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§ 9 Rechtsfolgen , Akteure und Ver - fahren im Kartellrecht. Rechtsfolgen Akteure und Verfahren. A. Rechtsfolgen. I. Einführungsfall (vgl. BGH v.28. 6. 2011 – KZR 75/10 –BGHZ 190, 145 - ORWI):
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§ 9 Rechtsfolgen, Akteure und Ver- fahren im Kartellrecht Rechtsfolgen Akteure und Verfahren
A. Rechtsfolgen I. Einführungsfall (vgl. BGH v.28. 6. 2011 – KZR 75/10 –BGHZ 190, 145 - ORWI): H war Teilnehmer eines Kartells von Selbstdurchschreibepapier (SD-Papier) und musste aufgrund einer bestandskräftig gewordenen Entscheidung der Kommission 33 Mio. Euro Bußgeld zahlen. K betrieb ein Druckereiunternehmen und hatte in der Zeit des insoweit sanktionierten Kartells über einen Großhändler G in größerem Umfang SD-Papier erworben; die Großhändler ihrerseits hatten das SD-Papier von Kartellmitgliedern bezogen. K meint, er habe kartellbedingt einen überhöhten Preis gezahlt und verlangt den diesbezüglichen Differenzbetrag von H. H wendet ein, • K habe nicht bei ihm, sondern bei Großhändler G gekauft, • und G habe nicht bei ihm, sondern bei einem anderen Kartellmitglied gekauft, • K habe vermutlich die höheren Preise an seine Kunden weiter gegeben, so dass ihm gar kein Schaden entstanden sei. .
II. Nichtigkeit der Wettbewerbsbeschränkung 1. Grundlage: Art. 101 II AEUV Art. 102 AEUV, §§ 1, 19-21 GWB, 134 BGB 2. Beispielsfälle: • Für Teilnichtigkeit eines Vertrags BGH NJW 2003, 347 – Tennishallenpacht: Pachtvertrag enthielt unzulässige Preisbindung; diese war nichtig; erstreckte sich dies auch auf Pachtvertrag? Pachtzinsen? Wie wirkt sich salvatorische Klausel aus? § 139 BGB und Beweislast • Für Nichtigkeit einer Kündigung BGHZ 107, 273 – Südlotto: Kündigung eines Vertrages nichtig, weil unzulässige Behinderung?
III. Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Schadenersatz • Grundlage: § 33 I – III GWB i.V. mit Verbotsnorm; geschützt ist der „Betroffene“ (weiter als § 823 II BGB!) 2. Beispielsfälle: • siehe Eingangsfall! • Aber: LG Düsseldorf (17. 12. 2013), WuW/E DE-R 4087: belgisches Unternehmen erhebt Sammelklage gegen 6 Zementhersteller auf Zahlung von über 110 Mio. Euro Ersatz wegen Schädigung von Abnehmern durch verbotenes Zementkartell (Ansprüche hatte belg. Unternehmen gekauft) ; LG: Abtretungen verstießen gegen RBerG bzw. RDG und waren nach § 138 BGB nichtig. • BGH NJW 1976, 801 – Rossignol
3. Dogmatische Einzelfragen: • Bedeutung von follow-on-Klagen (§ 33 IV GWB) • Zum Vorteilsausgleich (passing-on-defense“) vgl. § 33 III 2 GWB und BGHZ 190, 145 – ORWI: • Indirekter Abnehmer hat Anspruch (und Beweislast für Schaden) • Abwälzung auf Abnehmer ist qua Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen (Beweislast hat Schädiger) • Alle Kartellenten haften als Gesamtschuldner nach §§ 830, 840 BGB • Bedeutung des Kontrahierungszwangs bei Verstoß gegen Behinderungs- und Diskriminierungsverbot (Beispiel: BGH NJW 1976, 801 – Rossignol)
