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Römische Rechtsgeschichte, 12.12.2013. PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. ( Oxon .). § 5: Das Recht der römischen Republik II. Die Rechtswissenschaft Vorüberlegungen : Was ist “ Rechtswissenschaft ”? Bindet die “ h.M. ”?
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Römische Rechtsgeschichte, 12.12.2013 PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)
§ 5: Das Recht der römischen Republik II. DieRechtswissenschaft Vorüberlegungen: • Wasist “Rechtswissenschaft”? • Bindetdie “h.M.”? • Nachh.M.istdie “h.M.” keineRechtsquelle, istsiedarum bei derFalllösungunbeachtlich? • WasistdieFunktioneiner “h.M.”? • WelcheAufgabehatdieRechtswissenschaft in unsererRechtsordnung?
Die Wissenschaft diskutiert Rechtsprobleme. Dabei • zeigt sie alle Lösungsmöglichkeiten auf, • arbeitet sie alle Argumente heraus, die für und wider die verschiedenen Lösungen sprechen. • Im Diskurs kristallisiert sich meist eine Lösung her-aus, die von den meisten, der „h.M.“, akzeptiert wird. • Der „h.M.“ darf unter Berufung auf ihre Argumente gefolgt werden. • Eine „ganz h.M.“ (Dogmatik) kann regelmäßig ohne nähere Begründung bei der Falllösung verwendet werden. • Ein Abweichen von der „h.M.“ ist erlaubt, erfordert aber stets eine ausführliche Begründung.
Die Entstehung und die Entwicklung einer säkularen Rechtswissenschaft in Rom • Das Rechtswissen war ursprünglich bei den pontificesmonopolisiert. • Erste namentlich bekannte iurisconsultiwaren Persönlichkeiten, die im 3. Jh. v. Chr. aus dem Priestergremium hervortraten. • Der Legende nach wurde das Geheimwissen der Priester dem Volk durch den blinden Appius Claudius Caecus(340 - 270 v. Chr.) und seinen Schreiber Cn. Flavius zugänglich gemacht.
Die Juristen entstammten zunächst ausschließlich der Nobilität und waren zumeist ehemalige Magistrate und/oder pontifices. • Seit dem 1. Jh. v. Chr. finden sich auch Juristen, die aus dem Ritterstand stammen. • Umstritten ist der Einfluss griechischen Denkens, dh. des Hellenismus, auf die römischen Juristen • Es gab zunächst Widerstand der Senatoren gegen den Einfluß griechischen Denkens. • Im 2. Jh. kam es aber im sog. „Scipionenkreis“ zu einer Rezeption griechischen, dh. vor allem stoischen Denkens in Teilen der Führungsschicht. • Im 1. Jh. gehörte eine philosophische Ausbildung zum guten Ton unter gebildeten Römern.
2. Der juristische Beruf Die iurisconsulti(die ums Recht Konsultierten) • Die Aufgaben der iurisconsulti: • agere (Prozessberatung) • cavere(Geschäftsberatung) • respondere(Erstellung von Gutachten) • Im Prozess selbst traten nicht die iurisconsulti, sondern Rhetoren für die Parteien auf. • Die unparteilich und unentgeltlich erteilten Gutachten waren zwar nicht rechtlich bindend, hatten aber eine hohe Autorität. • Rechtsberatung besaß hohes Ansehen und diente der Karriere, es gab aber nur wenige reine Juristen.
3. Die Ausbildung der Juristen • In der Republik gab es keine universitäre juristische Ausbildung. • Lehren war gesellschaftlich nicht anerkannt:dignitatemdocere non habet. • Nach der Schule bzw. dem häuslichen Privatunterricht schlossen sich junge Adlige häufig dem Schülerkreis eines Juristen an. • Die Ausbildung erfolgte also unmittelbar praktisch am Fall. • Man lernte das Kämpfen im Gefecht, wie Tacitus es später beschrieb („utque, sic dixerim, pugnare in proeliodisceret“, Tacitus, Dialog. 34).
