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Edgar Hilsenrath. Zusammengestellt von : Stumpf Enikő, Kanyó Ferenc und D. Szabó Mirjam. Geschichtlicher, autobiographischer Hintergrund Im Sommer 1938 schickt der Vater seine Familie ins Ausland (Siret, Bukowina). Einige Monate später → Reichskristallnacht in Deutschland.
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Edgar Hilsenrath Zusammengestellt von : Stumpf Enikő, Kanyó Ferenc und D. Szabó Mirjam
Geschichtlicher, autobiographischer Hintergrund Im Sommer 1938 schickt der Vater seine Familie ins Ausland (Siret, Bukowina). Einige Monate später → Reichskristallnacht in Deutschland. In Rumänien kam eine faschistische Regierung an die Macht. Erste Judengesetze traten in Kraft → Pogrome fanden statt. Rußlandinvasion, rumänische Truppen kämpfen an der Seite der Deutschen → Vertrag von Tiraspol (1941 August, „Transnistria). 1941 Oktober → Juden wurden in Transnistria gebracht (Antonescu).
14. Oktober → Hilsenrath wurde abtransportiert. • Er wurde ins jüdische Ghetto Moghilev-Podolsk gebracht. • Im Ghetto herrschen Hunger, Typhus, Fleckfieber und Cholera. • Bis April 1944 starben 40.000 Menschen. • 1944 März → die Russen „befreiten” Transnistria. • Danach kam Palästina, 1947 Frankreich, 1951 USA • 1966 wurde Nacht veröffentlicht .
Nacht • Hilsenrath erscheint als Chronist. • Schauplatz ist Prokow. • Kein gezielter Mord, sondern Hungertod. • „Komisch, dabei ist es so still draußen. Die Polizei kümmert sich nicht mehr um uns. Manchmal kommt’s mir vor, als hätten die Behörden das Nachtasyl vergessen.” „Sie haben uns nicht vergessen.” „Dann…warum?” „Sie wollen, daß wir hier friedlich verrecken.” „Ich glaube, du hast Recht.” • Hunger und sehr schlechte hygienischen Verhältnisse → Seuchen. • Kampf ums Überleben.
Ghettoeigene Polizei = „Treiber”. • „Erinnerst du dich noch an die Zeit, als die Razzien ausschließlich von ukrainischer Miliz und rumänischen Soldaten durchgeführt wurden?” „Klar. Damals war ich schon hier.” „Also du auch? Unter den allerersten, was?” „Ja.” Sigi strich sich nachdenklich mit den dünnen Händen über den rasierten Schädel. „Wär hätte wohl damals gedacht, dass wir ’ne jüdische Polizei in Prokow kriegen würden?” „Kein Mensch.” „Das stimmt. Kein Mensch hätte damals an so was verrücktes gedacht.” Ranek nickte gleichgültig. „Und doch”, fuhr Sigi redselig fort, „ist es gar nicht mal so verrückt. Die Behörden sind nämlich nicht auf den Kopf gefallen, und die Idee mit der jüdischen Polizei ist nicht so ohne. Es klappt in anderen Gettos, die unter deutscher Aufsicht sind. Warum soll es nicht hier klappen? Die Rumänen haben viel von den deutschen gelernt. Sie wissen, daß die Gründung der jüdischen Polizei den Razzien, wie man so sagt ’nen Schein von Legalität gibt. Verstehst du doch, was? Wenn Juden Jagd auf Juden machen, dann muß es schon richtig sein. Wozu braucht ihr uns dazu? Ihr könnt euren Saustall selbst reinigen.” „Die jüdische Polizei macht’s nicht allein”, sagte Ranek jetzt. „Es gehen immer noch ein Paar Rumänen und Ukrainer mit.” „Vorläufig. Aber das wird aufhören, sobald die jüdische Polizei beweisen wird, daß sie’s allein schaffen kann.”
Prokow ist ein fiktiver Ort. „ Prokow am Dnjestr ist ein symbolisches Ghetto; es ist auf keiner Landkarte zu finden. Seine Ruinen können überall stehen und seine Menschen überall leben, wo das Rad der Geschichte um Jahrtausende zurückgedreht wird.”