4. Stichwort „private enforcement“ Kommission hat „Weißbuch“ veröffentlicht, das zur Erleichterung von Klagen führen soll (Probleme: Abtretung von Ansprüchen; Konflikt mit Kronzeugenregelung – Stichwort „Leniency“; dazu später) Kommission hatte einschlägige RL geplant, die Sammelklage nach am. Vorbild vorsieht (mit sog. Opt-Out-Konzept); europäisches Parlament dagegen, ebenso h.M. in D; RL-Entwurf daraufhin zurückgezogen ? grundsätzlich dazu: Bosch, NJW 2014, 1714, 1719; Hess, WuW 2010, 493; ders., JZ 2011, 66
IV. Geldbußen und Zwangsgeld seitens der Kommission 1. Grundlage: Art. 23, 24 EG-KartVerfVO 2. praktische Bedeutung: 2007 fast 3,5 Mrd. Euro Kartellbußen insgesamt! Zwangsgeld gegen Microsoft! Bußen u.a. gegen Siemens, Thyssen-Krupp, Glashersteller, Kautschukhersteller Vgl. auch den oben genannten Fall: BKartA hatte gegen die Zementhersteller Bußgelder von 660 Mio. Euro verhängt! Bußgeld wurde inzwischen durch OLG halbiert! Betroffen u.a.:Villeroy und Boch! Saarstahl-Tochter (war Kronzeuge)
3. Problematik der Kronzeugenregelung („Leniency“): rechtsstaatliche (!) und praktische Problematik (Erpressungspotential) Kronzeugenmitteilung (!) der Kommission von 2006 („Leniency“), wird überarbeitet (vgl. Kronzeugenregelungsmodell des European Competition Network); zur aktuellen Bedeutung vgl. EU-Kommission, Bericht vom 3. 6. 2010, Rn. 64, 160; Mäger/Zimmer/Milde, WuW 2009, 885; Wagner-von Papp, WuW 2010, 268 follow-on-Problematik ! vgl. speziell zur gesellschafts- und dienstvertragsrechtlichen Problematik insgesamt Säcker, WuW 2009, 362
V. Buß- und Zwangsgeld nach §§ 81 IV, 86a GWB Vergleichbare Problematik : außerordentlich wichtig für Kartellbekämpfung! es gibt neue Bußgeldleitlinien des BKartA von 2013, und das BKartA hat 2006 auch eine „Bonusregelung“ veröffentlicht Bisher gab es weit über 230 „Bonusanträge“ VI. Vorteilsabschöpfung nach § 34 GWB VII. Beweislast Art. 2 EG-KartVerfVO
B. Akteure und Verfahren • Europäische Kommission, Art. 17 EUV, 244 ff. AEUV (Art. 211 ff. EGV) wendet ausschließlich europäisches Recht an; vgl. EG-KartVerfVO Art. 4 Entscheidungen, Maßnahmen und Befugnisse nach EG-KartVerfVO Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlung, Art. 7 Festsetzung von Geldbußen und Zwangsgeldern, Art. 23, 24 (Kronzeugenregelung!) Einstweilige Maßnahmen, Art. 8 Entgegennahme von Verpflichtungszusagen, Art. 9 Feststellung der Nichtanwendbarkeit, Art. 10 Entzug des Rechtsvorteils einer GFVO, Art. 29 Beratungsschreiben Ermittlungs- und Nachprüfungsbefugnisse sowie Zusammenarbeit mit nationalen Behörden und Gerichten; Netzwerk der europäischen Kartellbehörden, Art. 11-14, 16 II
II. Deutsche nationale Kartellbehörden, §§ 48 ff. GWB BKartA (in Bonn) Landeskartellbehörden; Ministerium für Wirtschaft §§ 48, 49, 51 f. GWB vgl. auch Monopolkommission, §§ 44 ff. GWB
… und ihre Aufgaben: Zuständigkeit zur Anwendung europäischen und nationalen Rechts, Art. 5 EG-KartVerfVO, § 50 I GWB Maßnahmen im Einzelnen: wie EU-Kommission, §§ 32 – 32e, 50 – 50 c, 81, 82, 86 a GWB; auch hier Geldbußen („Bußgeldleitlinien“ und von 2013) und Kronzeugenregelung („Bonusregelung“ von 2006) bedeutsam! Kooperation mit EU-Kommission, mit Behörden und im Netzwerk der europäische Wettbewerbsbehörden, §§ 50 – 50c GWB