4. Berühmte republikanische Juristen • SextusAeliusPaetusCatus(cos. 198 v. Chr.) • Erster bekannter juristischer Autor, der den Text der XII-Tafeln nach deren Zerstörung wiederherstellte. • Verfasser der tripertita(dreiteiliges Werk, das aus dem Text der XII-Tafeln, ihrer interpretatio und Spruchformeln bestand). • Er gilt als Begründer der juristischen Fachliteratur. • ManiusManilius(cos. 149 v. Chr.), M. Iunius Brutus (praet. 142) und PubliusMuciusScaevola(cos. 133) • Berühmt als die drei fundatoresiuriscivilis. • Keine Werke unmittelbar überliefert.
Quintus MuciusScaevolapontifex(cos. 95, pont. max., gest. 82 v. Chr., Sohn des P. Mucius) • Erste vorsichtige Systematisierung des Rechts durch Anwendung der dialektischen Methode • Verfasser des ius civile, gegliedert in Erbrecht, Personenrecht, Sachenrecht und Obligationen-recht, noch orientiert an den XII-Tafeln. • ServiusSulpiciusRufus(cos. 51, gest. 43 v. Chr.) • Freund Ciceros, der über ihn berichtet. • Zunächst Rhetor, später Ausbildung zum Juristen. • Führt Gedanken des Q. Mucius weiter und ent-wickelt sich zum wissenschaftlichen Gegner. • Hatte einen großen Schülerkreis.
5. Die Werke der Juristen • Die Überlieferung • Aus dem 3. und 2. Jh. sind keine Werke überliefert. • Aus dem 1. Jh. gibt es nur wenige Fragmente. • Die Gattungen • Keine nennenswerte Ausbildungsliteratur. • Sammlungen von Geschäfts- und Klageformeln. • Sammlungen gutachterlicher Entscheidungen (responsa). • Q. MuciusScaevolaunternimmt den Versuch einer systematischen Darstellung in seinem ius civile. • Nur wenige Kommentare (Edikt noch im Wachsen)
6. Die Methoden der Juristen • Der Fokus lag auf der konkreten Fallentscheidung, theoretische Diskussionen sind nicht überliefert. • Man schloss induktiv vom Fall auf dessen ratio deci-dendiund von dort auf die Lösung des neuen Falls. • Sogenannte regulaeiuriswurden formuliert, hatten aber eher den Status von Prinzipien als von Regeln. • Im Anschluss an die griechische Philosophie kam gegen Ende der Republik systematisches Denken auf. • Man ordnete den Rechtsstoff nun teilweise nach speciesund genus. • Bei der Begründung von Entscheidungen schwankte die Bedeutung von argumentumund auctoritas.
Beispiel 1: Die Entwicklung des furtumusus Labeo schreibt im 2. Buch seines Zwölftafelkommen-tars, daß es scharfe und strenge Urteile zum Diebstahl bei den Alten gegeben habe und daß Brutus zu sagen pflegte, daß auch der wegen Diebstahls zu verurteilen sei, der ein Zugtier anderswo hinführte, als wozu er es zu nutzen empfangen hatte, desgleichen, wer es weiter führte, als bis wohin er es erbeten hatte. Deshalb schrieb Quintus Scaevola im 16. Buch seines ius civile: „Jemand wird wegen Diebstahls verpflichtet, wenn er etwas, das ihm zur Verwahrung gegeben wird, nutzt, oder wenn er etwas, das er zur Nutzung annahm, zu einem anderen Zweck gebraucht, als zu dem er es empfangen hat“. (AulusGellius 6.15).
