220 likes | 389 Views
Gesundheit statt Arbeit ? Chancen und Grenzen der Gesundheitsförderung für ältere Erwerbslose. Dr. Peter Kuhnert Lehrstuhl für Theorien und Grundlagen der Organisationspsychologie, Universität Dortmund. Inhalte. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland
E N D
Gesundheit statt Arbeit ?Chancen und Grenzen der Gesundheitsförderung für ältere Erwerbslose Dr. Peter Kuhnert Lehrstuhl für Theorien und Grundlagen der Organisationspsychologie, Universität Dortmund
Inhalte • Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland • Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen • Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung • Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose • Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose • Fazit
1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland • April 2006: 4,79 Mio. Menschen in Deutschland • sind als arbeitslos registriert (11,5%) • 3,2 Mio. Arbeitslose in Westdeutschland – 358.000 Stellenangebote • 1,6 Mio. Arbeitslose in Ostdeutschland – 108.000 Stellenangebote • 25,6% der Arbeitslosen sind 50 Jahre und älter • Seit 2001 verliert die Deutsche Wirtschaft jährlich 100.000 versicherungspflichtige Vollzeitstellen vor dem Aufschwung!
1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland • mindestens 30% der Arbeitslosen von physischen und psychischen Einschränkungen betroffen (BA) • Langzeitarbeitslose sind stärker beeinträchtigt • z.B. Burn-Out-Phänomen: häufiger bei Arbeitslosen (41%) als bei der Gruppe der Angestellten im öffentlichen Dienst (6,5%) (1) • Studien der Universität Dortmund weisen Zahlen von 40-50% nach (2) • (1) Wüstner, 2005 • (2) Kuhnert & Kastner, 2006
1. Situation von älteren Arbeitslosen in Deutschland • Nur die Hälfte der Unternehmen stellt ältere Leute (50 Jahre +) ein (1) • Immer noch Trend sehr früh in Rente zu gehen und eine starke “Jugendorientierung” (2) • Widerspruch zwischen offiziellen “älteren-freundlichen” Positionen und der konsequenten Ausgrenzungsstrategie der Unternehmen (3) • Bis heute tragen nur wenige Projekte zu einer Verbesserung der Anstellungsmöglichkeiten für Ältere bei (4) • 50-60-jährige Langzeitarbeitslose erreichten im Modellprojekt eine Wiedereinstellungsrate von 24% - verglichen mit der Gruppe (nur 5%), die “offiziellen Weg” benutzte, (5) • Keuler, 2005 • Naegele & Reichert, 2005 • Bäcker, 2003 (4) Eichenhorst & Sproß, 2005 (5) Bröker & Schöning, 2005
2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen • Eine Studie mit 20.000 Arbeitslosen zeigt: • 40% der Arbeitslosen brauchen Schuldnerberatung • ca. 30% eine intensive Gesundheits- und Familienberatung • 20% haben unzureichende Kenntnisse im Schreiben, Lesen und Rechnen • Nach SGB II sollen Langzeitarbeitslose Qualifizierungsmaßnahmen innerhalb ihrer Arbeitsmöglichkeiten erhalten – bis jetzt kaum realisiert (1) Schwendy, 2004
2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen • Das IAB fand heraus, dass langfristige Qualifizierungsmaßnahmen • die Integration in den ersten Arbeitsmarkt verbessern • die Chancen erhöhen eine neue Anstellung zu erhalten oder die Beschäftigung beizubehalten. • Nicht nur IAB Studien, sondern auch internationale Studien (z.B. Österreich) zeigen, dass nur langfristige Weiterbildung und weitergehende Trainings positive Effekte zeigen. • Ausführliche Evaluationsstudie des IAB weist das Fehlen von positiven Effekten der meisten Qualifierzungsprogramme auf (1) (1) Lechner, Miquel & Wunsch, 2005)
2. Qualifizierungschancen von älteren Arbeitslosen 1€-Jobs als Arbeitsmöglichkeiten nehmen stark zu: • 2005: nur 62.000 Zugänge in berufliche Weiterbildungen, aber 595.000 AGH (Arbeitsgelegenheiten 1€-Jobs) • Bieten weniger Chancen der Wiedereinstellung auf dem Ersten Arbeitsmarkt • Im ersten Vierteiljahr 2006 kamen 2,86 Mio. € Kosten für den Bund auf Grund von Sozialgerichtsprozessen zu • Kunden mit den schlechtesten Integrationschancen und damit höchsten Betreuungsbedarf werden von der BA nur wenig unterstützt
