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Die Segmentelle und Suprasegmentelle Kodierung intonatorischer Einheiten. Oliver Niebuhr oliver.niebuhr@lpl-aix.fr Gastvortrag am IPS, LMU München München, den 09.01.2009. Intonation. Lexeme, Phoneme, Phone. Einleitung.
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Die Segmentelle und Suprasegmentelle Kodierung intonatorischer Einheiten Oliver Niebuhr oliver.niebuhr@lpl-aix.fr Gastvortrag am IPS, LMU München München, den 09.01.2009
Intonation Lexeme, Phoneme, Phone Einleitung • F0-Verlauf ist in die Kodierung auf der segmentellen Ebene eingebunden • F0-Anstieg und Abfall am Anfang und am Ende von Vokalen ist cue für fortis-lenis • Unterschied (Kohler 1979) • F0 relativ zu Formanten bestimmt Vokalqualität (Traunmüller 1985) • Position von F0-Wendepunkten unterstützt perzeptorische Segmentierung • (D‘Imperio 2000, Petrone 2008) • Lokale Einbuchtungen im F0-Verlauf können Repräsentant von /t/ sein • (...)
! Einleitung Die segmentelle Ebene leistet vermutlich einen wesentlichen Beitrag zur Signalisierung von Intonationskategorien Intonation Lexeme, Phoneme, Phone • F0-Verlauf ist in die Kodierung auf der segmentellen Ebene eingebunden • F0-Anstieg und Abfall am Anfang und am Ende von Vokalen ist cue für fortis-lenis • Unterschied (XXX XXX, Kohler XXX) • F0 relativ zu Formanten bestimmt Vokalqualität (Traunmüller XXX) • Position von F0-Wendepunkten unterstützt perzeptorische Segmentierung • (D‘Imperio XXX, Petrone 2008) • Lokale Einbuchtungen im F0-Verlauf können Repräsentant von /t/ sein • (...) • Umgekehrt wird die segmentelle Ebene eher als „Störenfried“ der Intonation gesehen • Stimmlose Segmente unterbrechen den F0-Verlauf • Intonationskontur wird von Mikroperturbationen überlagert, d.h. Artikulation führt • zu supraglottalen Druckschwankungen, Zungenbewegungen beeinflussen • vertikale und horizontale Stimmlippenspannung (Fowler und Brown 1997) • Formantpositionen beeinflussen Tonhöhenwahrnehmung (intrinsic pitch, • Stoll 1984; Niebuhr 2004) • (...)
Eine Malerin mmm Einleitung • Forschungsgegenstand: Intonationskategorien • Melodiemuster über Akzentsilben (= pitch/melodic accents) • Melodiemuster am Ein- und Ausgang von Phrasen (= boundary tones) • Im Deutschen sind (mindestens) 3 pitch accents zu unterscheiden
F0 t - a: - Einleitung • Zur Signallisierung • (1) F0 fällt in den Akzentvokal • (2) Das F0-Maximum wird im Akzentvokal erreicht • (3) F0 steigt aus dem Akzentvokal heraus an • Ein Aspekt der Kodierung sind F0-Bewegungen und deren Timing relativ zur • Akzentsilbe bzw. zum Akzentvokal (Kohler 1987; Niebuhr und Kohler 2004) H+L* H* L*+H
(H+L*) (H*) (L*+H) Einleitung • Zur Signallisierung • Ein weiterer Aspekt der Kodierung ist das interne Timing der F0-Bewegungen, d.h. • die Geschwindigk. bzw. Dauer des Steigens und/oder Fallens (Niebuhr 2003, 2007) • Die folgenden Gipfelgestalten haben die 3 deutschen pitch-accent Kategorien am • deutlichsten und am konsistentesten über ein zeitliches Timing-Kontinuum hinweg • signalisiert:
Eine Male rin Eine Male rin Einleitung • Im Deutschen sind zwei grundsätzliche phrasenfinale F0-Muster zu unterscheiden • fallend (L-%) • steigend (H-%) • Innerhalb der Mustertypen gibt es Subkategorien, für die wiederum Timing und Ver- • laufseigenschaften wichtig sind (vgl. Niebuhr und Kohler 2004 zu frühen und späten • Anstiegen, vgl. Dombrowski und Niebuhr 2005 zu konkav und konvex ansteigenden • Mustern
