420 likes | 573 Views
Aktuelle Entwicklungen im Steuerstrafrecht Prof. Dr. Markus Jäger Richter am Bundesgerichtshof. Steuerstrafrecht. I. Steuerstrafrecht verstärkt im Blick der Öffentlichkeit „ Liechtensteinaffäre“ (Februar 2008)
E N D
Aktuelle Entwicklungen im Steuerstrafrecht Prof. Dr. Markus Jäger Richter am Bundesgerichtshof
Steuerstrafrecht I. Steuerstrafrecht verstärkt im Blick der Öffentlichkeit • „Liechtensteinaffäre“ (Februar 2008) • Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zur Strafzumessung in Steuerstrafsachen (Dezember 2008) • Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (April 2011) • Abkommen Deutschland – Schweiz (Sept. 2011/ April 2012) Steuerstrafrecht
Steuerstrafrecht als Blankettstrafrecht Zentralnorm des Steuerstrafrechts: § 370 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) • Blankettstraftatbestand • Erklärungsdelikt • Erfolgsdelikt Steuerstrafrecht
§ 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) Nicht vom Straftatbestand erfasst: Bloße Nichtzahlung geschuldeter Steuern Ausnahme: Gewerbs- oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens durch Nicht-entrichtung in Rechnungen ausgewiesener Umsatzsteuern (§ 26c UStG) Steuerstrafrecht
§ 370 AO Steuerhinterziehung I Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer • den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, • die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder • pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuerstrafrecht
§ 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer • den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, • ... • ... Steuerstrafrecht
§ 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer • ... • die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt ... • ... Steuerstrafrecht
§ 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) Erklärungspflichtig: • Steuerpflichtige (§ 33 AO) • Gesetzliche Vertreter natürlicher und juristischer Personen (z. B. Geschäftsführer) sowie Vermögensverwalter (§ 34 AO) • Bestimmte Verfügungsberechtigte (§ 35 AO) Berichtigungspflichtig: • Zur Berichtigung gemäß § 153 AO verpflichtete Personen Steuerstrafrecht
Pflicht zur Berichtigung von Erklärungen (§ 153 Abs. 1 AO): Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, • dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist oder • ... so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Steuerstrafrecht
Pflicht zur Berichtigung von Erklärungen (§ 153 Abs. 1 Nr. 1 AO): Eine Berichtigungspflicht besteht auch • für Erben und andere Gesamtrechtsnachfolger sowie deren gesetzliche Vertreter (vgl. §§ 34, 35 AO) • nach zunächst billigender Inkaufnahme falscher Angaben bei späterem sicheren Wissen von der Unrichtigkeit (BGH, Beschluss vom 17. März 2009 – 1 StR 479/08, NStZ 2009, 508) Steuerstrafrecht
§ 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer • ... • ... • pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt ... Steuerstrafrecht
§ 370 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer • ... • ... • ... und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuerstrafrecht
Steuerhinterziehung = Erfolgsdelikt § 370 Abs. 4 AO: Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie • nicht, • nicht in voller Höhe oder • nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Steuerstrafrecht
Der Verkürzungsbetrag ergibt sich ….. ……… aus der Differenz zwischen der geschuldeten Steuer SOLL-Steuer - IST-Steuer und der festgesetzten Steuer = Steuerverkürzung Steuerstrafrecht
Die Stellung des Bundesgerichtshofs im Steuerstrafverfahren • Der Bundesgerichtshof ist als Revisionsinstanz oberstes Strafgericht in Deutschland • Im Bereich des Steuerstrafrechts ist der Bundesgerichtshof zugleich oberstes Finanzgericht Steuerstrafrecht
Die Stellung des Bundesgerichtshofs im Steuerstrafverfahren Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat Rücksicht zu nehmen auf die Rechtsprechung • des Bundesfinanzhofs (BFH), • des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), • des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des • Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Steuerstrafrecht
