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Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie . Die vernderte Situation - eine Herausforderung Vernderungen im Lebensgefhl der Menschen Vernderungen im Verhalten bei einem TodesfallNeuorientierung der pastoralen PraxisGrundzge eines christlichen Profils (A. Franz)Die christliche Begrbnis
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1. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie I. Hinführung: Anthropologische und theologische Bedeutung der Sterbe- und Begräbnisliturgie
Der Mensch vor der Wirklichkeit des Todes
Leben als „Sein zum Tode“ (Heidegger)
Verdrängung des Todes
Suche nach tieferem Sinn des Todes
Der Tod im Leben des Christen
Grund für den Glauben und die Hoffnung des Christen angesichts des Todes sind Tod und Auferstehung Jesu
Tod ist nicht Abbruch des Lebens, sondern Beginn einer neuen Lebensphase, des Lebens mit Christus
Christliche Bewältigung des Sterbens
Der Christ weiß, dass er sich sein Leben lang auf den Tod einstellen und vorbereiten muss
Der Mensch braucht vor allem in der letzten Zeit seines irdischen Lebens menschliche und christliche, geistliche Hilfe
Er stirbt zwar allein, aber er stirbt als Glied der Kirche
Da die Kirche auf Erden sich mit ihren Gliedern im Jenseits verbunden weiß, hört ihre Sorge um den Menschen nicht mit dessen Tod auf
So ist die christliche Begräbnisliturgie Dienst für den Toten und die Lebenden
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2. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie Die veränderte Situation - eine Herausforderung
Veränderungen im Lebensgefühl der Menschen
Veränderungen im Verhalten bei einem Todesfall
Neuorientierung der pastoralen Praxis
Grundzüge eines christlichen Profils (A. Franz)
Die christliche Begräbnisliturgie hat einen einzigen Grundakt: die Bestattung des Leichnams
Die Vollzugsdimension der christlichen Begräbnisliturgie ist der Ritus, nicht die Inszenierung
Durch die Deutung als österlicher Exodus wird den Hinterbliebenen ein Raum für Trauer, Klage und Hoffnung eröffnet
Trägerin der christlichen Begräbnisliturgie ist die christliche Gemeinde
Die christliche Begräbnisliturgie ist flexibel genug, um unterschiedliche Lebens- und Sterbesituationen zum Ausdruck zu bringen
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3. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie Performanzen des Todes (Thomas Klie)
Der „unabhängige Suchdienst“ www.bestattungsplanung.de informiert über insgesamt 21 Bestattungsarten
Der naturreligiös-ökologische Code: Friedwald, Seebestattung, Luftbestattung (via Heißluftballon, Feuerwerksrakete oder Flugzeug), Bestattung auf der Aschestreuwiese
Der ästhetisch-performative Code: setzt vor allem auf Inszenierungs-qualitäten mit der Asche des Verstorbenen, massenmedial dauerpräsente Nekrophilie / Todesversessenheit, Diamantenbestattung, Plastination, Weltraumbestattung
Der anonymisierend-altruistische Code: Beisetzung in einem Kolumbarium, auf einem anonymen Gräberfeld oder Körperspende an die Anatomie
Die Trennschärfe zwischen den drei Codierungen lässt auch Motivkombinationen zu
Theologisch spricht nichts dagegen, sich der Pluralisierung auch und gerade auf dem Terrain der Sepulkralkultur zu stellen
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4. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. Die Sorge um Sterbende und Tote in historischer Sicht
bestimmte Verhaltensweisen gegenüber Sterbenden und Toten
Der Glaube an ein Fortleben nach dem Tode verstärkte die Sorge um die Verstorbenen
So entstand eine Fülle von Totenbräuchen und Begräbnissitten, die in den verschiedenen Kulturen gewisse, in der Sache begründete Ähnlichkeiten aufweisen
Herrichten des Leichnams (Waschung, Bekleidung mit Gewändern und Schuhen, Salbung, Mumifizierung)
Aufbahrung und Totenklage
Hinaustragen zur Grabstätte
Bestattung (Beerdigung oder Einäscherung)
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5. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 1 Totenverehrung in der griechischen und römischen Antike
Homer: Totenklage um Patroklus, Verbrennung von dessen Leiche
Rom: Rufen des Verstorbenen bei seinem Namen, die „conclamatio“ (heute noch beim Tod eines Papstes)
wie bei den Griechen legte man dem Toten eine Münze in den Mund
Aufbahrung im Atrium des Hauses, Totenbett („lectus funebris“)
Totenklage von den Frauen
Zeichen der Trauer: schwarze Gewänder, aber auch Rot war Trauerfarbe
Vom Haus des Verstorbenen führte der Leichenzug, die „pompa“ an den Begräbnisplatz außerhalb der Stadt, wo die Leichenrede gehalten und der Leichnam beerdigt oder verbrannt wurde
noch am Tag der Bestattung war das Leichenmahl, dabei stellte man auch für den Toten einen Stuhl (cathedra) auf und brachte ihm Speisen
Kenotaphe (Ehrenmäler für Tote)
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6. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 2 Das Zeugnis der Schrift
AT: Leben gilt als höchstes Geschenk Jahwes, erst später wächst die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, Gebet für Verstorbene wird sinnvoll (Makkabäer), Bestattung der Toten ist eine religiöse Pflicht (Tobit)
NT: bezeugt an keiner Stelle das Gebet anderer für Sterbende und Verstorbene, doch der Gedanke, dass die Lebenden zum Heil der Verstorbenen mitwirken können, war da (1 Kor 15, 29, 2 Tim 1, 18)
Maxime für das Verhalten gegenüber dem Verstorbenen, besonders hinsichtlich seiner Bestattung, war das Wort Jesus Sirachs: „Auch dem Toten versag deine Liebe nicht“ (7,33)
Aus den Schriften des NT ist ersichtlich, dass die jüdischen Formen der Bestattung und damit zusammenhängende Bräuche von Jesus nicht kritisiert wurden
Trauerzeit: meist sieben Tage (auch 30 oder 70 Tage)
Totenklage: lautes Schreien, an die Brust schlagen, Trauerfasten
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7. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 3 Frühchristliche Sterbe- und Begräbnisliturgie
die Einstellung gegenüber dem Tod hatte sich für die Christen infolge des Glaubens an die Auferstehung Jesu und der Hoffnung auf die eigene Auferstehung grundlegend gewandelt, auch wenn die jüdischen Totenbräuche weitgehend erhalten blieben
Totenklage wurde durch Psalmengesang, Lesung und Gebet ersetzt
Bedeutung des Psalmengesangs (Ausdruck der Freude)
Todestag als dies natalis
Begräbnis wurde allmählich zu einem Gottesdienst, der nicht nur von den nächsten Angehörigen, sondern von einer größeren Gemeinde mitgetragen wurde
Kampf gegen die Fortführung heidnischer Totenbräuche
Gesamtbild: Die Christen distanzierten sich beim Begräbnis ihrer Toten von den Gepflogenheiten ihrer jüdischen und heidnischen Umgebung nur insofern, als deren Brauchtum dem Glauben an die Auferstehung widersprach oder heidnische Praktiken als Teilnahme am Götterkult verstanden werden konnten
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8. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 4 Die Sorge um die Sterbenden und Toten im Mittelalter
Dem seit alters üblichen Sterbebeistand gab die Karolingische Liturgiereform eine feste Ordnung, den „Ordo visitationis infirmorum“
Kernstücke des Sterberitus sind Buße, Salbung und Kommunion
System der stellvertretenden Bußableistung
Communio der Lebenden und Verstorbenen: Versöhnung und Gebetsbeistand ( Tod Eigils und Sturmii)
Krankensalbung: Spendung war anfangs allen Christgläubigen gestattet (Beda), in der karolingischen Reform wurde sie zur ausschließlich priesterlichen Tätigkeit, weil man seitens der Laien eine magische Verwendung befürchtete
Viaticum bzw. Wegzehrung: Seit der Karolingischen Kirchenreform gehörte sie zu den strengstens vorgeschriebenen Seelsorgepflichten (Prozession)
Die Anempfehlung der Seele (Commendatio animae) wurde das christliche Gebetswort im Augenblick des Todes
Vom 9. Jh. an sprach man auch noch ein eigenes „Reisegebet“: „Proficiscere anima de hoc mundo“
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9. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 4 Die Sorge um die Sterbenden und Toten im Mittelalter
Um den mittelalterlichen Totenkult zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass für die Menschen der Tote nicht eigentlich tot war
Solidargemeinschaft zwischen Lebenden und Toten führt zur Hilfe für die Armen Seelen, die im Mittelalter den ganzen Totenkult durchzog
Rolle des Grabes: Entstehung von Friedhöfen um die Kirchen herum, aber auch Bestattung in den Kirchen selbst, vor allem in der Nähe des Altars (meist wichtigen Persönlichkeiten, v.a. des Adels, vorbehalten)
Mittelalterliche Beerdigungsliturgie: Tod – Leichenwaschung – Bekleidung – Aufbahrung – Prozession zur Kirche – Gebet – Beerdigung am selben Tag
Während eine Messfeier in der römischen Liturgie offenbar zunächst nicht dazu gehörte, ist sie später der wichtigste Begleitakt
Totenmahl: eifrig praktiziert im ganzen Mittelalter
Totengedenken in Form von Messfeiern am 3., 7. und 30. Tag sowie am Jahrestag
Die spätmittelalterlichen Gilden- und Bruderschaften pflegten neben dem Messgedächtnis immer auch das Mahlgedächtnis 9
10. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 5 Die römische Sterbe- und Begräbnisliturgie in ihrer Entwicklung
Gesamtverlauf der römischen Sterbe- und Begräbnisliturgie im 7./8. Jh.
Auffälligstes Kennzeichen dieser liturgischen Ordnung ist, dass es sich um einen einzigen Gottesdienst handelt: Er beginnt mit der Spendung der Wegzehrung an den Todkranken und endet mit der Bestattung des Leichnams, im Rahmen dieses Gottesdienstes ereignet sich das Sterben des Menschen
Allgemeine Beobachtungen: rite de passage (der Verstorbene wird vom Ort der Lebenden zum Ort der Toten gebracht), die Kirche vollzieht die Anempfehlung der Seele in persona defuncti, aus heutiger Sicht auffällig, wie wenig auf das Schicksal der Hinterbliebenen Bezug genommen wird
Einzelelemente: Wegzehrung (Viatikum) als das Sterbesakrament, Passion- und Sterbegebete (wichtig die Johannespassion), Orationen, Psalmodie (zunächst österlicher Charakter, später Bußpsalmen), Messfeier (zunächst nicht bezeugt, später Höhepunkt, im 4. Jh. erstmals Totengedächtnis beim Eucharistischen Hochgebet) 10
11. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 5 Die römische Sterbe- und Begräbnisliturgie in ihrer Entwicklung
Rituale Romanum (1614): Verschiedenheit der römischen Sterbe- und Begräbnisliturgie im 7./8. Jh. und im 17. Jh. wird daran besonders deutlich, dass der eine zusammenhängende Gottesdienst des frühen Mittelalters, sich in mehrere Feiern aufgeteilt hat
Spendung der Wegzehrung wird Pflicht des Pfarrers (daher zeitliche Vorverlegung), Umdeutung der Krankensalbung zur „Letzten Ölung“, die damit der Wegzehrung den Rang als Sterbesakrament abnahm
Sterbegebete: vollkommener Ablass in der Sterbestunde (seit dem 14. Jh.)
