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Bedroht die demografische Entwicklung unseren Sozialstaat? Dr. Norbert Reuter - ver.di-Bereich Wirtschaftspolitik -. ver.di-Seniorenseminar - 10. Oktober 2013 / Berlin-BBZ. Das Problem. Variante 1-W1.
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Bedroht die demografische Entwicklung unseren Sozialstaat? Dr. Norbert Reuter - ver.di-Bereich Wirtschaftspolitik - ver.di-Seniorenseminar - 10. Oktober 2013 / Berlin-BBZ
Maximal zu erwartende Bevölkerung: 77 Mill. (steigende Geburtenhäufigkeit, hoher Anstieg der Lebenserwartung, jährlicher Wanderungs-saldo 200 000 Personen)
Quelle: Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin, S. 15.
+51% +100%
Gerhard Schröder 2003 „Und wir müssen anerkennen und aussprech-en, dass die Altersentwicklung unserer Gesell-schaft, wenn wir jetzt nichts ändern, (…) dazu führen würde, dass unsere vorbildlichen Systeme der Gesundheitsversorgung und der Alterssicherung nicht mehr bezahlbar wären. Was wir heute beweisen müssen, ist der Mut, Neues zu wagen. Dabei werden wir uns von manchem, was uns lieb – und leider auch: teuer – geworden ist, verabschieden müssen.“ Gerhard Schröder auf dem SPD-Sonderparteitag, 1. Juni 2003 in Berlin
Meinhard Miegel 2010 „Auch künftig wird der Staat sozial sein, sozial sein müssen, wenn er von Dauer sein will. Gerade deshalb wird er aber nicht um-hinkommen, den breiten Strom materieller Leistungen spürbar einzudämmen.“ Miegel, M.: Exit: Wohlstand ohne Wachstum, Berlin 2010, S. 202f.
Sachverständigenrat (2011) „Im Bereich der Sozialversicherungen tragen vor allem die Gesetzliche Renten- und Krankenversicherung zu einem erheblichen Teil zu einer Tragfähigkeits-lücke der öffentlichen Finanzen bei, die in einem Basisszenario 3,1 vH in Relation zum Bruttoinlandsprodukt beträgt.* *entspricht z.Zt. etwa 90 Mrd. Euro
Sachverständigenrat (2011) „Daher ist es zunächst zwingend notwendig, die vorgesehene Erhöhung der ‚Rente mit 67‘ im Jahr 2029 umzusetzen. (…) 2045 und 2060 wird dann vermutlich ein gesetzliches Renten-eintrittsalter von 68 beziehungsweise 69 Jahren erforderlich sein.“ SVR : Herausforderungen des demografischen Wandels, Wiesbaden 2011, S. III.
Von „Köpfen“ zu Werten: Die Bedeutung des Produktivitätsfortschritts
Wird in Zukunft weniger zu verteilen sein? Abschätzung mit Hilfe von Szenarien; zugrunde liegt jeweils die mittlere Variante 1-W-1 der 12. amtlichen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes
Wird in Zukunft weniger zu verteilen sein? variiert werden: die Steigerung der Erwerbstätigenproduktivität + 1% / Jahr + 0,5% / Jahr
Wird in Zukunft weniger zu verteilen sein? variiert werden: die Entwicklung der Erwerbstätigenproduktivität der Grad der Erwerbstätigkeit 75% der 15-65jährigen (≙ Niveau von 2010) Steigerung auf 80% der 15-65jährigen
+36% gegenüber 2010 Szenario 1
+45% gegenüber 2010 Szenario 2
Ergebnisse Bereits unter der Annahme eines Anstiegs der Erwerbstätigenproduktivität von nur einem Prozent bei anhaltend niedriger Erwerbstätigkeit steigt das BIP weiterhin leicht, das BIP/Kopf jedoch deutlich ( +36%); die Verteilungsspielräume erweitern sich noch einmal deutlich, wenn eine Steigerung der Erwerbstätigenquote gelingt ( +45% pro Kopf); enger werden die Verteilungsspielräume erst dann, wenn die Entwicklung der Erwerbstätigenprodukti-vität auf 0,5 % sinkt und kein Anstieg der Erwerbs-tätigkeit gelingt.
