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Universitätslehrgang Gesundheitsmanagement Johannes Kepler Universität Linz, 2005 Einführung Medizin- und Gesundheitssoziologie. Dr. Ursula Karl-Trummer Ludwig Boltzmann-Institut f ü r Medizin- und Gesundheitssoziologie. Überblick. Input: Soziologie als Sozialwissenschaft
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Universitätslehrgang Gesundheitsmanagement Johannes Kepler Universität Linz, 2005 Einführung Medizin- und Gesundheitssoziologie Dr. Ursula Karl-Trummer Ludwig Boltzmann-Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie
Überblick • Input: Soziologie als Sozialwissenschaft • Grundlegende Inhalte, Grundbegriffe • Arbeitsweisen, Instrumente • Anwendung auf spezifisches Funktionssystem der Gesellschaft: Medizin- und Gesundheitssoziologie • Exemplarische Bearbeitung mit Grundbegriffen
Material, Buchempfehlungen • Siegrist, Medizinische Soziologie • Einführungbuch, informativer Überblick • Conrad, Sociology of Health and Illness • Kritische Bearbeitung von Krankensystem und soziologischer Forschung anhand von Beispielartikeln • Goffmann, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen • Projektbroschüre „Koproduktion durch Empowerment“ • Projektbericht „PatientInnenorientierung in österreichischen Krankenanstalten“
Kommunikation • uschi.trummer@univie.ac.at • www.univie.ac.at/lbimgs • Homepage des Ludwig Boltzmann Instituts für Medizin- und Gesundheitssoziologie • WHO Kooperationszentrum für Gesundheitsförderung und Krankenhaus • Projektberichte • Präsentationen • Links zu Datenbanken des Internationalen Netzwerks Gesundheitsfördernder Krankenhäuser (HPH), des Österreichischen Netzwerks Gesundheitsfördernder Krankenhäuser (ÖNGK)
Was ist Soziologie? • Wissenschaft von der Gesellschaft und seinen Funktionssystemen • Als grundlegende Sozialwissenschaft ausgelegt auf theoretische und empirische Erforschung des sozialen Handelns und der gesellschaftlichen Strukturen und Prozesse • Inhalte, Erkenntnisinteressen und Arbeitsschwerpunkte ergeben sich aus den jeweiligen Strukturen und dem Verständnis von Gesellschaft
Tätigkeiten der Soziologie • „Objektive“ Feststellung, Analyse und Prognose von sozialen Tat/Verhaltensbeständen • Beschreiben • des „Selbstverständlichen“ • des nicht direkt Sichtbaren • Fragen und Erklären • genetisch-historischWie, warum ist etwas entstanden? (Ex: Weber ,Prot. Ethik) • vergleichend Welche Unterschiede bestehen & warum? (Ex: Durkheim, Selbstmord) • funktional Wie funktioniert was und wieso? Warum besteht etwas fort? Aufgrund welcher Funktionen/ Konsequenzen? • Vorhersagen/Prognosen • Was wird sein als Folge einer Intervention? Evaluation • Was wird sein, wenn nichts besonderes passiert?
Arbeitsbereiche der Soziologie Erkenntnis / Grundlagenforschung / Soziologie Theorieentwicklung Methodenentwicklung Wissenssystematisierung SOZIOLOGIE Angew. Sozialforschung Gesellschaftskritik Cultural Studies Plan/Beratung Zeitdiagnosen Verwertung / Angewandte Forschung / Gesellschaft
Soziologisches Denken • Versuch, den Sinn, den die Menschen mit ihrem Handeln verbinden, zu verstehen. • Keine einseitig bewertende Betrachtung von Menschen und Situationen • Mensch als sozial geprägt und prägend • nicht als unverwechselbares Einzelwesen • Wahrnehmung des einzelnen immer im Zusammenhang mit „sozialen Anderen“ und sozialen Strukturen • Soziales Handeln als Prozessmit Vergangenheit/Gegenwart/ Zukunft
Schlüsselbegriffe der Soziologie • Rollen • Werte und Normen • Sozialisation • Macht, Herrschaft und Autorität • Interaktion / Kommunikation
Spezifische Inhalte • Empirische Sozialforschung • Systematische Erhebung sozialer Tatbestände • mit Methoden, die die Ergebnisse solcher Forschungsprozesse intersubjektiv kommunizierbar und damit kontrollierbar/bearbeitbar machen