Begräbnisgottesdienst wird fast ausschließlich von der Fürbitte für den Verstorbenen bestimmt
Begräbnisliturgie erhält tendenziell ein düsteres Gepräge: schwarze Liturgiefarbe, Bußpsalmen, Sequenz „Dies irae“ (12./13. Jh.)
Österlich-frohen Charakter hat das Totenoffizium (Vesper, Matutin, Laudes), aber auch die gallisch-römische Doppelantiphon „In paradisum - Chorus angelorum“ („Zum Paradies mögen Engel dich geleiten“) bei der Prozession zum Friedhof 11
12. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie II. 5 Die römische Sterbe- und Begräbnisliturgie in ihrer Entwicklung
Exkurs: Die Sequenz Dies irae
umfasst 17 dreizeilige, am Schluss noch je eine vier- und zweizeilige trochäische Reimpaarstrophen, die von 1570 bis zum II. Vaticanum im Officium der Totenmesse gesungen wurden
Zusammen mit dem „Stabat mater“ gehört das „Dies irae“ zu den „zwei dunklen Blumen“ der mittelalterlichen Liedproduktion
Ob das „Dies irae“ dem Franziskaner Tommaso de Celano († um 1260) zuzuschreiben ist, bleibt bis heute letztlich unentschieden, der Text der Sequenz findet sich in franziskanischen Handschriften der ersten Hälfte des 13. Jhs, die Melodie jedoch erst gegen 1250
zwei Teile: 1. Schilderung des Jüngsten Tages (Str. 1-6), 2. Ausdruck der Gefühle und Bitten, welche den Gläubigen bewegen angesichts des Geschehens, in das einbezogen er sich vorfindet (Str. 7-18)
Individuelle Sünderperspektive steht im Vordergrund, es gibt aber eine Entwicklung: Der Sünder ist im Laufe der Sequenz vom geängstigten Menschen voller Schrecken zum empfindsamen Büßer geworden 12
13. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie III. Die heutige Begräbnisliturgie
1. Das Rituale „Die kirchliche Begräbnisfeier“ (2009)
a) Die theologische Neuorientierung der nachkonziliaren Begräbnisliturgie
Der neue Ritus soll den österlichen Sinn des christlichen Todes deutlicher ausdrücken
Wegcharakter: Das Sterben wird als ein prozesshaftes Geschehen verstanden, als ein Weg, der aus dieser Welt hinausführen muss, um zur jenseitigen zu gelangen
Man begleitet den Toten in zwei Zügen: vom Sterbeort zur Kirche, und von der Kirche zum Grab
Transitus Domini: Die Österlichkeit der Begräbnisfeier kommt gerade auch in ihrer Weggestalt zum Ausdruck
Der österliche Weg Jesu umfasst Auferstehung und Tod: „Darum kann es nicht Sinn der Liturgie sein, die Trauer der Menschen zu überspielen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, der berechtigten Trauer Raum zu geben, den Trauernden Trost zu spenden und sie zu ermutigen, sich auf den Prozess der Trauer einzulassen in der Hoffnung, darin nicht unterzugehen“ (Rituale 2009 PE Nr. 15).
Drei Stationen: Die Liturgie ist hier Theologie: Der Weg durch das Sterben und den Tod führt in das Leben der Vollendung bei Gott.
Herrenmahl möglichst in Gegenwart des Leichnams (praesente cadavere) feiern
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14. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie b) Anmerkungen zur Feier des Begräbnisses nach dem deutschen Rituale von 2009
„Rehabilitierung“ des Seelenbegriffs
neue Formulare für Begräbnisfeiern oder Gedenkgottesdienste in besonderen Situationen
Neu: „Feier der Verabschiedung vor der Einäscherung“
Im Anhang finden sich drei Formulare: a) für eine Begleitung, wenn ein kirchliches Begräbnis nicht möglich ist, b) Liturgische Feiern bei Großschadensereignissen und Katastrophen, c) Die Feier der gemeinsamen Verabschiedung oder Bestattung von tot geborenen Kindern und Fehlgeburten
Frage, ob die bloße Möglichkeit, unter mehreren Formularen auswählen zu können, für eine Übereinstimmung von Liturgie und jeweiliger Situation ausreichend ist
Hans Hollerweger (1973): „Ein Ritus ist nur ein Werkzeug, und ein neuer Ritus will ein besseres Werkzeug sein. Entscheidend sind die pastoralen Anstöße, die von ihm ausgehen.“
Auswahl der Gesänge als wichtiges Gestaltungsmittel der Begräbnisliturgie 14
15. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie c) Der Begriff der Seele im Rituale von 2009
Die Anthropologie der traditionellen römischen Begräbnisliturgie ist von der Unterscheidung zwischen der unvergänglichen Seele und dem vergänglichen Leib bestimmt
Im „Rituale Romanum“(1614) und im „Collectio rituum“ (1950) wurden der Begriff der Seele und die Bitte um seine Aufnahme bei Gott in den Gebeten bei der Verabschiedung und am Grab (Aspersion, Inzens, Erdwurf) wie selbstverständlich als katholisches Glaubensgut verwendet
Auch die nachvatikanische Reform der kirchlichen Begräbnisliturgie hat sich zunächst nicht davon verabschiedet
„Bruch“ kam mit dem Ritualfaszikel „Die katholische Begräbnisfeier in den katholischen Bistümern des deutschen Sprachgebiets“ (1973)
Hintergrund: Rahners und Greshakes Konzept von der „Auferweckung im Tod“
Das Rituale von 2009 orientiert sich nun wieder strenger als die bisherige Ausgabe am alten „Ordo exsequiarum“. Dadurch kommt es zu einer Rehabilitierung der Anthropologie der unvergänglichen Seele und des vergänglichen Leibes 15
16. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie c) Der Begriff der Seele im Rituale von 2009
Responsorium zur Anempfehlung: „Kommt zu Hilfe, ihr Heiligen Gottes, eilt herbei, ihr Engel des Herrn: Nehmt ihre (seine) Seele auf, tragt sie vor das Angesicht des Allerhöchsten: Es empfange dich Christus, der dich berufen hat, und die Engel mögen dich geleiten in Abrahams Schoß. - Nehmt ihre (seine) Seele auf, trag sie vor das Angesicht des Allerhöchsten. Herr, gib ihr die ewige Ruhe: Und das ewige Licht leuchte ihr. Tragt sie vor das Angesicht des Allerhöchsten.“ (F. Begräbnis 2009, Nr. 58. 121 u.ö.)
Verabschiedungsgebet: „In deine Hände gütiger Vater, befehlen wir die Seele unseres Bruders N. (unserer Schwester N.), gestützt auf die sichere Hoffnung, dass er (sie) wie alle, die in Christus gestorben sind, mit Christus auferstehen wird am Jüngsten Tag.“ (F. Begräbnis 2009, Nr. 60. 123 u.ö.)
Responsorium für die Letzte Anempfehlung und Verabschiedung: „Wir bitten dich, Herr, unser Gott: Nimm die Seele dieses Verstorbenen auf, für den du dein Blut vergossen hast. Denk daran, dass wir Staub sind und der Mensch vergänglich ist wie Gras und die Blume des Feldes. Meine Vergehen, Herr, erschrecken mich und ich erröte vor dir, du aber bist barmherzig. Denk daran ...“ (F. Begräbnis 2009, Nr. 270 A)
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17. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie c) Der Begriff der Seele im Rituale von 2009
Die erneuerte Begräbnisliturgie spricht im Anschluss an das Rituale Romanum wieder stärker von der unvergänglichen Seele und vom vergänglichen, auf Hoffnung hin begrabenen Leib des Verstorbenen
Außerdem wird klar zwischen dem individuellen Tod und der allgemeinen Vollendung sowie der Auferstehung des Fleisches am Ende der Tage unterschieden
Keine nova creatio ex nihilo, aber evtl. nova creatio ex cadavero et anima defuncti ?