Zwischenfazit Ein demografiebedingter „Sachzwang“, der wegen geringerer Mittel zu allgemeinen Kürzungen bei sozialen Leistungen zwingt, ist nicht zu erwarten; gleichzeitig ergibt sich aus der demografischen Entwicklung jedoch ein sich verschärfendes Verteilungsproblem; es ist jedoch ein grundsätzlich unterschiedliches Problem, ob etwas nicht da ist (= Sachzwang), oder wir es mit einem Verteilungsproblem (= politische Aufgabe) zu tun haben; notwendige Voraussetzung zur Änderung der Verteilung ist ein entsprechender politische Wille.
Zentrale Frage: Ist das Verteilungsproblem politisch lösbar?
Sachverständigenrat „(…) die durch den demografischen Wandel bedingte Tragfähigkeitslücke (kann) nicht durch eine Erhöhung der Steuer- und Abgaben-belastung reduziert werden (..), ohne dass dies ungünstige Anreizwirkungen auf dem Arbeits-markt und für die Investitionstätigkeit hätte.“ SVR : Herausforderungen des demografischen Wandels, Wiesbaden 2011, S. 11.
Steuerausfälle 2000-2011: 400 Mrd. Euro
Handlungsmöglichkeiten I Steuerreform zur Korrektur der Primärverteilung und zur nachhaltigen Finanzierung öffentlicher und sozialer Aufgaben;
Handlungsmöglichkeiten II Steuerreform zur Korrektur der Primärverteilung und zur nachhaltigen Finanzierung öffentlicher und sozialer Aufgaben; Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation der Beschäftigten;
Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen • Re-Reform der Arbeitsmarktgesetze - geringfügigen Beschäftigung (Mini- und Midijobs) - Leiharbeit (Arbeitnehmerüberlassung) - Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes / Hartz IV - Zumutbarkeit für die Annahme von Arbeitsplätzen; • Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns; • Beschäftigungsquote für Ältere erhöhen (u.a. altersgerechte Arbeitsbedingungen, Fort- und Weiterbildung verbessern); • Erwerbsquote erhöhen (etwa durch familienfreundlichere Arbeitsbedingungen).
Handlungsmöglichkeiten III Steuerreform zur Korrektur der Primärverteilung und zur nachhaltigen Finanzierung öffentlicher und sozialer Aufgaben; Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Verbesserung der Einkommenssituation der Beschäftigten; Verbreiterung der Finanzierungsgrundlage bei den Sozialversicherungen;
Finanzierung Sozialversicherungen Einbeziehung aller Einkunftsarten Bürgerversicherung alle Bürgerinnen und Bürger mit allen Einkommen (Erwerbs- und Kapitaleinkünften) in die Finanzierung der Krankenversicherung einbeziehen Erwerbstätigenversicherung perspektivisch alle Erwerbstätigen (Selbstständige, Beamte) in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen; Beitragsbemessungsgrenzen anheben/mittelfristig abschaffen; Rentenzahlung ab einer bestimmten Höhe degressiv gestalten oder sogar deckeln höherer Anteil an Steuerfinanzierung
Fazit Die Verteilungsspielräume werden durch die demographische Entwicklung kaum kleiner; damit sind politische Entscheidungen nicht alternativlos; allerdings ergibt sich ein wachsendes Verteilungs- problem: die Politik muss gegen mächtige privat-wirtschaftliche Interessen durchgesetzt werden (Vermögende, Unternehmen, Versicherungen etc.); die Mehrheit der Bevölkerung würde aber von einer derartigen Politik profitieren; deshalb sollten die demografiebedingten Ver-teilungsprobleme auf der Grundlage unseres demokratischen Systems lösbar sein.
Vielen Dank! weitere Infos unterwipo.verdi.de
DGB-Rentenmodell Der DGB hat ein von der Deutschen Renten-versicherung durchgerechnetes Modell vor-gelegt, wonach bei einem jährlichen Bei-tragssatzanstieg von 0,2%, paritätisch finanziert, bis auf ein Beitragsniveau von 22% sowohl eine Anhebung des Renten-alters auf 67 Jahre als auch eine Absenkung des Rentenniveaus verzichtbar ist. Bis 2030 würde sich dann sogar eine Demografie-Reserve bei der Rentenver-sicherung von 167 Milliarden Euro aufbauen.