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Chronik der Erinnerung. Lager und Flugplatz nach 1945. 1946: Erste Nachforschungen. Der ehemalige Flugplatz tauchte in der lokalen Presse immer wieder bei der Diskussion um die zukünftige Nutzung auf. Zum Lager dagegen herrschte nach 1945 jahrzehntelang weitgehend Schweigen.
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Chronik der Erinnerung Lager und Flugplatz nach 1945
1946: Erste Nachforschungen Der ehemalige Flugplatz tauchte in der lokalen Presse immer wieder bei der Diskussion um die zukünftige Nutzung auf. Zum Lager dagegen herrschte nach 1945 jahrzehntelang weitgehend Schweigen. Alex de Lipthay vom amerikanischen „Bureau of Documents & Tracing Württemberg-Baden“ stellte Ende 1946 in den Kreisen Böblingen und Tübingen erste Nachforschungen über das KZ-Außenlager an. Er beklagte, dass in keinem der an ihn geschickten Berichte der jeweiligen Verantwortlichen die Existenz eines KZ und das Massengrab mit 72 Toten überhaupt erwähnt wurden. Ende des Briefes von Alex de Lipthay
1946 und1949 Eine erste amtliche „Ermittlung eines bis jetzt noch unbekannten K.Z.-Lagers auf dem Flugplatz in Tailfingen“ gab der Böblinger Landrat am 27. 6. 1946 bekannt. Der Tailfinger Bürgermeister teilte am 14. April 1949 auf eine Anfrage in der Strafsache Kac an Rechtsanwalt Dr. Rudolf Zimmerle mit: Amtlich gemeldet u. hier beerdigt sind 72 Kz.Häflinge, die größtenteils an Unterernährung gestorben sein sollen. Es ist hier allgemein bekannt, daß die Kz.Häftlinge von ihren eigenen Landsleuten teilweise schwer mißhandelt wurden. Blindtext steht Brief des Landrats vom 27.6.1946
1952: Friedhof Unter den Linden in Reutlingen Im November 1952 wurde auf dem Reutlinger Friedhof Unter den Linden ein von Richard Raach gestaltetes Denkmal „Den Opfer der Gewalt 1933-1945“ enthüllt, zum Gedenken an 128 KZ-Opfer, die im Reutlinger Krematorium eingeäschert worden waren. Unter ihnen waren 99 Tote aus dem KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen, deren Asche unter diesem Denkmal liegt. Der Anstoß dazu war von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gekommen. Mahnmal in Reutlingen
Ignac Klein Die Söhne des in Hailfingen gestorbenen Häftlings Ignac Klein ließen Anfang der 60er Jahre auf dem Grab im Tailfinger Friedhof einen Gedenkstein anbringen. Übersetzung des Textes: Zum ewigen Gedenken. In diesem Gemeinschafts-grab schläft unser teurer und geliebter Vater Rabbi Izchak, Sohn des Jakob Klein, Ignac Klein, den ewigen Schlaf, 17. 3. 1895 bis 9. 1. 1945, der am 25. Tewet 5705 inder Shoa des europäischen Juden-tums im Arbeitslager Hailfingen starb. Er konnte seine drei Söhne nicht mehr sehen und ihren Anteil am Aufbau des neuen Staates Israel. Grabstein auf dem Tailfinger Friedhof
1966: Bürgermeisteramt Hailfingen Das Bürgermeisteramt Hailfingen teilte am 12.7.1966 auf eine Anfrage der Archivdirektion Stuttgart mit: Bei den Leichen, die auf dem Flugplatzgelände der Markung Hailfingen aus einem Massengrab ausgegraben wurden, handelte es sich hauptsächlich um Kriegsgefangene, größtenteils Griechen. Die Zahl der Toten wurde auf ca. 120 angegeben. Die Kriegsgefangenen waren zuvor mit dem Ausbau des Flugplatzes beschäftigt und starben vielfach an Schwäche, da zu dieser Zeit Hungersnot bestand. Brief des Bürgermeisteramtes vom 12.7.1966
Monika Walther, geb. Becker Ab Wintersemester 1973/74 schrieb Monika Walther-Becker ihre Zulassungsarbeit an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Ihr Beitrag wurde in den Band Nationalsozialistische Konzentrationslager im Dienst der totalen Kriegsführung aufgenommen. In der Publikation, die 1978 im Stuttgarter Kohlhammer Verlag erschien, werden sieben württembergische Außenkommandos des Konzentrationslagers Natzweiler/Elsaß vorgestellt. Das von Herwart Vorländer herausgegebene Buch ist der erste Versuch, die Außenlager wissenschaftlich zu dokumentieren.