- Für Ihn war Schreiben eine Therapie: „Schreiben war für mich immer Therapie. Ich litt an Depressionen. Mit zwölf aus der Schule raus, die Welt, die während des Krieges für uns still stand ..., da konnten die meisten den Anschluß nicht mehr finden. Mit zwanzig hatte ich sehr viele Identitätskrisen. Das lag an der unterbrochenen Entwicklung. Ich war wie aus der Bahn geworfen, wußte nicht was ich machen sollte, wußte nicht, wozu ich überhaupt da war. Das Schreiben hat viel gelöst. Nach den ersten neun bis zwölf Seiten von "Nacht" war ich wie befreit. Ich hatte mein Ziel gefunden. Ab da hatte ich keine Depressionen mehr.”
Die Geschichte des Buchs Der Dornenweg des Buchs 1964 der Roman erscheint im Helmut Kindler Verlag Im Verlag gibt es eine heftige Opposition gegen das Buch. Ein jüdischer Mitarbeiter, der das KZ Auschwitz überlebt hat, sieht in dem Text eine Verunglimpfung der jüdischen Opfer Kindler beschließt zwar den Vertrag zu erfüllen, also das Buch in einer kleinen Auflage zu veröffentlichen, aber es weder auf der Buchmesse zu präsentieren, noch nennenswert dafür zu werben Das Buch erscheint und verschwindet – durch Ausverkauf der kleinen, ersten Auflage – nach wenigen Monaten vom Buchmarkt. 1250 Stücke ausgegeben 791 Exemplare wurden seinerzeit verkauft
Mai 1965 geht Hilsenrath nach Deutschland, um sein Buch durch Präsenz und persönliches Bemühen zu fördern. Der Verlag verheimlicht ihm die Entscheidung gegen den Roman. • Im selben Jahr lehnt der Verlag eine Zweitauflage ab, da man "die falsche Reaktion des deutschen Publikums fürchte„ • 1966 veröffentlicht der New Yorker Verlag Doubleday &Company den Roman unter dem Titel "Night" (in Übersetzung von Michael Roloff) • die amerikanische Ausgabe ist inzwischen bei 500000 Stück angelangt • Juli 1967 wird Hilsenrath vom Cheflektor des Doubleday–Verlages gefragt, ob er einen zweiten Roman für Doubleday schreiben wolle • So schreibt er den Roman "Der jüdische Friseur".
Er wird 1971 in New York unter dem Titel "The Nazi & the Barber" veröffentlicht. • 1975 zieht Hilsenrath nach Berlin wo er heute noch lebt. • 1977 Im Literarischen Verlag Helmut Braun publiziert Hilsenrath sein Buch "Der Nazi & und der Friseur" • Inerhalb weniger Monate ist der Autor in Deutschland berühmt. • 1978 erscheint eine Neuauflage des Romans "Nacht" mit einer Startauflage von 50000
b) Fiktion oder Dokumentation? • Der Roman ist kein autobiographischer Roman - „ich bin nicht Ranek” • Hat aber autobiographische Züge, wie die meisten Romane von Hilsenrath • Viele sagen, der Roman sei ein Dokumentationsroman und viele sagen, der sei es nicht „Denn es handelt sich bei dieser Gigantomachie des Entsetzens […]in jeder Hinsicht um ein Kunstwerk, nicht um eine Dokumentation. Und es ist das Erstaunliche an diesem Buch, daß es trotz der romanhaften Handlung alle Fakten eines Dokumentarberichts von nie gekannter Furchtbarkeit und Endgültigkeit vorweist. Dem Autor ist es gelungen, diese beweiskräftigen Fakten, das sogenannte epische Material, von den realen Gegebenheiten zu lösen und zur Dichtung zu erheben.” /Peter Jokostra/
es fehlen genaue Fakten, Zahlen und Daten • viel zu subjektiv • aus der Sichtweise einzelner Personen bzw. Ranek beschränkt • fiktiver Tatsachenroman c) Warum ist dieses Buch anders als andere? • Vor Hilsenraths Roman Nacht geht es in der Holocaustliteratur immer um das deutsche Lager • Über das rumänische Ghetto schreibt er als erster • Das Buch bricht mit den Konventionen die die Juden als „edlen Opfern” betrachten
Der Roman „Der Mensch wird dem Menschen zum Wolf, wenn man ihn bedroht.”