Einleitung • Zur Funktion: • Intonationskategorien sind im Deutschen Transportmittel für attitudinale Bedeutungen • Die 3 pitch-accent Kategorien • H+L* kennzeichnet den dazugehörigen (akzentuierten) Sachverhalt als • ‘gegeben‘ (= unveränderbar) • H* drückt ‘Offenheit‘, ‘Unbekanntheit‘ des Sachverhalts aus • L*+H druckt ‘Erstauen‘ über den Sachverhalt aus (= unbekannt und unerwartet) • Diese Grundbedeutungen können im semantischen Kontext unterschiedliche • Färbungen bekommen. Z.B., • H+L* kann im negativen Kontext Resignation, Fatalismus ausdrücken • L*+H kann im positiven Kontext Überraschung und im negativen Kontext Ent- • rüstung vermitteln
? ? ! ?! Einleitung • Zur Funktion: • Intonationskategorien sind im Deutschen Transportmittel für attitudinale Bedeutungen • Die phrasenfinal fallenden und steigenden F0-Muster ordnen den Sprecher dem • Dialogpartner über bzw. unter sie schränken die (kommunikativen) Verhaltens- • möglichkeiten des Dialogpartners ein oder lassen sie offen (vgl. Kohler 1991) Ist das jetzt klar Du kommst heute abend Antwort: wenn‘s sein muss… Antwort: mal sehen… Antwort: hmm…nicht ganz. Antwort: ja.
Einleitung • Jüngste Forschungsergebnisse zum Deutschen: • Segmentelle Eigenschaften variieren (im Bereich der Akustik) in Abhängigkeit von • den damit zusammenfallenden, zuvor dargestellten Intonationskategorien • Einige dieser Variationen haben sich bereits als relevant für den Hörer zur Identifi- • kation dieser Kategorien herausgestellt. Die segmentelle Ebene leistet vermutlich einen sehr viel größeren Beitrag zur Perzeption der Intonationskategorien als bislang gedacht Um hierüber mehr zu erfahren, seid ihr heute hier!
Zur Rolle der Intensität Intensität im Sinne von ‘praat’ (= Kurzzeitenergie) Die Intensitätskurve ist zwar einerseits ein suprasegmenteller Parameter der Sprache, er wird aber andererseits durch die Einzellautartikulation, insb. durch die Alternation zwischen Konsonanten und Vokalen, geprägt Zahlreiche perzeptorische Studien belegen, dass die Grenzen des Akzentvokals für die Wahrnehmung der pitch accents zentral sind (1) F0 fällt in den Akzentvokal (2) Das F0-Maximum wird im Akzentvokal erreicht (3) F0 steigt aus dem Akzentvokal heraus an Auf dieser Grundlage ist der Akzentvokal im Kieler Intonationsmodell (KIM) auch der phonologische Referenzpunkt für die Differenzierung der pitch-accent Kategorien (im AM Rahmen ist es die Silbe)
Zur Rolle der Intensität Kohler (1987) und Niebuhr und Kohler (2004) zeigten kategoriale Wahrnehmung für den Übergang von H+L* zu H*mit Bezug auf die Position des F0-Maximums relativ zum Beginn des Akzentvokals (Von) Aber: andererseits zeigen Perzeptionsergebnisse von Kohler (1991) auch, dass die Position dieser Kategoriengrenze für unterschiedliche Stimulusäußerungen unterschiedlich ausfiel! “Sie hat ja gelogen” = lateral + vowel “Sie ist ja geritten” = frikative + vowel “Sie hat ja gejodelt” = approximant + vowel Frühere Grenze Spätere Grenze
Zur Rolle der Intensität • Z.B. verändert sich (steigt) die Intensität vom Nasal/Lateral zum Vokal sehr viel schneller als vom Approximanten zum Vokal (“Malerin”, “gelogen” vs. “gejodelt”) • Geschwindigkeit und Umfang der Intensitätsveränderung hängen auch von der Qualität des Akzentvokals ab. Warum ist das so? Niebuhr (2006, 2007): vielleicht ist es nicht die Segmentgrenze im Sinne der spektralen Veränderungen vom Konsonanten zum Vokal (Formanttransitionen, laminarer vs. turbulenter Luftstrom) selbst, der relevant ist, sondern der Anstieg / Abstieg in der Intensität in den CV und VC Übergängen.