Die traditionelle römische Begräbnisliturgie, die durch das Rituale z.T. wieder aufgenommen wird, geht von einer Trennung von Seele und Leib des Verstorbenen aus und weiß nichts von einer „Auferweckung im Tod“
Die Gebete der Begräbnisliturgie nach dem Ritualefaszikel von 1973 kennen diese Trennung hingegen nicht, tilgen aber fatalerweise gleichzeitig in allen Gebeten den Bezug auf die Seele des Verstorbenen
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18. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie d) Die Riten am Grab
Die zweite bzw. dritte Station „Am Grab“ ist nach dem Rituale von 2009 wie bisher in drei Phasen gegliedert: Beisetzung – Gebet für Verstorbene und Lebende – abschließendes Segenswort
Zur Beisetzung im engeren Sinne gehören als Grabriten: Die Segnung des Grabes – die Beisetzung – Gesang
Eigenriten am Grab: Einsenken des Sarges, Aspersion, Inzens, Erdwurf, Aufrichten des Kreuzes / Kreuzzeichen
Einsenken des Sarges als emotional dichtester Moment (sollte immer geschehen)
Aspersion und Inzens erinnern im heutigen Gebrauch der Totenliturgie an die sakramentale Initiation, an Taufe (Weihwasser) und Firmung (Weihrauch)
Im Zusammenhang mit der Eucharistiefeier klingen damit beim Begräbnis alle drei Initiationssakramente an
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19. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie d) Die Riten am Grab
Erdwurf: hat seinen Ursprung im sofort nach der Beisetzung begonnenen Zuschaufeln des Grabes, bei dem Familie und Nachbarschaft beteiligt waren
Das im Rituale von 2009 vorgesehene Gebetswort zum Erdwurf unterstreicht kräftiger als das Rituale von 1973 die Vergänglichkeit menschlichen Lebens und erinnert direkter an die Bestreuung der Gläubigen mit Asche am Aschermittwoch (Impositio-Ritus) – statt: „Von der Erde bist du genommen, und zur Erde kehrst du zurück.“ (F. Begräbnis 1973, 67) heißt es nun (wieder): „Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ (F. Begräbnis 2009, Nr. 101)
Die letzte Zeichenhandlung im Kontext des Beerdigens ist die Aufrichtung des Kreuzes: Das Rituale von 2009 kennt zwei im Sprachgebiet verbreitete Formen mit je einem entsprechenden Begleitwort. Mit beiden Formen verbindet sich der Friedenswunsch, der an den Friedensgruß in der Initiationsliturgie erinnert
Die Begräbnisfeier schließt mit dem Gebet für Verstorbene und Lebende, das zum einen aus den Fürbitten, zum anderen aus dem Vater unser besteht
Die eindrückliche Bitte „für den Menschen aus unserer Mitte, der als erster dem (der) Verstorbenen vor das Angesicht Gottes folgend wird“ wurde sinnvollerweise beibehalten 19
20. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie e) Die liturgische Farbe der nachkonziliaren Totenliturgie
Anforderungen an die liturgische Trauerfarbe: Sie soll einerseits der Einstellung der Völker entsprechen, andererseits darf sie die menschliche Trauer nicht verletzen und muss die vom Paschamysterium getragene christliche Hoffnung sichtbar machen
Während die schwarze Trauerfarbe die Solidarität mit der Trauer der Hinterbliebenen signalisiert, aber kaum die christliche Osterhoffnung anzeigt, und die freudige Festfarbe weiß als unangemessen erscheint, erscheint violett als eine Art Kompromisslösung zwischen den Facetten Trauer und Hoffnung
Weiß: Farbe der Auferstehung und des Lebens
Violett: Farbe der Buße und Umkehr
Schwarz: Trauerfarbe vieler paganer Riten
Rot: Farbe der Blutopfer (Rot=Blut=Tod), aber auch der päpstlichen Liturgie, jetzt auch liturgische Farbe an Karfreitag (Bezug zum österlichen Mysterium)
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21. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie f) Anfragen an die nachkonziliare Begräbnisliturgie
Gesunder Mittelweg zwischen den beiden Polen Offenbarungsglaube und menschliche Erfahrung
Grundfrage, ob der Liturgie letztlich nicht zu viel aufgebürdet wird, wenn sie personale Nähe und rituelle Entlastung zugleich leisten soll
Anpassung und Flexibilität der Begräbnisfeier: Frage, ob und ggf. wie die Liturgie des Begräbnisses immer auf die konkrete Situation eingehen kann – Relevanz der Feiergemeinschaft
Gegenwartserfahrung und christliche Eschatologie in der Begräbnisfeier: Frage, ob nicht auch neue, bisher kaum berücksichtigte eschatologische Vorstellungen die Totenliturgie bereichern können – Relevanz der Psalmodie
Individualität und Ritualität der Begräbnisfeier: Frage, wie individuell die christliche Liturgiefeier sein darf, ohne ihre Identität zu verlieren –Relevanz des Rituals und seiner Wiedererkennbarkeit
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22. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 2. Die Eucharistiefeier als Höhepunkt der Begräbnisliturgie
PE 2009: „Höhepunkt der kirchlichen Begräbnisfeier ist die Feier der heiligen Messe. Durch die Feier der Eucharistie verkündet die Gemeinde den Tod und die Auferstehung des Herrn, vereinigt sich mit seinem Opfer und wird in ihm auch mit dem Verstorbenen verbunden.“
Zwei Sachverhalte sind zu berücksichtigen:
Die Feier auf dem Friedhof ist von der Eucharistiefeier räumlich und zeitlich in der Regel getrennt
Die abnehmende Zahl der Priester hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass nicht nur Diakone, sondern auch Laien mit dem Begräbnisdienst beauftragt werden. Damit ist in der Person des Vorstehers eine weitere Trennung von Begräbnis- und Messfeier notwendig geworden
Personalität hat für viele größere Plausibilität als Sakramentalität
Tote bestatten und Trauernde trösten - beides gehört zu den Werken der Barmherzigkeit. Beide Aspekte gelten auch im Hinblick auf die Eucharistiefeier in der Begräbnisliturgie
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23. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 2. Die Eucharistiefeier als Höhepunkt der Begräbnisliturgie
Begräbnismesse - im Blick auf den Verstorbenen
Rituale Romanum (1614) sieht als Normalfall vor, dass der Leichnam des Verstorbenen in feierlicher Prozession von seinem Haus zur Kirche geführt wird, wo praesente corpore / cadavere die Messe stattfindet, bevor der Leichnam zum Grab geleitet und begraben wird
Durchsicht durch die Orationen der Messen für Verstorbene im Missale Romanum von 1970 zeigt deutlich: Fast ausnahmslos sind allein die Verstorbenen im Blick. Für sie und ihre ewige Vollendung wird gebetet
Die Teilnahme des Verstorbenen an der Eucharistie wird noch einmal unterstrichen durch die Vorschrift, dass der Leichnam grundsätzlich mit den Füßen zum Altar hin aufgebahrt werden soll, bei Priestern jedoch so, dass der Kopf zum Altar hin und insofern der Gemeinde gegenüberliegt
Drei Arten von Riten: Trennung, Umwandlung und Wiedereingliederung
Problematik, dass für viele diese christliche Sicht und die eucharistische Dimension im Besonderen nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar sind
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24. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 2. Die Eucharistiefeier als Höhepunkt der Begräbnisliturgie
Begräbnismesse - im Blick auf die Trauernden
Es fällt auf, dass in den Texten des Messbuches für die Totenmesse das Leid der Hinterbliebenen und der Gedanke des Trostes kaum thematisiert werden (Ausnahme: 1. Präfation für Verstorbene)
Ausdrücklich um Gottes Trost für die trauernden Angehörigen wird nur in jenen Orationen gebetet, die für eine Messe am Begräbnistag eines Kindes vorgesehen sind
Mögliche Hilfen, die die Liturgie im Hinblick auf die Trauernden geben kann: Danksagung, Aufarbeitung von Schuldgefühlen
DBK: „Es kann nicht Sinn der Liturgie sein, die Trauer der Menschen zu überspielen. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, der Trauer Raum zu geben und den Trauernden Mut zu machen, sich auf den Prozess der Trauer in der Hoffnung einzulassen, darin nicht unterzugehen.“
Bedeutung der Emmaus-Perikope (Lk 24, 13-35): Trennung, Transformation, Reintegration
Ort der Eucharistie innerhalb der Stationsliturgie am Ende (D. Emeis) ?!
Die Begräbnisfeier steht nicht am Ende der Trauerzeit 24
25. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 2. Die Eucharistiefeier als Höhepunkt der Begräbnisliturgie
Der Sinn der Eucharistiefeier beim Begräbnis
Nachdem seit dem Mittelalter der Bußcharakter der Begräbnisliturgie vorherrschend geworden war, bedeutete es eine grundlegende Korrektur, dass das II. Vatikanum gewünscht hatte, die Begräbnisliturgie österlicher zu gestalten
Bezeichnung für die Begräbnismesse: Auferstehungsgottesdienst, Requiem, Totenmesse
neue Sensibilität für die Sinnvielfalt und damit auch die Funktionsfacetten, die der Begräbnismesse zukommen (können)
Auch wo die Messe heute nicht mehr im unmittelbaren Zusammenhang des Begräbnisses erwünscht wird oder gefeiert werden kann, sollte es dennoch eine Selbstverständlichkeit sein, dass die christliche Gemeinde ihrer Toten in der Eucharistiefeier gedenkt
Brauch, bei der Messfeier am Allerseelentag der im letzten Jahr verstorbenen Gemeindemitglieder namentlich zu gedenken 25
26. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
a) Begräbnis eines Kindes
Liturgisch wird zwischen der Bestattung eines getauften, eines nicht getauften und eines tot geborenen Kindes unterscheiden
Liturgie als Versuch, all das, was man nicht in Worte fassen kann, aufzufangen und den Hinterbliebenen die Trauerarbeit und das Abschiednehmen zu erleichtern
Einführung: Zusammenbinden der Trauergemeinde als Gemeinschaft
Homilie: Unbegreiflichkeit der Wege Gottes, aber trotz allem Hoffnung
Gebete: drücken in einfacher Weise die Situation, den Schmerz und die Trauer der Anwesenden aus und sprechen von der christlichen Hoffnung auf das Leben bei Gott in seinem Reich
Wortgottesdienst / Lesungen: Unterschied zwischen getauften und ungetauften Kindern, Trost aus den Psalmen (Ps 8, Ps 42)
Verabschiedungsgebet: Unterschiede im Hinblick auf die Heilssicherheit!? 26
27. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
a) Begräbnis eines Kindes
Begräbnismesse: Möglichkeit bei der Gestaltung der Gabenprozession (Kerze, Blume, Spielzeug)
Beisetzung am Grab: Segensgebet, Einsenken des weißen Sarges, Besprengung mit Weihwasser und die Inzens mit Weihrauch entfallen – in diesem Fall sinnigerweise – bei ungetauften oder tot geborenen Kindern, weil diese beiden Riten auf die Sakramente der Taufe und Firmung Bezug nehmen, Erdwurf und die Bezeichnung des Grabes mit dem Kreuz können von der üblichen Form der Bestattung übernommen werden
Nach diesen ausdeutenden Zeichen ist ein Auferstehungs- oder Credo-Lied vorgesehen
Fazit: Wichtig ist ein ausgewogenes Ineinander zwischen dem Eingehen auf die besondere Situation und den alles in allem gut formulierten Gebetstexten des Rituales 27
28. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
b) Die Feier der Verabschiedung vor einer Einäscherung und die Urnenbeisetzung
Bedeutung der Feuerbestattung im Lauf der Geschichte
Erstes Krematorium 1878 in Gotha
Heutige Motive für die Feuerbestattung: menschlich-ästhetische, ethische, hygienische und ökonomische (weniger aufwändige Grabpflege, Platzersparnis durch Urnenanlagen bzw. Kolumbarien), aber auch familiäre Veränderungen (Kleinfamilien, Zunahme der Einpersonenhaushalte, in großer Entfernung lebende Angehörige) und finanzielle Gründe (niedrigere Kosten der Urnenbestattung)
Eine Feuerbestattung lässt sich mit dem herkömmlichen Wegcharakter christlicher Sterbe- und Begräbnisliturgie nicht vereinen, statt in zwei oder drei aufeinander folgende Stationen teilt sich der Ritus auf zwei zeitlich getrennte Feiern, die jeweils nur an einem Ort gefeiert werden
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29. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
b) Die Feier der Verabschiedung vor einer Einäscherung und die Urnenbeisetzung
Rituale: zwei eigenständige Ordnungen: die Feier der Verabschiedung vor einer Einäscherung (Kapitel VI), Die Feier der Urnenbeisetzung (Kapitel VII)
Vergleich zwischen der Feier des Begräbnisses mit zwei Stationen und den beiden Feiern bei der Kremation (siehe Handout)
Der rituelle Vollzug eines Abschieds von dem Verstorbenen findet bei der Feier vor der Einäscherung statt. In der Feier der Urnenbeisetzung wird demgegenüber allein noch der Akt der Beisetzung vollzogen
Zeitliche Unterbrechung durch die Kremation als rituelles und trauerpsychologisches Problem (Ausweitung der „Schleusenzeit“)
Profilierung einer Feier vor der Einäscherung sollte als Impuls verstanden werden, die mittlerweile gängiger werdende Praxis einer einzigen liturgischen Feier direkt mit Beisetzung der Urne zu überdenken
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30. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
Exkurs II: Pastorale Richtlinien für das Bistum Fulda zum Umgang mit Urnenbestattungen im Wald
Weil Art und Ort dieser Baum- bzw. Strauchbestattung eine privatreligiöse oder atheistische Einstellung nahe legen, hat die katholische Kirche grundlegende Vorbehalte gegen diese Bestattungsform
Sofern diese Form aus Gründen gewählt wird, die der christlichen Glaubenslehre widersprechen, ist ein kirchliches Begräbnis nicht möglich
Mitwirkung katholischer Amtsträger bei der Errichtung oder Eröffnung entsprechender Anlagen ist nicht möglich
der zuständige Geistliche hat in jedem Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden, ob ein kirchliches Begräbnis möglich ist oder verweigert werden muss
Geistliche sollen deutlich machen, dass die zentrale Feier eines kirchlichen Begräbnisses das Requiem ist
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31. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
Exkurs II: Pastorale Richtlinien für das Bistum Fulda zum Umgang mit Urnenbestattungen im Wald
Nach Möglichkeit soll die liturgische Feier der Verabschiedung und der Segnung des Verstorbenen vor der Einäscherung in der Kapelle des Friedhofs oder des Krematoriums stattfinden
Kriterien für die Zustimmung: Religiöse Ausrichtung des Betreibers des Friedwaldes, Möglichkeit, am Ort der Bestattung ein Schild mit dem Namen des Verstorbenen und einem christlichem Symbol anzubringen
Mitwirkung des katholischen Geistlichen ist (über die Totenmesse hinaus) auf eine gottesdienstliche Feier zu beschränken, Ausnahmen (Mitwirkung bei der Urnenbeisetzung im Wald) sind Einzelfallentscheidungen
Die Mitwirkung eines Geistlichen an einer Bestattungsfeier, bei der die Totenasche verstreut wird, ist untersagt
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32. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
Exkurs III: Kolumbarien in Kirchen und Kapellen – Gotteshäuser als letzte Ruhestätte?
