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Roman Sandgruber Von der Krise in den Krieg. Fortbildungsveranstaltung Münzkirchen 12.5.2009. Demokratie.
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Roman SandgruberVon der Krise in den Krieg Fortbildungsveranstaltung Münzkirchen 12.5.2009
Demokratie • Mit der Ausrufung der Republik Österreich am 12. November 1918 war die Ausweitung des Allgemeinen Wahlrechts auf Frauen und die Änderung von einem Mehrheitswahlrecht, in welchem in jedem Wahlkreis ein Abgeordneter ermittelt wurde, zu einem Proportionalwahlrecht verbunden. • Parteipolitisch traten sich die Arbeiterbewegung – repräsentiert durch die Sozialdemokratie – und das äußerst heterogene bürgerliche Lager – die Christlichsoziale Partei, die Legitimisten, die deutschnationalen Parteien, vom Landbund über die Großdeutschen bis zu den Nationalsozialisten, sowie die autoritär-faschistisch orientierte Heimwehrbewegung – in unüberbrückbarem Gegensatz gegenüber.
Revolution, Rätebewegung, Sozialgesetze • „Ende des Feudalismus“: Die Aristokratie war der größte Verlierer des Zusammenbruchs der Habsburger Monarchie. Mit Gesetz vom 3. April 1919 wurden alle Vorrechte des Adels abgeschafft. Das Führen von Wappen und Adelstiteln wurde verboten. Die berühmte Antwort des Grafen Sternberg auf seiner Visitenkarte war: “Geadelt von Karl dem Großen, entadelt von Karl Renner.” • Die Rätebewegung: • 8. März 1917: Russische "Februarrevolution" (= 23. Februar julianischen Kalenders): • 7. November 1917: Russische "Oktoberrevolution": Sturm auf das Winterpalais, Sturz der bürgerlich-republikanischen "provisorischen Regierung"; Ausrufung der "Sowjetrepublik" durch den II. Gesamtrussischen Kongreß der Arbeiter- und Soldatendeputierten; Bildung einer Regierung unter der Bezeichnung "Rat der Volkskommissare" (Vorsitzender Wladimir Iljitsch Lenin). • ungarische Räterepublik (März – Juli 1919) • bayerische Räte (Frühjahr 1919) • Österreichische Rätebewegung (Arbeiter-, Bauern-, Bürger-, Schüler-, Konsumentenräte...); Nationalräte statt Abgeordnete, Betriebsräte statt „Vertrauensmänner“; Wehrverbände... • Österreichische Sozialpolitik:Achtstundentag, Arbeitslosenversicherung, Arbeiterurlaub, Betriebsräte, Arbeiterkammern, Mieterschutz, Verbesserung des Kollektivvertragsrechts und des Jugend- und Frauenschutzes ... • Österreich: Sozialisierung oder Verstaatlichung? • Drei Sozialisierungsgesetze • Konzepte der Drittelparität (Staat, Arbeiter, Konsumenten)
Die Parteien der Zwischenkriegszeit • Die größte Partei war die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Der Anstieg ihrer Mitgliederzahlen setzte schon im Krieg ein: nach Kriegsende erreichte sie über 330000, und 1929, am Höhepunkt, mit mehr als 650000 die weitaus höchste Mitgliederdichte in ganz Europa, dies vor allem in Wien, dessen Landesorganisation die größte Parteiorganisation der Welt war. Mit 400000 Parteimitgliedern war etwa ein Viertel der Wiener Bevölkerung erfasst, 47 Prozent der Wiener Arbeiter waren Anfang der dreißiger Jahre sozialdemokratisch organisiert, drei Viertel der Mitglieder waren Arbeiter, mehr als 80 Prozent der Arbeiter wählten sozialdemokratisch. • Die Christlichsoziale Partei war bereits 1918 stark bündisch orientiert. Bauernbünde, Christliche Arbeiterbewegung, Teile der katholischen Beamtenschaft und des Kleingewerbes • Großdeutsche Volkspartei: 1930 etwa 65000 Mitglieder, vor allem unter Lehrern und Beamten • Landbund für Österreich: nationale Bauern • Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei: nationalen Gewerkschaften, etwa beim Deutschen Handelsgehilfenverband; Das Auftreten Hitlers in Deutschland spaltete die österreichische Partei 1926 in mehrere Richtungen, eine Hitlerbewegung und zwei stärker österreichische orientierte. Erst in den dreißiger Jahren setzte der Zuwachs ein • Heimwehr
