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Kindliche Entwicklung musikalischer Kognition Holistisch versus analytisch. Richard Parncutt Professor für Systematische Musikwissenschaft Karl-Franzens-Universität Graz. Definition der Musikkognition. psychologische Verarbeitung mus. Strukturen Re-Kognition und Re-Produktion
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Kindliche Entwicklung musikalischer KognitionHolistisch versus analytisch Richard Parncutt Professor für Systematische Musikwissenschaft Karl-Franzens-Universität Graz
Definition der Musikkognition • psychologische Verarbeitung mus. Strukturen • Re-Kognition und Re-Produktion • Melodie (Kontur, Stufe, Intervall) • Rhythmus (Dauer, Metrum, Artikulation, Form) • Harmonie (Konsonanz, Bass, Grundton) • Tonalität (Bezüge, Erwartungen, Funktionen) nicht… • Wahrnehmung • Tonhöhe, Lautstärke, Klangfarbe • Bedeutung • Emotion, Motive, Zeichen
Entwicklung der Musikkognition Wann können Kinder was tun? • methodische Schwierigkeit empirische Operationalisierung der Kognition spezifischer musikalischen Strukturen • inhaltliche Schwierigkeit Einfluss der Umwelt des einzelnen Kindes
SpannungsfeldHolistisch Analytisch • Theorie (empirische Forschung) • Aspekte der Entwicklungspsychologie • Praxis (Anwendung) • Ansätze in der Musikpädagogik Prioritäten
Holistische Aspekte und Ansätzein der Musikpsychologie und -pädagogik • Umwelt • Gruppe • Körperlichkeit • Aktivität • Improvisation • Verspieltheit • Ästhetik • Spiritualität • Kultur
Hauptthesen Kombination holistisch-analytisch • Entwicklung: beide Aspekte relevant • Pädagogik: beide Ansätze berücksichtigen Optimales Verhältnis ist altersabhängig • Kindern: eher holistisch • Jugendliche und Erwachsene: eher analytisch
Holistisch AnalytischBeispiele 1. Umwelt Anlage 2. Gruppe Individuum 3. Körper Gehirn 4. Spielen Hören 5. Improvisation Reproduktion 6. Verspieltheit Verschulung 7. Ästhetik Wissen 8. Spiritualität Rationalität 9. Kultur Technik
1. Umwelt AnlageMythos Begabung/Genie Unschlüssige Argumente • Stammbäume: Mischung Anlage-Umwelt • eineiige Zwillinge: nicht genug Daten • Amusie: Gehirnplazistizät? (Peretz) • Übestunden: Rolle der Motivation? (Howe Sloboda Davidson) Schlussfolgerung • Begriffe Begabung & Genie sind konstruiert (vgl. Gagné) • keine schlüssigen Beweise für musikalische Anlage • möglich: Anlage = musikalische Motivation • gesunde Einstellung zum mus. Fertigkeitserwerb: Fertigkeiten werden gelernt Ich kann!
2. Gruppe IndividuumMusikalische Entwicklung im sozialen Umfeld Konstrukt des eigenständigen Genie (Cook; DeNora; Howe et al.) • ab ca. Beethoven • Ideologie der Romantik, des Kolonialismus • rassistisch, sexistisch?
2. Gruppe IndividuumGeisteswissenschaften • Musikethnologie(Nettl, 1983) • soziale Funktionen und Inhalte der Musik • soziale Rollen und Beziehungen von MusikerInnen • soziale Strukturen und Wertvorstellungen • Institutionen und Regeln • Musikgeschichte • Sozialgeschichte, politische Geschichte der Musik
2. Gruppe IndividuumNatur- und Sozialwissenschaften • Musikpsychologie • Ursprung, Sinn der Musik: fördert soziale Stukturen, kognitive/motorische Fähigkeiten, Reproduktion • Interviewstudien zur Kindheit erfolgreicher MusikerInnen (Davidson et al.) • Musik als emotionale Kommunikation (Juslin) • Musik als virtuelle Person • Musiksoziologie • Musik und Identität = Gruppenzugehörigkeit (Frith, 1996)
2. Gruppe IndividuumMusikpädagogik • Gruppenmethoden • Dalcroze • Kodaly • Orff
3. Körper Gehirn Wissenschaft zu Musik und Körperlichkeit • Tanz • Kinder und Erwachsene • in allen Kulturen • Geste • Ausdruck: Timing, Dynamik, Artikulation • Dirigieren • Bedeutung, Semiotik • Computersimulationen
3. Körper Gehirn Pädagogik und Praxis • Bewegungen in Motherese (Babysprache) • singende Kinder bewegen sich • Bewegungen von MusikerInnen auf der Bühne • Pädagogik mit Tanz und Bewegung • Ecological psychology (Gibson)
4. Spielen Hören • Passives Aussetzen • pränatal (Hepper, 1991) • Wiegenlieder (Chen-Hafteck, 1996) • CDs, Videos • Aktive soziale Interaktion • Eltern-Säugling-Interaktion (Trehub, 1993) • Familienspiele: Musik im Familienalltag • Geschwister- und Gruppendruck • Unterricht: Eltern (Musikliebhaber, Amateurmusiker) erfolgreicher MusikerInnen mischten sich ein! (Davidson et al.)
