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HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels

HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels. SUZ. Übersicht der Präsentationen P0 Einführungspräsentation P1 Der Wertbegriff in den empirischen Sozialwissenschaften P2 Werttheorie bei soziologischen Klassikern

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  1. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Übersicht der Präsentationen P0 Einführungspräsentation P1 Der Wertbegriff in den empirischen Sozialwissenschaften P2 Werttheorie bei soziologischen Klassikern P3 Sozialwiss. Wertewandelstheorien I: Werteverfallsansatz P4 Sozialwiss. Wertewandelstheorien II: Postmodernisierungsansatz P5 Sozialwiss. Wertewandelstheorien III: Wertsynthese-Ansatz P6 Die Entwicklung eines Kreismodells menschlicher Werte P7 Arbeitswerte als meistuntersuchte Wertgruppe P8 Method. Herausforderungen und Alternativen der Wertforschung P9 Der Wert bei Luhmann und Habermas Begriffsklärung Statische Werttheorie Dynamische Werttheorie Methodologie Empirie Berührte Aspekte der Wertforschung

  2. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Georg Simmel (1858-1918) Intensive Auseinandersetzung mit dem Wertphänomen im Rahmen der klassischen Abhandlung "Philosophie des Geldes" (Ersterscheinung 1900) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  3. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Simmel: Philosophie des Geldes (I) Drei verschiedene Verwendungsweisen des Wertbegriffs: (1) Wert als objektbezogene Valenz ("Grad des Wertes") (2) Wert als begehrtes Objekt (analog zur Ökonomie) (3) Wert als zwischen Subjekt und Objekt liegende, unabhängige metaphysische (sich der direkten Anschauung entziehende) Kategorie Neukantianische Wertphilosophie (v.a. Heinrich Rickert) als Einfluss auf Simmels Denken: Natur ist wertfrei - Kultur wird durch Werte konstituiert, die anders als Naturgegenstände existieren: sie gelten. P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  4. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Simmel: Philosophie des Geldes (II) Wertbetrachtung in Abhängigkeit von Subjekt und Situation: Begehrendes Subjekt Begehrtes Objekt Distanz, die den Wert hervorruft Augenblick des Genusses, der den Wert konsumiert P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  5. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Simmel: Philosophie des Geldes (III) Moderne Gesellschaft: der Wert im Objektivationsprozess ● Für den modernen Menschen in seiner Kultur hat der Wert einen Objektivationsprozess durchlaufen ● Das Subjekt hat von einer immer grösseren Vielfalt an begehrenswerten Objekten - zum Beispiel durch Medien - Kenntnis, wobei grosse Distanz zu den Objekten die Regel ist ● Die vielfältigen Begehrungsaffekte sind jeweils für sich genommen in ihrer Intensität und Dringlichkeit reduziert ● Das Ich des Kulturmenschen bildet sich an den Hindernissen heraus, die zwischen den zahlreichen begehrbaren Objekten und dem Subjekt liegen, etwa in Form von Warte- und Arbeitszeit ● Der Wert bereits genossener Objekte verliert sich nicht einfach, sondern lebt durch Assoziation mit dem früherem Genuss verselbständigt weiter P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  6. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Simmel: Philosophie des Geldes (IV) Moderne Gesellschaft: der Wert im Objektivationsprozess ● Werte der Objekte fangen an, sich als Tauschwerte im gegenseitigen Bezug zu bestimmen, d.h. werden von Personen scheinbar unabhängig ● Objekte werden eigens produziert, um von unbekannten Anderen begehrt und konsumiert zu werden ● Begehrenswerte Objekte realisieren (trotz vorherrschender grosser Distanz zum Subjekt) auch eine nicht dagewesene Nähe zum Subjekt, insofern sie um den Preis eines Verzichts auf andere Objekte bezw. Tauschgüter fast jederzeit wählbar sind ● Die moderne Kultur lebt wie die Werte selbst von der Aufrechterhaltung der Distanz zwischen den (meisten) Subjekten und Objekten und erreicht durch sie ihre raffiniertesten (z.B. künstlerischen) Ausdrucksformen P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  7. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Simmel: Philosophie des Geldes (V) Moderne Gesellschaft: der Wert in der Zweckreihe ● Der Kulturprozess produziert immer längere Zweckreihen, die zwischen den Menschen und ihren Endzwecken liegen ● Auch erreichte Endzwecke werden augenblicklich durch neue ersetzt, d.h. sind ihrerseits nur relative Werte ● Die Bedeutung "blosser Mittel" wie Geld (und Arbeit) nimmt zu ● Moderne Kulturmenschen haben oft gar kein Bewusstsein letzter Lebensziele ● Vor allem in der monotheistisch geprägten Kultur häufige Neigung zur Gleichsetzung von Geld mit Gott P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  8. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Simmel: Philosophie des Geldes (VI) Kritikmöglichkeiten an Simmels Werttheorie ▼ verschiedene Verwendungsweisen des Wertbegriffs in "Philosophie des Geldes" ungünstig für die Theorievermittlung ▼ im Vergleich zur neueren sozialwissenschaftlichen Werttheorie noch (zu) starker Objektbezug: Wert wird nur im Fall des universellen Tauschmittels Geld als objektemanzipierter Massstab behandelt P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  9. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Max Weber (1864-1920) Auseinandersetzungen mit dem Wertphänomen unter anderem in den posthum erschienenen Sammelwerken "Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre" und "Wirtschaft und Gesellschaft" (Ersterscheinung jeweils 1922) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  10. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Wertfreiheitspostulat (I) (Weber 1988: 489-540) Annahmen Webers zu Wertung und Wissenschaft ● 'Kathederwertungen' werden im 20. Jh. nicht mehr aus der Überzeugung heraus gutgeheissen, dass es ein ethisch allein Richtiges gebe, sondern um Lehrern ein 'Recht der Persönlichkeit' zuzugestehen (für Weber auf Staatskosten unannehmbar) ● Berufsausübung - auch wissenschaftliche - verlangt Berücksichtigung spezifischer Sachanforderungen und Weglassen alles anderen, wodurch die Einheit der Persönlichkeit des Ausübenden nicht gefährdet ist ● Scheidung von empirischer Feststellung und Wertung ist schwierig, aber machbar ● Wertung, die in der Auswahl und Formung eines wissenschaftlichen Stoffes liegt, ist jedoch unvermeidbar (= Wertbeziehung nach Heinrich Rickert) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  11. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Wertfreiheitspostulat (II) Annahmen Webers zu Wertung und Wissenschaft ● Wäre 'Kathederwertung' zulässig, müssten konsequenterweise beliebig extreme (z.B. anarchistische) Standpunkte vertreten werden dürfen (was Wertungsbefürworter meist gerade nicht wollen) ● Häufige Vorstellung, Wertungsfreiheit könne durch Kompromiss bezw. 'Mittelweg' zwischen verschiedenen existierenden Wertungen gewonnen werden, ist falsch ● Bei vorbestimmtem Zweck kann Auswahl der besten Mittel eine rein empirische (wertungsfreie) Frage werden und von 'technischem Fortschritt' gesprochen werden - aber: technische Rationalisierung an sich verändert Lebensbedingungen in nicht wertneutraler Weise ● Die wissenschaftliche Analyse von Ethiken (z.B. bezüglich ihrer sozialstrukturellen Hintergründe) kann diese im Idealfall 'verstehend erklären' - aber nicht ihrerseits eine Ethik ergeben, die über das Geltensollende etwas aussagt P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  12. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Wertfreiheitspostulat (III) Forderungen Webers an Sozialwissenschaftler ● Frage nach der Bedeutung von Wertungen für eine Wissenschaft ist nicht mit der Frage nach ihrer Zulässigkeit im Unterricht zu verquicken ● Fachliche Qualifikation und 'Intellektuelle Rechtschaffenheit' einzige Tugenden, zu der akademische Hörsäle erziehen sollen ● Zwangslage der Studenten, Lehranstalten aufsuchen zu müssen, darf nicht zur Verbreitung der Weltanschauung des Lehrers ausgenützt werden ● Tatsachenfeststellungen sind von der wertenden Stellungnahme dazu zu trennen ● Anschein, sozialwissenschaftliche Ergebnisse könnten den Menschen individuelle Wertungen abnehmen, darf nicht geweckt werden P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  13. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Wertfreiheitspostulat (IV) Forderungen Webers an Sozialwissenschaftler ● Der dadurch gegebenen Verführung widerstehen, dass Besuchszahlen der Vorlesungen in die Höhe schnellen, wo Dozierende persönlich zu 'bekennen' anfangen ● Kann sich ein Dozierender einmal der Wertung nicht enthalten, sollte er sie als solche deklarieren, d.h. nicht über eine geeignete Zusammenstellung von Tatsachen 'einschmuggeln' ● Wertungen durch SW auch nicht als opportune Anpassungen an empirisch beobachtbare Entwicklungstendenzen bezw. 'Fortschritte' (z.B. fortschreitende soziale Differenzierung) oder an 'das' Staatsinteresse zulässig P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  14. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Wertfreiheitspostulat (V) Was das Wertfreiheitspostulat nicht bedeuten soll ● dass subjektive Wertungen von Menschen durch die Wissenschaft nicht als Objekte behandelt werden können (das müssen sie sogar, wobei sie als 'seiend', nicht mehr als 'gültig' behandelt werden) ● Rückzug des Wissenschaftlers auf allgemein anerkannte Konventionen (das Selbstverständlich-Konventionelle muss dem Wissenschaftler im Gegenteil zum Problem werden) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  15. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Wertfreiheitspostulat (VI) (vgl. Weber 1988: 489-540; Hillmann 2002) Werturteilsstreit in der Soziologie 1. Auflage: 1900-1914 (Werturteilsdiskussion) v.a. Max Weber und Werner Sombartv.a. Gustav Schmoller: Wissenschaftler darf sich als denkener Zur Aufgabe des Wissenschaftlers gehören sittliche Forscher nicht, aber als wollender Werturteile über bestehende Verhältnisse sowie Mensch durchaus werturteilend engagieren sozial- und wirtschaftspolitische Empfehlungen 2. Auflage: ab 1961, nicht definitiv beendet (Positivismusstreit) Krit. Rationalismus (H. Albert, K. Popper):Krit. Theorie (Th. Adorno, J. Habermas): Objektive Wahrheit ist leitender Wert der vermeintlich wertfreie Sozialwissenschaft akzeptiert Wissenschaft und wertfreie Forschung und bestätigt vor allem eine soziale Wirklichkeit, in möglich; wiss. Aussagen müssen der die Aufklärungswerte Vernunft, Gerechtigkeit Falsifikationsprüfungen bestehen und und Humanität nur unzureichend realisiert worden kritischer Diskussion standhalten sind; sie dient als Vorwand für politische Passivität P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  16. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Typen sozialen Handelns (I) (Weber 1976: 1-30) Grundlegendes ● Aufgrund der handlungsleitenden Funktion, die dem Wert allgemein zugeschrieben wird, verdienen Webers Typen sozialen Handelns besondere Aufmerksamkeit ● "'Handeln' soll dabei ein menschliches Verhalten heissen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden."(Weber 1976: 1; Hervorhebung E.A.) ● Als Webersche Idealtypen sollen die Typen sozialen Handelns - ein bestmögliches Verständnis der untersuchten Sinnzusammenhänge ermöglichen (Sinnadäquanz) - ein Mindestmass an empirischer Auftretenswahrscheinlichkeit der durch sie beschriebenen Abläufe aufweisen (Kausaladäquanz) - eine gesteigerte begriffliche Eindeutigkeit gegenüber den vielfältigen realen Mischformen des Handelns aufweisen P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  17. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Typen sozialen Handelns (II) (Weber 1976: 12) Die vier Idealtypen in Webers Worten Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein 1. zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Aussenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als 'Bedingungen' oder als 'Mittel' für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke, 2. wertrational: durch bewussten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden - unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, 3. affektuell, insbesondere emotional: durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen, 4. traditional: durch eingelebte Gewohnheit. (Anm.: Für Weber nimmt der Rationalitätsgrad des Handelns von 1. bis 4. ab.) → Handlungsleitende Funktion des Werts scheint nach Weber zunächst beschränkt, da sich nur einer seiner vier Idealtypen des Handelns ausdrücklich auf den Wert bezieht. P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  18. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Typen sozialen Handelns (III) Nähere Betrachtung zum Wertgehalt der vier Handlungstypen ● "'Handeln' soll dabei ein menschliches Verhalten heissen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden." (Weber 1922b: 1; Hervorhebung E.A.) Wie jedes Handeln kann auch das soziale Handeln bestimmt sein 1. zweckrational: durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Aussenwelt und von anderen Menschen und unter Benutzung dieser Erwartungen als 'Bedingungen' oder als 'Mittel' für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke, 2. wertrational: durch bewussten Glauben an den - ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden - unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, 3. affektuell, insbesondere emotional: durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen, 4.traditional: durch eingelebte Gewohnheit. 