Soziologische Methoden • Definition:systematisches Verfahren bei der empirischen Überprüfung von soziologischen Fragestellungen und Hypothesen • Qualitative Methoden • Z.B. offenes Interview, teilnehmende Beobachtung, Inhaltsanalyse von Texten, Bildern • keine strengeStandardisierung • Explorativ stark • Quantitative Methoden • Z.B. Fragebogen • Standardisiert, stärker kontrollierbar und generalisierbar • Deskriptiv stark
Anwendungsbeispiel qualitativ • 2 Interviewpartner • Formulieren konkrete Fragestellung • Interview (10 min) • Zusammenfassung in Ich-Form durch Interviewer (5 min) • Feedbackschleife (5 min)
Anwendungsbeispiel quantitativ • Mein derzeitiger Gesundheitszustand ist • ...sehr schlecht-ausgezeichnet • Ich fühle mich bei meiner Arbeit wohl • ...trifft genau zu – trifft überhaupt nicht zu
Ansatzpunkte soziologischen Denkens • 4 gesellschaftliche Ebenen: • Ebene des Individuumsals soziales Wesen • Ebene von Kleingruppen (Mikroebene) • Ebene von Organisationen und Institutionen (Mesoebene) • Ebene der Gesellschaft(Makroebene) • Analytische Trennung!Alle 4 Ebenen sind voneinander abhängig und durchdringen sich gegenseitig
Der Mensch als soziales Wesen Gesellschaft Organisation Kleingruppe Individuum Wie er/sie denkt, lernte er/sie z.B. im Freundeskreis Wie er/sie redet, lernte er/sie z.B. in der Schule Was und wie er/sie isst, lernte er/sie z.B. durch die Sitten des Herkunftslandes
Gesellschaft: Typen sozialer Differenzierung z.B. Stammesgesellschaft verschiedene, strukturgleiche Einheiten, z.B. Clans, Stämme, Segmentär z.B. Feudalgesellschaft Vertikale Gesellschaftsstruktur, Kastenwesen, soziale Klassen Stratifikatorischhierarchisch Funktional-differenzierte Ges. Ausdifferenzierung in Funktions- systeme (Arbeitsteilung) Funktional
Gesundheitswesen/Krankenbehandlung: Ein Funktionssystem unter anderen Religion Medien Politik Wirtschaft Personensysteme Recht Technik Gesundheitswesen Krankenbehandlung Wissenschaft Erziehung
Die Ebene der Organisation 1 • Organisation besteht über längere Zeit und hat klare Struktur • Z.B. Schule, Gefängnis, Betrieb,.. • Zweck ist immer wichtigster Bestandteil der Selbstdefinition • Funktionen bzw. Abteilungen müssen erhalten bleiben, einzelne Mitglieder ersetzbar • großer Teil der Ziele und Mittel rational geplant und Erfüllung wird von Mitgliedern erwartet • Normen offiziell vorgegeben • Feste oder starre Hierarchien • „Wir-Gefühl“, das alle Mitglieder verbindet, nicht notwendigerweise vorhanden
Die Ebene der Organisation 2 • Formelle Struktur • geplanter Soll-Zustand • Orientierungsplan insbes. in Konfliktsituationen • entsprechen nicht unbedingt der Handlungsstruktur • Informelle Struktur • alle nicht vorgeplanten inoffiziellen Kontakte zwischen Organisationsmitgliedern • Unterschiedliche Inhalte, Formen, Personen • geprägt durch die aktuelle Situation
Die Ebene der Kleingruppe • Beziehung ist von längerer Dauer und strukturiert • Nicht zufällig und regellos • Strukturen (systematisch immer wieder ähnlich ablaufende Beziehungen) können sich verändern • Z.B. Freundesgruppen, Banden, Gesprächsgruppen,... • Man kennt Mitglieder von Angesicht zu Angesicht • gefühlsmäßige Verbundenheit, Polarität Ingroup-Outgroup • Gemeinsame Ziele • Gemeinsame (entwickelte) Normen und Vorstellungen • Jeder Mitgliederwechsel verändert die Gruppe
Notwendige Anpassungsleistungen von Individuen an Organisationen Nach Erving Goffman, Asyle, 1961 • Primäre Anpassungsleistung • Erlernen der Regeln für organisationale Ziele • Das Individuum übernimmt die Pflicht, sich zu beteiligen – es passt seine Haltung den Vorstellungen an, die die Organisation von ihm hat • Vom Mensch zum Mitglied • Sekundäre Anpassungsleistung • Brechen der Regeln für individuelle / Gruppenziele • Mitglied verwendet „unerlaubte Mittel/Ziele“, um die Erwartungen dessen, was er tun/sein sollte, zu umgehen
Organisationen (Goffman, 1973) • „Eine instrumentell-formale Organisation läßt sich definieren als ein System absichtsvoll koordinierter Aktivitäten, welches gemeinsam geschaffen wurde, um allgemeine, klar umrissene Ziele zu erreichen“ • „[Sie] hält sich dadurch am Leben, daß es ihr gelingt, ihre Mitglieder zu nützlicher Beteiligung an ihren Aktivitäten zu veranlassen“ • ... Und muß Grenzen hinsichtlich des Maßes anerkennen, bis zu welchem von einem Mitglied erwartet werden kann, daß es in geeigneter Form handelt