Kolumbarium (von lateinisch columbarium, der Taubenschlag) war ursprünglich die Bezeichnung für einen Taubenschlag, wegen der optischen Ähnlichkeit wurden dann auch altrömische Grabkammern mit reihenweise übereinander angebrachten Nischen zur Aufnahme von Urnen nach Feuerbestattungen so benannt
Die bisher entdeckten antiken Kolumbarien (über 100 sind bekannt) finden sich in Rom und dessen nächster Umgebung und stammen fast sämtlich aus dem ersten Jahrhundert nach Christus
In Deutschland begann sich diese Beisetzungsart mit der Einführung der Feuerbestattung ab 1879 zu etablieren (Gotha 1892, Wiesbaden 1902, Berlin Friedrichsfelde 1912)
Kolumbarien in Kirchen: Krefeld 2004, Aachen (Grabeskirche St. Josef) 2006, Erfurt (Allerheiligenkirche) 2007, Leverkusen (evangelische Liebfrauenkirche) 2008, Hannover und Dortmund 2010
32
33. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
Exkurs III: Kolumbarien in Kirchen und Kapellen – Gotteshäuser als letzte Ruhestätte?
Pro (Albert Gerhards): Christliche Gemeinden sollten sich gerade in der heutigen Zeit auf ihren Auftrag als Bewahrungsinstanz kulturellen Gedächtnisses besinnen, Grabeskirchen als Chance und Anknüpfungspunkt, sich auf das Wesen christlicher Gedächtniskultur zu besinnen und diese als Eigenprofil und Zukunftsperspektive für christliche Gemeinden zu entwickeln
Contra (Jürgen Bärsch): Kirchen waren und sind nur im „uneigentlichen“ Sinn Orte der Bestattung, bis heute geltende Regelung, wonach Leichname nicht in einer Kirche beigesetzt werden dürfen, Kirchen können erst nach einer (Teil-)Profanierung zu Kolumbarien umgewandelt werden, Eintreten für das Erdbegräbnis (Würde des Leibes als Schöpfung Gottes und als Tempel der Heiligen Geistes am besten dargestellt, Ähnlichkeit mit dem Begräbnis Jesu), Anliegen der Kirche wird konterkariert, Anregung: Grabplatz, Grabpflege, Gedenkstein durch die Kirche 33
34. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
c) Begleitung, wenn ein kirchliches Begräbnis nicht möglich ist
Nach dem CIC ist das kirchliche Begräbnis denjenigen zu verweigern, die sich von der Kirche und ihrem Glaubensverständnis offenkundig losgesagt haben
Leitfrage: Entsteht durch das kirchliche Begräbnis ein öffentliches Ärgernis?
Kirchliche Bestattung ist kein Sakrament, aber doch eine liturgische Feier der Kirche
Zu klären ist, welche Gründe ursprünglich für den Kirchenaustritt maßgeblich waren und ob eine Änderung im Laufe der Zeit sichtbar wurde (Reue? Grund für die Distanz? Wunsch nach kirchlicher Bestattung? Rolle der Angehörigen?)
Entscheidung in Rücksprache mit Verantwortlichen im Dekanat und in der Gemeinde und nach gründlicher Prüfung der individuellen Situation
Frage der kirchlichen Begleitung bei verstorbenen Nichtkatholiken 34
35. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
c) Begleitung, wenn ein kirchliches Begräbnis nicht möglich ist
Neues liturgisches Formular im Anhang des Rituales
„Begleitung“ bei der Bestattung des Verstorbenen durch einen Priester/Diakon
Keine liturgische Kleidung
Sehr schlichte Feierform: Ziel ist der „Beistand für die Trauernden“ im Sinn einer Ritendiakonie der Kirche
Aufbau: Kirchengesang – einführendes Wort (Zelebrant verweist auf die besondere Situation) – Gebet – Schriftlesung – Ansprache – stilles Gedenken – Gesang – Gang zum Grab (Zelebrant geht nicht vor dem Sarg, sondern begleitet die Angehörigen hinter dem Sarg) – Beisetzung in aller Stille (ohne Riten am Grab) – Gebet des Herrn – Abschluss: allgemein gesprochener Segen
Statt einer Begräbnismesse kann zur Mitfeier der Gemeindemesse eingeladen werden 35
36. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
d) Liturgische Feiern bei Großschadensereignissen und Katastrophen
Feier dient nicht zur Bestattung der Toten, sondern „dem ehrenden Gedächtnis der Toten ... und der gemeinsamen Trauer“ – Erfahrung des „Karsamstags“
Weil hier eine individuelle Feiergestalt erforderlich ist, legt das Begräbnisrituale nur ein Strukturmodell vor: Der zentrale Mittelteil wird durch einen „Ritus des Gedenkens“ unter Einbeziehung von Symbolen bzw. einer symbolischen Handlung, mit genügend Raum für „Stille und Sprachlosigkeit“, gefeiert
Gottesdienst kann auch ökumenisch oder als öffentliches Gebet erfolgen, sofern Angehörige verschiedener Religionen anwesend sind und Gebete sprechen
Auf Ambivalenz der Symbole achten (Feuer/Licht nach Brandkatastrophe, Wasser nach Flutkatastrophe etc.) 36
37. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
d) Liturgische Feiern bei Großschadensereignissen und Katastrophen
Aufbau:
Eröffnung (Lied)
Begrüßung (Kreuzzeichen und liturgischer Gruß)
Einführung (Erinnerung an das Ereignis, evtl. namentliche Nennung bestimmter Personen / Gruppen)
Kyrie-Rufe oder Klagepsalm (z.B. Ps 13, Ps 44, Ps 102)
Gebet
Wortgottesdienst (eine Lesung ausreichend, Ansprache)
Ritus des Gedenkens (Symbolhandlung, keine Gefühle verletzen, persönliche und anlassbezogene Momente)
Gesang
Fürbitten (Gebet für die Toten und die Angehörigen)
Gebet des Herrn – Gesang – abschließendes Gebet – Entlassung 37
38. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
e) Die Feier der gemeinsamen Verabschiedung von totgeborenen Kindern und Fehlgeburten
Unterscheidung Fehlgeburten – Totgeburten – Lebendgeburten
Kirchen wie auch politische Parteien und Eltern-Initiativgruppen fordern, dass totgeborene und bei der Geburt verstorbene Kinder in Würde bestattet werden sollen (dabei sollen Größe und Gewicht keinerlei Rolle spielen dürfen)
besondere Gräber bzw. Grabfelder einrichten, um diese Fehl- und Totgeburten bestatten zu können
Beginn des Lebens bei Empfängnis
Wenn Eltern nach einer Tot- oder Fehlgeburt ihr verstorbenes Kind zu taufen wünschen, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Spendung des Taufsakraments nur bei einem lebenden Menschen einen Sinn hat – anstelle der Taufe kann aber ein Segensgebet über das tote Kind gesprochen werden
kein Name für eine Mutter bzw. Vater, die ihr Kind verloren haben (wie z.B. Witwe/r oder Waise) 38
39. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
e) Die Feier der gemeinsamen Verabschiedung von totgeborenen Kindern und Fehlgeburten
Aufbau des Gottesdienstes orientiert sich im Wesentlichen an der Begräbnisfeier mit einer Station – dabei werden die Gebete und Worte des Zelebranten der besonderen Situation behutsam angepasst
Lesung aus dem Buch der Klagelieder (Klgl 3,17-26): Klage an Gott, tiefe Traurigkeit des Menschen, aber auch Glaube an die Treue Gottes
Vorzugsweise soll in der Feier auch der Sarg oder die Urne beigesetzt werden
Im Falle des Begräbnisses von Fehl- und Totgeburten geht man selbstverständlicher von Urnenbeisetzungen aus (Riten am Grab auch bei Urnen erlaubt, außer Erdwurf)
Für den Trauerweg der Eltern und Angehörigen kann es hilfreich sein, in regelmäßigen Abständen Gedenkgottesdienste zu feiern (November) 39
40. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie
3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
f) Anonyme Bestattungen
„Anonym“ bezogen auf die Bestattung heißt: Es gibt weder eine Bekanntgabe der Bestattung in Bezug auf die Zeit noch auf die Begräbnisstätte, es gibt auch keine Bezeichnung der Grabstätte mit dem Namen des dort Bestatteten
Hintergrund für diese Praxis ist der „soziale Tod“ von Alleinlebenden
Blick in die Geschichte: Es gab schon immer anonyme Bestattungen – nicht getaufte Kinder, Selbstmörder oder fahrende Vagabunden wurden einfach verscharrt (gesellschaftliche Ausgrenzung) – andererseits gab es auch bewusst gewählte Anonymisierung (Kartäuser – namenlose Kreuze)
Der Brauch, ohne namentliche Kennzeichnung, aber unter Beteiligung der Angehörigen und der Gemeinde zu bestatten, spricht zunächst nicht unmittelbar gegen die christliche Glaubensüberzeugung
Gesellschaftliches und kirchliches Problem ist nicht die Anonymität („nur“ ein Bruch mit einer etwa 200-jährigen Tradition), sondern die Ablehnung eines postumen liturgischen Totengedenkens (Lutterbach: „Bruch mit den ältesten Traditionen der Menschheit“) 40
41. Sterben, Tod und Auferstehung in der Liturgie 3. Sonderformen der Begräbnisliturgie
f) Anonyme Bestattungen
Heutige Argumente: günstigere Kosten, Entlastung von der Aufgabe der Grabpflege
die kommunalen und kirchlichen Träger von Friedhöfen müssen die Möglichkeit zur so genannten anonymen Bestattung geben
Die mit der anonymen Bestattung zusammenhängenden Probleme betreffen vor allem die Verhinderung der Trauerarbeit und des Totengedenkens an einem bestimmten Ort: Trauer wird ortlos
Aufgabe der Kultur eines Volkes, sichtbare Zeichen des Gedenkens zu schaffen und zu pflegen - für Lebende und Tote
bedenken, dass die Bestattung der Toten auch die Öffentlichkeit der christlichen Gemeinde angeht – anonyme Bestattungen kommen einem Ausschluss der christlichen Gemeinde von der Anteilnahme gleich
Im Totengedenken der Gemeinde sollte auch der anonyme Bestatteten ausdrücklich gedacht werden: an Allerseelen oder bei der Feier eigener Gottesdienste für sie
41
42. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens Hinführung
Die katholische Totenliturgie ist nicht nur eine Kasualliturgie zum Begräbnis, sie steht vielmehr in dem großen Zusammenhang der Sorge der Kirche für den kranken und sterbenden Menschen
Titulus V des Rituale Romanum von 1614
Erneuerte Ordnung der Feier der Krankensakramente: Kirche geht den Weg des Christen mit, der entscheidend dadurch gekennzeichnet ist, dass er nicht im exitus endet, sondern vielmehr ein transitus ist
Aufbau der „Feier der Krankensakramente“ (Rituale): (1) Krankenbesuch und Krankenkommunion, (2) Krankensalbung, (3) Wegzehrung, (4) Spendung der Sakramente der Buße, der Krankensalbung und der Wegzehrung bei einem Kranken in unmittelbarer Todesgefahr (Versehgang), (5) Firmung in Todesgefahr, (6) Sterbegebete
Zusammenhang des transitus des Christen mit dem transitus Domini 42
43. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 1. Die Feier der Krankensalbung
a) Die Kontroverse
- Biblischer Grundtext: Jak 5, 14-16
- Erster Pol (Krankensalbung): Stärkung in der Krankheit und Hoffnung auf Gesundheit
- Zweiter Pol (Letzte Ölung): Kranksein als Sündersein, Vollendung der Buße, Vorbereitung auf den Tod
- Mittelweg: Der ganze Mensch erfährt Hilfe, Heil und Rettung, Erneuerung von Glaube, Hoffnung und Liebe in einer existentiellen Situation
- Wichtige Texte: SC 73, CIC can. 998, 1004, KKK 1515
- Praxis: kein unbedenkliches Wiederholen des Sakramentes angesichts leichter Erkrankungen, aber auch kein Aufschieben bis zur unmittelbaren Todessituation
44. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens Die Feier der Krankensalbung
b) Ritus der Krankensalbung
- Begrüßung des Kranken und der Anwesenden
- Besprengen mit Weihwasser
- Einführende Ansprache
- Bußakt
- Schriftlesung mit kurzer Homilie
- Fürbitten
- Auflegung der Hände
- Weihe des Öles bzw. Danksagung
- Salbung mit Spendeworten
- Abschließendes Gebet
- Vaterunser und Schlusssegen
45. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens Die Feier der Krankensalbung
b) Ritus der Krankensalbung
- Begrüßung des Kranken
Grußwort (Friedensgruß)
Persönliche Worte
- Besprengen mit Weihwasser
Rückbindung an die Taufe
Begleitworte: Anamnese
- Modellansprache
Anlehnung an Mt 18, 20 und Jak 5, 14f
Beteiligung des Kranken und der Anwesenden
Jakobusoration
- Bußakt
Confiteor mit anschließender Vergebungsbitte oder Empfang des Bußsakramentes
46. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 1) Die Feier der Krankensalbung
b) Ritus der Krankensalbung
- Schriftlesung
Heilung des Knechtes in Kapharnaum (Mt 8, 5-10. 13)
Schriftlesung verpflichtend, aber Möglichkeit, eine andere Lesung zu verwenden (z.B. Passionsberichte)
Kurze Ausdeutung
- Fürbitten
- Auch für die in der Krankenpflege Tätigen
- Auflegung der Hände
- Vorbild in Jesus und den Aposteln
- „Urgebärde kirchlichen Heilungsdienstes“ (B. Fischer)
- Vertrauen und Zuversicht zu Jesus
47. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens Die Feier der Krankensalbung
b) Ritus der Krankensalbung
- Weihe des Öles bzw. Danksagung
- Aus Pflanzen oder Früchten gewonnenes Öl
- Weihe durch den Bischof (Missa chrismatis)
- Bedeutung des Öls in der antiken Welt
- Weihetext des Öls
- Dankgebet (im Stil der alttestamentlichen „Berakah“)
- Bitte um Linderung der Schmerzen und Stärke in der Schwäche
48. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens Die Feier der Krankensalbung
b) Ritus der Krankensalbung
Salbung (Kernritus)
Stirn und Hände (stellvertretend für den ganzen Menschen) – früher 5 Sinnesorgane!
Anpassung an die Denkungsart und Überlieferung der Völker möglich
in Notfällen eine einzige Salbung
Salbungsformel: „Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes.“ A. „Amen.“ – „Der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in seiner Gnade richte er dich auf.“ A. „Amen.“
Hervorhebung des Heiligen Geistes
Anlehnung an den Jakobusbrief
Rettung und Heil, Aufrichtung des Kranken, Vergebung der Sünden
49. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens Die Feier der Krankensalbung
b) Ritus der Krankensalbung
- Abschließendes Gebet
- Volle innere und äußere Gesundheit
- Mehrere Austauschorationen (Altersschwäche, große Lebensgefahr, Agonie)
- Vaterunser und Schlusssegen
- Bedeutung der Bitten des Vaterunsers
- Fünfgliedriges Segensgebet
- Gemeinschaftscharakter des Sakraments
- Spendung im Rahmen einer Eucharistiefeier
- Möglichst immer kleine Gemeinschaft
- Gebet des Glaubens als wesentliches Element
50. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Die Herkunft des Begriffs und seine Umdeutung im frühen Christentum
Das Wort viaticum fand in der Antike vielfältige Verwendung und bezeichnete im profanen Bereich zunächst das Stärkungsmahl vor einer Reise (coena viatica)
Bedeutungszusammenhang des Terminus viaticum zum Totenkult
Hermes als „Psychopompos“ (= Seelenüberführer) und Charon als Fährmann
Brauch, dem Verstorbenen eine Münze in den Mund zu legen als Entgelt für Charons Dienste (in Rom und darüber hinaus verbreitet)
NT ist die Vorstellung einer Reise in Verbindung mit dem Tod nicht fremd, allerdings positive Deutung (vgl. Ignatius von Antiochien: Märtyrertod als migratio ad dominum)
geistliche Nahrung für zwei große Reisen des Christen( Reise des Lebens und des Todes)
Für die zweite und letzte Reise, die migratio ad dominum, galt alles als Zurüstung, was den Sterbenden Stärkung und Trost versprach: Sakramente, Gebete und gute Werke, die allesamt als viaticum galten 50
51. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Im Laufe der Zeit konzentrierte sich der Sprachgebrauch auf die Eucharistie für die Sterbenden, kommen in der Sterbekommunion doch beide ursprünglichen Aspekte zum Ausdruck: das Abschiedsmahl und die Zurüstung der Reise
Sie wird dennoch - im Gegensatz zum Heidentum - nie als Weggeld verstanden
Vornehmster Geleiter durch alle Gefahren ist den Christen Christus selber, der sich mit dem Kommunionempfang als „Psychopompos“ den Sterbenden zugesellt
Bei aller gegenseitigen Durchdringung christlicher und heidnischer Vorstellungen reicht es nicht aus, die heidnischen Bräuche als Ursprung des christlichen Viaticums anzunehmen
Vielmehr hat dieses seine Wurzeln in der Botschaft von Christus als dem Brot des Lebens und der Auferstehung: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag“ (Joh 6,54)
51
52. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Der Stellenwert der Wegzehrung
Die Verpflichtung jedes Christen zum Empfang der Sterbekommunion ist in der liturgischen Tradition weit älter und schwerer als z.B. diejenige zur österlichen Kommunion, auf die unter bestimmten Umständen verzichtet werden kann
Als Sterbekommunion eignet dem Viaticum eine andere Bedeutung als jeder sonstigen Kommunion. Dies zeigen auch Verlautbarungen unserer Zeit: „Selbst wenn die Gläubigen am selben Tag schon einmal kommuniziert haben, so ist doch sehr zu raten, dass sie bei auftretender Todesgefahr erneut kommunizieren“ (CIC can. 921 § 2)
Die an das II. Vaticanum anschließende Liturgiereform hat den Stellenwert der Wegzehrung nicht gemindert. Unverkennbar ist vielmehr auch hier die Bemühung, zu den Ursprüngen zurückzukehren, und die Wegzehrung unter den Sterbesakramenten klarer hervorzuheben 52
53. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Schwierigkeiten mit Spendung und Empfang der Wegzehrung heute
die Kommunion wird wohl als Krankenkommunion, aber fast nicht mehr als Wegzehrung gespendet
unwahrscheinlich, dass die geringe Zahl der Spendungen mit einem Rückgang eucharistischer Frömmigkeit korreliert (dagegen sprechen die hohe Zahl der Krankenkommunionen und die Praxis des Kommunionempfangs in den Gemeindegottesdiensten)
Grundsätzlichere Probleme: Schweigen (in den Ritualen wird nicht vom Sterbe-, sondern von Krankensakramenten gesprochen), Unwissenheit (Überbringung des Viaticums wurde von einem öffentlichen, feierlichen Akt zu einer privaten Sache)
Das lebendige Sterbebrauchtum der letzten Jahrhunderte ist verschwunden, an seine Stelle ist zumeist sprach- und gestaltungslose Leere getreten 53
54. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Christlicher Umgang mit dem Sterben
Die Verheißung des mitgehenden Gottes muss bei Kranken und Sterbenden in den Begleitern lebendig werden
Aus christlicher Sicht gilt es, für den Sterbenden deutlich zu machen, dass der Tod nicht nur der Zusammenbruch aller Beziehungen ist, sondern dass er auch die Chance in sich birgt, sich in endgültiger Weise Gott anzuvertrauen, „mitzusterben mit Christus“ (Christus als Geleiter, der sich gleichsam als Dritter hinzugesellt)
In der Sterbeliturgie findet christliche Begleitung Sterbender ihren höchsten Ausdruck. An der Grenze des Todes übergibt die Gemeinschaft der Glaubenden den Sterbenden Gott mit der Bitte: „Christus bewahre dich und führe dich zum ewigen Leben“ (Spendeformel des Viaticums)
Verknüpfung des Viaticums mit dem vollkommenen Ablass in der Sterbestunde
54
55. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Pastoralliturgischer Ausblick
Tod und Sterben müssen als jeden Menschen betreffende Realität wieder stärker ins Bewusstsein rücken
Die Gläubigen müssen sich Wissen über den Sterbevorgang und die möglichen und angebrachten Hilfen für die letzte Lebensphase aneignen
Das Sprechen über den Tod, auch über den eigenen, muss wieder gelernt werden, damit die Auseinandersetzung überhaupt möglich wird und das sakramentale Handeln wieder ins Bewusstsein tritt
Krankenkommunion und Viaticum direkt aus der Eucharistiefeier der Gemeinde zu den Kranken / Sterbenden (bei längerem Sterbeprozess) bringen
Ist es der Wunsch des Sterbenden, eine Messe mitzufeiern, so ist es gut, wenn sich eine kleine Gemeinde um das Bett versammelt
Im Unterschied zur Krankenkommunion ist es angebracht, dass das Viaticum nach Möglichkeit vom Pfarrer überbracht wird
55
56. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 2. Die Feier der Wegzehrung (Viaticum)
Der erneuerte Ritus der Wegzehrung (1969)
Introductio (Eröffnung)
Confessio (Schuldbekenntnis) + vollkommener Ablass in der Sterbestunde
Lectio (Lesung aus der Hl. Schrift)
Renovatio promissionum baptismi cum oratione dominicali (Bekenntnis des Taufglaubens)
Oratio communis (Fürbitten)
Communio (Spendung der Wegzehrung) + Zusatzformel
Oratio finalis (Schlussgebet)
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57. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 3. Der Versehgang
Mit dem Versehgang wird der zusammengefasste Ritus im Sterbeprozess bezeichnet, „durch den der Kranke in ein und derselben Feier mit den Sakramenten der Buße, der Krankensalbung und der Eucharistie als Wegzehrung versehen werden kann.“ (FdK, PE, Nr. 30)
Auch Firmung in Todesgefahr möglich, dann Spendung von vier Sakramenten in einem Ritus!