Der Austromarxismus • Der Austromarxismus brachte bedeutende Theoretiker hervor: • Victor Adler, der am Vorabend der Republiksausrufung verstorben war, • Rudolf Hilferding, der 1877 in Wien geboren, 1907 bereits nach Deutschland übersiedelte und 1941 in Paris in Gestapo-Haft umkam, • Karl Kautsky (1854-1938), der ab 1920 wieder in Wien lebte und 1938 nach Holland flüchtete, • Otto Bauer (1881-1938), der wichtigste theoretische Kopf der Sozialdemokratie, der 1934 in die Tschechoslowakei flüchtete und 1938 in Paris verstarb, • Friedrich Adler (1879-1960), der durch das Attentat auf Ministerpräsident Graf Stürgkh am 21. Oktober 1916 im Hotel Meißl & Schadn zum Helden der internationalen Arbeiterbewegung aufgerückt war und bis 1940, bis zu ihrer Auflösung, als Sekretär der 2. Internationale fungierte, dann in die USA ins Exil ging und 1945 nicht mehr nach Österreich zurückkehrte, und • Max Adler (1873-1937), der in Verbindung mit dem Neukantianismus eine sozialistische Lebens- und Kulturlehre formulierte. • Was die österreichische Sozialdemokratie kennzeichnete, war der Ernst des gesellschafts- und kulturpolitischen Auftrags, • Arbeiterbildung durch Volkshochschulen und Arbeiterbibliotheken • Fest- und Sportkultur (Arbeitersänger, Arbeitersymphonieorchester), • Vereinswesen, vom ASKÖ, den Naturfreunden, den Arbeiterabstinenten, den Anhängern der Freikörperkultur über die Arbeiter-Radfahrer, Arbeiter-Photographen, Arbeiter-Amateurfunker und die Organisierung der Frauen, Kinder und Jugend bis zu den Freidenkern und Anhängern der Feuerbestattung („Die Flamme“) erstreckte. Esperanto, Schach, Briefmarkensammeln, Kleingärten, Fischen, Flugsport,
Drei Säulen der Sozialdemokratie • Die Sozialdemokratie stützte sich auf die drei Säulen • Partei, • Gewerkschaft und • Genossenschaften, auf die Konsumgenossenschaften und die Siedlungsgenossenschaften. • Von den österreichischen Parteien hatte die SDAP den größten Besitz an Unternehmen: • Konsumvereine und Großeinkaufgesellschaften, Brot- und Papierfabriken, Druckereien, Zeitungen, die Arbeiterbank.
Ignaz Seipel (1876-1932) • Die bedeutendste Persönlichkeit unter den zwölf Bundeskanzlern, die die Erste Republik in den kaum zwanzig Jahren ihres Bestehens zählte. • Für seine Gegner der Prälat ohne Milde, für seine Sympathisanten ein Priester und Sanierer der Seelen, für wohlwollende politische Beobachter die bedeutendste Persönlichkeit, die die christlichsoziale Partei in der Ersten Republik hervorgebracht hatte, für Kritiker ein gewievter Taktiker. • Sohn eines Wiener Fiakerkutschers und späteren Hausmeisters,von 1909 bis 1917 als Professor für Moraltheologie in SalzburgAm 1. 6. 1924 war er durch das Attentat eines Arbeiters schwer verletzt worden und vier Monate im Spital. Seit dem 37. Lebensjahr war er zuckerkrank, eine Kugel des Attentats verblieb in einem Lungenflügel, 1930 meldete sich die Tuberkulose. • Im Oktober 1918 unter Heinrich Lammasch war er Minister für Soziale Fürsorge und formulierte für Kaiser Karl die Abdankungsurkunde.Als Bundeskanzler führte er fünf Regierungen in den Jahren 1922-1924 und von 1926-1929. 1930 war er noch kurzzeitig Außenminister. • Seine wichtigste Leistung war die Sanierung der österreichischen Währung im Jahr 1922 mit Hilfe einer Anleihe des Völkerbundes.
