180 likes | 372 Views
Carl Friedrich von Weizsäcker: „Aufbau der Physik”. Johannes Kofler. Frühstücksvortrag Wien, Mittwoch 16. November 2005. Carl Friedrich von Weizsäcker. 1912 geboren in Kiel
E N D
Carl Friedrich von Weizsäcker:„Aufbau der Physik” Johannes Kofler Frühstücksvortrag Wien, Mittwoch 16. November 2005
Carl Friedrich von Weizsäcker 1912 geboren in Kiel 1929-33 Studium der Physik, Astronomie und Mathematik in Berlin, Göttingen und Leipzig (bei Werner Heisenberg, Friedrich Hund, Niels Bohr) 1935 Bethe-Weizsäcker-Formel (Habilitation 1936 bei Lise Meitner) 1937 Bethe-Weizsäcker-Zyklus (CN-Zyklus) 1939-45 Uranverein, Theorie der Plutoniumbombe 1942 Professur für theoretische Physik in Straßburg 1946 Honorarprofessor beim Max-Planck Institut in Göttingen 1956 Gemeinsam mit Hahn: Manifest der Göttinger Achtzehn 1957-69 Professor für Philosophie in Hamburg 1970 Gründung des Starnberger Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich- technischen Welt (Direktor bis 1980) Auszeichnungen: Max-Planck-Medaille, Orden Pour le Mérite, Goethe-Preis, Deutsches Bundesverdienstkreuz, Templeton-Preis, etc.
„Aufbau der Physik“ • Zeitliche Logik • Wahrscheinlichkeit • Irreversibilität und Entropie • Information und Evolution • Unmöglichkeit klassischer Physik • Abstrakte Quantentheorie • Deutung und Konsistenz
1. Zeitliche Logik Fundament: Zeitliche Aussagen Vergangenheit: perfektische Aussagen, stets entscheidbar durch Aufzeigen von Dokumenten, „Fakten“ („Meßwerte“) Gegenwart: präsentische Aussagen Zukunft: futurische Aussagen, Modalitäten: notwenig, möglich Postulate Entscheidbarkeit: Jede Aussage kann (theoretisch) durch phänomenalen Aufweis entschieden werden; Gödel: zeitlose formale Aussagen, Quantentheorie: Verzicht auf Entscheidung anderer Aussagen Wiederholbarkeit: Bei unmittelbarer Wiederholung der Entscheidung ist eine wahre (falsche) Aussage wieder wahr (falsch); Ständigkeit der Natur Verträglichkeit: Zwei beliebige gleichzeitige Aussagen können zugleich entschieden werden; klassisches Postulat
2. Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit: Erwartungswert der relativen Häufigkeit eines Ereignisses Agenda: Meta-Ensemble von Ensembles In einem Ensemble gibt es nur einen einzigen Meßwert für die relative Häufigkeit eines Ereignisses; im Meta-Ensemble kann man den Erwartungswert der relativen Häufigkeit (= Wahrscheinlichkeit) bilden (Quantisierung = Ensemblebildung) Paradoxon: Ein Lehrer zur Klasse: „In der kommenden Woche werde ich eine Klassenarbeit schreiben lassen, aber ihr werdet vorher nicht wissen an welchem Tag, auch nicht am Morgen des betreffenden Tages“ a. widersprüchlich b. empirisch leicht verifizierbar (Arbeit zB. am Mittwoch schreiben lassen) Auflösung: Futurische Aussagen sind nicht wahr oder falsch Änderung der Angabe: „Alle noch verbleibenden Tage haben die gleiche Wahrscheinlichkeit, der Tag der Arbeit zu sein“; Daß die Schüler den Tag nicht kennen, ist dann nur in 5/6 der Fälle „wahr“. Zeitliche Logik: Formalisiert futurische Aussagen Wahrscheinlichkeit: Quantifiziert die Common-Sense-Bedeutung
3. Irreversibilität und Entropie Asymmetrie: Vergangenheit (Fakten) – Zukunft (Möglichkeiten) Vorbedingung von Erfahrung Zweiter Hauptsatz: ist begründet durch die Zeitstruktur; Boltzmanns H-Theorem: die Entropie nimmt in der Zeit nicht ab Zeitliche Logik: basiert auf dem zweiten Hauptsatz; Dokumente (irreversibel angelegte Fakten, „Meßwerte“) gibt es nur aus der Vergangenheit Ein Teufelskreis? Nein, ein konsistenter Kreisgang: Zeitliche Logik – Wahrscheinlichkeit – Zweiter Hauptsatz!
