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Suchttheorien 30.10.2012. Dr. med. Robert Hämmig Psychiatrie & Psychotherapie FMH Präsident Schw. Gesellschaft für Suchtmedizin Leitender Arzt Schwerpunkt Sucht Universitäre Psychiatrische Dienste Bern Direktion Psychiatrie. • S • S • A • M •.
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Suchttheorien30.10.2012 Dr. med. Robert Hämmig Psychiatrie & Psychotherapie FMH Präsident Schw. Gesellschaft für Suchtmedizin Leitender Arzt Schwerpunkt Sucht Universitäre Psychiatrische Dienste Bern Direktion Psychiatrie •S•S•A•M•
Voltaire (François Marie Arouet 1694 – 1778) • Ärzte geben Medikamente, über die sie wenig wissen, in Menschenleiber, über die sie noch weniger wissen, zur Behandlung von Krankheiten, über die sie überhaupt nichts wissen
Interpretanz Interpretanz Referenz Referenz Repräsentanz Repräsentanz Semiotik (nach Charles Sanders Pierce) Patient Therapeut
Modelle der Sucht • Es gibt kein allgemeingültiges, alleiniges Modell • Modelle dienen dem Verständnis • An den Modellen können die Therapiemassnahmen in Bezug auf ihren möglichen Effekt gemessen werden
Fragen der Medizin • Beschreibung einer Krankheit: • Was ist die Ätiologie? • Wie ist die Pathogenese? • Ziel: Formulieren einer rationalen Therapie
New Orleans Narcotic Clinic, Louisiana 1920 • This dispensary does not attempt to cure addicts, realizing that this problem can only be solved when addiction-disease is better understood. • Much has been written regarding addiction that has been actuated by mercenary interests. Terry & Pellens, 1928
Fragen (revisited) • Was hat die PatientIn? • Ätiologie? • Pathogenese? • Was meint die PatientIndazu? • Shareddecision
Standardfragen: Exploration der Semantik Welche Substanz wird: • wann • von wem • wie • wie oft • wo • in welcher Dosierung • zusammen mit wem • warum • mit welcher Einstellung und • mit welcher Erfahrung konsumiert?
Addiction is a brain disease, and it matters! (A. I. Leshner, Science 1997) • Sucht ist eine Hirnerkrankungen mit ausgeprägten psycho-sozialen Komponenten. • Sucht hat eine ausgeprägte Tendenz chronisch zu verlaufen -> Rückfall ist eher die Regel als die Ausnahme. Einfaches Bio-psycho-soziales Modell
The spiral of addiction C. Lüscher
Neurobiology of addiction Baler RD, Volkow ND, 2006 Kontrolle Verstärkung des Verhaltens Handlung Gedächtnis
Disease-Modell • Abnormale Struktur oder Funktion des ZNS führt zu Kontrollverlust • Nachweisbar in Neuroimaging Volkow et al. J. Clin. Invest. 111:1444–1451 (2003).
Disease-Modell Volkow et al. J. Clin. Invest. 111:1444–1451 (2003).
z.B. ACG (anterior cingulate gyrus) • ACG Funktion: • Schaltstelle • Kognitive Flexibilität • Wechsel von Idee zu Idee • Fehler Entdeckung etc. • ACG Probleme • Steckenbleiben, Inflexibilität • Groll, Neid • Obsessionen, Zwänge etc.
z.B. ACG (anterior cingulate gyrus) • Störungen • OCD, Angststörungen • Süchte • Essstörungen • PTSD etc. • Behandlung • 5-HTTP • Biofeedback • Kognitive Verhaltenstherapie • Aerobic • Beziehungsberatung, Wutmanagement • Diät (niedrige Protein & komplexe Kohlenhydrate)
Kokain Breiter et al. Neuron, Vol. 19, 591–611, September, 1997,
Transmodulation Nestler EJ, Aghajanian GK, 1997 AC: Adenyl cyclase; PKA: Protein Kinase A; CREB:cAMP response element binding protein
Neuroplasticity, learning Kalivas PW, O‘Brien C, 2008
William S. Burroughs (1914–1997) • „Ich glaube vielmehr, dass der anhaltende Gebrauch von Junk eine bleibende Veränderung der Zellen bewirkt. Einmal Junkie, immer Junkie. Man kann mit Junk aufhören, aber nach der ersten Sucht kommt man nie mehr ganz davon los.“
(Re-)lapse Re-exposure • Drug • Stress • Cues
Rezeptor-Kandidaten für Pharmakotherapie • CRHR1corticotropinreleasinghormone 1 receptor (Depression, Angst) • NPY1R Neuropeptid Y1 receptor (Appetit, Angst) • kappa-opioidreceptor (Dysphorie) • Orexin / hypocretin (Schlaf) • Adenosine A2receptor (Modulation von cAMP) • ORL1opiatereceptorlikereceptor 1 / orphanin FQ /nociceptinreceptor (Modulation Dopamin Transport) • sigmareceptor (Antagonist: anti-konvulsiv, anti-psychotisch?) • mGluR 2 / 3 / 5 metabotropicglutamatereceptor • GABA-A α1 / α5 receptor (Angst, Sucht?)