Stabilisierung und „Goldene 20er Jahre“ (?) • Die „Goldenen 20er Jahre“ fanden in Österreich nicht statt • Die Stabilisierung • Geldstabilisierung von außen abgestützt, auf deren Basis dann eine Steuerreform und Sanierung des Staatshaushalts durchgeführt werden konnte. • „Genfer Sanierung“ 1922 • Einführung des Schillings 1924: 1 S = 10000 K • Kapitalarmut und Bankenkrise • Hohes Zinsniveau als Folge der Hyperinflation und Vernichtung der Geldkapitalien • Die Banken: Beibehaltung der Aktivitäten im Donauraum oder Beschränkung auf Österreich? • Liberaler Außenhandel oder Protektionismus? • Bankenproblematik: Überhang an Banken, Ausdünnung der Eigenkapitalbasis, viele faule Kredite, kurzfristiges Geld langfristig verliehen. • Die Rationalisierung • Taylorismus, Fließband, Rationalisierung: in Österreich vergleichsweise wenig durchgesetzt. • Neue Produkte: Elektrifizierung und Elektrogeräte, Radio und Film, Automobil, Flugzeug, ...
Das Trauma der Weltwirtschaftskrise (1929 - 38) • Die Weltwirtschaftskrise, die sich in Österreich aus strukturellen und aus wirtschaftspolitischen Gründen als besonders hartnäckig darstellte, als • Die Industriekrise • Arbeitslosigkeit • Die Krise der Bauwirtschaft: • Wohnbau • Infrastrukturbauten... • Die Agrarkrise • Weltweite Überschüsse • Innerösterreichische Probleme der Agrarproduktion • Reagrarisierung oder Industrialisierung? • Die Börsen- und Bankenkrise • Schwarzer Donnerstag: 24. Oktober 1929: New Yorker Börsenkrach • Bankenkrach: Versuch der Lösung durch Fusionen und Übernahmen: Krise der Bodencreditanstalt 1929; Krise der Credit-Anstalt 1931 • Staatliche Stützung • Die Tourismuskrise • Kaufkraftrückgang • Die Weltwirtschaftskrise verschärfte die Lagermentalität und die sozialen und politischen Gegensätze und Gewalttätigkeiten und trieb viele in die Arme der Nationalsozialisten. • Die Weltwirtschaftskrise förderte den Ruf nach dem Führer, dem starken Staat, der „Demokratie der Tat“...
Finanzkrise 1929/2008 • Was wir von den Anfängen der Finanzkrise des Jahres 2008 bislang erlebt haben, ist recht ähnlich dem, was sich im Jahr 1929 ereignet hat. Beide Male, 1929 und 2008, war die Krise im Oktober, im Finanzbereich ausgebrochen: Wir stehen, sinnbildlich, erst am Ende des Jahres 1929. Die damalige Wirtschaftskrise erreichte ihre Höhepunkte im Jahr 1931 und 1932 und dauerte in Österreich mindestens bis zum Jahr 1937, in den USA oder in Norwegen sogar bis 1939. • Die Aktien an der Wiener Börse stürzten 2008 viel stärker als 1929: Der Wiener Aktienindex verlor 2008 mehr als 60 Prozent. 1929 reagierte die Wiener Börse vorerst recht wenig auf die internationale Krise, obwohl mit der Krise der Bodencreditanstalt am 5. Oktober 1929 die erste große Erschütterung von Wien ausgegangen war. Der Wiener Aktienindex lag 1928 bei 112,0, im Jahr 1929 bei 109,9, fiel 1930 auf 99,6. Der Tiefststand wurde erst 1933 mit 53,5 erreicht. Dann ging es langsam aufwärts. 1937 wurde mit 113,8 erstmals das Niveau von 1929 wieder überschritten. • Auf die Realwirtschaft hatte die Krise im Jahr 1929, ähnlich wie im Jahr 2008, noch recht wenig übergegriffen. Das Jahr 1929 war jenes Jahr in Österreich, in welchem das höchste Bruttosozialprodukt der gesamten Zwischenkriegszeit erwirtschaft worden war. Das BIP, das in Österreich 1929 noch um 1,4 Prozent gewachsen war, nachdem 1928 ein Wachstum von 4,6 und 1927 von 3,0 Prozent erreicht worden war, sank 1930 um 2,8 Prozent, 1931 um weitere 8,0 Prozent und 1932 noch einmal um 10,3 Prozent. Erst 1934 konnte wieder ein Wachsrum erreicht werden: 0,9 Prozent. 1937, im Jahr vor dem Anschluss, wuchs die österreichische Wirtschaft um 5,3 Prozent.