§ 396 Abs. 1 AO: Aussetzung des Strafverfahrens „Hängt die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung davon ab, • ob ein Steueranspruch besteht, • ob Steuern verkürzt oder • ob nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind, so kann das Strafverfahren ausgesetzt werden, bis das Besteuerungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.“ Steuerstrafrecht
Die strafbefreiende Selbstanzeige • § 371 AO: strafbefreiende Selbstanzeige • Geändert durch Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (April 2011) Steuerstrafrecht
Aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur „grenzüberschreitenden Umsatzsteuerhinterziehung“ Maßgebliche Vorschriften: • § 370 AO: nationale Blankettstrafnorm, seit dem Jahr 2011 auch auf ausländische Umsatzsteuern anwendbar (§ 370 Abs. 6 AO) • §§ 1, 4 Nr.1b, 6a, 15 UStG, §§ 17a, c UStDV • Sechste Mehrwertsteuer-Richtlinie 77/388/EG bzw. Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG Steuerstrafrecht
Umsatzsteuerhinterziehung Strafbarkeit trotz innergemeinschaftlicher Lieferung? D I italienischer KfZ-Händler deutscherUnternehmer Lieferung Rechnung mit USt Rechnung ohne USt Buffer Missing trader Rechnung mit USt
§ 6a UStG: Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (1) Eine innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchstabe b) liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: • Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet; • der Abnehmer ist • ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, • eine juristische Person die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung für ihr Unternehmen erworben hat, oder • bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber und • der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung ... Steuerstrafrecht
6a UStG: Steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (3) Die Voraussetzungen der Absätze 1 und 3 müssen vom Unternehmer nachgewiesen sein. Das Bundesministerium der Finanzen kann mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat. ... §§ 17a, c UStDV Steuerstrafrecht
Innergemeinschaftliche Lieferung BGH, Beschluss vom 20. November 2008 – 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45: Es liegt keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vor, • bei kollusivem Zusammenwirken mit dem Abnehmer • unter Vortäuschen der Lieferung über einen Zwischenhändler • zum Zwecke der Hinterziehung von Umsatzsteuer beim Empfänger Steuerstrafrecht
Innergemeinschaftliche Lieferung BGH, Beschluss vom 20. November 2008 – 1 StR 354/08, BGHSt 53, 45: § 6a Abs. 1 UStG bedarf einer gemeinschafts-konformen, einschränkenden Auslegung, vgl. die Rechtssachen • Halifax: EuGH, Urt. vom 21. Februar 2006, C-255/02 • Collée: EuGH, Urt. vom 27. September 2007, C-146/05 • Teleos: EuGH, Urt. vom 27. September 2007, C-409/04 Steuerstrafrecht
Innergemeinschaftliche Lieferung Bedenken gegen die Rechtsprechung des BGH in der Finanzgerichtsbarkeit (AdV-Verfahren): • FG Baden-Württemberg, Beschl. vom 11. März 2009 – 1 V 4305/08: AdV gewährt. • BFH, Beschl. vom 29. Juli 2009 – XI B 24/09, DStR 2009, 1693: Beschwerde gegen AdV zurückgewiesen Ernstliche Bedenken im Hinblick auf • Grundsatz der steuerlichen Territorialität • Grundsatz der Neutralität der Mehrwert-steuer, da tatsächlich ausgeführte Lieferungen (keine Scheingeschäfte) Steuerstrafrecht
Innergemeinschaftliche Lieferung BGH: Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, Beschl. vom 7. Juli 2009 – 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688 betr. die Auslegung des Art. 28c Teil A Buchstabe a der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie • Vorlagefragen: Ausschluss der Steuerbefreiung • bei Beteiligung an Warenumsatz, der auf Mehrwertsteuerhinterziehung ausgelegt ist? • bei Verschleierung des Erwerbers, um Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen? • Der BGH hält in der Vorlage an seiner Rechtsauffassung fest Steuerstrafrecht
Umsatzsteuerhinterziehung Strafbarkeit trotz innergemeinschaftlicher Lieferung? D I italienischer KfZ-Händler deutscherUnternehmer Lieferung Rechnung mit USt Rechnung ohne USt Buffer Missing trader Rechnung mit USt
Innergemeinschaftliche Lieferung EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 - C-285/09: • Bei Verschleierung des Empfängers kann der Ausgangsmitgliedstaat die Umsatzsteuerbefreiung versagen • Wenn ernsthafte Gründe bestehen, dass der Erwerb im Bestimmungsland der Besteuerung entgeht, muss die Steuerbefreiung versagt werden Steuerstrafrecht