Individuen und Organisationen • „Die Bande, die den Einzelnen mit sozialen Entitäten verbinden, sind Allgemeingut“ • Kalte Verpflichtungen (Zeit, Geld, Arbeit.. • Warme Bindungen (Identifikation, Zugehörigkeit, Emotionale Bindung)
Konzessionen von Organisationen an Individuen als „nicht triviale Maschinen“ • Garantie bestimmter „Standards des Wohlergehens“ (Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse/Verpflichtungen, Gesundheit/Sicherheit, Bequemlichkeit....) • Möglichkeit der freiwilligen Kooperation • Anreize zur Kooperation (Geld, Ausbildung, Titel, Anerkennung, Selbstverwirklichung) • Androhung von Negativsanktionen
Individuen als Mitglieder von Organisationen • Übernehmen spezifische Rollen • Sind bestimmten Annahmen über ihre Identität ausgesetzt • Müssen sich anpassen • Primäre Anpassung • Leisten des Erwarteten (Tätigkeit und Werte) • Sekundäre Anpassung • Anwendung unerlaubter Mittel, um Erwartungen der Organisation bez. Handlungen und Sein zu umgehen
Anwendungsbeispiel • Gruppendiskussion • 5 – 6 Personen • 1 Moderator & Rapporteur (funktionale Differenzierung) • Organisation (Krankenhaus) • Kalte-Warme Bande • Erwartungen der Organisation an Individuum • Gratifikationen / Sanktionen • Individuelle Anpassung primär / sekundär
Rolle als soziolgischer Begriff • Als aus speziellen Normen/Regeln bestehendes Bündel von Erwartungshaltungen • von einer Bezugsgruppe an InhaberIn bestimmter sozialer Positionen herangetragen • regelmäßiges, vorhersehbares Verhalten • Möglichkeit von regelmäßiger und kontinuierlich planbarer Interaktion
Rolle als soziolgischer Begriff (aus: Amann,1987) • Rollen werden • „als über und jenseits der Personen, welche sie „zufällig“ im Augenblick verkörpern, daseiend erlebt“ (Berger/Luckmann 1969), • Rolle ist einerseits die Repräsentation einer institutionellen Ordnung, andererseits ein gesellschaftlich festgelegter Wissensbestand (Amann 1987) • Interrollenkonflikte • Jede/r hat mehrere Rollen - Abstimmungsprobleme • Intrarollenkonflikte • Unterschiedliche Erwartungen von Bezugsgruppen
Anwendungsbeispiel • „Meine Rolle“ • Bezugsgruppen • Erwartungen der Bezugsgruppen • Relevanz der Bezugsgruppen • Emotionale Verbundenheit ? • Sanktionsmöglichkeit ?
Sozialisation ist Rollenlernen • Prozess, in dem ein Mensch zum Mitglied der Gesellschaft wird (Rollen-Lernen) • Identität als handlungsfähige Persönlichkeit • Internalisierung soziokultureller Werte, Normen und Rollen + Bedürfnisse des Individuums • Phasen der Sozialisation: • Primäre Sozialisation: dem Kleinkind wird subjektive Handlungsfähigkeit vermittelt • Sekundäre Sozialisation: neue Rollen durch Eintritt in Schule, neuen Beruf,... werden dazugelernt • Tertiäre Sozialisation: Erwachsene durch Weiterbildung, Neue Medien,..
Rollen von Personen im Kontext Krankheit / Gesundheit – Patient • Bestehen nicht voraussetzungslos, sondern sind • abhängig von Grundannahmen über Differenz Krankheit / Gesundheit • abhängig von Grundannahmen über Aufgabenverteilungen, Verpflichtungen • Abhängig Organisationsformen von Gesundheitssystemen
Krankheit nach T. Parsons • ist soziale Abweichung • soziale Versorgung/ soziale Kontrolle • Krankenrolle • Rechte • Entschuldbar, schuldlos • Entschuldigung für Nichterfüllung sozialer Rollenverpflichtungen • Pflichten • Aufsuchen professioneller Hilfe • Kooperation um gesund zu werden
Die traditionelle Patientenrolle nach Talcott Parsons • Die Patientenrolle hat 4 Aspekte: • Befreiung von den normalen sozialen Rollenverpflichtungen • Befreiung der kranken Person von der Verantwortung für ihren Zustand • Krank zu sein, ist sozial unerwünscht, daher Verpflichtung zu dem Willen, gesund zu werden • Krank zu sein, bedeutet hilfsbedürftig zu sein, daher Verpflichtung, fachkundige Hilfe aufzusuchen und mit dem Arzt zu kooperieren.