Irreversibilität und Entropie (Fortsetzung) Kosmologische Erklärungsversuche der Zeitrichtung Schwankungshyp.: Boltzmann: „Zum Gleichgewicht des Universums gehören Schwankungen. Wie leben in einer solchen Schwankung.“ Einwand: Landau: „Der Zustand eines einzelnen durch bloße Schwankung entstandenen Menschen ohne Umwelt ist dann wahrscheinlicher als eine ganze Welt, die durch Schwankung entsteht.“ Anfangshypothese: „Die Welt ist ein einmaliger Ablauf und nähert sich dem Gleichgewicht.“ Einwand: Dies garantiert den zweiten Hauptsatz nur, wenn man den Begriff der Entropie schon zur Verfügung hat. Sonst beschreibt sie nur das „Fließen“ eines einzigen Mikrozustands. Epignose: „Die Entropie nimmt gerade zu. Also lebe ich im Minimum. Daher war die Entropie in der Vergangenheit größer als jetzt.“ (bis auf Schwankungen immer falsch) Epi-Prognose: „In der Vergangenheit habe ich mit Recht gesagt, daß die Entropie zunehmen wird. Also war die Entropie in der Vergangenheit kleiner als jetzt.“ (korrekte zeitliche Logik)
4. Information und Evolution • Wie läßt sich der zweite Hauptsatz mit Evolution (= Herausbildung von Gestaltenfülle) vereinbaren? • Scheinbarer Widerspruch: H-Theorem läßt keine geordneten Strukturen zu • Irrglaube: Entropie ist „Maß der Unordnung“ • 4 Antwortmöglichkeiten: • Bei der Evolution nimmt die Entropie tatsächlich ab (Vitalismus). • Der Entropiebegriff läßt sich hier nicht anwenden. • Nur ein Summand der Entropie nimmt ab. Es findet aber eine Überkompensation durch einen anderen Summanden statt. Der zweite Hauptsatz ist nicht verletzt. • Die Gestaltentwicklung selbst bedeutet eine Entropievermehrung.
Information und Evolution Kondensationsmodell - isoliertes System von n Atomen - es gibt Moleküle, charakterisiert ihre Anzahl der Atome - jedes Molekül kann verschiedene Energiemengen enthalten (Einfachheit: Energie gequantelt in Portionen E) - Molekülenergie q setzt sich zusammen aus BindungsenergieqB = 1–k (nicht positiv) und AnregungsenergieqA = 0,1,2... (nicht negativ) 4 Semantische Ebenen 1. Atomare Zustände: Atome individuell bekannt 2. Molekulare Zustände: Die Moleküle sind nach Anzahl und Sorte bekannt: f(k,q) 3. Populative Zustände: Die Populationen von Molekülen und die Gesamtenergie sind bekannt: g(k), Q 4. Morphologische Zustände: Es ist nur bekannt, welche Sorten von Molekülen vorkommen
Information und Evolution jxy = Zahl der Zustände der semantischen Ebene x pro Zustand der Ebene y Verallgemeinerung des Begriffs: Zahl der Mikrozustände pro Makrozustand Bei bestimmten Gesamtenergien: Gestaltenreiche Zustände statistisch begünstigt „Grund“: Bindungsenergie
Information und Evolution Information ist ein Fundamentalbegriff (Definition daher nur schwer möglich) Information ist ein „Maß der Gestaltenfülle“ (Vorzeichen!), Relation zwischen Ebenen Potentielle Information: Entropie eines Makrozustands = Logarithmus der in ihm enthaltenen Mikrozustände H = ld K Die potentielle Information mißt, wieviel ich über den Mikrozustand noch lernen kann, wenn ich den Makrozustand schon kenne maximal (ld Kmax) für das thermische Gleichgewicht Aktuelle Information: Maß der Kenntnis über den Mikrozustand, wenn ich den Makrozustand schon kenne I = ld Kmax – H = ld(K/Kmax) minimal (null) im Gleichgewicht Zweiter Hauptsatz und Zunahme der Gestaltenfülle (= Evolution): - Die potentielle Information (= Entropie) wächst. - Die aktuelle Information (durch Dokumente) nimmt ab. Kein Widerspruch.