Zur Rolle der Intensität Dieser Idee wurde im Rahmen eines Perzeptionsexperimentes nachgegangen 2 Stimulusserien mit identischer F0-Gipfelverschiebung wurden resynthetisiert... ...die eine auf Basis der Äußerung “Sie war mal Malerin” ...die andere Stimulusserie weist – für jeden Stimulus - exakt die gleichen F0- und Intensitätsmuster auf wie die “Malerin” Serie; aber alle spektralen Muster wurden durch eine konstante Schwa-ähnliche Vokalqualität ersetzt (“HUM” in ‘praat’) Das heißt, man kann sagen, dass sich die Stimulusserien in der An- und Abwesenheit der Lautfolge unterscheiden Parallele Perzeptionsexperimente zu beiden Serien mit 2 unterschiedlichen Gruppen von Versuchspersonen (17 bzw. 22 Teilnehmer) Die Identifikation der pitch-accent Kategorien H+L* und H* erfolgte anhand der Indirect-Identification Methode (= Passt Stimulusäußerung mit voraus-gehender Kontextäußerung zusammen? wird determiniert durch pitch-acent Kategorie Die “HUM” Stimuli wurden in einem AXB Test beurteilt (A= erster, B=letzter Stimulus der Serie)
“Malerin“ Serie Zur Rolle der Intensität HUM Serie
Was passiert, wenn der Intensitätsanstieg, der aus dem CV Übergang hervor- ging, langsamer ausfällt?? Zur Rolle der Intensität
Erneut 2 Perzeptionsexperimente mit einer (a) “Malerin“ und einer (b) “HUM“ Stimulusserie. Zur Rolle der Intensität
Zur Rolle der Intensität “Malerin“ series Je weniger abrupt der Intensitätsanstieg ist, der den CV Übergang reprä- sentiert, desto weniger abrupt ist auch die perzeptorische Veränderung von H+L* zu H*. Das heißt, der Übergang ist nicht zwangsläufig kategorial! Ein weniger steil steigend-fallender F0-Gipfel hat den gleichen Effekt Inzwischen wurde die experimentelle Untersuchung auf die Intonationskategorien H* und L*+H und den dazugehörigen VC Übergang ausgedent. Die Ergebnisse sind vergleichbar! Das heißt u.a., dass auch der Übergang H* zu L*+H bei entsprechender Signaldynamik (F0 und Intensität) kategorial ausfallen kann.
Zur Rolle der Intensität Zusammengefasst: Die Signallisierung der pitch-accent Kategorien H+L*, H* und L*+H involviert ein enges Zusammenwirken von F0 und Intensität Der Übergang H+L* zu H* ist nicht per se kategorial und der Übergang H* zu L*+H ist nicht per se graduell. → Die Vorstellung von Kohler (1987, 1991) muss verfeinert werden. Somit kann aus Kategorialität auch kein phonologischer Status abgeleitet werden. Die Befunde unterstützen die Sichtweise des KIM, dass die Grenzen des Akzentvokals entscheidende segmentelle Bezugspunkte für das Timing und die Differenzierung der pitch-accent Kategorien sind.
