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Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010. Vorlesung Europarecht Prof. Dr. Christoph Ohler, LL.M. § 5 Rechtsakte der EU. I. Handlungsformen Art. 288 AEUV als nicht-abschließende Regelung der zulässigen Handlungsformen Abstrakt-generelle Regelungen: Verordnung und Richtlinie
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Friedrich-Schiller-UniversitätJenaSS 2010 Vorlesung Europarecht Prof. Dr. Christoph Ohler, LL.M.
§ 5 Rechtsakte der EU • I. Handlungsformen • Art. 288 AEUV als nicht-abschließende Regelung der zulässigen Handlungsformen • Abstrakt-generelle Regelungen: Verordnung und Richtlinie • Konkret-individuelle Regelung: Beschluss (früher: Entscheidung), Art. 288 Abs. 4 AEUV • Rechtlich unverbindliche Handlungsformen: Empfehlung und Stellungnahme, Art. 288 Abs. 5 AEUV • Weitere, z.T. unbenannte Handlungsformen zulässig, soweit primärrechtlich geregelt • Verordnung, Art. 288 Abs. 2 AEUV • Abstrakt-generelle Regelung: anwendbar auf objektiv bestimmte Sachverhalte; Rechtswirkungen für allgemein und abstrakt umrissene Personengruppen • Ausnahme: Einzelfallregelung durch Verordnung möglich (materiell liegt dann aber ein Beschluss vor) • Verbindlichkeit und unmittelbare Geltung • Unmittelbare Rechtswirkung für den Bürger und innerstaatliche Stellen • Verbot der Umsetzung durch innerstaatliches Recht, es sei denn, ausdrücklich zugelassen
§ 5 Rechtsakte der EU • II. Richtlinie, Art. 288 Abs. 3 AEUV • Grundsatz: Zweistufige Gesetzgebung • Erlass der RL durch Gemeinschaftsgesetzgeber • Umsetzung in innerstaatliches Recht durch zuständige Organe • Ausnahme von der Umsetzungspflicht: Regelungsinhalte, die nicht umsetzungsbedürftig sind; Adressat: Gemeinschaftsorgane • Umsetzungspflicht der MS • Richtige Wahl der innerstaatlichen Handlungsform • Grundsätzlich Wahlfreiheit, aber Einschränkung unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und Rechtsklarkeit • Rechtssatzvorbehalt für Regelungen, die den Einzelnen berechtigen • Pflicht zur Vermeidung von Normwidersprüchen im innerstaatlichen Recht durch a) inhaltliche Klarstellungen und b) Gleichrangigkeit der alten und neuen Regelungen • Praxis: Durchgängig gesetzliche Umsetzung (ggf. RVO) • Einhaltung des materiellen Regelungsprogramms • Einhaltung der Umsetzungsfrist (beachte: Frustrationsverbot kann zeitliche Vorwirkungen auslösen) • Innerstaatliche Hinweispflicht auf Richtlinie
§ 5 Rechtsakte der EU • II. Richtlinie • Grundproblem in der Praxis: Widersprüche (Normkollisionen) zwischen RL und nationalem Recht • Auflösung entweder durch • richtlinienkonforme Auslegung oder • unmittelbare Anwendung einzelner RL-Bestimmungen • Scheiden beide Möglichkeiten aus, kommt ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch in Betracht • Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung • Grund: Sicherung der Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV • Folge: Keine Methode, sondern echte Handlungspflicht der MS • Voraussetzungen und Grenze: • Ablauf der Umsetzungsfrist (ggf. Vorwirkungen) • Auslegungsfähigkeit innerstaatlichen Rechts (nach innerstaatlichem Methodenverständnis); schließt teleologische Reduktion und Analogie ein • Keine Auslegung, die gegen rechtsstaatliche und grundrechtliche Vorgaben verstieße (z.B. strafrechtliches Rückwirkungsverbot)
§ 5 Rechtsakte der EU • II. Richtlinie • Unmittelbare Wirkung der Richtlinie • Voraussetzungen • Ablauf der Umsetzungsfrist • Folgt aus den Vorgaben der RL • Im Einzelfall Vorwirkung der RL, soweit Frustrationsverbot eingreift • Säumnis des MS (Nicht- bzw. nicht vollständige oder fehlerhafte Umsetzung) • Vollzugsfähigkeit der Richtlinienbestimmung • hinreichend genau • Unbedingt • Voraussetzungen auch dann gewahrt, wenn RL nur Mindestanforderungen vorschreibt • Nicht: Verleihung von Rechten an Einzelne (str.) • Dieses Erfordernis ist lediglich als Rechtsfolge der u.W. anzusehen • A.A.: weiter Begriff der Rechte • Folge: Pflicht zur Gewährung von Individualrechtsschutz zur Durchsetzung des Anwendungsvorrangs der RL
