ausreichend angesehen (Abweichung bis 0,5°C) • Bei raschen Veränderungen der Körperkerntemperatur nimmt die Genauigkeit der rektalen Messung jedoch ab
Therapie der Hypothermie Wann und welches Verfahren?
Ziel ist die selektive Erwärmung des Körperkerns • Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad der Hypothermie • Die mässige Hypothermie verlangt keine spezifische Therapie.Die körpereigene Wiedererwärmung ist abzuwarten • Jede schwere und extreme Unterkühlung ist lebensgefährlich. Besonders bei Unterkühlung mit einer Körperkerntemperatur von < 32°C, Beeinträchtigung der Bewusstseinslage und Vitalfunktionen sowie Fehlen von Kältezittern, ist eine intensivmedizinische Überwachung und Therapie erforderlich
Präklinische Versorgung von Unterkühlten/allgemeine Prinzipien • Der Patient ist vor weiterer Auskühlung zu schützen • Dem Unterkühlten ist jede körperliche Aktivität zu untersagen. Passive Bewegungen sind auf ein Minimum zu beschränken • Der Patient soll horizontal gelagert werden
Bergungstod/Afterfall Die Körperkerntemperatur fällt nach der Rettung erfahrungsgemäss weiter ab. Durch Lagerung/Manipulationen kann es durch eine Umverteilung von kaltem peripheren Blut nach zentral zu einem plötzlichen Temperaturabfall kommen.
Präklinische Versorgung • Nach der Rettung/Bergung Sicherung der lebenswichtigen Funktionen • Strenge Indikationsstellung für medikamentöse Therapie unterhalb einer Körperkerntemperatur von 30°C. Aufgrund von Vasokonstriktion und vermindertem Zellstoffwechsel ist die Empfindlichkeit gegenüber Medikamenten nicht vorherzusehen. Gefahr der Überdosierung bei Wiedererwärmung. CAVE: Katecholamine unter Reanimation
Präklinische Versorgung • Kardiopulmonale Reanimation wird bis zur definitiven Versorgung in der Klinik nicht unterbrochen. • Antiarrhythmika und elektrische Kardioversion sind in der Regel bei Körpertemperaturen < 30°C unwirksam.
Wiedererwärmungsmethoden • Hibler-Kompresse: • 2 Wolldecken überlappend nebeneinander, aluminiumbeschichtete Rettungsdecke, 2 Wolldecken • Patient in Rücken-oder Seitenlage • Leintuch zu einem ca. 30x40 cm großen Polster falten • Tränken mit heißem Wasser • Polster auf das Hemd des Patienten in Brust-Bauch-Region • Schichtweisses Einwickeln des Patienten in vorbereitete Wolldecken/Rettungsdecke • Warmwasservollbäder: in Deutschland nicht mehr empfohlen
Die mit der externen Erwärmung einsetzende periphere Vasodilatation kann eine bestehende Hypovolämie bis hin zum hypovolämischen Schock demaskieren. Die Gefahr eines „After-drop-Phänomens“ und eine Gewebeschädigung durch lokale Wärmeeinwirkung sind beschrieben. Aus diesem Grund werden externe Wärmeanwendungen nur unter Vorbehalt empfohlen.
Hypotherme Patienten, die komatös bzw. reanimationspflichtig aufgefunden werden, sollten nicht über 32-34°C erwärmt, sondern für 12-24 Stunden auf diesem Niveau gehalten werden. Erst danach erfolgt eine langsame Erwärmung auf Normaltemperatur.
Interne Wiedererwärmungsmethoden • Thorakotomie mit Warmwasserspülungen • Hämodialyse • Peritonealdialyse (auch präklinisch anwendbar) • Extrakorporale Zirkulation Erwärmungsrate von 3-10°C möglich • Uneffektiv sind angewärmte Infusionen, Warmwasserspülungen im Ösophagus,Magen,Darm sowie Warmluftinhalation
Katheterverfahren • Wärmetauscher: Temperaturkontrollierte Infusionslösungen fliessen in einem geschlossenen Kreislauf durch am Katheter angebrachte Kammern • Vorteil: - sehr schnelle und präzise Temperaturregulation - geringer Arbeitsaufwand • Nachteil: - hoher Preis - Invasivität
Katheterverfahren-COOL Gard 3000 Intravaskuläres System zum Kühlen und Erwärmen von Patienten
Funktionsprinzip • Temperatur überwachte Kochsalzlösung (0°-42°) durchläuft ständig rezirkulierend die Ballons auf einem Spezialkatheter. An diesen Ballons findet der kontrollierte Wärmeaustausch über das vorbeiströmende Blut des Patienten statt. Das System bietet die Möglichkeit, die Zieltemperatur des Patienten einzugeben. • 0,05°-1,2°/h
Katheter • Icy-Katheter mit 3 Ballons. Leistungsfähige Temperaturregulation- und kontrolle und zentralvenöser Zugang • Cool Line-Katheter mit 2 Ballons. Mehrere Infusionslumen
Die Prognose Schwerstunterkühlter wird oft unterschätzt • „No one is dead, until warm and dead“ • Reanimationsmaßnahmen bis Körpertemperatur > 33°C • Einzelne Fallberichte: Lange Reanimationszeiten (bis zu 5,5 Stunden), Körperkerntemperatur von 13,7°C, Submersionszeit von 66 Minuten und Kreislaufstillstandszeit von über 4 Stunden wurden mit gutem neurologischen Ergebnis überlebt