H* H+L* L*+H Ein Blick hinter die Kulissen Wie erklären wir die Wahrnehmung von pitch accents vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens von F0 und Intensität (sowie Effekten der Gipfelgestalt, etc.) → Was ist ein pitch accent? Ein pitch accent ist eine 2-dimensionale perzeptorische Gestalt Erste Gestalt-Dimension: Tonhöhenmuster
Ein Blick hinter die Kulissen • Wie erklären wir die Wahrnehmung von pitch accents vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens von F0 und Intensität (sowie Effekten der Gipfelgestalt, etc.) • → Was ist ein pitch accent? • Ein pitch accent ist eine 2-dimensionale perzeptorische Gestalt • Erste Gestalt-Dimension: Tonhöhenmuster (nicht notwendigerweise im Sinne von Bewegungen H* H+L* L*+H
Ein Blick hinter die Kulissen • Wie erklären wir die Wahrnehmung von pitch accents vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens von F0 und Intensität (sowie Effekten der Gipfelgestalt, etc.) • → Was ist ein pitch accent? • Ein pitch accent ist eine 2-dimensionale perzeptorische Gestalt • Erste Gestalt-Dimension: Tonhöhenmuster (nicht notwendigerweise im Sinne von Bewegungen
[j] vs. [m] Ein Blick hinter die Kulissen • Wie erklären wir die Wahrnehmung von pitch accents vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens von F0 und Intensität (sowie Effekten der Gipfelgestalt, etc.) • → Was ist ein pitch accent? • Ein pitch accent ist eine 2-dimensionale perzeptorische Gestalt • Erste Gestalt-Dimension: Tonhöhenmuster (nicht notwendigerweise im Sinne von Bewegungen
H* H+L* L*+H Ein Blick hinter die Kulissen • Wie erklären wir die Wahrnehmung von pitch accents vor dem Hintergrund des Zusammenwirkens von F0 und Intensität (sowie Effekten der Gipfelgestalt, etc.) • → Was ist ein pitch accent? • Ein pitch accent ist eine 2-dimensionale perzeptorische Gestalt • Zweite Gestalt Dimension: Prominenzmuster für die Elemente des Tonhöhen-musters • Erste Gestalt-Dimension: Tonhöhenmuster (nicht notwendigerweise im Sinne von Bewegungen
Ein Blick hinter die Kulissen Das Zusammenwirken von F0 und Intensität kann auch dazu beitragen, Phänomene wie “segmental / articulatory anchoring” und alignment-Effekte der Silbenstruktur zu erklären (vgl. Ladd 2003; van Santen und Hirschberg 1994; Petrone 2008). → Ziel: bestimmte Abschnitte / Elemente des Tonhöhenmusters mit bestimmten Intensitätsniveaus verbinden, um das gewünschte Prominenzmuster zu erzeugen → Implikation: Entgegen der Vorstellung des KIM ist Timing/Synchronization selbst nicht phonologisch. Es ist lediglich ein effektives und ökonomisches Instrument, um ein Prominenzmuster für das Tonhöhenmuster zu erzeugen, indem von den ohnehin durch die Lautartikulation gegebenen Intensitätsverläufen gebrauch gemacht wird. Alternative oder ergänzende Strategien: Veränderung der Gipfelgestalt (innerhalb der Grenzen des Tonhöhenmusters), Veränderung von Lautdauern und Lautartikulationen (z.B. Spektrale Energieverteilung des Rauschens, intrinsic pitch von Vokalen, Öffnungsgrad des Vokals, etc.)