Innergemeinschaftliche Lieferung BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2011 - 2 BvR 542/09: - Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des Worts „unterliegt“ in § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG Steuerstrafrecht
Innergemeinschaftliche Lieferung BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 1 StR 41/09: Die Versagung der Steuerbefreiung beruht im vorliegenden Fall auf zwei nebeneinander bestehenden Gründen: • Wegen kollusivem Zusammenwirken fehlt es an den Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG • Es fehlt an den Voraussetzungen des § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a, 17c UStDV (Buch- und Belegnachweis), weil mit falscher Buch- und Belegführung den wahren Erwerbern eine Umsatzsteuerhinterziehung ermöglicht werden sollte Steuerstrafrecht
Hinterziehung von Umsatzsteuer Unzulässiger Vorsteuerabzug im „Hinterziehungssystem“ BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 - 1 StR 24/10 - Steuerstrafrecht
Rechtsprechung zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung Grundsatzurteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Anlass: Gesetzliche Änderung der Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 3 Satz 2 AO durch Gesetz vom 21.12.2007 (BGBl. 3198) mit Wirkung ab 1.1.2008 Steuerstrafrecht
Gesetzliche Strafrahmen für Steuerhinterziehung Grundtatbestand (§ 370 Abs. 1 AO): Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Strafzumessungsregel für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 AO): Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Bei mehreren Taten: Gesamtstrafenbildung (§ 53 StGB) Erhöhung der höchsten Einzelstrafe Steuerstrafrecht
Grundsätze der Strafzumessung • Grundlage für die Strafzumessung ist die persönliche Schuld des Täters • Bei der Zumessung der Strafe wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab (§ 46 Abs. 2 Satz 1 StGB) • Bestimmende Strafzumessungsgründe sind insbesondere die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten Umstände Steuerstrafrecht
Strafzumessung BGH: • Bei der Steuerhinterziehung hat das Kriterium der „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ besonderes Gewicht • Deshalb ist die Höhe der verkürzten Steuern stets ein bestimmender Strafzumessungsgrund • Das Merkmal des „großen Ausmaßes“ der Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) ist nach objektiven Maßstäben zu bestimmen Steuerstrafrecht
Strafzumessung BGH: • Die Grenze des „großen Ausmaßes“ ist erreicht, wenn der Hinterziehungsbetrag 50.000 € übersteigt. • Das Überschreiten der Grenze führt nicht automatisch zu einem besonders schweren Fall • Das „große Ausmaß hat lediglich Indizwirkung, die • durch Milderungsgründe beseitigt und • durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden kann Steuerstrafrecht
Strafzumessung BGH: • Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände • Bei einem bloßen Gefährdungsschaden liegt die Schwelle zum besonders schweren Fall etwa bei einer Verkürzung von 100.000 € • Ob ein großes Ausmaß vorliegt, ist für jede Tat im materiellen Sinn gesondert zu bestimmen Steuerstrafrecht
Strafzumessung BGH zur Gesamtwürdigung: Strafmildernd wirkt z.B.: • Geständnis • Schadenswiedergutmachung • überwiegend steuerehrliches Verhalten Steuerstrafrecht
Strafzumessung BGH zur Gesamtwürdigung: Strafschärfend wirkt z.B.: • Steuerhinterziehung als Gewerbe z.B. „Serviceunternehmen“ für Scheinrechnungen • Aufbau eines aufwändigen Täuschungssystems z.B. Umsatzsteuerkarusselle • Verstrickung anderer Personen • größere buchtechnische Manipulationen • Schaffung schwer aufklärbarer Auslandssachverhalte Steuerstrafrecht
Strafzumessung BGH: Bei Hinterziehung in Millionenhöhe ... • kommt Strafaussetzung zur Bewährung nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht • scheidet das Strafbefehlsverfahren regelmäßig aus Steuerstrafrecht
Strafverfolgungsverjährung Verjährungsfrist: • fünf Jahre • in den in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung zehn Jahre Es kommt auf die Erfüllung des Regelbeispiels an, nicht auf die Qualifizierung als besonders schwer im Einzelfall Steuerstrafrecht