230 likes | 430 Views
Wandlungen des Friedensbegriffs seit dem Mittelalter. Frieden ist mehr als kein Krieg. Diese Datei ist ab sofort downloadbar von unserer Website. www.uni-muenster.de/Politikwissenschaft/ Doppeldiplom/aktuelles.html Dort finden Sie auch weitere Materialien zum Seminar. Frieden.
E N D
Wandlungen des Friedensbegriffs seit dem Mittelalter Frieden ist mehr als kein Krieg
Diese Datei ist ab sofort downloadbar von unserer Website www.uni-muenster.de/Politikwissenschaft/ Doppeldiplom/aktuelles.html • Dort finden Sie auch weitere Materialien zum Seminar.
Frieden bedeutet im alltäglichen Verständnis die Abwesenheit von Krieg. Die Friedens- und Konfliktforschung fasst den Begriff jedoch weiter. Sie unterscheidet zwischen dem negativen Frieden als der Abwesenheit direkter, personaler, durch ein Subjekt - Objekt - Verhältnis gekennzeichneter Gewaltanwendung und dem positiven Frieden als der Abwesenheit indirekter, struktureller, d. h. in politischen, ökonomischen oder gesellschaftlichen Verhältnissen wurzelnder Gewalt. In strukturellen Gewaltverhältnissen lassen sich zwar noch die Objekte, in aller Regel aber nicht mehr die (Einzel-) Subjekte der Gewaltausübung konkret benennen; Gewalt - als Macht der gesellschaftlichen Verhältnisse - zeigt sich in Abhängigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung.
Die erweiterten Begriffe von Gewalt und Frieden nach Galtung GEWALT personale (direkte) strukturelle (indirekte) Abwesenheit von struktureller Gewalt oder positiver Frieden Abwesenheit von personaler Gewalt oder negativer Frieden FRIEDEN
Der Friedensbegriff - eine Dauerbaustelle - Das Kennzeichen beider Friedensbegriffe ist zunächst ihre Orientierung auf einen politisch-gesellschaftlichen (Ideal-) Zustand, der - ähnlich wie der Begriff der Gesundheit in der Medizin - durch das Nichtvorhandensein wie auch immer im einzelnen definierter Störfaktoren beschrieben wird. Über diese Störfaktoren - etwa Gewalt, Not, Unfreiheit - lässt sich in Politik wie Wissenschaft Konsens relativ einfach herstellen. Die positiv - inhaltliche Definition dessen, was den (Ideal-) Zustand des Friedens ausmacht, trifft hingegen auf erhebliche Schwierigkeiten. Sie hängt ab von den moralisch-ethischen Grundannahmen und Normen, von den gesellschaftlichen und politischen Wertvorstellungen des Einzelnen oder der Gruppe, die sich mit dem Inhalt des Friedensbegriffs jeweils auseinandersetzen. Folglich gibt es im Prinzip so viele positiv-inhaltliche Umschreibungen von Frieden, wie es Gesellschafts- und Politikmodelle, Weltanschauungen, Glaubensbekenntnisse gibt.
Gleichwohl lassen sich idealtypisierend - vereinfachend in der Entwicklung des Friedensgedankens zwei Argumentationsstränge herausschälen. • Friede wird entweder begriffen als kosmisches Ordnungsprinzip, als überhistorischer, gleichsam konzentrierter Ausdruck einer Weltordnung. Diese findet ihren letzten Flucht- und Legitimationspunkt erst in Gott, dann als Folge der Säkularisation des politischen Denkens nach der Reformationszeit in der allen Menschen natürlich gegebenen Vernunft. • Oder Friede wird begriffen als Ausdruck der menschlichen Willensüberzeugung, als ein rational begründbares politisches Kulturprodukt. Dieses bedarf der ausdrücklichen Stiftung durch ver-tragliche Vereinbarungen (Landfriedenseinungen, Gesellschaftsvertrag) ebenso wie des Schutzes durch die öffentliche Gewalt.
Mit dieser dualen Argumentationsstruktur verbunden ist die Frage nach dem Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit, pax und iustitia: Entweder ist die Gerechtigkeit dem Frieden vorgeordnet, gilt Friede als ihre naturwüchsige Frucht. Oder die gesellschaftlich-politische Friedensordnung ist durch die Herrschaft der öffentlichen Gewalt erst herzustellen und zu sichern. Dann ist die Gerechtigkeit als Legitimationsprinzip einer gegebenen gesellschaftlichen Ordnung, die jedem das Seine zuteilt, dem Frieden nachgeordnet, auch ohne Frieden nicht zu verwirklichen. Schließlich: im Kontext des ersten Argumentationszuges erscheint der Krieg als Unterbrechung, als Störung des naturwüchsigen Friedens. In der zweiten Traditionslinie ist der Krieg - Folge menschlichen Verfehlens und sündhafter Willensfreiheit - gleichsam der inner- und zwischengesellschaftliche Normalzustand. Friede ist Nicht-Krieg.
