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Syntaktischer Wandel: weil mit Verbzweitsätzen. Entwicklungstendenzen im Gegenwartsdeutschen. Vorstellung des Phänomens. weil- Sätze mit Verbzweitstellung sind schon lange nicht mehr nur ein Phänomen der süddeutschen und österreichischen Umgangssprache. Einige Beispiele:
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Syntaktischer Wandel: weil mit Verbzweitsätzen Entwicklungstendenzen im Gegenwartsdeutschen
Vorstellung des Phänomens • weil-Sätze mit Verbzweitstellung sind schon lange nicht mehr nur ein Phänomen der süddeutschen und österreichischen Umgangssprache. • Einige Beispiele: • „Ich möchte meinen Landtagsabgeordnetenmandat gerne behalten, weil – ein totaler Ausstieg aus der Politik wäre nach 24 Jahren sehr schmerzvoll.“ (Björn Engholm, SPD) • „Ich hoffe, dass das mit Heitmann sich erledigt hat, weil das ist ja auch eine Beleidigung für die Ostdeutschen, wir hätten da auch Besseres zu bieten.“ (Gregor Gysi, Die Linke) • „Und der Seelenhirt schaut wieder zu, weil er predigt nur, und wie`s gemacht werden soll, weiß er nicht.“ (Berthold Brecht: Mutter Courage) • „Nach uns kommt bloß noch die Pauke, aber nur theoretisch, weil die Pauke ist allein und sitzt erhöht. […] Bei mir sagt kein Mensch, aha der Kontrabass, weil ich geh ja unter in der Masse (Patrick Süskind: Der Kontrabass)
Exkurs: Das topologische Feldermodell • Inwiefern unterscheiden sich weil-Sätze mit Verbzweitstellung syntaktisch von weil-Sätzen mit Verbletztstellung? • Beispielsatz: • weil-VL-Satz: Er ist nach Hause gefahren, weil er Kopfschmerzen hatte. • weil-V2-Satz: Er ist nach Hause gefahren, weil er hatte Kopfschmerzen.
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil Frage: Haben die folgenden Sätze einen identischen Bedeutungsinhalt? • Ich fänd‘s schön, wenn Peter und Anne heiraten, weil – ich mag beide sehr • Ich fänd‘s schön, wenn Peter und Anne heiraten, weil ich beide sehr mag • Es hat gehagelt, weil – mein Auto hat Dellen • Es hat gehagelt, weil mein Auto Dellen hat
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Frage: Inwiefern können weil-V2-Sätze aus ihrer Position hinausbewegt werden, inwiefern können weil-VL-Sätze dies? • Er ist nach Hause gefahren, [weil er Kopfschmerzen hatte] • Weil er Kopfschmerzen hatte, ist er nach Hause gefahren • Er ist, weil er Kopfschmerzen hatte, nach Hause gefahren • Er ist nach Hause gefahren, [weil er hatte Kopfschmerzen] • *Weil er hatte Kopfschmerzen, ist er nach Hause gefahren • *Er ist, weil er hatte Kopfschmerzen, nach Hause gefahren • Da im Deutschen nurNebensätzebeliebig positioniert werden können, spricht diese Beobachtung klar dafür, dass weil-V2-Sätze Hauptsätze sind.
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Ein Grund, eine kausale Relation, kann im Dt. durch einen Nebensatz oder durch eine AP (Adverbialphrase) realisiert werden. • Er ist nach Hause gefahren, weil er Kopfschmerzen hatte. • Wegen seiner Kopfschmerzen ist er nach Hause gefahren. • Er ist nach Hause gefahren, weil – er hatte Kopfschmerzen. • ???
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Nur auf weil-VL-Sätze kann durch ein Korrelat hingewiesen und der weil-Satz damit hervorgehoben werden. • Er ist deswegen nach Hause gefahren, weil er Kopfschmerzen hatte. • Korrelat deswegen= Nebensatz weil er Kopfschmerzen hatte • *Er ist deswegen nach Hause gefahren, weil er hatte Kopfschmerzen. • Korrelat deswegen≠ Hauptsatz weil er hatte Kopfschmerzen
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Bei Fragesätzen sind weil-VL-Sätze im Skopus (im Einflussbereich / in Reichweite) des Hauptsatzes und sind damit in diesen eingebettet. • Hauptsatz und Nebensatz haben damit dieselbe illokutive Funktion, sprich: Beide Sätze beziehen sich auf die gleiche sprachliche Handlung. • Kommt er, weil er‘s versprochen hat? • Die beiden Sachverhalte [er, kommen] und [er, versprechen] stehen in direkter Beziehung zu einander. • Es wird nach einem Grund gefragt, die Kausalrelation beider Sachverhalte wird in diesem Beispielsatz in Frage gestellt: • Kommt er, weil er‘s versprochen hat? • Ist sein Versprechen der Grund für sein Kommen?
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Bei weil-V2-Fragesätzen wird hingegen nur der Inhalt des eigentlichen Hauptsatzes in Frage gestellt. • Mit dem weil-V2-Satz, der eine Behauptung darstellt, wird eine Begründung für die Frage geliefert: • Kommt er? Weil – er hat‘s versprochen. • Im Gegensatz also zum weil-VL-Satz, der nach einem Grund fragte, vgl.: • Kommt er, weil er‘s versprochen hat?