1982 und 1983: Gedenkveranstaltungen Am 1.9.1982, dem Antikriegstag, organisierte der SPD-Ortsvereins Oberes Gäu – angeregt durch die Arbeit von Monika Walther-Becker - die erste Veranstaltung, die das Lager thematisierte. Die Teilnehmer trafen sich vor dem Rathaus Tailfingen und gingen anschließend zu einer kurzen Gedenkfeier zum Tailfinger Friedhof. Am 4. September 1983 fand eine zweite Gedenkver-anstaltung statt, zu der u.a. der DGB und die SPD Kreis Böblingen aufgerufen hatten. Sie begann mit Texten gegen den Krieg im Vereinsheim Tailfingen und endete mit einer Feierstunde auf dem Friedhof. Holzkreuz auf dem Tailfinger Friedhof
Provisorische Gedenktafel Die DKP Tübingen stellte am 12. Mai 1985 am Ende der Landebahn eine provisorische Gedenktafel auf. Das Provisorium sollte schnellstmöglich durch „ein Mahnmal von öffentlicher Seite“ ersetzt werden. Die Inschrift: Hier war das Konzentrationslager Hailfingen-Natzweiler Elsaß. Hunderte zu Tode geschundene und ermordete KZ-Häftlinge mahnen. Nie wieder Faschismus Nie wieder Krieg! Die Tafeln wurden 1986 mit roter Farbe besprüht und daraufhin entfernt. Die Gedenktafel der DKP Tübingen
1986: Gedenkstein Am 2.11.1986 fand im Friedhof Tailfingen eine Feierstunde zur Übergabe eines Gedenksteines für die Opfer des fr. Lagers Hailfingen/Tailfingen statt. Zusätzlich zu dem bereits existierenden Holzkreuz, das nach hinten (außen) versetzt wurde und dem Gedenkstein für Ignac Klein, wurde von der Gemeinde Rottenburg, der Gemeinde Gäufelden und der Israelitischen Religionsgemeinschaft ein Gedenkstein mit zwei Tafeln enthüllt. Inschrift auf der Tafel rechts - Psalm 1 Vers 6, hebräisch und deutsch - : Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, doch der Weg der Sünder führt in den Abgrund. Auf der Tafel links: Den Opfern des 3. Reiches zum Gedenken, den Lebenden zur Mahnung. Der damalige Landesrabbiner Joel Berger am Grab
1987: Tafel an der Landebahn Im April 1987 stellte der Förderverein für die Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des KZ-Außenlagers Hailfingen/Tailfingeneine Informationstafel am westlichen Ende der ehemaligen Startbahn auf, auf der – zusammen mit einem Lageplan - kurz die Geschichte des Geländes dokumentiert ist. Im Januar 1989 wurde sie umgestürzt, mit obszönen Worten und mit einem Sowjet- und einem rosafarbenen Davidsstern beschmiert; ein zweites Mal wurde sie 1994 beschädigt. Tafel an der Landebahn (Detail)
2001: Ausstellung in Tailfingen Im November 2001 lud die Gemeindeverwaltung Gäufelden zu einer Ausstellung ein: Militärflughafen Hailfingen/Tailfingen - Präsentation einer Karte mit Luftaufnahmen über den Bestand im April 1945. Die Gemeindeverwaltung hatte dafür auf der Grundlage von Luftaufnahmen vom Dezember 1944, März 1945 und April 1945 sowie „auf Grund von zwischenzeitlich zugänglichen Unterlagen“ eine Kar-te des Militärflughafens Hailfingen/Tailfingen fertigen lassen. Luftaufnahme Anfang 1945
2002: Utz Jeggle in Tailfingen Am 7. Mai 2002 luden die Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und die GEW Kreis Böblingen zu einer Veranstaltung „Alles halb so schlimm?“ in der Bürgerhalle Gäufelden-Tailfingen ein. Prof. Dr. Utz Jeggle informierte über Entstehung und Geschichte von Flugplatz und KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen. Mit dieser Veranstaltung begann die Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen des Vereins „Gegen Vergessen-Für Demokratie“, die Geschichte des KZ-Außenlagers Hailfingen/Tailfingen aufzuarbeiten. Utz Jeggle vor 300 Zuhörern in Tailfingen
2005: Mordechai Ciechanower Mordechai Ciechanower war Anfang November auf Einladung der Sektion Böblingen-Herrenberg-Tübingen von Gegen Vergessen/Für Demokratie zehn Tage zu Besuch im Gäu. Er sprach am 9. November 2005 in Tailfingen vor über 500 Zuhörern und war Gast in vier Schulen in Herrenberg, Gärtringen und Rottenburg. Auch 2006 und 2007 kam er hierher. Seine Besuche waren ein wichtiger Impuls für die weitere Arbeit. Mordechai Ciechanower 2005
2007: „Spuren“ Das Buch Spuren von Auschwitz ins Gäu von Dorothee Wein, Volker Mall und Harald Roth erschien 2007 im Markstein-Verlag in Filderstadt. Es dokumentiert erstmals die Arbeits- und Lebensbedingungen der KZ-Häftlinge, deren Namen alle im Buch genannt werden. Außerdem folgt es den Spuren von 1945 bis heute und dokumentiert den Umgang der Justiz und der Bevölkerung mit den NS-Verbrechen. Mit dem Buch entstand 2006 der Dokumentarfilm „Geschützter Grünbestand“, den Johannes Kuhn mit dem Verein GV/FD drehte. Außerdem wurden die Autobiographien von Marga Griesbach, der Tochter von Max Steinhardt, und von Mordechai Ciechanower betreut und veröffentlicht.