3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung • Evidenzpostulat der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit in der Gesundheitsforschung wissenschaftlich nicht ausreichend begründet (Kirschner & Elkeles, 2006), trotzdem Boom entsprechender Evaluationen “mehr evaluiert als implementiert?“ • Risiko des Scheiterns von Interventionen durch suboptimale Implementations- und Durchführungsbedingungen • Nicht-Überzeugung und Demotivation von Interventoren und Klienten • Risiko des Scheiterns zu hoch (organisatorische Umbruchphase, schwierige Vermittlungsarbeit, hohe Arbeitsbelastungen) -> Job Center als Interventionsort ungeeignet (Kirschner & Elkeles, 2006)
3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung • Unzureichende Beratungsstrukturen: soziale Ausgrenzungsprozesse und chronische Erkrankungen werden meist nicht gestoppt (Kuhnert & Kastner, 2006, Kirschner & Elkeles 2006). • Deutschland belegt im internationalen Vergleich bei der Reintegration nach Langzeitarbeitsunfähigkeit den letzten Platz (Weber, 2005) • In Deutschand fehlen: • trägerübegreifende Case- und Diseasemanagements für Suchtgefährdete und Suchtkranke (Toumi, 2005) • Alltagstaugliche Konzepte für ein „gesundheitsintegratives Fallmanagement“ (Pröll, 2006) • Psyochosoziale Hilfestellungen in unabhängigen Arbeitslosenberatungsstellen (Leuther & Breig, 2006)
3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung • Popularität Thema „Arbeitslosigkeit und Gesundheit“→ schwierig eine realistische Einschätzung der Chancen einer Gesundheitsförderung für arbeitslose Menschen • Angesichts von Vielzahl und Komplexität von sozialen Problemlagen tritt Gesundheitsbedarf in den Hintergrund • „Obwohl Langzeitarbeitslose kaum an freiwilligen Angeboten interessiert zu sein scheinen, erklärten sich 58,7% bereit in einer gesundheitsbezogenen Gruppe mitzumachen, die sich untereinander hilft (Studie Universität Dortmund, Kuhnert 2005b) • Bestehende Programme der Primärprävention bei sozial benachteiligten Patienten deutlich weniger effektiv (Stock & Redaelli 2004)
3. Institutionelle Hürden der Gesundheitsförderung • Interventionen müssen optimiert werden (Kirschner& Elkeles (2005): • Arbeitslose erweisen sich als besonders interventionsresistente Gruppe • Keine signifikanten Verbesserungen in der Dimensionen „Subjektive Einschätzung des Gesundheitszustandes“ und „Psychosoziale Beschwerden • Aber: signifikante Verbesserungen bei den Variablen Sport und Ernährungsverhalten (Einzelitemebene!) • Landesgesundheitskonferenz NRW (2006) empfiehlt: Gesundheitsförderungsmaßnahmen durch Weiterentwicklung des Ansatzes (z.B. Modellprojekt „Job Fit regional“) verbreitern • Zweifel an der Erreichung größerer Zielgruppen allein über die Teilnahmemotivation und ausschließlich auf JobCenter bezogenes Setting (Kirschner & Elkeles 2006)
4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose Stressor I : Einsamkeit oder „belastende Familie“: • Wohlbefinden und Gesundheit hängen von der sozialen Unterstützung des Partners ab • 55% der Arbeitslosen und 20% der instabil Beschäftigten leben ohne Partner (Kuhnert et al., 2004) • aber: 50-60% der Männer erleben die familiäre Situation als belastend
4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose Stressor II: Schlechte psychische Befindlichkeit und Lebensqualität: Komplexe psychische Befindlichkeitsstörungen bei arbeitslosen Teilnehmenden (Kuhnert, 2005): • Angstzustände (32%) • Traurigkeit (30%) • Hilflosigkeit (44%) • Antriebslosigkeit (54%) • Ärgergefühle (34%) • Rumination (38%) • 68% der Arbeitslosen waren mit ihrer Lebenssituation sehr unzufrieden