Ursachen für die besondere Härte der Weltwirtschaftskrisein Österreich • Erstens die langfristigen und strukturellen Folgen des Zerfalls des gemeinsamen Wirtschafts- und Handelsraumes der Habsburgermonarchie mit ihren generell negativen und für das ehemalige Zentrum der Habsburgermonarchie, die spätere Republik Österreich, besonders nachteiligen Auswirkungen. • Zweitens die den Krieg und den Zerfall des gemeinsamen Wirtschaftsgebietes begleitende und seine Folgen verschärfende Hyperinflation mit den nach der Stabilisierung sich ergebenden extrem hohen Zinssätzen, die die Investitionsbereitschaft lähmten. • Drittens der fast völlige Zusammenbruch des Außenhandels und damit der außenwirtschaftlichen Arbeitsteilung in Mitteleuropa. • Viertens die nicht abreißende Kette von Bankenzusammenbrüchen und die damit verbundene Kapitalvernichtung, die die Handlungsspielräume extrem eng machte. Der drohende Zusammenbruch der Bodencreditanstalt am 5. Oktober 1929 konnte nur durch eine Fusion mit der Creditanstalt aufgeschoben werden. 1931 brach die mühsam gekittete Hilfskonstruktion. Die Creditanstalt konnte nur durch staatliche Hilfsmaßnahmen, die der Höhe nach fast ein ganzes Bundesbudget in Anspruch nahmen, gerettet werden. • Fünftens die Folgen der politisch-wirtschaftlichen Pressionen, die von Deutschland aus auf Österreich ab dem Jahr 1933 ausgeübt wurden. • Sechstens auch die Auswirkungen der österreichischen Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik, die kurzfristig wenig Erfolge zeigte und langfristig ihre Bewährungsprobe nicht antreten konnte. • Siebtens wohl auch der Umstand, dass das Land innenpolitisch nicht zur Ruhe kam und der Versuch zur Bildung einer Konzentrationsregierung, wozu Ignaz Seipel im Juni 1931 vom Bundespräsidenten beauftragt worden war, fehlschlug und das gegenseitige Misstrauen der Parteien immer größer wurde.
Erklärungenfür die Weltwirtschaftskrise • Weltwirtschaftskrise als Folge • der Destabilisierung der Weltwirtschaft und der österreichischen Wirtschaft durch den Ersten Weltkrieg • den Zerfall der Habsburgermonarchie • die Behinderung des freien Welthandels • Weltwirtschaftskrise als Folge der Eingriffe der Politiker in die freie Wirtschaft: • durch die planwirtschaftlichen Elemente aus dem Weltkrieg, • die "sozialen Lasten" aus dem "Sozialboom" nach Kriegsende, • Ausschaltung des Marktes mit entsprechender Starrheit der Löhne nach unten, durch Subventionen und Zölle..., • Ruf nach "starken Männern" und nach "starkem Staat", auch und besonders auch von Seiten der Liberalen, etwa Ludwig von Mises oder Oskar Morgenstern. • Weltwirtschaftskrise als Konjunkturphänomen: Zusammentreffen der Abschwungphase eines Kondratieff-Zyklus und der Abschwungphase eines Juglarzyklus • Weltwirtschaftskrise als Strukturkrise des Kapitalismus: Weltwirtschaftskrise als Ausdruck des „langfristig unausweichlichen“ Zusammenbruchs des Kapitalismus
Strategiender Bekämpfung • Liberale Strategien:Krise als "Kalte Dusche", aus der man gestärkt hervorgehe: Eine antizyklische Wirtschaftspolitik würde den Wettbewerb verzerren und den Wiederaufschwung hinauszögern. Es würden die Symptome, nicht die Ursachen kuriert. • Konservative Strategien: Interventionen, die Gegeninterventionen auslösten: • Abwertung – Abwertungswettlauf • Zollerhöhungen – Retorsionszölle • Importbeschränkungen, Reisebeschränkungen... Devisenbewirtschaftung - Außenhandelsbewirtschaftung, protektionistische Politik • nationale Lösungen, Kompensationsgeschäfte, Clearingsysteme: dramatische Reduktion des Welthandels • Staats- und planwirtschaftliche Strategien: Sowjetunion, Französische Volksfrontregierung • Keynesianische Strategien: John Maynard Keynes (1883-1946); 1935 erscheint die „General Theory“ • New Deal, USA; • Japanischer Präkeynesianismus, • Nationalsozialistische Beschäftigungspolitik; • Schwedischer Keynesianismus, • Französische Volksfrontpolitik
Tabakfabrik Linz • Peter Behrens und Alexander Popp