Das Buch verfolgt den Überlebenskampf der Hauptfigur Ranek im Prokower Ghetto ungefähr ein Jahr lang • 4 Teile • Zeit hat nur eine sekundäre Bedeutung • Sprache: wie eine Dokumentation, er berichtet nur
Das Leben im Ghetto • Die Nacht = Hetzjagd auf Menschen Verschleppung Als Obdachloser erschossen werden Pure Angst Angst vor Razzien Schreiende Opfer Begegnung mit dem Tod • Es gibt drei Schichten in der Gesellschaft: • die Obdachlosen, • die ein Zuhause haben, • Die auch hier gut Leben
Zimmer des Schusters „Er blickte sich jetzt im Zimmer um. Sein Staunen kannte keine Grenzen. Keine Schlafpritsche, sondern ein breites Bett, ein gutes Bett, ein richtiges Bett. Ein dicker Teppich auf dem Fußboden. Ein runder Tisch… und Stühle, die vier Beine hatten. Ein Altmodischer Klubsessel. Eine Kommode mit drehbarem Spiegel. Ein zierlicher Nachttisch, auf dem eine Blumenvase stand… Also, so etwas gab es noch?” • Blums Wohnung „Blum wohnte schön. Es war ein sauberes Quartier, in dem höchstens zehn bis fünfzehn Leute wohnten. Am Fenster hingen Gardinen, und auf dem Fensterbrett stand ein großer Blumentopf. (…) Blum war ein beleibter Mann mit (…) einem fetten, gelben, mürrischen Gesicht.” • die Kleider des Dicken „Der geht aber gut angezogen: [ins Bordell] die Seidenkrawatte, das feine Hemd, der feine Anzug – Klasse, was? Und hast du seine Schuhe gesehen? Lackschuhe, jawohl mein Junge, echte Lackschuhe.”
Man versucht aus allem einen Nutzen zu ziehen • „Das Geschäft wurde immer besser. Scharenweise kamen die Leute aus den Massenquartieren zu ihm geströmt, um sich die Haare scheren zu lassen, solange sie lebten, natürlich, dachte er schmunzelnd, und wenn sie starben, dann wanderten ihre Schuhe, Kleider und Goldzähne in seinen Laden. Und dann kamen die Händler… meistens erst gegen Abend… um diese Zeit.” • Hunger • „… der Hunger ist wie ein Wurm; er nagt und nagt, und du spürst langsam wie er dich von innen her auffrißt. Du möchtest ihn auskotzen und ihn zertreten, aber das geht nicht, Ranek. Du wirst den Wurm nicht los. Alles was du tun kannst, ist, ihn besänftigen, ihn beruhigen. Gib ihm etwas zu fressen. Dann ist er beschäftigt. Dann läßt er dich in Ruhe.” • „… aber als er jetzt die Suppe in greifbarer Nähe vor sich sah, da konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er riß dem Kind die Schüssel aus den Händen. Und er fing mit Heißhunger zu essen an.”
„Der Polizist nickte gleichgültig. Er sagte: „Das ist mir hier zu langweilig; komm wieder zurück, wir können noch ’ne Nummer schieben.” (…) Der Hure schoß das Blut vor Erregung ins Gesicht, (…) sie beugte sich so weit wie möglich vor um besser sehen zu können; ihre Arme schlenkerten nervös, die großen Brüste wippten. Die Leute feuerten Ranek und den Jungen an, und die Hure stimmte mit ihnen ein.” • „Nachdem sie sich wortlos entfernt hatte, reihte Ranek sich hinter dem Menschenhaufen an. Warum auch nicht? dachte er achselzuckend; schließlich ist jedes Schauspiel gut, wenn es einen Zweck erfüllt - ablenkt, damit man nicht mehr nachzudenken braucht.” • Unterhaltung
„Vor einem Haustor spielte ein Kind. Es spielte mit dem aufgelösten, weichen, welligen Haar einer Frauenleiche, die am Vormittag aus dem Fenster geworfen worden war. Die Leiche war nicht geplatzt, denn es war ein niedriges Fenster(…). Soeben beugte sich ein kahlköpfiger Mann heraus und schüttete einen Eimer Wasser auf die Straße. Das Kind (…) sprang lachend zur Seite und freute sich darüber, wie gut der Mann am Fenster geziehlt hatte, denn die Leiche hatte sich (…) umgedreht. (…) Es dachte: Ob sie wohl jetzt aufstehen wird? (…) Als jedoch nichts geschah, hob das enttäuschte Kind einen platten Stein auf und warf ihn ärgerlich auf den starren Körper.”