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Wird der Hauptsatz negiert, steht nur der weil-VL-Satz im Skopus der Hauptsatznegation: • Er ist nicht nach Hause gefahren, weil er Kopfschmerzen hatte, (sondern…) • Hier wird also bestritten, dass die Kopfschmerzen der Grund für seine Heimfahrt sind. • Er ist nicht nach Hause gefahren, weil – er hatte Kopfschmerzen • Hier wird bestritten, dass er überhaupt nach Hause gefahren ist; der Satz bedeutet vielmehr: „Er ist da geblieben.“
Unterschiede zwischen VL- und V2-Sätzen mit weil • Bei Sätzen, die einen Quantor beinhalten, steht der weil-VL-Satz in dessen Skopus, der weil-V2-Satz hingegen nicht: • Einige Gäste werden kommen, weil die Sonne heute scheint. • Hier wird eine Motivation angegeben: Für einige Gäste gilt, dass sie aus dem Grund kommen, weil die Sonne scheint. • Einige Gäste werden kommen, weil – heute scheint die Sonne. • Hier bleibt die Grund der Besucher offen. Vielmehr gibt der Sprecher eine Rechtfertigungder Aussage, weshalb er glaubt, dass einige Gäste kommen.
In weil-VL-Sätzen wird der Hauptsatz mit steigender Intonation gesprochen. • Hauptsatz und Nebensatz bilden eine intonatorische Einheit. • Er ist nach Hause gefahren, weil er Kopfschmerzen hatte. • In weil-V2-Sätzen sind hingegen Haupt- und Nebensatz durch eine Pause getrennt, der Hauptsatz hat eine fallende Intonation. • Hauptsatz und Nebensatz bilden zwei intonatorische Einheiten. • Er ist nach Hause gefahren, weil – er hatte Kopfschmerzen.
Erstes Zwischenfazit • weil-VL-Sätze sind in die illokutive Handlung des Hauptsatzes integriert, sind folglich nur satzteilwertig. • Der Sprecher führt dabei eine einzige Sprechhandlung aus, er gibt den Grund für einen Sachverhalt. • Im Satz „Einige Gäste werden kommen, weil die Sonne heute scheint.“ gibt der Sprecher den Grund für das Kommen der Gäste an. • Mit weil-V2-Sätzen vollzieht der Sprecher dagegen zwei selbstständige Sprechhandlungen, können daher auf Fragen oder Aufforderungen folgen, ohne selbst Teil der Frage oder Aufforderung zu sein. • Der Sprecher rechtfertigt mit dem zweiten Satz die Äußerung des ersten (deshalb die zweigipflige Intonationsstruktur und die Pause) • Im Satz „Einige Gäste werden kommen, weil – heute scheint die Sonne.“ rechtfertigt der Sprecher seine Aussage, weshalb er meint, dass einige Gäste kommen, mit dem Zusatz, dass heute die Sonne scheint.
Nicht-kausale weil-Sätze • Neben den bislang genannten Varianten von weil-Sätzen finden sich im Gwd. ebenso weil-Konstruktionen, die weder • eine objektiv-faktischen Sachverhaltsbegründung (weil-VL-Sätze) noch • eine subjektiv-epistemisch Äußerungsbegründung (weil-V2-Sätze)haben • Beispielsatz für nicht-kausale weil-Sätze: • Das hat dann sehr viel ja eh bei mir dann aus- ausgelöst. WEIL eh`… eh` ja ich hatte zu dem Zeitpunkt dann auch gar keine Lust mehr (Günther 1993: 48) • Diese Art von weil-Sätzen werden als reine Fortsetzungssignale verwendet und sind durch Pausen und/oder Zögerungsartikel noch stärker vom Hauptsatz getrennt. • Ersatz von weil hier etwa durch ich mein`, also, nun etc. möglich
Erklärungsvorschläge zur Verbreitung von weil-V2-Sätzen Drei Erklärungsvorschläge zur Verbreitung von weil-V2-Sätzen: • Die Konstruktion bietet erweiterte expressive Möglichkeiten, z.B. die Topikalisierung des Objekts oder des infiniten Verbteils • Und was gibt‘s außer Tatort? Weil – DEN habe ich schon gesehen. • *Und was gibt‘s außer Tatort? Weil DEN ich schon gesehen habe. • Maria verehrt ihren Mann, obwohl – verdient hat er es nicht. • ??Maria verehrt ihren Mann, obwohl verdient hat er es nicht.
Erklärungsvorschläge zur Verbreitung von weil-V2-Sätzen • Die Konstruktion bietet einen anderen Sprechakt: • Mit einem weil-VL-Satz gibt der Sprecher einenobjektiven Grund für einen Sachverhalt an (vgl. weil er Kopfschmerzen hatte) • Mit einem weil-V2-Satz gibt der Sprecher seine subjektive Einschätzung der Lage an, er kommentiert sie nur. • weil-V2-Sätze sind daher wesentlich unverbindlicher, da subjektiver. • Der Sprecher behauptet hier nicht, dass der Sachverhalt A die Ursache des Sachverhalts B ist. • Er stellt nur ein Argument (unter wohlmöglich vielen) vor. • Vor diesem Hintergrund schreibt sprachpflegerische Kritik am weil-V2-Satz vor, was (vollkompetente) Sprecher auszudrücken haben und was nicht.
Erklärungsvorschläge zur Verbreitung von weil-V2-Sätzen • Die Konstruktion ist ökonomischer. Da Sprechsprache durch Verwendung von • unterschiedlicher Verbstellung und • Pausen sowie Intonation bereits eine hinreichende Unterscheidung zwischen einer objektiv-faktischen Begründung und einer subjektiv-epistemischen Rechtfertigung herstellen kann, bedarf es nicht noch zusätzlich einer lexikalischen Unterscheidung. • vgl.: weil ich habe Kopfweh < zu >denn ich habe Kopfweh