§ 5 Rechtsakte der EU • II. Richtlinie • Unmittelbare Wirkung der Richtlinie (Fortsetzung) • Verhältnis Bürger – Staat (vertikale Wirkung) • Beachte: Weiter Begriff des Staates • Bund, Länder u. Gemeinden • Sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts; Unternehmen in vollständiger staatlicher Kontrolle • Grds. nur Begründung von Rechten gegenüber dem Staat • Rechtfertigung: effet utile der RL • Rechtfertigung 1: Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts in den MS • Rechtfertigung 2: Säumiger Staat darf sich gegenüber dem Bürger nicht auf seine Pflichtverletzung berufen können, insbesondere wenn die RL für diesen Rechte begründet • Aber: Keine Begründung von Pflichten des Bürgers gegenüber dem Staat (umgekehrt vertikale Wirkung) • Folge: Eingriffsbefugnisse des Staats gegenüber dem Bürger (z.B. strafrechtliche Sanktionen) können nicht auf RL gestützt werden
§ 5 Rechtsakte der EU • II. Richtlinie • Unmittelbare Wirkung der Richtlinie (Fortsetzung) • Verhältnis Bürger – Bürger (horizontale Wirkung) • Keine Begründung von Pflichten Einzelner aufgrund der RL • Argument: Wortlaut des Art. 288 Abs. 3 AEUV und Unterschied zur Verordnung • Rechtfertigungsgründe für unmittelbare Wirkung nicht gegeben • Problem: Mehrpolige Rechtsverhältnisse (Staat/Bürger/Bürger) • EuGH: Unanwendbarkeit einzelner Bestimmungen nationalen Rechts, die der RL widersprechen • Aber mögliche Folge: Eintritt nachteiliger Wirkungen für eine der Parteien • Begründung 1: richtlinienkonforme Auslegung • Begründung 2: objektive Maßstabsfunktion der RL • Im Ergebnis muss methodisch unterschieden werden zwischen • einer positiven Anwendung der RL (unzulässig, soweit dadurch Rechtspflichten begründet werden) und • einer negativen Anwendung der RL (zulässig, solange dadurch der RL widersprechendes nationales Recht unangewendet bleibt) • Lösung aber nach wie vor in Literatur streitig!
§ 5 Rechtsakte der EU • III. Unbenannte und spezielle Handlungsformen • „Maßnahmen“ bzw. „Vorschriften“ • Z.B. Art. 114 Abs. 1 AEUV; Art. 215 AEUV; Art. 352 AEUV • Bedeutung: Wahlrecht des zuständigen Organs, im Rahmen des Art. 288 AEUV ausgeübt • „Leitlinien“ • L ohne Außenwirkung: Art. 26 Abs. 3, Art. 68 AEUV • L mit Außenwirkung gegenüber MS: Art. 148 Abs. 2 AEUV: erlassen als Entscheidung/Beschluss • L als Gesetzgebungsakte: Art. 171 Abs. 1, Art. 172 AEUV: erlassen als Entscheidung/Beschluss • „Rahmenprogramme“ • Gesetzgebungsakt gem. Art. 182 AEUV • Durchführung durch „spezifische Programme“ als Gesetzgebungsakte • In beiden Fällen erlassen in der Handlungsform Beschluss/Entscheidung
§ 5 Rechtsakte der EU • IV. Exkurs: Rahmenbeschluss, Art. 34 Abs. 2 lit. b) EUV a.F. • Handlungsform, die im Rahmen der PJZS bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon genutzt wurde • Rechtlicher Fortbestand trotz Änderung der Verträge • Wird künftig durch neue Richtlinien ersetzt • Zweistufige Form der Rechtsetzung • Entspricht systematisch der Richtlinie • Keine unmittelbare Wirksamkeit • Ausdrücklich ausgeschlossen • Aber: Pflicht zur konformen Auslegung nationalen Rechts • Dem Ursprung nach völkerrechtliches Koordinierungsinstrument • Aber: Annäherung an supranationale Handlungsformen durch Rechtsprechung des EuGH nach Art. 35 Abs. 1 u. 6 AEUV • Problem: Teilnahme an Vorrangwirkung?
§ 5 Rechtsakte der EU • V. Normhierarchien im Sekundärrecht • Art. 288 AEUV kennt keine Hierarchie innerhalb der Sekundärrechtsakte • Eine Hierarchie der Rechtsquellen ergibt sich nicht in Abhängigkeit vom erlassenden Organ • Lediglich im Falle von delegierter Gesetzgebung und Durchführungsmaßnahmen der Kommission ist diese an die Ermächtigung im Basisrechtsakt gebunden • Folge: Rechtsakt nur gültig, soweit er sich im Rahmen der Ermächtigung hält