Der Tod ist zum alltäglichen geworden • Ranek sieht Fred (seinen Bruder) an, der bald stirbt „Er hatte ihn kopfschüttelnd betrachtet und war dann zu dem Schluß gekommen, daß es besser für ihn sei, wenn er nicht mehr lange litt. Fred würde unter der Treppe sterben… so wie Levi. Man durfte das nicht zu tragisch nehmen. Ein schmerzliches, aber unvermeidliches Ereignis war besser, wenn es früher eintrat als später; man mußte sich eben nur an den Gedanken gewöhnen und sich mit ihm abfinden.” • Angst
Resignation und Gleichgültigkeit • Die Einwohner finden sich mit ihrer Situation ab, keine Fragen • … „Er packte sie an den Haaren und trommlte mit der einen freien Faust von hinten auf ihren Kopf, bis sie in die Knie ging; er stieß sie aufs Pflaster und trat mit seinen verbundenen Füßen in ihr Gesicht, immer wieder, immer wieder, ohne auf ihre dumpfen Hilferufe zu achten (…) Die Frau und das Kind gingen weiter. Das Kind drehte sich fortwährend neugierig um, aber die Frau zog es energisch mit sich fort. „Warum hat er sie so geschlagen?” fragte das Kind ein wenig später seine Mutter. „Sie hat was verbrochen”, sagte die Mutter. „Sie hat doch bloß gegessen?” fragte das Kind. „Das ist es eben”, sagte die Mutter.
„… Ranek lag auf dem Trottoir. Stellen Sie sich das mal vor. Auf dem Trottoir in der Puschkinskaja. Bei dem fürchterlichen Gedränge. Und die Vorübergehenden sahen ihn nicht mal, denn die sehen so was nie. Wer guckt denn hin, wenn irgendetwas auf der Straße liegt… ein Hund, eine Katze oder ein Mensch? Er lag da, wie ein krankes Tier, das vom Verkehr plattgetreten wird…” • bedeutungslos, gleichgültig, es ist egal, geht niemanden was an, vergessen, Achselzucken • „Die Nachricht von Raneks Tod wurde von den Leuten des Nachtasyls mit sturer Gleichgültigkeit aufgenommen. Seine näheren Bekannten zucktendie Achseln; er war eben nur einer der vielen Fälle, die früher oder später von der Bildfläche verschwanden, es war am besten, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen.”
Keine Klage, keine Flucht, keine Pläne für einen Aufstand • „Sekundenlang setzte sich ein wahnwitziger Gedanke in seinem Hirn fest, um dann gleich wieder auszulöschen wie ein gefährlicher Funke Feuer, über den man sofort kaltes Wasser gießt. Nein, dachte er, Flucht aus dem Getto ist Wahnsinn. Es gibt nur eines: Abzuwarten bis der Krieg zu Ende ist. Er hatte den Gedanken an eine Rückkehr in die alte Heimat schon öfter erwogen, aber immer wieder verworfen. Die Flucht war an sich nicht schwierig. Die Wächter auf der Brücke waren leicht zu täuschen; man brauchte ja nur nachts durch den Fluß zu schwimmen, und man war drüben in Rumänien. Aber was dann? Wohin sollte man gehen? Ohne Papiere? Und mit dem Stempel, der einem ins Gesicht geschrieben stand? Drüben fiel man sofort auf, und wer erwischt wurde, der war verloren.”
Figuren • Resignation auch in den äußerlichen Zügen sichtbar: Gesicht ohne Züge, leere Augen, hohle Stimme, stummes Gesicht, freudloses Lachen • Namenlosigkeit (der Rote, der Dicke, die Alte, die Bucklige, der Zigarettenjunge…) • Ranek und Debora
Namenlosigkeit • „Seine Blicke huschten weiter über den Fußboden. Die meisten Leute hier unten sind ihm völlig unbekannt. Es sind die Namenlosen, die, die bloß Beine haben, Körper und Köpfe … aber keine Gesichter. Namenlos sind sie, wie die Straßen von Prokow. Man bemerkt sie nur, wenn man über sie stolpert, sie liegen einem im Weg. Sie haben keine Gesichter, denkt er … sie haben keine Gesichter.” • Ranek und Debora • „Ranek hat Sie geliebt”, sagte die alte Frau jetzt nachdenklich. „Er hat das nie zugegeben, aber ich habe es schon immer gewußt, Debora.” Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. „Ich hab’s gewußt”, sagte sie, „bloß hab’ich mir’s nie erklären können, weil er doch einer war, dessen Glauben man zerstört hatte, den Glauben an Gott, Debora, und den Glauben an die Menschen, einer, dem dann nichts mehr heilig war… und weil ich mir gesagt habe: So einer wie der ist gar nicht mehr fähig zu lieben. Aber Hofer hat eben doch recht gehabt.” „Recht gehabt?” flüsterte Debora. „Was hat Hofer denn gesagt?” „Nur die Toten können nicht mehr lieben… hat er gesagt.”
