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„Nix verstehn“ Migrantinnen in Österreich Facts & Figures. a.o. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
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„Nix verstehn“Migrantinnen in ÖsterreichFacts & Figures a.o. Univ.-Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger Wiener Frauengesundheitsbeauftragteständige Gastprofessorin der Universität Salzburgwissenschaftliche Leiterin des Ludwig Boltzmann-Institutes für FrauengesundheitsforschungKlinische und Gesundheitspsychologin © B.Wimmer-Puchinger
Überblick • Basic Policies – Declarations – Empfehlungen • Daten – Statistik • Gender Aspect – „Was betrifft besonders Frauen (anders) als Männer“ • Daten / Studien zur gesundheitlichen Versorgung und Erkrankungsrisiken • Erfahrungen und Strukturen in Wien • Empfehlungen – lessons learned
„Beklage nicht, was nicht zu ändern ist, aber ändere, was zu beklagen ist.“ (William Shakespeare)
Basic Policies • Die Zukunft der westlichen Gesellschaft wird von kultureller und einem deutlichen Anstieg sozialer Diversität bestimmt sein. • Antworten liegen in einer Zivilgesellschaft u.a. darin, Rahmenbedingungen wie Diversity Mainstreaming zu schaffen, die sozialen Exklusionen entgegenwirken. • In der Nizza-Vereinbarung (2000) des Europäischen Rates sind dazu 4 Ziele vereinbart:
Basic Policies 1)Erleichterung des Zugangs aller zu Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen 2)Vermeidung der Risiken der Ausgrenzung 3)Maßnahmen zugunsten der sozial am stärksten gefährdeten Personen 4)Mobilisierung aller Akteure
Basic Policies • Die WHO formuliert Ziele und Strategien für eine bessere Gerechtigkeit und Qualität von sozial Benachteiligten, wie MigrantInnen im Gesundheitsbereich. • Einen weiteren Gesichtspunkt stellt die zunehmende Erkenntnis einer Verschränkung von Menschenrechten zur Gesundheit im Zusammenhang mit Migration bei Public Health-Strategien dar. (Jonathan Mann et al., 2000)
Definition von Frauengesundheit „Women‘s health is a sex- and gender-informed practice centered on the whole woman in the diverse contexts of her life grounded in an interdisciplinary sex- and gender informed biopsychosocial science.“ as per The American College of Women‘s Health Physicians
Daten – Statistik • Österreich: 764.314 Männer und Frauen ohne österr. Staatsbürgerschaft. • 352.323 Frauen (9,5 %) • 158.236 kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien • 57.142 aus der Türkei • Aufgeschlüsselt auf die Bundesländer sind • in Wien 18 % Männer und Frauen, • im Burgenland 4,2 % anteilig nicht österreichische Staatsbürger. Quelle: Österreichisches Forum für Migrationsstudien 2003
Definition von „Migrantin“: Migrantinnen sind eine inhomogene Gruppe Rechtlicher Status: • Österr. / nicht-österr. Staatsbürgerinnen • Legaler / illegaler Aufenthalt Hintergrund: • Arbeitsmigrantinnen (alleine / mit Partner) • Flüchtlinge • Im Rahmen Familienzusammenführung • Im Rahmen der Ausbildung • Als Opfer von Menschenhandel
Definition von „Migrantin“: Migrantinnen sind eine inhomogene Gruppe Migrationserfahrung • 1. Generation: im Ausland geboren, als Erwachsene eingewandert • Generation 1,5: im Ausland geboren, in Österreich aufgewachsen • 2. und 3. Generation: in Österreich geboren und aufgwachsen Aufenthaltsdauer Sprachliche und sozioökonomische, Bildungsunterschiede Stadt/Land Kulturelle, religiöse Unterschiede
Männer Frauen Altersstruktur bei MigrantInnen in Österreich Quelle: Mikrozensus 2002; S.59ff.
Soziale Benachteiligung und Migration • niederer gesellschaftlicher Status hinsichtlich Bildung und beruflicher Position • hohe Arbeitslosigkeit(Österr: 6%, Ex-Jugoslawien: 8%, TürkInnen: 11%) • hohe Armutsgefährdung(Österr. gesamt: 11%; Männer: 9%, Frauen: 13%, MigrantInnen: 22%, Langzeitarbeitslose: 31%, AlleinerzieherInnen: 50%)
Sozioökonomische Lage • 50% der Migrantenhaushalte liegen im untersten Einkommensviertel (Bericht über die Soziale Lage 2000). • Der Großteil weiblicher Migrantinnen - vor allem jener aus den größten Zuwanderergruppen, aus Ex-YU und Türkei - zählt von Einkommen, Bildungslevel und Wohnstandards her zu sozial Benachteiligten. • Nicht-EU-Bürgerinnen sind weiters rechtlichen Benachteiligungen (Wohnungs- und Arbeitsmarkt, politische Teilhabe) ausgesetzt. • Wenn sie aus islamischen Ländern kommen, sehen sie sich mit starken Vorurteilen konfrontiert. • IMAS-Umfrage Sept. 2004: 31% spricht türkischen MigrantInnen jede Integrationsbereitschaft ab.