Industriekrise in Oberösterreich • Der Industrialisierungsgrad Oberösterreichs war noch gering: Nur etwa 10 Prozent der oberösterreichischen Bevölkerung waren der Industrie zuzurechnen. Von der österreichischen Industrie entfielen nur etwa 10 Prozent auf Oberösterreich. • Aber in Oberösterreich waren krisenempfindliche Branchen besonders stark vertreten: die Automobilfabrikation in den Steyr-Werken, der Schiffsbau mit der Linzer Schiffswerft, die Lokomotiverzeugung mit der Linzer Lokomotivfabrik Kraus. Die mächtige Sensen- und Sichelindustrie des Landes litt nicht nur unter der Konkurrenz der immer wichtiger werdenden Mähmaschinen, sondern auch unter dem Wegfall des großen russischen Marktes, der 1929 von Stalin für österreichische Sensenexporte gesperrt worden war. Die vielen Granitsteinbrüche und Ziegelwerke spürten den Zusammenbruch der Baukonjunktur. • Von 1929 bis 1934 verringerte sich die Zahl der Beschäftigten in der oberösterreichischen Industrie um 41 Prozent. • Der Beschäftigtenabbau bei den Steyr-Werken war dramatisch: von 6648 im Jahr 1929 auf 969 im April 1934. Das Messingwerk Reichraming wurde bereits 1928 stillgelegt. Die vollständige Verlagerung der Reifenwerke Reithoffer von Steyr nach Traiskirchen und Wien. Die Linzer Schiffswerft entließ mehr als 500 ihrer 636 Beschäftigten. Die Lokomotivfabrik Krauß & Co., die nach dem Ersten Weltkrieg durch sehr erfolgreiche Serien von Elektro- und Dampflokomotiven hervortrat, wurde völlig unerwartet am 1. August 1930 um 9 Uhr früh stillgelegt. Die Lage der Sensen- und Messerindustrie war verzweifelt, ebenso wie die der gesamten Eisen- und Metallindustrie. Die Liste ist lang: die Österreichische Bamag-Büttner-Werke AG in Linz, die Baumwollspinnerei Rädler, die Welser Lederwerke Adler AG der Brüder Falkensammer, die Koloseus-Herdfabrik/Wels, die Welser Maschinenfabrik und Eisengießerei Ludwig Hinterschweiger & Co, die Velourhutfabrik Carl Blum, die Büromöbelfabrik Hobeg, die Deckenfabrik Wilhelm Weinzierl, die "Titania"-Werke und die Seifen-, Kerzen- und Fettwarenfabrik Henry.
"Täglich kommen 15 bis 20 Arbeitslose in den Pfarrhof betteln“ Pfarrer Anton Pichler, Pfarrchronik von Kollerschlag, 1932.
Das „rote“ Steyr • "Das wirtschaftliche Leben dieser Stadt mit ihren rund zweiundzwanzigtausend Einwohnern ist auf Gedeih und Verderb mit einem einzigen Unternehmen verknüpft: der früheren Waffenfabrik, die seit dem Kriegsende Kraftfahrzeuge erzeugt! Was Steyr sonst noch an Unternehmen ausweist, ist völlig bedeutungslos.“ (Karl Honay, Sekretär des Deutschösterreichischen Städtebundes, 1928)
Steyr – ärmste Stadt Österreichs • Steyr wurde zum Symbol der Weltwirtschaftskrise. Es war zu einer der "ärmsten Städte der Republik" geworden. Ende 1931 war rund die Hälfte der Steyrer Bevölkerung auf Arbeitslosenunterstützung und andere öffentliche Fürsorge angewiesen. Die politischen und sozialen Gegensätze der Zwischenkriegszeit prallten gerade hier mit besonderer Härte auf einander. • Vom Jahr 1929 bis zum Tiefpunkt im Jahr 1934 verloren in Oberösterreich mehr als 48000 Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz, davon rund 43000 in Industrie und Gewerbe. Bei der Volkszählung am 22. März 1934 bezeichneten sich 58870 Personen als arbeitslos, um 22929 mehr, als zu dieser Zeit als arbeitslos unterstützt wurden und um 20723 mehr, als vorgemerkt waren. Im oberösterreichischen Durchschnitt waren Ende März 1934 33 Prozent aller nichtlandwirtschaftlichen Erwerbstätigen ohne Arbeit, in Linz 26,6 Prozent, in Steyr 41 Prozent. • Die Depression stand im Zeichen eines dramatischen Verbrauchsrückgangs, der sich am drastischsten am mehr als halbierten Bierkonsum ablesen ließ. Das wirkte sich auf die Nachfrage nach Most aus: Die Arbeitslosen oder Ausgesteuerten, und nicht nur diese, tranken im Gasthaus oder bei einem Bauern ”a Seitl Most, dass net vü kost‘”. Das Hauptproblem waren die sinkenden Masseneinkommen, die hohen Zinsen und die deflationäre Tendenz, die die Wirtschaft erfasst hatte. Nach 1934 besserte sich die Lage zwar allmählich. Doch im Jahre 1937 warteten einschließlich der "Ausgesteuerten", deren Zahl man auf über 20000 schätzte, in Oberösterreich immer noch etwa 50000 Menschen auf Arbeit.