Die Menschen • Haben keine Gesichter, sehen nicht mehr wie Menschen aus „Die Frau, die heute operiert wurde ist nicht so arm”, wirft die Schwester ein. „Sie ist eine Ausnahme – sie und noch ein paar andere. Sie haben sogar Seife zum Waschen.” Die Schwester nickt. „Was ich vorhin gemeint hab’… ist nicht die Überfüllung”, sagt sie dann zögernd. „Dann hab’ ich sie nicht richtig verstanden.” „Ich meine… daß die Leute hier anders aussehen.” „Wie anders sehen sie denn aus?” „Nicht mehr wie Menschen”, sagt die Schwester.
Jeder ist allein, auf sich gestellt, keiner hilft, jeder lacht • „… Wenn Ranek fortblieb, würde sie nachts nicht mehr ruhig schlafen können, denn sie würden wie die wilden Tiere herangekrochen kommen. Sie verspürte plötzlich eine unheimliche Angst, ohne Schutz in dem dunklen Zimmer zu schlafen. Hat er’s nicht gesagt? Hier kümmert sich niemand um den anderen! Kein Mensch, dachte sie. Kein Mensch wird sich drum scheren, wenn dir was zustößt … Und die Leute glauben an nichts mehr, sie haben vor nichts Respekt, nichts ist ihnen mehr heilig. Sie können nur noch hohnlachen.”
Haß gegenüber denen, denen es besser geht • „Ich hab’ mal eine gehabt, die auch so gut ernährt war, wie Sie”, sagt er jetzt eindringlich, „wenigstens war sie das in der ersten Zeit, nachdem sie hier ankam. Wenn eine Frau gut ernährt ist, dann kann ein Mann ganz verrückt werden. Weil so was so selten ist. Ich meine, eine Frau, die noch kein Skelett ist, die noch Fleisch auf sich hat.” Und wieder zittert seine Stimme vor Haß: „Die noch wie ein Mensch aussieht. Nicht so wie ich. Nicht so, wie die meisten von uns. Verstehen Sie das? So wie ein Mensch!”
Täglicher Kampf mit-und gegeneinander • „Um die Kleiderfetzen der Toten, soweit sie nicht völlig zerrissen waren, gab es jedesmal Streit. Jeder glaubte, ein Anrecht darauf zu haben, und sobald die Leute eines Toten gewahr wurden, stürzten sie sich wie eine Herde wilder Tiere auf ihn. Hier, wie überall, schnitt nur der Schnellste und Gewandeste gut ab und durfte sich mit den Kleidern davonmachen, um sie in Brot umzusetzen.”
Das Verhalten der Menschen hat sich in der Not geändert, es gleicht keinem menschlichen mehr • „Debora ging stumm an dem Paar vorbei, das ineinander verkrampft sich wie das Vieh auf der Erde wälzte. Ihre Kehle war ausgetrocknet, ihr ganzer Körper schmerzte, als wäre er eine einzige, große, offene Wunde. Wie tief war doch der Mensch gesunken! Wie sehr hatte man ihn erniedrigt! Sie wollte zurückblicken, um Ranek ein letztes Mal zu sehen, aber sie konnte jetzt nicht. Das Lachen des Roten schallte ihr heiser aus dem Hausflur nach, und es kam ihr plötzlich vor, als stimme auch der Tote unter der Treppe in dieses Gelächter ein.
Es gibt aber auch Menschen, die menschliches bewahrt haben: • Ranek – „Es kommt noch vor, … daß ich träume.” • Debora – Nächstenliebe, Sehnsucht nach dem Leben • Dr. Blum – obwohl ihn alle hassen, ist er der einzige, der bei einer Abtreibung das menschliche zu bewahren versucht, jedoch ohne Erfolg.