4. Spielen Hören „Mozarteffekt“ ist relativ unwichtig! • Musikhören kurzfristige Verbesserung räumlicher Fähigkeiten (Rauscher et al.) • Hängt von Laune und Aktivierung ab (Thompson et al.) • Macht Musik eher spielerisch? (Grillitsch & Parncutt)
5. Improvisation Reproduktion • Musik und Sprache • Kinder improvisieren komplexe Geschichten und Lieder • Musik der Welt • westliche Klassik als Ausnahme • Improvisation in Musikgeschichte des Westens • bis ca. 1850, Musikdruck Reproduktion • Musiktherapie • zentrale Rolle der Improvisation • UK national curriculum • Experiment Improvisation war ein Erfolg • Improvisation und Audiation sind zentral • Sie fördern andere musikalische Fähigkeiten (McPherson)
6. Verspieltheit Verschulung Eigenschaften des (Kinder-) Spiels (Fagen) • aktiv (learning by doing) • orientiert aber (offenbar) zwecklos • variabel (kreativ) • interaktiv (sozial) Evolutionäre Funktionen des Spiels • Üben Kognition, Motorik Überleben • Erforschen Flexibilität, Innovation Überleben • Interaktion, Teilen, Konfliktlösung Partnerwahl (Reproduktion) Kinderbetreuung Verspieltheit ist “natürlich” und fördert Lernen
6. Verspieltheit VerschulungVerspieltheit fördert: Beharrlichkeit • Dauer des Übens • Expertise Neugier • Entdeckung • Unabhängigkeit Warum haben Verchulung und Disziplin trotzdem einen hohen Stellenwert? (Gray, 2008)
7. Ästhetik Wissen • Musikpräferenzen des Neugeborenen (DeCaspar) • müssen nicht gelernt werden! • spontane Bewertung von Musik durch Kinder Bedeutung für mich/uns Identität • Erklärung eigener Präferenzen Basis for weitere analytische Fähigkeiten
8. Spiritualität Rationalität Musik und Spiritualität sind verwandt • Ähnlichkeiten • unbeschreibbare, starke Emotionen (ineffability) • identitätsfordernd • klassische Ästhetik • „gute“ „Kunstmusik“ ist oft religiös • Entwicklungspsychologie • Haben Kinder „natürliche“ Spiritualität und Musikalität?
8. Spiritualität Rationalität Warum ist Spiritualität wichtig? • Lebenssinn • Werte, Identität, Glauben • sich selbst verstehen • gesellschaftliche Entwicklung Fernsehen, Medien statt Gesellschaft, Kirche… • Konsum statt Reflexion • Materialismus statt Moral Spiritualität kann verlorene Religiosität ersetzen (Carr; Astin)
8. Spiritualität Rationalität Warum auf Spriritualität setzten? • zweckmäßig • Piagets Entwicklungsstufen: langsame Entstehung des logischen Denkens • möglich • Junge Chorsänger kombinieren Spiritualität & Atheismus (Ashley)
9. Kultur Technik • Kultur ist: • Sprache (Romane, Gedichte…) • Musik (notiert, tradiert…) • andere Künste • Umgangsformen, gesellschaftliche Strukturen • Technik ist: • Gebäude, Maschinen, Wagen, Computer… • in der Musik: Physiologie, Motorik
9. Kultur Technik • Politik • Kulturkampf im 21. Jahrhundert • Soziologie • Musik und Lebensqualität • Psychologie • starke Erlebnisse mit Musik
9. Kultur Technik Heute in den Industrieländern wichtig: • Technik? – das können wir schon! • Kultur als Lebenssinn? – nicht so einfach! • Bedeutung der Kultur- und Geisteswissenschaften • Bedeutung von Musik an sich - nicht nur Transfereffekte!
“Metaholismus”“Holismus” auf einer höheren Ebene How popular musicians learn(Lucy Green, 2002): Could the creation of a teaching culture that recognizes and rewards aural imitation, improvisation and experimentation, as well as commitment and passion, encourage more people to make music?(cover) • Umwelt • Gruppe • Körperlichkeit • Aktivität • Improvisation • Verspieltheit • Ästhetik • Spiritualität • Kultur
ImplikationenHolistische Ansätze in der Musikpädagogik • Ganzheitliche Ansätze fördern – aber • nicht auf Kosten der nötigen analytischen Ansätzen • altersgerecht • Verspieltheit und Entdeckung fördern (Andress) • kindliche Spielkulturen ernst nehmen! • gemeinsames Musizieren fördern • Ensemblespiel fördert Sozialfähigkeiten • Musik mit anderen Gegenständen integrieren • “ecology of music education” (Tillman, 2008) • Kindern die nötigen Grundlagen geben • Zeit zum (betreuten und unbetreuten) Spielen • Material: CDs, Instrumente, ipods, Noten usw. • geeignete Orte