Steyr hungert • "Steyr, das ist heute die Stadt der Not, des Elends, der Armut und des bittersten Jammers. Für einen Großteil der Bevölkerung ist Steyr Vaterstadt gewesen, ein unbarmherziges Schicksal treibt zahlreiche Steyrer in die Fremde. Das Gespenst einer Dauerarbeitslosigkeit breitet sich über die Stadt ...“ (Der Steyrer Bürgermeister Sichlrader in seiner Begrüßungsrede für Bundeskanzler Schober am 29. März 1930)
Die Folgen der Wirtschaftskrise • Der Aufstieg des Nationalsozialismus und die Anschlussproblematik • Beschäftigungspolitik oder Stabilisierungspolitik? • Deutschland, Italien oder Donauraum? • Politische Konflikte • Ruf nach „Führern“, „starken Männern“ und Diktatur („Demokratie der Tat“) • Ausschaltung des Parlaments und Einführung der Diktatur • Bürgerkrieg (Februar 1934) und nationalsozialistischer Juliputsch (Juli 1934) • Vaterländische Front - Heimwehr – Nationalsozialismus • Der Weg zum Anschluss
NSDAP in Oberösterreich • 1932 verlegte die gesamtösterreichische Führung der NSDAP ihren Hauptsitz und ihr Führungszentrum nach Linz. Ihre Aktivitäten verstärkten sich. Der Linzer Diözesanbischof Johannes Maria Gföllner studierte das Parteiprogramm der NSDAP sorgfältig und nahm in einem Hirtenbrief vom 21. Jänner 1933 öffentlich gegen den Nationalsozialismus und dessen Programm Stellung. Dieser Hirtenbrief gilt als erstes kirchliches Dokument, das eine scharfe und umfassende Verurteilung des nationalsozialistischen Gedankengutes enthält. Gleichzeitig ist dieser Hirtenbrief leider auch ein Zeugnis eines tiefgreifenden kirchlichen Antisemitismus. • Die NSDAP erreichte in Oberösterreich bei den Nationalratswahlen 1930 nur 2,5 Prozent der Stimmen und bei den Landtagswahlen 1931 magere 3,5 Prozent und verfehlte damit sowohl den Einzug in den Nationalrat wie auch in den Landtag. Die Christlichsoziale Partei hatte 1931 mit 52,4 Prozent der Stimmen ihr bestes Landtagswahlergebnis in der Zwischenkriegszeit erreicht, während der austrofaschistische Heimatblock nur 4,1 Prozent erhielt. • Die beiden großen politischen Lager, die Christlichsozialen und die Sozialdemokraten, zerfleischten sich im Bürgerkrieg. Der Ausweg in die ständestaatliche Diktatur und die viel zu langsam kommende wirtschaftliche Erholung begünstigten die Erwartungen an den Nationalsozialismus. Es hatte sich ganz generell eine radikalisierte Denkweise aufgebaut, die es den Nationalsozialisten so leicht machte, 1938 für den Anschluss eine so breite Akzeptanz zu erhalten.