III. Europäische Gerichte in Kartellsachen • „Gericht“ (EuG), Art. 256, 263 etc. AEUV (Art. 225, 230 IV EGV): Nichtigkeits-, Untätigkeits- und Schadenersatzklage („EuG, Slg. Jahr, S. II-….“); daneben „Fachgericht“ 2. „Gerichtshof der EU“ (EuGH), Art. 19 EUV, Art. 251 ff., 267 AEUV (Art. 225, 234 EGV): Rechtsmittel gegen Entscheidung des Gerichts und Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV („EuGH, Slg. Jahr, S. ….“ bzw. „EuGH, Slg. Jahr, S. I-….“)
IV. Deutsche nationale Gerichte 1. umfassende Zuständigkeit der Zivilgerichte für Überprüfung von kartellbehördlichen Entscheidungen (OLG/BGH) sowie von Bußgeldbescheiden (OLG/BGH) und für Zivilsachen (LG/OLG/BGH) Vgl. §§ 63 I, IV, 74 I, 82 – 84, 87 GWB Anwendung auch europäischen Rechts (sogar primär! § 22 GWB) eventuell Vorlage nach Art. 267 AEUV! 2. Kartellsenate bei OLG und BGH; Bedeutung des OLG Düsseldorf 3. Kooperation mit EU-Kommission und anderen nat. Kartellbehörden, § 90a GWB 4. Dabei weitgehende Rechte der EU-Kommission, Art. 16 EG-KartVerfVO Stand 2. 7. 2014
Verständnisfragen zu § 9 der Vorlesung • Sind die kartellrechtlichen Verbote Schutzgesetze gemäß § 823 II BGB? Führen sie ggf. zum Kontrahierungszwang? 2. Was versteht man unter „Private Enforcement“? 3. Was ist die Bedeutung der sog. follow-on Klage? 4. Was versteht man unter „passing-on-defense“? 5. Was versteht man unter „Leniency“? Worin liegt ihre Bedeutung/ihre Ambivalenz? 6. Welche Behörden und Gerichte spielen im Kartellrecht eine Rolle?
Verständnisfragen zu § 9 der Vorlesung • Sind die kartellrechtlichen Verbote Schutzgesetze gemäß § 823 II BGB? Führen sie ggf. zum Kontrahierungszwang? Nein, spezielle Regelung in § 33 GWB, strenger als BGB! Kontrahierungszwang ist denkbar aufgrund des Unterlassungsanspruchs (kein Verschulden nötig!). 2. Was versteht man unter „Private Enforcement“? Die EU- Kommission hat ein „Weißbuch“ veröffentlicht, das zur Erleichterung von Klagen Privater gegen Wettbewerbsverstöße führen und damit die behördliche Verfolgung entlasten soll . 3. Was ist die Bedeutung der sog. follow-on Klage? Vgl. § 33 IV GWB. 4. Was versteht man unter „passing-on-defense“? Das Argument, dass der beim vom Kartell Geschädigten entstandene Schaden an dessen Abnehmer weiter gereicht worden sei; es geht also um den Vorteilsausgleich , hier geregelt in § 33 III 2 GWB; vgl. dazu BGHZ 190, 145 – ORWI (noch ohne diese spezielle Vorschrift). 5. Was versteht man unter „Leniency“? Worin liegt ihre Bedeutung/ihre Ambivalenz? Kronzeugenregelung, es gibt insoweit eine Kronzeugenmitteilung der EU-Kommission von 2006 und eine „Bonusregelung“ des BKartA von 2000, inzwischen neu gefasst. Extrem wichtig zur Kartellverfolgung/ gewisser Widerspruch zu private Enforcement. 6. Welche Behörden und Gerichte spielen im Kartellrecht eine Rolle? BKartA, Landeskartellbehörden, Monopolkommission, EU-Kommission; nationale Zivilgerichte (LG, OLG, BGH), EuG und EuGH.