Die Erweiterung von Rollen im Konzept von Gesundheit • Personen handeln in einem Kontinuum von Gesundheit und Krankheit • Personen kümmern sich selbst aktiv um ihre Gesundheit • Personen kooperieren dabei mit verschiedenen Anbietern von Gesundheitsleistungen
Mit- Verantwortung Produzent der eigenen Gesundheit Mit-Entscheidung Koproduzent der Betreuung und Gesundung Kunde bzw. Konsument von Betreuungs- leistungen Erfüllungsgehilfe bei der Erbringung von Betreuungsleistungen Werkstück der Betreuung Mit- Arbeit Aspekte derRolle von „Laien“ in der Interaktion mit Professionellen im Kontext Gesundheit(Pelikan/Nowak/Novak-Zezula 1999 & Nowak/Peinhaupt/Pelikan 2000)
Anwendungsbeispiel • Pflegerolle • Gruppenarbeit 4 Personen, selbstorganisiert • Rollenerwartungen an Pflegeperson • Inter- und Intrarollenkonflikte
Wovon ist Handeln/Verhalten bestimmt ? (Pelikan/Halbmayer 1999) • Verhalten ist eine Funktion von Person und Situation (Lewin) • Kann nicht über Situation oder Person allein erklärt werden • Verhalten nach Vor- und Nachteilen (Belohnung/Bestrafung) ausgerichtet (Coleman) • „rational choice“
Faktoren der ... Möglichkeits-struktur Selektiven Kultur Persönliche Ressourcen und Fähigkeiten Persönliche Präferenzen Person Situations-bezogene Werte, Normen, Regeln und Regulierungen Situationsbezogene Infrastruktur/ Möglichkeiten Situation Determinanten von Handeln/Verhalten
Ad Situation/Selektive Kultur: Werte • Als allgemeine, grundlegende und gemeinsam akzeptierte Orientierungsmaßstäbe für menschliches Handeln • äußerer Zwang (Durkheim)/internalisiertes Bedürfnis (Parsons) • Geschichtlich gewachsen, soziokulturell vermittelt • Entstehung und Wandel von Werten hängen mit menschlichen Bedürfnissen, Lebensverhältnissen, Wissen, Weltanschauungen, Beeinflussungen zwischen Kulturen etc. zusammen
Ad Situation/Selektive Kultur: Normen 1 • „Verhaltenserwartungen“ an den Inhaber/die Inhaberin einer sozialen Rolle • artikulieren Forderungen eines bestimmten Verhaltens für bestimmte Situationen • Werden von bestimmten Personengruppen / Institutionen gesetzt und an spezifische Personengruppen adressiert • Können nach Kulturkreis, Situation variieren • Auf Dauerhaftigkeit ausgelegt • Ständige Überprüfung auf Realisierbarkeit, Sanktionswahrscheinlichkeit
Ad Situation/Selektive Kultur: Normen 2 • Als Bezugspunkte, an denen sich das Handeln ausrichtet • Bewirken gewisse Regelmäßigkeit, Gleichförmigkeit und Wiederholung des sozialen Handelns • Sind mitkonstituierend für Rollen • Werden mit Hilfe von positiven und negativen Sanktionen durchgesetzt • Kann-Erwartungen: Bräuche, Gewohnheiten • Soll-Erwartungen: Sitten • Muss-Erwartungen: Gesetze
Der Mensch handelt als soziales Wesen... • Handeln / Verhalten ist nur über Kontext erklärbar • Persönliche Ressourcen (Kapitalien wie Wissen, Fertigkeiten, Informationszugang, soziale Netze, Macht, Ökonomische Ressourcen..) • Persönliche Präferenzen (Individuell übernommene/internalisierte Werte/Normen..) • Situative Möglichkeiten (Infrastruktur..) • Situationsbezogene / gesellschaftliche Werte/Normen (Belohnung/Bestrafung von Verhalten)
Anwendungsbeispiel • Situation aus Medizinisch-Pflegerischem Bereich • auswählen und beschreiben • Eine Person herausgreifen • Handeln beschreiben: • Was tut sie und wieso? • 5 Personen • 1 Fallbringer Moderator & Rapporteur • 4 Fragesteller: jeder verantwortet ein Feld • Gemeinsame Rekonstruktion Handlungsverlauf