Der Weg zu Diktatur und Bürgerkrieg • Mit diktatorischen Modellen war in allen politischen Lagern kokettiert und argumentiert worden. • Die Sozialdemokraten hatten sie als Ausweg in ihrem Parteiprogramm. • die Christlichsozialen kokettierten im Ministerrat immer wieder damit. • die Heimwehr hatte sich im Korneuburger Eid darauf eingeschworen. • und die Nationalsozialisten betrachteten den Weg in die Parlamente sowieso nur als Umweg, um die Demokratie zu zerstören. • Der Völkerbund gab immer wieder Auflagen, die einer Teilentmachtung des Parlaments gleichkamen. • Die politischen Handlungsspielräume • Abstimmungspatt im Parlament und Rücktritt der drei Präsidenten als Vorwand • Ruf nach Neuwahlen als Ausweg oder Verhinderung von Wahlen angesichts eines möglichen Wahlsieges der Nationalsozialisten? • Der Bürgerkrieg am 12. Februar 1934 und die Perspektiven der Bürgerkriegsgegner • Auswirkungen für die weitere Entwicklung in Österreich
Fürst Ernst RüdigerStarhemberg in Heimwehruniform1936 • Rüdiger Starhemberg (1899-1956)
Der Bürgerkrieg • Kein Ereignis der österreichischen und oberösterreichischen Geschichte spaltet die öffentliche Meinung und auch die der Historiker bis heute mehr als der Bürgerkrieg vom 12. bis 15. Februar 1934, der in ganz Österreich etwa 300 Todesopfer forderte. Die Kämpfe wurden auf beiden Seiten mit großer Erbitterung geführt. Die Justiz der Sieger war mehr von Rache als von Vernunft getragen. • Dem offenen Kampf vorausgegangen war die schrittweise Auflösung der Demokratie und Zunahme der Gewaltbereitschaft in Österreich. In der im Herbst 1929 mit voller Wucht herein gebrochenen Wirtschaftskrise verschärften sich die sozialen und politischen Gegensätze. Militante gab es auf allen Seiten, in der Heimwehr und bei den Christlichsozialen, bei den Sozialdemokraten und im Schutzbund, vor allem aber bei den Nationalsozialisten. Mit diktatorischen Modellen war in allen politischen Lagern kokettiert und argumentiert worden. • Der Versuch zur Bildung einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten, wozu Ignaz Seipel im Juni 1931 vom Bundespräsidenten beauftragt worden war, schlug fehl. 1932 wurde Engelbert Dollfuß Bundeskanzler und Außenminister. Dollfuß war nie Parlamentarier. Er polarisiert bis heute: Märtyrer oder Arbeitermörder, Wegbereiter des Untergangs oder erstes Opfer Österreichs im Kampf gegen Hitler, Diktator oder Utopist, Totengräber der Demokratie oder Erfinder der Sozialpartnerschaft, großartiger Redner oder kleiner Faschist? Er war wohl von allem etwas. • Am 4. März 1933 wurde das Parlament durch einen Formalakt ausgeschaltet und der Sozialdemokratie immer mehr die wirtschaftliche und politische Basis entzogen.
Die Auslösung in Oberösterreich • Dass der Bürgerkrieg ausgerechnet in Oberösterreich ausgelöst wurde, ist eigentlich überraschend. Denn Oberösterreich war jenes Bundesland, das bis 1934 am ehesten von einem Weg des Konsenses und der Kooperation der großen politischen Lager gekennzeichnet gewesen war. • 1927 waren innerhalb eines halben Jahres die beiden großen, auf Ausgleich bedachten Landespolitiker gestorben, der langjährige christlichsoziale Landeshauptmann Prälat Johann Nepomuk Hauser und der sozialdemokratische Linzer Bürgermeister Josef Dametz. Auch Hausers Nachfolger als Landeshauptmann Dr. Josef Schlegel war ein entschiedener Vertreter der Demokratie. Noch am 30. November 1933 war das Landesbudget für 1934 von allen Parteien einstimmig beschlossen worden. Am 14. Dezember 1933 trat der Landtag zum letzten Mal in der demokratisch gewählten Zusammensetzung zusammen. • Doch die Polarisierung der politischen Lager war auch in Oberösterreich nicht aufzuhalten. Das Vorgehen der Heimwehr und der von Wien aus gelenkten Polizei gegen Institutionen der Sozialdemokratie wurde immer schärfer. • Richard Bernaschek, der Führer des Republikanischen Schutzbundes in Oberösterreich und stellvertretender Landesparteisekretär, wollte dies nicht weiter hinnehmen. Ohne Wissen des Landesparteivorstandes, wohl aber nach brieflicher Verständigung der Wiener Parteiführung, gab er am 11. Feber den Beschluss zum gewaltsamen Widerstand im Falle einer Waffensuche oder Verhaftung von Vertrauensleuten der Partei oder des Schutzbundes aus. Die Wiener Parteiführung war entsetzt und befahl, den Einsatzplan aufzuschieben. Der entsprechende Telefonspruch wurde abgehört. • Als am nächsten Morgen eine Hausdurchsuchung der Polizei in der sozialdemokratischen Parteizentrale im Hotel Schiff angesetzt war, begann der Kampf. Bernaschek wurde mit einem Großteil der Führungsgarnitur verhaftet. Ein MG-Schütze des Schutzbundes eröffnete das Feuer.