Pharmakotherapie, z.B. Alkohol • Amethystische Wirkung • Aufhebung der Wirkung: Wunschdenken • Anti-Dipsotropische Wirkung • Aversiv • Disulfiram • Calcium Carbimid • Verringerter Reward • Naltrexon • Nalmifen
Pharmakotherapie, z.B. Alkohol • Anti-Dipsotropische Wirkung (Fortsetzung) • Modulation der Neurotransmission • Zimelidin SSRI • Fluoxetin SSRI • Bromocryptin DA-Agonist • Acamprosat NMDA & GABA-A Modulation • Baclofen GABA-Modulation • Isoflavone • Kudzu (Pueria lobata)
Der Mythos Sucht • Sucht ist ein Mythos und dient besonderen gesellschaftlichen Funktionen • Süchtige üben aus ihren Lebensumständen verständliche und rationale Präferenzen aus • Sucht dient auch anderen Leuten (Behandler, Familien, Politikern, Gelehrten etc.) West R. Theoryofaddiction, 2006
Modell: RISC - Rational Informed Stable Choice • Sucht als Kosten-Nutzen-Analyse • Nutzen überwiegt die negativen Konsequenzen • Unter den aktuellen gegebenen Umständen ist das Gewählte die beste Offerte West R. Theoryofaddiction, 2006
Theorie der Rationalen Sucht • Rationalität: konsistenter Plan, den Nutzen über die Zeit zu optimieren • Konsum ist ein „Gut“ und Sucht Folge des vergangenen Konsums • In schädlichen Süchten (z.B. Drogensucht) werden die zukünftigen Folgen missachtet • Nutzen wird kleiner über die Zeit, aber der Konsum bleibt besser als der Nicht-Konsum
Selbstmedikations-Modell • Individuen sind empfänglich für Sucht, wenn sie unter unangenehmen affektiven Zuständen und psychiatrischen Störungen leiden. • Linderung von kurzzeitigen situativen wie auch langfristigen chronischen „state“ & „trait“-Problemen West R. Theoryofaddiction, 2006
Medikation - Selbstmedikation Michael Krausz, Hamburg 1998
Modell: 2 Opponent Process • Ein positiv erlebter A-Prozess wird durch einen negativen B-Prozess überlagert Koob & Le Moal. Science 1997 A: opponentprocess. B: sensitation. C: continoususe. D: residual.
Allostatic State CRF, corticotropin-releasingfactor; GABA, γ-aminobutyricacid; NPY, neuropeptide Y KoobGF. EuropeanNeuropsychopharmacology 13 (2003) 442–452
Die psychischen Wirkungen der Rauschgifte (Sandor Rado 1926) Rado S. Die psychischen Wirkungen der Rauschgifte. Versuch einer psychoanalytischen Theorie der Süchte. Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse 1926; 12: 540-56
Das „Es“ (Sigmund Freud 1856- 1939) • Chaos, Kessel voll brodelnder Erregung • Keine Organisation • Befriedigung der Triebbedürfnisse • Ausschaltung der Logik • Aufhebung von Widersprüchen, Raum, Zeit und Moral Freud S . XXXI. Vorlesung: Die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit. Gesammelte Werke. Fünfzehnter Band: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse . Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag ; 1999 ; 62 – 86.
Adoleszenzkrise • Drogenkonsum und Sucht als Adoleszenkrise? • Evidenz dafür • Evidenz dagegen
Rites de passage (Übergangsriten) 1909Arnold van Gennep (1873–1957) Riten, die einen • Orts- • Zustands- • Positions- oder • Altersgruppenwechsel begleiten.
Kategorien der „Rites de Passages“Arnold van Gennep 1909 • Trennungsriten„rites de séparation“ • Schwellen- bzw. Umwandlungsriten„rites de marge“ • Angliederungsriten„rites d‘agrégation“
Rites de passage Wiederein-gliederungs-Phase Trennungsphase Schwellenphase
Schwellenzustand / StatussystemVictor Witter Turner (1920-1983) Übergang Zustand • Struktur • Partialität • Ungleichheit • Kleidungsunterschiede • Sprechen • Vermeidung von Schmerz und Leid • Totalität • Communitas • Gleichheit • Nacktheit oder uniforme Kleider • Schweigen • Hinnahme von Schmerz und Leid
Subjektive Wirkung von Drogen • Ruhe • Wärme • Beseitigung von Zweifel • Emotionale Ausgeglichenheit • Lebensenergie und zentraler Aspekt • Spirituelles Erleben
Traum Höhere Wahrheit Vollkommenheit Massvolle Begrenzung Freiheit von wilderen Regungen Principium individuationis Rausch Selbstvergessenheit Versöhnung mit der Natur Aufhebung der Abgrenzungen Weltenharmonie Apollinisch - Dionysisch (Friedrich Nietzsche) Nietsche F. Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.
Friedrich Nietzsche: „Also sprach Zarathustra III. Das andere Tanzlied“ O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? „Ich schlief, ich schlief -, „Aus tiefem Traum bin ich erwacht: - „Die Welt ist tief, „Und tiefer als der Tag gedacht. „Tief ist ihr Weh -, „Lust – tiefer noch als Herzeleid: „Weh spricht: Vergeh! „Doch alle Lust will Ewigkeit -, „- will tiefe, tiefe Ewigkeit!“