2010: KZ-Gedenkstätte Im Tailfinger Rathaus entstand ein Ausstellungs- und Dokumentationszentrum. Das Begleitbuch zur Ausstellung „Jeder Mensch hat einen Namen – Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlingen im KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen“ von Volker Mall und Harald Roth erschien 2009 im Metropol-Verlag. Es enthält eine DVD sowohl mit dem ersten Film wie mit einem weiteren Dokumentarfilm „Das KZ-Außenlager Hailfingen/Tailfingen“ von Bernhard Koch. Die Stadt Rottenburg hat 2010 auf dem Flugplatz-gelände ein Mahnmal zur Erinnerung an die jüdischen Opfer aufgestellt.
Selective Memory Locals were always eager to emhasise that “one had not known”, and the concentration camp was hushed up for decades after 1945, yet local memory had always been aware of the history of the camp. However, this memory was overlaid with the memory of the French and the events at the mass grave. These were exploited repeatedly to distract from the Nazi crimes or to play them down. The former airfield was only interesting as far as its future use was concerned. Twice - in the late 1960ies and in 1972/73 - it was discussed as a possible site for a major airport (Stuttgart II). Relatives of Ignac Klein put a memorial stone next to the wooden cross on the cemetery at Tailfingen in the mid-1960ies. After a well founded scientific essay on the subsidiary concentration camp had been published in 1978, the first activities and events followed in 1982. The DKP Tübingen put up a wooden sign at the end of the runway saying: “ Here was the Concentration Camp Hailfingen-Natzweiler Alsace. Hundreds of KZ-prisoners who were ill-treated and murdered here warn us. No more fascism. No more war.” Like the events mentioned above this sign was met with strict denial by parts of the population and was besmeared several times. In 1985 the “Förderverein zur Errich-tung eines Mahnmals für die Opfer des KZs Hailfingen/Tailfingen” was founded, and a year later the townships of Rottenburg and Gäufelden and the Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg unveiled a memorial stone on the cemetery in Tailfingen.
Selective Memory In 2002 the Böblingen-Herrenberg-Tübingen branch of the society Gegen Vergessen - Für Demokratie began to account for the past of the KZ-Außenlager Tailfingen/Hailfingen. A thorough documentation of the history of both airbase and camp was published in 2007. Also in 2007, GV/FD published the autobiography of Mordechai Ciechanower, one of the survivors, which had been translated from Hebrew. It also published the memoirs of Marga Griesbach, née Steinhardt, the daughter of the first victim of the camp. Multimedia teaching material was put together, which in autumn 2007 was made accessible via the website of the Kreismedien-zentrum. Johannes Kuhn from Herrenberg and GV/FD made a docume-ntary film of 60 minutes, “Geschützter Grünbestand”, which was first shown on April 7th, 2006. Gäufelden borough council has resolved an exhibition in Tailfingen city hall which is being put together. In 2010 or later on, the city of Rottenburg will put up a memorial on the site of the airbase to commemorate the Jewish victims. In 2009 a Book of Remembrance was published: Volker Mall/Harald Roth, “Jeder Mensch hat einen Namen”, Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen/Tailfingen.
Bildnachweis Gabriel Holom: 2 ITS: 3, 4, 7 Stadtarchiv Reutlingen: 5 Thomas Meffert: 6 Kohlhammer-Verlag: 8 Harald Roth: 9, 12 und 15 Gerhard Bialas: 11 USAF Historical Research-Center: 13 Gäubote: 14 Markstein-Verlag: 16 Metropol-Verlag: 17 Volker Mall/Harald Roth, „Jeder Mensch hat einen Namen“: 18 und 19 (Übersetzung Christof Baumann) Text: Volker Mall/Harald Roth