Wegzehrung ist das wichtigste Sakrament in dieser Situation
Ablauf
Eröffnung: Friedensgruß, Besprengung des Kranken und des Zimmers mit Weihwasser (fakultativ), Gebetseinladung, Text aus dem Evangelium, persönliches Wort
Buße (1. Sakrament): Situationsbedingt, Verbindung von Beichte und Allgemeinem Schuldbekenntnis, Ablass in der Sterbestunde
57
58. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 3. Der Versehgang
Firmung in Todesgefahr (2. Sakrament): vorher ggf. Erneuerung der Taufglaubens, kurze Fürbitten
Krankensalbung (3. Sakrament): ohne Handauflegung, falls Firmung vorher stattgefunden hat
Eucharistie als Wegzehrung (4. Sakrament): Gebetseinladung und Hinzufügung der Formel „Christus bewahre dich und führe dich zum ewigen Leben“, Möglichkeit der Kommunion aller Anwesenden
Abschluss: Schlussgebet und Segen über den Kranken und alle Anwesenden
Sonderriten: „Spendung der Krankensalbung ohne Wegzehrung“ (z.B. bei bewusstlosen Patienten, die keine Nahrung – auch keine flüssige – mehr aufnehmen können) und „bedingte Spendung der Krankensalbung“ (wenn der Priester Zweifel hat, ob der Kranke noch lebt): „Wenn du noch lebst, empfange nun das Sakrament der Kranken“. 58
59. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 4. Sterbegebete
Werkstatt der Liturgiereform: Blick auf den ganzen Menschen, nicht nur auf die Seele, Ort der Sterbegebete im Beerdigungs- oder Krankenrituale?
Pastorale Einführung: Sterbegebete haben eine doppelte Funktion – Bewältigung der eigenen Angst vor dem Tod aus dem Glauben heraus, Trost schöpfen aus den Gebeten (daher Betonung des österlichen Sinns)
Die Gebete selbst sollen „langsam vorgetragen werden, mit verhaltener Stimme und mit Pausen der Stille“, Wiederholungen sind angebracht
Unterschieden werden Kurzgebete (Stoßgebete), die meist einen Vers aus dem NT oder einen Psalmvers beinhalten, biblische Lesungen, die Allerheiligenlitanei (mit der Antwort „Bitte für ihn/sie“) und die aus der Tradition stammenden Gebete („Proficiscere“, „Commendo te“, „Suscipe, Domine“, „Commendamus tibi“, Nr. 146-149), die unmittelbar vor dem Verscheiden zu sprechen sind
Gebet nach dem Verscheiden: „Subvenite sancti Dei“
Sinnvoll die Anwesenheit eines Priesters (ekklesiale Dimension)
59
60. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 4. Sterbegebete
Die vier klassischen Sterbegebete aus der Tradition
Proficiscere, anima christiana – Anfang 8. Jh. (Nr. 146)
Commendo te omnipotenti Dei – die überarbeitete Fassung geht auf Petrus Damiani († 1072) zurück, findet sich aber im liturgischen Gebrauch erst im „Ordo commendationis animae“ des 16. Jh. (Nr. 147)
Suscipe, Domine, servum tuum – bezeugt durch das Sakramentar von Rheinau im 8. Jh. (Nr. 148)
Tibi, Domine, commendamus – einige Elemente dieses Gebetes sind schon im 6. Jh. zu finden, die eigentliche Form aber erst im Missale von Hamburg im 11. Jh. (Nr. 149) – famulum statt animam
Salve regina (Nr. 150)
Subvenite sancti Dei (Nr. 151) – direkt nach dem Verscheiden – weiterhin Rede von der anima 60
61. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 4. Sterbegebete
Auch Laien können Vorsteher dieser liturgischen Handlung sein
Desiderat: Der Klage mehr Raum geben
Insgesamt aber positives Zeugnis (nach H. Duesberg):
1. kurze Gebete, häufig nur Stoßgebete, die dem Sterbenden oft seit Kindertagen vertraut sind
2. Rückbeziehung des Sterbeprozesses auf Texte, Gestalten, Situationen der Hl. Schrift
3. Rückgriff auf die Passion
4. Tradierung und Benutzung von Texten, in denen Leiden und Tod Gott und den Menschen geklagt werden, einschließlich der Erfahrungen von Schuld und Sinnlosigkeit
5. „Vater unser“, Glaubensbekenntnis, „Gegrüßet seist du Maria“ als auswendig gekonnt vorauszusetzende Kerngebete christlichen Glaubens
6. Prinzip der Anpassung: Leben und Liturgie als Einheit 61
62. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 5. Das kirchliche Totengedenken
a. Zur Geschichte christlichen Totengedenkens
Bedeutung der christlichen Toten-Memoria (M. Borgolte): „Jedes tote Gemeindemitglied konnte in der Liturgie des christlichen Totengedenkens einbezogen werden, auch wenn das einzelne Grab vielleicht unbeachtet geblieben ist.“
Wichtiger als die Anlage von Friedhöfen war die namentliche Totenfürbitte im Rahmen der Gemeindeliturgie
Beispiel des Augustinus beim Tod seiner Mutter Monica (Confessiones): „Nur um eins bitte ich euch, gedenkt meiner, wo immer ihr euch aufhalten mögt, am Altar des Herrn.“
O.G. Oexle: Der Tote als Rechtssubjekt und Subjekt von Beziehungen (Gegenwart der Toten)
Bedeutung der Gebetsbünde im Mittelalter – im Spätmittelalter Toten- und Gebetsbruderschaften der Laien – noch später Sozialstiftungen: Verbindung der Lebenden und Verstorbenen
62
63. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 5. Das kirchliche Totengedenken
b. Perspektiven christlichen Totengedenkens
Frage nach dem „Warum“ des Totengedenkens und der Suche nach neuen, über den traditionellen Friedhof hinausweisenden Orten des Totengedenkens
Taufe als gottgeschenkter geistlicher Durchgang vom Tod zum Leben, als Transitus (Tod als Tor zum Leben)
Christliches Totengedenken geschieht nicht in der Furcht, der Verstorbene könne ansonsten „verlorengehen“, sondern vielmehr aus der Freude der Zugehörigkeit zum einen „göttlichen Haushalt“ (familia Dei), dessen Lebendigkeit auch mit jedem Totengedenken vergegenwärtigt wird, es geht von der Hoffnung aus, dass die Toten bei Gott leben
Soziale Totenfürsorge: Würdige Beisetzung der Toten als Ausdruck der Zusammengehörigkeit von Lebenden und Verstorbenen
Praxis der „Memorialbücher“ und der Totenkreuze / Gedenksteine am Straßenrand (Gottesdienst für Verkehrsopfer)
63
64. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 5. Das kirchliche Totengedenken
b. Perspektiven christlichen Totengedenkens
Virtuelle Friedhöfe und Gedenkstätten: www.emorial.de, www.cemetery.org
Statt an Friedhöfe erinnern diese virtuellen Gedenkseiten eher an die Epitaphien mittelalterlicher Kirchen, die unabhängig vom eigentlichen Bestattungsort dem Totengedächtnis dienten
Internet-Gedenkstätten zeigen, wie rasch sich Trauer und Erinnerung verändern und sich gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen
Unterschiede zwischen den Internet-Gedenkstätten und den traditionellen Orten des Todes sind: „entkörperlichter“ Ort von Trauer und Gedächtnis hier, real-gegenständliches Gedenken dort
Andererseits erweisen sich die virtuellen Gedenkstätten als überraschend traditionsorientiert: Sie sind häufig wie Grabmäler gestaltet und pflegen die Erinnerung an den Toten als Lebenden (dessen Erfolge, Leistungen etc.) 64
65. IV. Gottesdienste im Angesicht und Umfeld des Sterbens 5. Das kirchliche Totengedenken
c. Kirchliches Totengedenken
individuelles Totengedächtnis dreißig Tage oder sechs Wochen nach dem Sterben sowie jeweils am Jahrestag des Todes
gemeinschaftliches Totengedächtnis an Allerseelen
Das kirchliche Totengedächtnis richtet sich zunächst auf die Verstorbenen: zentraler Ort ist die Feier der Eucharistie (Feier von Tod und Auferstehung Christi), Bedeutung der Namensnennung in der Totenliturgie (Fürbitten, Eucharistisches Hochgebet)
Das Totengedächtnis kann dann aber auch Dienst der Kirche an den Lebenden sein: Im betenden Gedenken begleitet die kirchliche Gemeinschaft die Trauernden, die „klassischen“ Gedenktermine (Dreißigtägiges Amt, Sechswochenamt, Jahrgedächtnis) korrespondieren dabei gewissermaßen mit den ideal gedachten Trauerphasen, Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit
Liturgische Orte: Messfeier, Stundenliturgie, Andachten, Totengebet 65
66. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 1. Ostkirchliche Riten
a) Der Byzantinische Ritus
Aufbau und Struktur der byzantinischen Sterbe- und Begräbnisliturgie basieren weitgehend auf der altkirchlichen Tradition
Drei Stationen: Trauerhaus (der Sterbende wird durch Zuspruch und Gebet begleitet, nach Eintritt des Todes wird der Leichnam durch rituelle Waschungen und das Anlegen der Totenkleider auf das Begräbnis vorbereitet), Kirche (längerer Gebetsgottesdienst), Grab (Beisetzung)
Poetische Hymnodie als Grundkennzeichen (vgl. Text 1)
Klage und Trauer werden weiten Raum gegeben
Liturgie kann auf diese Weise zu einem wichtigen Ort der Trauer werden
Die Klagegesänge stellen den Trauernden eine poetische Form zur Verfügung 66
67. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 1. Ostkirchliche Riten
b) Der westsyrisch-antiochenische Ritus
Auch er kennt wie die orthodoxe Tradition die altkirchlichen drei Stationen „Trauerhaus - Kirche – Grab“
Anderer Akzent: Häufiger als im byzantinischen Ritus ist vom jüngsten Gericht die Rede - jedoch weniger im Sinne eines furchtbaren und angsteinflößenden Ereignisses, sondern vielmehr als Zeitpunkt der erhofften Auferstehung der Toten (vgl. Texte 2 und 3)
Das Jüngste Gericht scheint hier eher das Ziel fröhlicher Erwartung als der Anlass zu Furcht und Schrecken. Es steht ganz im Zeichen des „Bekleidetwerdens mit dem Gewand der Herrlichkeit“
Auch im antiochenischen Ritus gibt es Äußerungen der Klage und Trauer sowie der Bitte um Barmherzigkeit im nahenden Gericht, doch sind hier die Hoffnung und die freudige Zuversicht, die erwartungsvolle Neugier auf das Leben in der Herrlichkeit Gottes auffällig hervorgehoben
Tod hat den Stachel verloren (vgl. 1 Kor 15,55) 67
68. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 2. Judentum
In den Schriften der hebräischen Bibel finden sich nur sehr wenige Aussagen zu einer Auferstehung und zu einem Leben nach dem physischen Tod
Ausdrücklich kommt diese Vorstellung erst in den Spätschriften zur Sprache
Moses Maimonides: „Ich glaube fest daran, dass eine Wiederbelebung der Toten stattfinden wird zu einer Zeit, da es dem Schöpfer, gepriesen sei sein Name immer und ewig, gefallen wird.“
Der Glaube an ein Jenseits bezeichnet im Judentum die Absage an die Totalität des Todes und die Macht des Widergöttlichen, verstellt aber nicht den Blick auf das Diesseits
Jüdischer Glaube betont, biblisch begründet, die Weltverpflichtung des Menschen (dynamisches Verhältnis von Diesseits und Jenseits) 68
69. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 2. Judentum
Das grundlegende Buch, das für das jüdische Begräbnis verwendet wird, ist das sog. „Sefer Hachajim“, allerdings unterscheidet es sich im Ablauf in einigen Punkten von der Praxis im askenasischen Judentum
a) Beim Sterbenden
Liegt ein Mensch im Sterben, rufen die Angehörigen nach Möglichkeit die Chevra Qaddischa, die „Heilige Gemeinschaft“ (sie kümmert sich um alles, was bei einem Todesfall erforderlich ist)
Ist der Tod nahe, soll der oder die Sterbende ein Schuldbekenntnis sprechen, etwa das aus der Liturgie des Versöhnungstages
Im Augenblick des Todes wird von dem Sterbenden, oder, wenn er dazu nicht mehr in der Lage ist, von den Angehörigen und den Mitgliedern der Chevra Qaddischa das sch'ma Israel gesprochen
Im Idealfall soll der Sterbende mit dem Wort echad auf den Lippen sein Leben beenden, mit dem Schlusswort des sch'ma Israel: „Der Ewige ist Einer.“ 69
70. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 2. Judentum
b) Nach dem Verscheiden – Waschung und Aufbahrung
Möglichst der erstgeborene Sohn soll dem Toten die Augen schließen
In orthodoxen Kreisen ist es üblich, dass jeder, der im Todesmoment anwesend war, sich einen Einriss in seine Kleidung macht
Es folgen die rituelle Waschung und das Ankleiden des Toten (nach Geschlechtern getrennt)
Die rituelle Waschung endet damit, dass der auf dem Rücken ausgestreckte Körper dreimal mit Wasser begossen wird
Einsargung: Sterbekleidung, weißes Leinentuch, Tallit, Erde aus dem Hl. Land
Bis zur Beisetzung hält man Totenwache
Für die unmittelbaren Angehörigen des Verstorbenen beginnt mit dem Eintritt des Todes eine Zeit der intensiven Trauer, der Zustand des Aninat 70
71. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 2. Judentum
c) Auf dem Friedhof
Bis zum Begräbnis, das möglichst bald, spätestens aber am dritten Tag nach dem Tod stattfinden soll, wird traditionell Totenwache gehalten, der Verstorbene soll bis zur Beisetzung nicht alleine gelassen werden
Wenn möglich, führt der Weg zum Friedhof an der Synagoge vorbei, doch nur für verstorbene Rabbinen und Kantoren wird in der Synagoge ein Trauergottesdienst abgehalten, im Normalfall finden die Exsequien auf dem Friedhof in einem Andachtsraum oder direkt am Grab statt
Das Grab selbst darf erst am Tag des Begräbnisses ausgehoben werden
Der eigentliche Begräbnisritus beginnt damit, dass der Kantor der Chevra Qaddischa den Gesang „Der Fels“ anstimmt, ein wohl im 11. Jh. entstandenes Gedicht, das die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes im Gericht preist
Es folgen offizielle Worte des Abschieds und der Trauer durch den Rabbiner oder einen Vertreter der Gemeinde
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72. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 2. Judentum
c) Auf dem Friedhof
Auf dem Weg zum Grab wird Ps 91 gesungen (nach SH erst am Ende als Trostpsalm)
Der Sarg wird von der Bahre gehoben und im Grab versenkt, dazu spricht man den Vers aus Dan 12,13
Ruht der Sarg in der Erde, spricht man (nach SH) jetzt das Gebet Zidduk haDin, das Gebet der Ergebung in Gottes Willen
Traditionell wird dann das Grab von den Anwesenden mit Erde geschlossen. Ist dieser letzte Dienst an dem Verstorbenen beendet, sprechen die Trauernden das Kaddisch (klassisches Totengebet der Juden)
Nach dem Kaddisch schließt sich ein Gebet für den Verstorbenen an, in dem während des Begräbnisses explizit und das erste und einzige Mal der Name des Verstorbenen in einem Gebet genannt wird
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73. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 2. Judentum
c) Auf dem Friedhof
Beim Verlassen des Friedhofs bildet die Trauergemeinde ein schützendes Spalier, durch das die Angehörigen des Verstorbenen schreiten
Trostworte (Jes 25, 8, Ps 91 u.a.): die ersten Worte des Trostes seit dem Tod des Angehörigen – die Trauernden dürfen bis zu diesem Zeitpunkt „untröstlich“ sein, ihr Schmerz wird respektiert
Mancherorts pflückt man eine Hand voll Gras, lässt es wieder fallen und spricht ein Gebet in Anlehnung an Ps 72, 16
2. Benediktion der Tefilla
Für die Angehörigen beginnt nun die zweite Trauerphase, die Schiwa, was wörtlich „die 7 Tage“ heißt: die nächsten Angehörigen des Verstorbenen sollten in dieser Zeit die Wohnung nicht verlassen
Versorgung durch Freunde und Verwandte, gemeinsames Gebet
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74. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 3. Islam
Anders als in der Bibel des Judentums gehört die Vorstellung an eine Auferstehung der Toten und an ein Gericht am Jüngsten Tag zu den zentralen Aussagen des Koran
Der Muslim ist derjenige, der an Gott und das Jüngste Gericht glaubt - beides gehört untrennbar zusammen
Zwischengericht – vier Fragen: Wer ist dein Gott? - Wer ist dein Prophet? -Welches ist deine Religion? - Welches ist deine Gebetsrichtung?