Zunächst werden nur einzelne Fälle entschieden: Ein geliehenes Pferd wird zu einem anderen Ort oder weiter geführt als ursprünglich vereinbart (so der fundatordes bürgerlichen Rechts Brutus). • Q. Muciusverallgemeinert schon etwas mehr und stellt bereits abstraktere Regeln auf. • Erst bei dem Klassiker Gaius findet sich dann eine allgemeine Norm:Dig.47.2.55.1 (Gaius 13 ad ed. provinc.)… furtumfieri et si quisusumalienaerei in suumlucrumconvertat […]… dass Diebstahl auch vorliegt, wenn jemand eine fremde Sache zu seinem eigenem Vorteil nutzt […]
Beispiel 2: Die „Causa Mancini“ Der Konsul Mancinus war vom Populus Romanus an die Feinde ausgeliefert worden, nachdem der Senat seine Kapitulation vor den Feinden verworfen und nicht bestätigt hatte. Die Feinde hatten ihn aber nicht angenommen. Damit stellte sich die Frage, ob ein ausgelieferter, aber vom Feind nicht angenommener Römer sein Bürgerrecht verliert. Es kam zur Auseinander-setzung zwischen den fundatoresP. Mucius und Brutus. P. Mucius war für, Brutus gegen einen Verlust des Bürgerrechts.
Dig. 50.7.18 (Pomponius 37 ad q. muc.) … es ist fraglich, ob jemand römischer Bürger bleibt, den die Feinde nicht annehmen; einige meinen, daß er Bürger bleibt, andere sind dagegen, weil jemanden, den das Volk auszuliefern befiehlt, das Volk zugleich aus der Bürgerschaft auszustoßen scheint, wie es das machte, wenn es ihm Wasser und Feuer versagte. In diesem Sinne scheint das Urteil des PubliusMucius gewesen zu sein. Diese Frage wurde aber besonders aufgeworfen hinsichtlich HostiliusMancinus, den die Numantiner nicht annahmen, als er ihnen ausgeliefert wurde; für ihn wurde später ein Gesetz erlassen, so daß er römischer Bürger blieb und auch eine weitere Prätur bekleidete.
Beispiel 3: Die „Causa Curiana“ Ein gewisser Coponius hatte ein Testament aufgesetzt, in dem es hieß: „si mihifiliusgeniturunuspluresve, ismihiheresesto. […] Si filiusantemoriturquam in suamtutelamveniret, tummihiCuriusheresesto“ – „wenn mir ein oder mehrere Söhne geboren werden, sollen sie meine Erben sein. […] Wenn mein Sohn stirbt, bevor er volljährig ist, soll Curiusmein Erbe sein“. Coponius starb, ohne daß ein Sohn geboren wurde. Nun kam es zum Streit zwischen Curius und dem gesetzlichen Erben des Caponius. Quintus MuciusScaevola vertrat den gesetzlichen Erben, Lucius Licinius Crassus den Curius.
Argumente des Quintus MuciusScaevola: • Coponius hat Curiusnur für den Fall als Ersatz-erben eingesetzt, daß der Sohn vor Volljährigkeit stirbt. • Er hätte Curiusauch für den Fall einsetzen können, daß gar kein Sohn geboren wird. • Folgenargument: Es sei gefährlich, den Willen eines einfachen Mannes zu gefährden, indem man ihm durch Interpretation einen anderen Willen unterschiebt. • Das überlieferte Recht spreche ebenso für eine streng am Wortlaut haftende Auslegung wie die Autoritäten der alten Juristen.
Argumente des Lucius Licinius Crassus (cos. 95, gest. 91 v. Chr.): • Einleitender Witz: Wie ein kleines Kind, das am Strand ein Holzstück findet und daraus ein ganzes Schiff bauen wolle, so habe Q. Mucius versucht, aus einem Bruch-stück ein Urteil des Zentumviralgerichts zu erbauen • Wenn jemand einen Ersatzerben für den Fall einsetze, daß sein Sohn nicht volljährig werde, wolle dies egal, ob der Sohn nicht geboren würde oder vorzeitig sterbe. • Die Entscheidung und der Wille des Testators müssten beachtet werden. • Folgenargument: Niemand würde mehr ein Testament aufsetzen, wenn man im Sinne des Q. Mucius entschiede und den Willen des Coponiusmißachte.
Literaturhinweise: • Kunkel, Herkunft und soziale Stellung der römischen Juristen, 1952 • Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, § 7, I. und II. • Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, § 24 • Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, 1975 • Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1, § 32 ff.