Bürgerkrieg in Oberösterreich • Etwa 6000 bis 8000 Schutzbündlern und Sympathisanten, von denen sich nur ein kleiner Teil aktiv am Kampf beteiligte, standen in Oberösterreich etwa 14000 Mann aus Bundesheer, Polizei, Gendarmerie und Heimwehr gegenüber. • Die Linzer Hauptschauplätze waren neben dem Hotel Schiff das Parkbad, die Eisenbahnbrücke, der Jägermayrhof, die Spatenbrotwerke, der Städtische Wirtschaftshof, die Feuerwehrschule, die Polizeikaserne am Kaplanhof, das Gaswerk, das Südbahnhofgelände und die Diesterwegschule. Neben Linz waren Steyr und das Hausruck-Kohlenrevier die Zentren des Aufstands. Kaum gekämpft wurde im Salzkammergut, wo man an sich mit einem großen Widerstand gerechnet hatte. Überhaupt nicht gekämpft wurde im Mühlviertel und in Wels. • Die Zahl der Todesopfer variiert je nach Zählung: In Oberösterreich gab es 60 Tote, davon auf Seiten des Schutzbundes 34 (inklusive der zwei standrechtlich hingerichteten und der vier in Holzleithen ohne Urteil auf einer Theaterbühne erschossenen Personen). 26 Todesopfer gab es bei Bundesheer, Polizei, Gendarmerie und Heimwehr. Ca. 200 Personen wurden verwundet.
Übergriffe • Auf beiden Seiten passierten schreckliche Übergriffe. In Holzleithen die wilde, quasistandrechtliche Erschießung von vier Schutzbundangehörigen auf der Bühne des Arbeiterheimes durch Heimwehrangehörige, in Steyr die Erschießung des Direktors der Steyr-Werke Dr. Herbst im fahrenden Auto und der wohl privat motivierte Mord an Johann Zehetner und Josefine Nagelseder, für den Josef Ahrer in einem recht willkürlich geführten Standrechtsverfahren zum Tode verurteilt wurde. Auch der Tod der drei Bundesheerangehörigen auf dem Polygon-, heute Bulgariplatz, in Linz hat wenig mit Kampfhandlungen gemein. • In den Standgerichtsverfahren wurden vier Todesurteile verhängt, von denen zwei, an dem Linzer Anton Bulgari und dem Steyrer Josef Ahrer, auch vollstreckt wurden. Ein trauriges Kapitel sind die Begründungen, mit denen Justizminister Kurt Schuschnigg eine Begnadigung verweigerte, nämlich die Notwendigkeit, ein Exempel zu statuieren, obwohl sie keinesfalls zweifelsfrei als Haupttäter überführt waren. • Die Linzer Führer Richard Bernaschek, Ferdinand Hüttner und Arthur Bonyhadi, ebenso Josef Höller und Ferdinand Fageth, die Bergarbeiterführer des Hausruckreviers, wurden zu langjährige Haftstrafen verurteilt. • Von den Nationalsozialisten aus dem Gefängnis befreit, fand Bernaschek im nationalsozialistischen Deutschland Zuflucht, wo er sich zu einem recht unklugen Lob für die Beschäftigungspolitik des Nationalsozialismus und eine Entschuldigung für das nationalsozialistische Vorgehen gegen die Juden und die Kirchen hinreißen ließ. Noch vor dem nationalsozialistischen Juliputsch 1934 reiste Bernaschek von Deutschland nach Moskau. Er spekulierte auf ein Zusammengehen von Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten zu einer „Überpartei“, die die Macht in Österreich übernehmen könnte.