4. Individuelle Hürden für ältere Arbeitslose Stressor III: Krankheits(verhalten) (arbeitsloser Männer) „Schmerzen statt Arbeit?“: • Leidengeschichten: gegenständlich und körperdistanziert • Verklärung: zahlreiche Erkrankungen, trotzdem „in guter Gesundheit“ • körperliche Vorgänge: mechanistische Abläufe (wie ein Auto, das nicht mehr funktioniert) • höhere Risikobereitschaft und wenige Kontakte mit dem Medizinsystem • Gespräche in Arztpraxen zwischen männlichen Ärzten und männlichen Patienten am kürzesten (Meryn, 2005)
5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose • Fremd- wie Selbststigmatisierungen auflösen und zu selbstverantwortlichen, sozialkompetenten wie gruppenorientierten Verhalten ermutigen • Problemberge und Problemketten auf “verarbeitbares Maß” reduzieren, um Instrumente wie z. B. Fallmanagement zu verstärken • Gruppenorientiertes Empowerment Mut für neue Sichten beruflicher und privater Probleme • Extrem reduzierten „Möglichkeitsraum“ erweitern durch gemeinsames „Suchen und Entdecken“ • Langjährige ungelöste Problemlage „verstummen“, Klageritual („Runterzieher“ mit geringster soz. Unterstützung) aufbrechen mit: Empowermentorientierte Narration („Worte für eigene Geschichte“)
5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose • Präventive Angebote für (Langzeit) Arbeitslose müssen für unterschiedliche Lebensplankonzepte konzipiert werden. • folgende Prämissen einer salutogenetisch orientierten Gesundheitsförderung wichtig: • -Anerkennung und Wertschätzung der Person und ihrer Lebenswelt • -Positive Gesundheitsziele formulieren, aber nicht als absolute und statische Zielgrößen • -Krisenbewältigung und Ressourcenaufbau als Basis für Gesundheitshandeln in Mittelpunkt stellen (psychosoziale Stabilisierung)
5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose • gemeindepsychologische Orientierungen können wieder „Lebensfreude und Zuversicht“ herstellen, kombiniert mit GF Teilnehmende signifikant bessere psychosoziale Befindlichkeit (Collins & Benedict, 2006; Yaggy et al., 2006). • Ähnliche Ergebnisse in einem gemeindeorientierten Bewegungsprogramm in San Francisco (Stewart et al., 2006). • die Auftretenswahrscheinlich für eine Krankheit war geringer, wenn die Existenz nicht dauernd bedroht und die soziale Einstellung von Nachbarn und Freunden nicht verurteilend und ausgrenzend war (Starrin & Jönsson, 2006)
5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose • bei 50 bis 65jährigen Arbeitslosen, die eine bisher vernachlässigte Zielgruppe sind (siehe Klein & Semman i.d.B.) kann mit Prävention die Altersmorbidität deutlich (bis zu 10 Jahren) hinausschieben (Altgeld et al., 2006, S. 21). • Für ältere Arbeitslose, die bislang überproportional in Gesundheitssportprogrammen unterrepräsentiert sind (Tiemann, Brehm, & Sygusch, 2002) • z.B. erfolgreich evaluierte Angebote wie „KokoSpo“ (Kooperatives Konzept Gesundheitssport), die speziell für Personen mit bewegungsarmem Lebensstil entwickelt wurden (Tiemann, Brehm & Sygusch, 2003).
5. Gesundheitsförderung und „mehr“ für ältere Erwerbslose • wichtig mehr konkrete Schritte der Alltagsbewältigung, z.B. Einsatz von Tauschringen (Krebs, 2005) zum Aufbau eines stabilen, positiven Selbstwertgefühls bei Arbeitslosen (Potreck-Rose & Jacob, 2003). • Nachgewiesene protektive Faktoren gegen psychische Erkrankungen wie verlässlich erlebte soziale Unterstützung, gute soziale und kommunikative Kompetenzen, Optimismus und Humor und Sinnerleben (Southwick et al., 2006) in „gebündelter Form“ • in gesundheitsorientierten Gruppenberatungskonzepten mit Arbeitslosen umsetzen (Kuhnert & Kastner, 2006) • eingeschränkt Arbeitsfähige in GB in „Condition Management Programm“ zwecks Lösungen für spezifische gesundheitliche Probleme (Konle-Seidl & Lang, 2006).
6. Fazit • Mehrkomponenten und Mehrebenen-Programme + Individuelle und lebensnahe Beratung + Wahlmöglichkeiten für Teilnehmende -> Bieten höhere Erfolgchancen für ältere Erwerbslose mit hohen Gesundheitsrisiko
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!