Ein Blick hinter die Kulissen Das Zusammenwirken von F0 und Intensität kann auch dazu beitragen, Phänomene wie “segmental / articulatory anchoring” und alignment-Effekte der Silbenstruktur zu erklären (vgl. Ladd 2003; van Santen und Hirschberg 1994; Petrone 2008) → Ziel: bestimmte Abschnitte / Elemente des Tonhöhenmusters mit bestimmten Intensitätsniveaus verbinden, um das gewünschte Prominenzmuster zu erzeugen mmm
Zur Rolle der Aspiration Vor dem beschriebenen Hintergrund: Akustische Analyse eines lesesprachlichen Korpus, der von K.J. Kohler und R. Gartenberg am Anfang der 80er aufgenommen wurde (Niebuhr 2008) (Eigentlicher Sinn: Untersuchung von Mikroprosodie und segmentellen Effekten auf die phonetische Realisierung der Intonationskategorien) Forschungsgegenstand: Äußerungsfinale /t/ Aspiration Vermessen anhand folgender akustischer Parameter: Dauer der Aspiration Intensitätsmaximum des Aspirationsgeräusches (untere) Grenzfrequenz Spektrales Energiemaximum innerhalb des Aspirationsgeräusches
Zur Rolle der Aspiration Vor dem beschriebenen Hintergrund: Akustische Analyse eines lesesprachlichen Korpus, der von K.J. Kohler und R. Gartenberg am Anfang der 80er aufgenommen wurde (Eigentlicher Sinn: Untersuchung von Mikroprosodie und segmentellen Effekten auf die phonetische Realisierung der Intonationskategorien) Forschungsgegenstand: Äußerungsfinale /t/ Aspiration Zielwörter: auf “___ickt” ([kt]) endende Wörter, denen Personalpronomen “Sie” vorausgeht und die mit den pitch-accent Kategorien H+L* und L*+H realisiert worden sind “Sie schickt”, “Sie strickt”, “Sie schrickt”, “Sie tickt”, etc.
H+L* L*+H Zur Rolle der Aspiration Ergebnis: Die äußerungsfinalen /t/ Aspirationen unterscheiden sich zwischen den Produktionen der Sätze von H+L* und L*+H Nach L*+H ist die Aspiration ...länger ...höher (repräsentiert durch höheres Energiemaximum im Spektrum) ...und leiser (repräsentiert durch niedrigeres Intensitätsmaximum) als nach H+L*
“Sie schickt“ H+L* , L*+H Zur Rolle der Aspiration Ergebnis: Die äußerungsfinalen /t/ Aspirationen unterscheiden sich zwischen den Produktionen der Sätze von H+L* und L*+H Gartenberg und Panzlaff-Reuter (1991): L*+H wird oft von längerer Dauer des Akzentvokals begleitet Dombrowski et al. (2006): L*+H geht oft mit energieärmerer, behauchter Stimme im Akzentvokal einher Sind die Aspirationsgeräusche an der Kodierung von H+L* und L*+H beteiligt?
Zur Rolle der Aspiration = Unterstützen sie die Übermittlung der Bedeutung, die durch H+L* und L*+H ausgedrückt wird? Perzeptionsexperiment anhand des semantischen Differentials Ausgehend von der Äußerung “Sie tickt” Systematische Manipulation des finalen Aspirationsgeräusches 2 Grundbedingungen: “Lang”(p) und “Leise”(ce) “Kurz”(p) und “Laut”(ce) Jeweils kombiniert mit “Hoch” und “Tief”(o) → 4 Bedingungen Konstante, gleichbleibende Tonhöhe in allen Stimuli
H+L* L*+H Zur Rolle der Aspiration Was sind die Bedeutungen von H+L* und L*+H bzw. worin unterscheiden sie sich? Dombrowski (2003) und Kohler (2005) haben hierzu Wahrnehmungsexperimente mit dem semantischen Differential durchgeführt Ihre Ergebnisse zeigen einen signifikanten Bedeutungsunterschied zwischen H+L* und L*+H auf 6 Skalen Auf dieser Grundlage lassen sich die Bedeutungsprofile von H+L* und L*+H wie folgt zusammenfassen: Die gleichen 6 Skalen wurden auch für die “Sie tickt” Stimuli beurteilt Insgesamt haben 25 deutsche Muttersprachler am Experiment teilgenommen
Zur Rolle der Aspiration Ergebnis: Die Bedeutungsprofile bzw. –unterschiede der Aspirationsgeräusche aus den H+L* und L*+H Kontexten decken sich mit denen der Intonationskategorien Die Intonationskategorien sind nicht nur durch F0 (und Intensität) kodiert, sondern auch durch (“prototypisch”) segmentelle Eigenschaften
Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Ausgehend von Ergebnissen zur Aspiration ist anzunehmen, dass sich auch andere Lautartikulationen in Abhängigkeit von den koinzidierenden Intonations-kategorien systematisch unterscheiden Im Fokus: der grundlegende Unterschied zwischen phrasenfinal fallenden und steigenden Konturen → L-% und H-% Welche Laute sind diesbezüglich besonders vielversprechend? // kann ebenso wie /t/ Aspiration “sibilant pitch” erzeugen. Zudem: wird // im Deutschen als [] realisiert. Diese Rundung kennzeichnet häufig bereits den vorangehenden Vokal → z.B. “Tisch” = [t]. Ist // in Verbindung mit finalem H-% heller als mit finalem L-%? Ist die Rundung hierin involviert? Wenn ja, dann kann bei steigenden Konturen bereits der vorangehende Vokal (ent-)rundet/heller sein.
Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Ausgehend von Ergebnissen zur Aspiration ist anzunehmen, dass sich auch andere Lautartikulationen in Abhängigkeit von den koinzidierenden Intonations-kategorien systematisch unterscheiden Im Fokus: der grundlegende Unterschied zwischen phrasenfinal fallenden und steigenden Konturen → L-% und H-% Welche Laute sind diesbezüglich besonders vielversprechend? Auch /x/ kann durch die Beschaffenheit des Rauschens tonale Information transportieren. Zudem: Da /x/ nach hinteren, gerundeten Vokalen /u/ auftritt, ist der Frikativ oft selbst gerundet, d.h. [x]. Ist /x/ in Verbindung mit H-% heller als mit final L-%? Ist die Rundung hierin involviert? Wenn ja, dann kann bei steigenden Konturen bereits der vorangehende Vokal (ent-)rundet/heller sein.
Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Ausgehend von Ergebnissen zur Aspiration ist anzunehmen, dass sich auch andere Lautartikulationen in Abhängigkeit von den koinzidierenden Intonations-kategorien systematisch unterscheiden Im Fokus: der grundlegende Unterschied zwischen phrasenfinal fallenden und steigenden Konturen → L-% und H-% Welche Laute sind diesbezüglich besonders vielversprechend? Im Deutschen kann <-er> als vokoides [] realisiert werden. Dieser Laut kann (u.a. dialektabhängig) qualitativ stark variieren, [] bis [] Ist vokoide Realisierrung von <-er> in Verbindung mit H-% heller – weiter vorne und ggf. offener - als mit L-%? Auch Schwa (//) ist in seiner phonetischen Qualität kontextabhängig sehr variabel und könnte daher anfällig / zugänglich für die Kovariation mit L-% und H-% sein. Ist // bei H-% heller – weiter vorne und ggf. offener – als bei L-%
Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Akustische Untersuchung von frikativen und vokoiden Lauten im Kontext final fallender und steigender Konturen Paare von Zielwörtern (erhöht ‘n’): “Tisch”, “Fisch”→ // und vorheriges // “Buch”, “Tuch”→ /x/ und vorheriges /u/ “lecker”, “Bäcker” → als [] realisiertes <-er> “Tage”, “Schramme” → // In den vokalischen Lauten wurde (mit LPC-Analyse) F2 gemessen, jeweils an 3 Messpunkten: kurz nach Anfang, Mitte, kurz nach Ende In den frikativen Lauten wurde alle 7ms das Centre of Gravity (CoG) berechnet und dann für den Gesamtlaut dessen Spannweite und Mittelwert bestimmt Für alle Laute wurde die Dauer gemessen
Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Es wurde ein Korpus von quasi-spontaner, umgangssprachlich klingender Lesesprache aufgenommen (verbesserte Methode aus Kohler und Niebuhr 2007) D.h., Dialogtexte mit informellem, alltäglichen Inhalt sind vorgegeben Die Zielwörter sind eingebaut, aber nicht kenntlich gemacht. Die fallenden und steigenden Konturen sowie die vorangehenden pitch-accent Kategorien werden allein über den semantisch-pragmatischen Kontext elizitiert Und werden von befreundeten Versuchspersonen gelesen Bis auf die Zielwörter dürfen Wörter ausgetauscht und Formulierungen geändert, also der persönlichen Ausdrucksweise angepasst werden Einer der beiden Gesprächspartner ist der Experimentator (on); er versucht, durch sein Verhalten und seine Sprechweise die Versuchsperson “mitzureißen” Jeder Dialog wird 4x nacheinander produziert; die letzten beiden Produktionen werden für die Analyse herangezogen. Bislang 5 Sprecher (→ n=20), 10 sind geplant.