5. Unmöglichkeit klassischer Physik Klassische Physik: (1) kein Wahrscheinlichkeitsbegriff (2) beschreibt Fakten gleich wie Möglichkeiten Historisch: Ultraviolettkatastrophe des elektromagnetischen Strahlungsfeldes Abstrakt: Unvereinbarkeit liegt in der Thermodynamik des Kontinuums Postulate der klassischen Physik (klassische Mechanik, Relativitätstheorien) A. Determinismus Existenz von objektiven Parametern Entscheidbarkeit, Wiederholbarkeit, Entscheidungsverträglichkeit Der Zustand zu einer Zeit definiert den Zustand zu einer späteren Zeit eindeutig (kein grundlegender Unterschied von Vergangenheit und Zukunft). B. Kontinuität Kontinuität des Zustandsraums: zeitabh. Zustandsparameter haben kont. Wertebereich; qR Kontinuität der Zustandsänderung: Zustandsparameter sind stetige Funkt. der Zeit Unendlichdimensionalität des Zustandsraums: der Zustandsraum enthält unendlich viele Parameter, q (Feldphysik); geht über Punktmechanik und Fernkräfte hinaus
Unmöglichkeit klassischer Physik Zusätzliche Postulate (Thermodynamik resp. statistische Physik) C. Gleichverteilungssatz Im thermodynamischen Gleichgewicht enthält jeder Zustandsparameter (Freiheitsgrad) einen nur von der Temperatur abhängigen festen Durchschnittsbetrag an Energie. D. Einstellung des Gleichgewichts Das Gleichgewicht tritt in beobachtbaren Zeiträumen ein. E. Reversibilität Ein „zeitinvertierter“ Zustand erfüllt wieder alle Grundgleichungen ( C). Daraus folgt: Die Temperatur aller Objekte mit endlicher Energie strebt gegen Null, weil sich letztere auf unendliche viele Freiheitsgrade verteilen muß. Die Quantentheorie gibt den Determinismus (A) auf und modifiziert die Bedeutung der anderen Postulate.
6. Abstrakte Quantentheorie • Kern der Quantentheorie: nichtklassische Logik • Anwendung dieser Logik auf ihre eigenen Aussagen: mehrfache Quantelung • Anwendung auf die formal einfachste mögliche Frage, die binäre Alternative: „erklärt“ den dreidimensionalen Ortsraum • Nichtklassische Logik (Quantenlogik) • Binäre Alternative: Antworten a1 und a2 • Zuordnung von Wahrheitswerten: komplexer Vektor (u,v), |u|2 + |v|2 = 1; Komplementaritätslogik • Wir fragen nicht mehr die Grundfrage („a1 oder a2?“) sondern nach der „Wahrheit“ der Antwort auf die Grundfrage. • Diese Meta-Frage ist eine unendlichfache Alternative. • Beachte: w(a1) w(„a1 ist wahr“) • f(a1) f(„a1 ist wahr“) • f(„a1 ist wahr“) f(a1) a1 kann unbestimmt sein! • Äquivalenz zwischen Grundaussage und Metaaussage nur in der Wahrheit
Abstrakte Quantentheorie 2. Mehrfache Quantelung n-fache Alternative: n mögliche Prädikate k (k1,...,kn) Quantenlogik behauptet: jeder über dieser Alternative errichtete Vektor = (1,...,n) ist selbst wieder ein Prädikat Also ist die Menge aller über der ursprünglichen Alternative errichteten Vektoren wieder eine (diesmal unendlichfache) Alternative. Grundfrage: „Welches k liegt vor?“; entscheidbar durch eine einfache Messung Metafrage: „Welches liegt vor?“; entscheidbar durch statistische Messungen Zweite Quantisierung: „Feld“ sei der über errichtete „Vektor“ Meta-Metafrage: „Welches liegt vor“; entscheidbar durch das Messen von Ensembles von Ensembles von Prädikaten k