Sozioökonomische Lage • Pflichtschulabschluß bis 19 Jahre (österr. Gesamtbevölkerung 72 %, Ex-Jugoslawien 92 %, Türkei 94 %) • Ungelernte ArbeiterInnen: (österr. Gesamtbevölkerung 5 %, Ex-Jugoslawien 40 %, Türkei 48 %) • Arbeitslosigkeit: (österr. Gesamtbevölkerung 6 %, Ex-Jugoslawien 8,1 %, Türkei 11 %) Quelle: Statistik Austria, Mikrozensus 1993
Gute Deutschkenntnisse: erste und zweite Generation unter 30 Jahre 30 bis 50 Jahre über 50 Jahre unter 30 Jahre 30 bis 50 Jahre über 50 Jahre n=815 PatientInnen der Charité Berlin / Notfallambulanz, 2001-2003
Gender Aspect„Was betrifft Frauen (anders) als Männer“ Weibliche Migrantinnen haben noch schlechtere Lebensbedingungen als männliche Einwanderer: • arbeiten in Niedriglohnbranchen, • sind von höherer Arbeitslosigkeit betroffen, • rechtl. Diskriminierung: höhere Abhängigkeit vom Ehemann • einer Frau mit Familienvisum droht Verlust ihrer Aufenthaltsberechtigung • Nur bei rechtskräftiger strafrechtlicher Verurteilung / schuldhafter Scheidung des Ehemanns oder einstweiliger Verfügung eigener Aufenthalt mit Arbeitserlaubnis
Gender Aspect„Was betrifft Frauen (anders) als Männer“ • Migrantinnen leiden unter negativen Stereotypen (vgl. Appelt 2003), (etwa als Opfer, Exotin, „rückständige“ Frauen, islamische Fundamentalistin ...) • Anpassungsdruck der Mehrheitsgesellschaft • sprachliche und kulturelle Isolation von Hausfrauen
Gender Aspect„Was betrifft Frauen (anders) als Männer“ Migrantinnen • heiraten früher • der Anteil der ledigen Migrantinnen ist geringer • leben oft in transnationalen Haushalten • traditionelles Rollenverständnis – sind für reproduktive Aufgaben in Familie zuständig • haben durchschnittlich mehr Kinder (T: 2,69; Ex-YU: 1,96; Ö: 1,23; Münz/Kytir 2003) • geben seltener ihre Kinder in den Kindergarten • patriarchal-traditionalistische Gewalt • FGM: Beschneidung afrik. Frauen – auch an in Österr. geborenen Mädchen wird Genitalverstümmelung durchgeführt
Gender Aspect„Was betrifft Frauen (anders) als Männer“ • Erhöhte psychische und körperliche Gesundheitsrisiken durch Dreifachbelastung von Migrantínnen: • rechtliche und soziale Diskriminierung als Minoritätsangehörige • berufliche Benachteiligung - aufgrund mangelnder Berufsausbildung auf unattraktive und unsichere Arbeitsplätze angewiesen • geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Familie und Beruf
Gender Aspect„Was betrifft Frauen (anders) als Männer“ Co-factors of migration: • Lebensbedrohende Situationen • Orientierungs- und Perspektivenlosigkeit • Ohnmachtsgefühle • Identitätskrisen • Entwurzelungsgefühle • Verlusterlebnisse
Sprach- und Kulturbarrieren, Informationsdefizite • Anderer Wortschatz zu Gesundheit, Körper, Befindlichkeit, Sexualität • Muttersprachliche Informationsmaterialen nicht Standard • Wenig audiovisuelle Informationsmaterialien (Analphabetismus, niederer Bildungsstand) • Mangelnde Dolmetschdienste
Gutes körperliches und seelisches Wohlbefinden n=989 Frauen in Österreich, 13% aus der Türkei, 8% aus Ex-Jugoslawien; LBI für Frauengesundheitsforschung 2000
Gesunder Lebensstil n=989 Frauen in Österreich, 13% aus der Türkei, 8% aus Ex-Jugoslawien; LBI für Frauengesundheitsforschung 2000
Muttersprache Bildung Muttersprache Bildung Gynäkologische Vorsorguntersuchungen n=1.858 Frauen des 10. Wiener Gemeindebezirks, 9% aus der Türkei, 8% aus Ex-Jugoslawien; LBI für Frauengesundheitsforschung 1997
Einstellung zu den Wechseljahren n=297 türkische Patientinnen der Charité Berlin / Frauenklinik, 1999
Gewalt gegen Frauen mit Migrationshintergrund Quelle: BM Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2004), repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in der BRD Deutsche Frauen N=10.264; Türkinnen: N=397; Osteuropäerinnen: N=862; Flüchtlingsfrauen: N=65