Friede als natürlicher Zustand Gestifteter Friede als Kulturprodukt Pax et justitia als gesell- schaftliches Ordnungsprinzip PAX als kosmisches Ordnungsprinzip Friede als Nichtstörung der Rechtsordnung, Waffenruhe in der Fehde (tranquillitas pacis) oder Befriedung besonderer Rechtsbezirke (securitas pacis) Friede resultiert aus Teilhabe an der Gnade Gottes: pax christiana universalis perpetua mit deutlich eschatologischem Charakter PAX CIVILIS PAX SPIRITUALIS Säkularisierung : Emanzipation der Politik von der Ethik
rationalistisch-naturrechtliche Begründung aus der Vernunftbegabung des Menschen gesellschaftsvertragliche Stiftung BELLUM RUPTURA PACIS PAX ABSENTIA BELLI Friede als Ergebnis des gesellschaftsvertraglich begründeten Gewaltmonopols des Staates; pax civilis effectiva als innere und Rechtssicherheit Friede als natürlicher vorgesellschaftsvertraglicher Zustand
Schon diese unterschiedlichen Positionen in der dualen Argumentationskette zeigen, dass es eine geschichtliche Epochen übergreifende, vom jeweiligen ethisch - normativen und / oder politisch-philosophischen Kontext losgelöste Allgemeindefinition von Frieden nicht gibt. Wenn überhaupt, lässt sich der Positivgehalt von Frieden nur im Rückgriff auf ein je bestimmtes Politik- und Gesellschaftsverständnis festlegen. Statt allgemeinverbindlich, wird der Begriff Frieden damit notwendigerweise politisch, fordert den Benutzer zur Überprüfung der eigenen Position, zu Zustimmung oder Ablehnung heraus.
Exkurse: Friede als Funktion der Verfestigung staatlicherHerrschaftsverhältnisse • Gottesfrieden • Landfrieden • Genese des Territorialstaats • Impermeabilität des Territorialstaats als Substrat von Krieg und Frieden: das Billard-Ball-Modell internationaler Politik • Kennlinien des Verhältnisses von Krieg und Frieden in der frühen Neuzeit
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden I
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden II
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden III
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden IV
Elemente einer historischen Formenlehre von Krieg und Frieden V • Epoche: nach dem Ende des Ost-West-Konflikts • Kriegsform: Neue Kriege • Charakteristik: Entstaatlichung des Krieges, Privatisierung der innergesellschaftlichen wie zwischengesellschaftlichen Gewaltanwendung • Politische Organisation: Vermischung staatlicher und substaatlicher, öffentlicher und privater Formen von Herrschaft und Machtausübung (Warlords, Mafiagang-Territorien, ethnische Mini-Republiken etc.) • Ökonomische Struktur: Bürgerkriegs- und Mafiaökonomien vermitteln zwischen lokaler/regionaler Ausbeutung von Ressourcen und prädatorischer Aneignung nicht selbst geschaffener (Mehr-) Werte und der Mobilisierung von Fluchtkapital oder (gewaschenem) Schwarzgeld und der Realisierung von Profiten im globalen Masstab • Friedensidee: Noch unbestimmte Entwicklung zwischen den Polen des Post Conflict Peace Building gestützt auf Zivilgesellschaft, Third Track Diplomacy, NGOs etc. und Global Governance andererseits
Friede als Prozess Dem Dilemma einer gleichsam konstruktivistischen, je epochenmässig inhaltlich differenten Verortung von Krieg und Frieden sucht die Friedens- und Konfliktforschung neuerdings dadurch zu entgehen, daß sie Frieden weniger als (Ideal-) Ziel oder Zustand gesellschaftlichen Handelns begreift, sondern als einen in der Geschichte sich entwickelnden Prozess. In diesem Prozess geht es um die Institutionalisierung dauerhafter, gewaltfreier Formen der Konfliktbearbeitung, nicht allerdings - manch landläufigem Verständnis zuwider - um die Abschaffung des Konfliktes als einer gesellschaftlichen Verhaltensweise an sich. Vielmehr soll die Bearbeitung von Konflikten durch kontinuierliche Verrechtlichung ihrer Austragungsweise zivilisiert werden. Durch zunehmende Gewaltfreiheit des Konfliktaustrags eröffnet sich die Chance zum Abbau von Gewaltsamkeit zunächst im Binnenverhältnis der Einzelgesellschaften, sodann aber auch in der internationalen Politik, im Verhältnis der staatlich verfassten Einzelgesellschaften untereinander.
Die Ausdifferenzierung des Friedensbegriffs komplexe ganzheitliche Modelle Oberziel: Kriegsverhütung gesellschaftliche Strukturänderung Kennzeichen Abwesenheit militärischer Gewaltanwendung Abwesenheit struktureller Gewalt Interkultureller Friede Friede mit der Natur Spiritueller innerer Friede Gleichgewicht der Macht/der Mächte Geschlechterfrieden Bereich Global Umwelt Kultur Transnational Zwischenstaatlich Innerstaatlich Inner-gesellschaftlich Familie/Individ. Innerer Friede FRIEDE
Literaturhinweise (zur eingehenderen Diskussion der inhaltlichen Bestimmungen von ‘Frieden’): • Czempiel, Ernst-Otto: Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisierung und Wirtschaft, Paderborn 1986. • Czempiel, Ernst-Otto: Friedensstrategien. Eine systematische Darstellung aussenpolitischer Theorien von Machiavelli bis Madariaga, 2.Aufl. Opladen/Wiesbaden 1998 • Meyers, Reinhard: Begriff und Probleme des Friedens, Opladen 1994. • Brown, Michael E. et al. (eds.): Theories of War and Peace, Cambridge, • Massachusetts 1999