Abstrakte Quantentheorie 3. Der dreidimensionale Ortsraum (Impulsraum) Einfache (= binäre) Alternative: Basisprädikate r = 1 oder r = 2 Nullte Quantelung: zweidimensionaler komplexer Vektor (= Ur): u = (u1,u2); Darstellbar durch einen reellen Vierervektor: km = ur*mrs usm = 0,1,2,3, m Pauli-Matrizen, 0 Einheitsmatrix Identifikation des Raums der km mit dem Basisraum der Quantentheorie Damit wäre die Quantentheorie des Einteilchenproblems bereits die Quantelung einer Ur-Alternative Die unitäre Gruppe der u, spezieller die SU(2), wird dargestellt in der Drehgruppe der k, dh. in der SO(3) Volle Symmetriegruppe der Uralternative: U(2) Untergruppe U(1): zeitliche Änderung des Zustands: ur(t) = ur(0) exp(–it) Untergruppe SU(2): strukturisomorph zur SO(3) Die Theorie ist damit isomorph zur speziellen Relativitätstheorie.
Abstrakte Quantentheorie Determinismus der Möglichkeiten Die aktualen Möglichkeiten bestimmen ihre eigene zeitliche Änderung. „aktual“: Von allen formal möglichen Ereignissen sind nur jene aktual möglich, die im Einklang mit den aktualen Fakten stehen. Aktual mögliche Ereignisse werden durch den Meßprozeß zu Fakten klassische Physik: Faktum a zur Zeit t0 definiert die bedingte Wahrscheinlichkeit aller b zu t1 und diese determinieren die bedingte Wahrscheinlichkeit für ein Faktum c zu t2 gemäß pac = bpabpbc. Quantenmechanik: Wahrscheinlichkeiten werden ersetzt durch Amplituden: ac = babbc. Nicht die Wahrscheinlichkeiten für real eintretende Fakten, sondern die Amplituden für formal mögliche Ereignisse bestimmen die Weiterentwicklung der aktualen Möglichkeiten. Ur-Hypothese: Alle Objekte (auch die Wechselwirkungen) lassen sich in ununterscheidbare Ure zerlegen.
7. Deutung und Konsistenz • Kopenhagen-Interpretation in (erstmals) konsistenter Formulierung • Zeitliche Änderung der -Funktion: (a) kontinuierlich (Schrödingergleichung) • (b) diskontinuierlich (Messung) • die -Funktion ist die vollständige Liste aller möglichen Vorhersagen; Wort „Zustand“ irreführend; besser: „ ist ein Wissenskatalog“ • Wissen hängt von der Information ab, die das wissende Subjekt besitzt • Subjekt und Objekt sind nicht trennbar • Wissen ist nicht bloß subjektiv: es hängt von objektiven Fakten ab • Diskontinuität existiert in der Beschreibung des Informationsgewinns • Die Quantentheorie beschreibt, was der Beobachter wissen kann • die Messung wählt (undeterministisch, akausal) eine aktual mögliche Alternative aus und legt das entsprechende Faktumirreversibel an • dies bestimmt dann die Wahrscheinlichkeiten für eine Unendlichkeit zukünftiger Ereignisse (Schrödingergleichung) • Forderungen bezüglich der Vergangenheit: jedes Faktum war einmal eine Möglichkeit; relative Häufigkeiten müssen stimmen • alle „Paradoxien“ basieren auf dem gleichen Fehler: man sieht selbst als objektives Faktum (objektives Wellenfeld) an