Kennt der Verstorbene die richtigen Antworten, nämlich „Gott“, „Muhammad“, „Islam“ und „Mekka“, dann hört er die Verheißung des Paradieses
Die Riten im Umgang mit Sterbenden und Toten sind auf dem Hintergrund der Bemühungen des Islam zu verstehen, die Gläubigen rechtzuleiten und zum Heil zu führen 74
75. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 3. Islam
Beim Vollzug der Riten gibt es innerhalb der verschiedenen Richtungen und Rechtsschulen einige Unterschiede
Am Sterbebett sollen sich Gläubige versammeln, die den Sterbenden mit Gebeten und Anrufungen Gottes begleiten
Verbindlicher Brauch ist die Rezitation der Sure 36 (leise, um den Sterbenden nicht zu belästigen)
Die letzten Worte des Sterbenden sollen das Grundbekenntnis des Islam sein: „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes.“ - notfalls zugesprochen
Der Sterbende soll auf die rechte Seite gelegt werden, so dass er in Richtung der Ka'ba zu Mekka blickt (notfalls nur Füße gen Mekka)
Nach Eintritt des Todes darf der Verstorbene geküsst werden. Ihm werden die Augen geschlossen und sein Kopf mit einer Binde umwickelt
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76. V. Sterbe- und Begräbnisriten in den orthodoxen Kirchen, im Judentum und im Islam 3. Islam
Die Pflicht, den Toten zu waschen und mit dem weißen Totengewand zu bekleiden, ist, außer bei Ehepartnern, geschlechterspezifisch geregelt
Totengebet ist je nach Rechtsschule innerhalb oder außerhalb der Moschee (Gemeinschaftspflicht der Männer unter Anleitung eines Imam)
Das Totengebet hat vier Abschnitte, die jeweils mit der Formel „Allahu akbar“ (Gott ist größer) eingeleitet werden
Eröffnungssure des Korans: Sure al-Fâtiha
Vom Ort des Totengebetes aus wird der Leichnam schweigend zum Friedhof getragen
Bestattung traditionell ohne Sarg (nur in Leichentüchern umhüllt) – Gesicht in Richtung Mekka
Die Anwesenden werfen drei Handvoll Erde ins Grab
Letzter Akt der Pietät gegenüber dem Toten: Es werden ihm noch einmal die Antworten auf das im Grab zu erwartende Verhör durch die Engel vorzuspreche (Aufgabe des Imam, der zum Schluss allein am Grab zurückbleibt) 76
77. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Trauerliturgie ist auch Ort für die Selbstdarstellung der Kirche und eine zeitgemäße Verkündigung des Glaubens
Herausforderung / „Konkurrenz“ auf dem Gebiet der Trauerbegleitung (Freie Anbieter, Sekten)
Missionarischer Aspekt der Trauerfeier
Drei Aufgaben der Trauerliturgie
a) für die Verstorbenen soll man beten und sie mit dem Segen der Kirche begraben,
b) die Trauernden sollen getröstet werden
c) den Begräbnisteilnehmern soll bei einem Begräbnis eine Begegnung mit der Kirche ermöglicht werden, bei der sie sich ein positives Bild von Kirche, von ihrem Glauben sowie von ihrer einladenden Menschenfreundlichkeit bilden können 77
78. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Aufgaben der Trauerliturgie und der Trauerrituale
Trauerliturgie und Trauerrituale können im Prozess des Trauerns eine heilende und therapeutische Wirkung entfalten
Hilfen in Bezug auf die Trauernden: Trauer bewusst machen, Tod annehmen, Strukturierung der Trauer, Statusübergang darstellen, Chance der Neuorientierung geben, Weg symbolisch aufzeigen, christologische Funktion des Hinterbliebenen für den Verstorbenen, Vertrauen auf Gott wecken, neue Sicht der Gemeinschaft der Heiligen eröffnen, Verhältnis zu Christus überprüfen, vertieftes Verständnis für den Verstorbenen
Hilfen in Bezug auf den Verstorbenen: Freigabe des Verstorbenen erleichtern, dem Verstorbenen öffentliche Ehrung zukommen lassen, auf die Gemeinschaft der Lebenden mit den Verstorbenen hinweisen, für den Verstorbenen und auch zu den Verstorbenen beten, auf die Liebe und Barmherzigkeit Gottes hinweisen, die Vollendung bei Gott in Aussicht stellen
Weitere pastorale Maßnahmen: Brief zum ersten Todestag des Verstorbenen, Einladung zum Gottesdienst am Allerseelentag 78
79. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Trauerfeiern in der Dorfgemeinde und in der Großstadt
Seelsorge in der Großstadt bedarf eines ganz anderen Ansatzes und anderer Handhabung als jene in ländlichen Gebieten
Menschen, die in der Großstadt mit einem Todesfall konfrontiert werden, fühlen sich hilflos, einsam und sich selbst überlassen; der Vorteil der Anonymität der Großstadt, in dem man sein Leben frei von Konventionen leben kann, kehrt sich im Trauerfall ins Gegenteil um (Trauer geht in der Anonymität der Großstadt unter)
Auf diesem Gebiet ist der Unterschied zu kleinen Dorfgemeinschaften besonders stark.; in ländlichen Gebieten wird die Trauerbegleitung noch vom Kirchenvolk weitgehend selbst getragen
In der Stadt muss die Begleitung erst von der Stadtseelsorge organisiert werden
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80. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Aufgaben der Trauerpastoral
Jede bewusste Auseinandersetzung mit dem Tod und der Trauer, die ein Sterbefall verursacht, bedeutet für den Betroffenen einen Gewinn an seelischer Gesundheit
Stichwort Neuevangelisierung in der Trauerpastoral: Hier hat die Kirche Zugang auch zu jenen Menschen, die den Kontakt zur ihr verloren haben, die die Kirche meiden oder sie noch nicht kennen
Verzicht auf den Empfang der Sakramente in der Großstadt steht im deutlichen Kontrast zum Verlangen nach einem kirchlichen Begräbnis
Konkurrenz durch weltliche Feier: verspricht, persönlicher zu sein, doch sie beschränkt sich im Wesentlichen auf die Erinnerung an den Verstorbenen
Kirchliche Trauerfeier geht weit über das Erinnern an den Verstorbenen hinaus; ihrem Ritual wohnen heilende und therapeutische Kräfte inne
Festlegung von Mindeststandards
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81. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Die Trauerfeier: Ebenen der Feier
Jede Begräbnisfeier spielt sich auf verschiedenen, einander berührenden und miteinander kommunizierenden Ebenen ab, auf der Ebene…
des Verstorbenen als Geschöpf Gottes
des Verstorbenen als Mitglied der Gesellschaft
des Verstorbenen als Mitglied der Gemeinschaft der Kirche
der Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen
der Trauergäste mit dem Verstorbenen
der Trauergäste mit den Hinterbliebenen
der je eigenen Sicht der Wirklichkeit
Keine dieser Ebenen darf ausgeblendet, unterschätzt oder vernachlässigt werden
Vorsteher der Liturgie muss alle Ebenen im Blick haben und versuchen, sie untereinander in Beziehung zu bringen (ars praesidendi für die Begräbnisliturgie)
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82. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Der Vorsteher der Liturgie
Verschiedene Rollen des Vorstehers
Redner: mit der Trauergemeinde Augenkontakt halten, verständlich sprechen, Mimik und Körpersprache mit dem gesprochenen Wort abstimmen, Lautstärke dem Raum anpassen, auf den Tonfall achten, jede Art von Prediger- bzw. Rezitationston vermeiden
Lehrer : Texte so auswählen, dass sie entweder für sich selbst sprechen oder durch ihn verständlich erklärt und gedeutet werden
Amtsträger : bewusst und verantwortungsvoll im Namen der Kirche agieren, Rollenklarheit demonstrieren und als glaubwürdiger Zeuge des Glaubens auftreten
Liturge: Leben der Trauergemeinde in Bezug zu Gott setzen, sich selbst in die Liturgie einbringen, Liturgie als Dienst Gottes an den Trauernden feiern
Therapeut : Trauernden eine mitfühlende Zuwendung demonstrieren, die Befindlichkeit der Anwesenden zur Sprache bringen, Angst- und Schuldgefühle abbauen helfen
Seelsorger: auf die Solidarität und das Totengedächtnis der Kirche, die in jeder Hl. Messe zum Ausdruck kommt, hinweisen, Hoffnung auf die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes wecken
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83. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Die Beerdigungsansprache
Keine einseitige Betrachtungsweise
Soll die Trauerfeier ihre volle heilende und therapeutische Wirkung entfalten, müssen in der Ansprache der Tod, der erlittene Verlust, die Trauer der Hinterbliebenen, die Gefühle der Trauergemeinde und eine kurze Würdigung des Verstorbenen Berücksichtigung finden, aber auch die christliche Hoffnungsbotschaft von der Auferstehung
Zwei mögliche Richtungen
Pastorale Richtung: mit Tod und Trauer anfangen („die Leute dort abzuholen, wo sie sind“), um über die Würdigung des Verstorbenen zur wirksamen Verkündigung des Glaubens zu gelangen
Theologische Richtung: von einem Bibeltext ausgehen und dann diesen auf das Leben des Verstorbenen und die Trauer und Hoffnung der Kirche auslegen, um so den Hinterbliebenen Trost zu spenden 83
84. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Gesellschaftliche Bedeutung der Begräbniskultur
Die kirchliche Begräbnisfeier erfüllt nicht nur für den Verstorbenen und für Angehörigen, sondern auch für die Gesellschaft eine wichtige Aufgabe
Der Verstorbene wird vom solidarischen, fürbittenden Gebet der ganzen Kirche gehalten und so vor Gottes Angesicht begleitet
Die Hinterbliebenen werden in ihrer Trauer beim Begräbnis nicht nur aus dem Glauben getröstet, sondern sie erfahren auch die heilende und therapeutische Wirkung des Rituals; sie werden befähigt, den Verlust objektiv einzuschätzen, von Schuldgefühlen und Angstzuständen befreit und in ihrem Selbstwertgefühl für die Zukunft gestärkt
Die Gesellschaft braucht für den eigenen Zusammenhalt und ihren Fortbestand die Erinnerung an ihre Verstorbenen als Geschichtsbewusstsein und Ausdruck ihrer Kultur, die in der Abfolge von Generationen gesichert und erhalten bleibt 84
85. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Praktische Fragen I
Kontakt mit dem Vorsteher
Leistungen des Bestattungsunternehmens: Ankleidung des Verstorbenen, Transport des Leichnams auf den Friedhof, Aufbahrung in der Friedhofshalle, Schmuck, Beleuchtung und Gestaltung des Aufbahrungsraumes, Überführung zur Grabstelle, Art des Leichenwagens
Musikalische Gestaltung
Todesanzeige
Kränze und Blumen oder für einen guten Zweck spenden?
Kranzschleifen: Beziehung zum Verstorbenen, seelischer Zustand der Trauernden oder gemeinsamer Glaube?
Soll man Kinder zum Begräbnis mitnehmen?
Werden Menschen, die ihren Körper einem anatomischen Institut für medizinische Forschung zur Verfügung stellen, auch kirchlich eingesegnet?
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86. VI. Pastorale Hinweise und Postulate für die Trauerliturgie Praktische Fragen II
Urnenbestattungen: Für Erdbestattungen als die bessere und humanere Form eintreten, aber auch Urnenbestattungen liturgisch begleiten (neues Rituale!)
Bestattung von Suizidtoten: Einfühlsamkeit, neue Gebete im Rituale
Kirchenaustritt: keine kirchliche Trauerfeier, aber Tröstung und Begleitung der Hinterbliebenen
Normales Begräbnis oder Beerdigung in aller Stille? Begräbnis ist keine Privatangelegenheit, schwierig beim letzten Willen des Verstorbenen
Grab und Friedhof: Friedhof hat gesellschaftsstiftende und gesellschaftserhaltende Funktion
Vorsorge für das eigene Begräbnis: Wünsche rechtzeitig festlegen
Fazit: Neue Wege sind notwendig und gangbar, aber Vorsicht mit der Abschaffung von Traditionen
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