L-% H-% Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Ergebnisse “Tisch” und “Fisch” Der Sibilant // ist in Verbindung mit H-% z.T erheblich heller als in Verbindung mit L-%. Dies spiegelt sich auch in signifikant unterschiedlichen CoG Mittelwerten wider. D.h., nach H-% ist der CoG Mittelwert höher. Die Frikativdauern unterscheiden sich nicht signifikant Auch die Realisierungen von // unterscheiden sich in Abhängigkeit von H-% und L-%. Nach H-% ist F2 (mitte) signifikant höher. Perzeption legt nahe: Auch durch Entrundung bedingt.
L-% H-% Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Ergebnisse “Buch” und “Tuch” Der Frikativ /x/ ist in Verbindung mit H-% heller als in Verbindung mit L-%. Dies spiegelt sich auch in signifikant unterschiedlichen CoG Mittelwerten wider. D.h., nach H-% ist der CoG Mittelwert höher. Die Frikativdauern unterscheiden sich nicht signifikant Auch die Realisierungen von /u/ unterscheiden sich geringfügig in Abhängigkeit von H-% und L-%. Nach H-% ist F2 (mitte) tendenziell (=p<0.1) höher. Perzeption legt nahe: Auch durch Entrundung bedingt. L-% H-%
Zur Rolle von Frikativen und Vokalen Ergebnisse “lecker” und “Bäcker” Die vokoide Realisierung von <-er> ist in Verbindung mit H-% nicht durchgängig heller als in Verbindung mit L-%. Nur am letzten Messpunkt kurz vor dem Ende von <-er> ist F2 tendenziell (=p<0.1) heller für H-%. → In Verbindung mit H-% ist <-er> leicht diphthongiert realisiert ([]) und außerdem tendenziell länger (=p<0.1) L-% H-% 650 1650 700 1300
600 1200 650 1750 Zur Rolle von Frikativen und Vokalen L-% H-% Ergebnisse “Tage” und “Schramme” Die Realisierung von // ist in Verbindung mit H-% heller als in Verbindung mit L-%. Dies gilt in der Tendenz (=p<0.1) für den ersten und signifikant für den mittleren und letzten Messpunkt. Die Dauern unterscheiden sich nicht signifikant zwischen H-% und L-%
Zusammenfassung Die segmentelle Ebene ist nicht nur ein “Störenfried” für die Wahrnehmung der Intonationskategorien. Vielmehr findet sich systematische segmentelle Variation, die (sehr wahrscheinlich) einen eigenständigen Beitrag zur Signalisierung der Intonationskategorien leistet. Dieser Beitrag kann prinzipiell von zweierlei Art sein: Direkt: (a) über Veränderungen der Intensität zur Gewichtung von tonalen Elementen, (b) über Veränderungen der spektralen Energieverteilung wird tonale Information transportiert (vowel/intrinsic pitch, sibilant pitch, etc.) Indirekt: (a) als “artikulatorische Methapher” intonatorischer Bedeutungen (z.B. ‘gegeben’ spiegelt sich in kurzen, “harten” Artikulationen wider, ‘Erstauenen’ in Längungen), (b) als Manifestation tonaler Strukturen (Diphthongdynamik und Akzent-Grenztonsequenz, etc.) In gesprochener Sprache geht es um die Kodierung kommunikativer Bedeutungen; die Separation von segmentell und suprasegmentell/intonatorisch ist in diesem Zusammehang eher ein metalinguistisches Konstrukt bzw. eine heuristische Vereinfachung, die sukzessive überwunden werden muss. Nicht segmentelle und suprasegmentelle Phänomene sind zu untersuchen, sondern kommunik. Bedeutungen/Funktionen, in Produktion wie in Perzeption