Deutschkenntnisse: Zufriedenheit mit ärztlicher Information und Aufklärung sehr mittel gar nicht zufrieden deutsche Patientinnen 86 11 3 türkische Patientinnen 61 22 18 Deutschkenntnisse gering (n=74) 50 23 27 einigermaßen (n=70) 66 23 11 gut/sehr gut (n=85) 65 21 14 n=234 türkische und n=297 türkische Patientinnen der Charité Berlin / Frauenklinik, 1999
Gynäkologische Versorgung: Zufriedenheit von Ausländerinnen vs. Österreicherinnen
Gesundheitliche Risiken höhere Gesundheitsrisiken • Bewegungsmangel • unausgewogene Ernährung • einseitige körperl. Bewegungsabläufe • Rauchverhalten - 63% der Frauen aus Ex-YU rauchen • häufiger krank • früher von chron. Krankheiten und von Mortalität betroffen
Gesundheitliche Risiken • seltener bei Gesundenuntersuchungen • höhere Rate von Fehlgeburten (24,5% M., 14,4% Ö.; Appelt 2003) • höhere Säuglingssterblichkeit (T: 8,9‰, Ex-YU: 2,8‰, Ö: 5,1‰; Münz et al 2003) • seltener Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen • Gesundheitliche Situation im Herkunftsland: z.B. höheres Risiko für TBC, Hepatitis B, … • Häusliche köperliche und sexuelle Gewalt gegen Migrantinnen • Frauen als Opfer des Frauenhandels • Hohe psychische Belastung, fehlende soziale Netze
Gesundheitliche Risiken • MigrantInnen gehen seltener zu niedergelassenen FachärztInnen als in Ambulanzen • Kommunikations-, Kultur- und Informationsbarriere beim Zugang zum Gesundheitssystem (Kinder als Dolmetsch; Unzufriedenheit mit der Versorgung)
Das Wiener FrauengesundheitsprogrammDie 12 Handlungsfelder Ziele und Maßnahmen im Bereich • der Brustkrebsfrüherkennung • der Mutter-Kind- und Schwangerenbetreuung sowie postpartalen Depression • der psychischen Gesundheit der Frauen • der Suchtprävention bei Frauen • der Gewalt gegen Frauen • der älteren und alten Frauen • der rechtlichen Aspekte von Frauen im Gesundheitswesen • der Verbesserung der Betreuungsstandards und Kommunikation für Frauen imGesundheitswesen • der Gesundheit von Migrantinnen • der Gesundheit von Frauen in der Arbeitswelt • der Karriereförderung für Frauen im Gesundheitswesen • der gesundheitliche Situation von Mütternzu deren Unterstützung
Strukturen in Wien • Im Rahmen von Diversity Management der Stadt werden Migrantinnen in einem speziellen Kundenservicezentrum für MigrantInnen über Frauenrechte in Österreich, Gewaltschutz- und Kinderschutzgesetz sowie über alle für sie relevanten gesundheitlichen Anlaufstellen muttersprachlich informiert. • Alle 6 geburtshilflichen und gynäkologischen Ambulanzen des KAV haben Community Interpreterinnen im Team. • Projekt „Migrant friendly Hospital“ (im KFJ, Ärztliche Direktion Dr. Margit Endler) • Spezielle Beratungseinrichtungen für Migrantinnen • FEM Süd – spezielle Gesundheitsangebote für Migrantinnen • Transkulturelle Ambulanz im AKH • Muttersprachliche Familienplanung
Wiener Programm für FrauengesundheitSchwerpunkt Migrantinnen • Institutionenhandbuch in 6 Sprachen • Brustkrebsfrüherkennungsprogramm in türkisch, serbisch, kroatisch • Muttersprachliche Inforeihe zum Thema Brustkrebs • Muttersprachliche Vorträge und Infoangebote bei den Frauengesundheitstagen • Beratungsstelle für FGM • Schulungen für Spitalspersonal • Muttersprachliche Infofolder und -veranstaltungen: • Brustkrebs • Hepatitis B • Kontrazeption • Wechseljahre • Ernährung • Herz-Kreislauf
Migrantinnen gehören verschiedenen Welten an, deren Schicksale aber auch Überlebenskreativitäten beeindrucken. Wir sind daher als Gesellschaft gefordert, die Herausforderung eines verständnisvollen Zugangs anzunehmen aber auch entsprechende Ressourcen zu entwickeln.