'Subjektiver Sinn' aus Webers allgemeiner Handlungsdefinition ohne individuelle Werte denkbar? Zukunftsbezogenheit des 'Zwecks' für viele Werttheoretiker (in aristotelischer, aber auch utilitaristischer Tradition) gerade eine werttypische Eigenschaft 'Emotion' in der heutigen Emotionspsychologie eng mit der Bewertung eines Ereignisses durch den Organismus verknüpft 'Tradition' eng verknüpft mit Kultur, als deren Zentrum kollektive Wertmuster gelten (vgl. Webers eigene Religionssoziologie) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  19. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Weber: Typen sozialen Handelns (IV) Nähere Betrachtung zum Wertgehalt der vier Handlungstypen ● sehr enge Verwendung des Wertbegriffs (unter Betonung seiner Einschränkungsfähigkeit von Rationalität) in der Typologie ● es finden sich nach heutigem Wertverständnis stark werthaltige Elemente ausserhalb des 'wertrationalen' Typs; unter wertbegrifflichem Aspekt erfüllen die Idealtypen die Erwartung, scharf voneinander trennbar bezw. eindeutig zu sein, nicht besonders gut ● Erfolgsunabhängigkeit des 'wertrationalen' Handelns nur im Rahmen pflichtethisch-kantianischer Denktradition zwingendes Kriterium ● zahlreiche Relativierungen der Typologie durch Weber selbst in 'Wirtschaft und Gesellschaft' (Weber 1976: 12-13) ● neuere Werttheorie erweist gerade die strenge Zweck-Mittel- Unterscheidung, die das zweckrationale Handeln gegenüber wertrationalem auszeichnen soll, als analytisch nicht durchzuhalten (Luhmann 1973: 36-47) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  20. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Max Webers wert(ungs)theoretische Hauptleistungen Zusammenfassungsvorschlag im Licht heutiger Wertforschung Wert und Wissenschaft (Wertfreiheitspostulat) ● sehr grosser, bis heute über Soziologie weit hinausreichender Einfluss auf unterschiedliche Rollenverständnisse der Wissenschaftler ● teilweise Emanzipation der SW gegenüber geisteswissenschaftlich geprägter Vorstellung universell geltender Wert-"Imperative" → ein Beitrag zum Wertwandel im 20. Jh. und dessen quasi- objektiver Beschreibbarkeit? Wert und soziales Handeln (Allgemeine Werttheorie) ● Einfluss der Werte auf das Handeln allein mit Webers relativ speziellem "wertrationalem" Handlungstyp nicht hinlänglich beschreibbar P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  21. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Talcott Parsons (1902-1979) Werttheoretische Beiträge unter anderem im interdisziplinären Sammelband "Toward a General Theory of Action" (1951, mit Edward Shils) und "The Social System" (1951) sowie "Sociological Theory and Modern Society" (1967) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  22. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Theoretische Besonderheiten ● Abkehr von Frage: 'Wie verändern sich Gesellschaften?' (Prozesstheorien); Hinwendung zur Frage: 'Was macht Gesellschaften stabil?' (Systemtheorien) ● Interesse an soziologischer Theorie, die auf alle Gesellschaften und Epochen anwendbar sein soll ● Interesse an gemeinsamer Handlungstheorie für die Sozialwissenschaften (insbesondere Kulturanthropologie, Soziologie und Psychologie) ● Analytische Trennung einer kulturellen, sozialen und personalen Systemebene ● starker Drang zur Systematisierung; Entwicklung von Schemata, die sich möglichst auf allen Systemebenen 'durchkonjugieren' lassen ● Soziale Integration und Stabilität werden als wichtigstes soziales Ziel (und damit auch letzte Funktion der Werte) bereits vorausgesetzt P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  23. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: verschiedene Systemebenen und ihre Integration mittels Werten Das Kulturelle System - Um die Bedeutung von Objekten und deren symbolischem Ausdruck organisiert - Geprägt von logischen Kohärenzanforderungen Das Soziale System - Um die Interaktion einer Pluralität von Menschen organisiert - Geprägt von der Knappheit von Handlungsmöglichkeiten und gratifikatorischen Objekten Das Personale System - Um die Optimierung von individuellen Gratifikationen organisiert - Geprägt von organischen Funktionsanforderungen Import eines dominierenden Wertmusters (Ethos) in das soziale System; Institutionalisierung und Spezifikation für eine Vielfalt von Kollektiven und Rollen zu teils verbindlichen Normen Internalisierung verschiedener Wertmuster aufgrund verschiedener wahrgenommener sozialer Rollen im personalen System (wodurch dieses über mehrere 'Über-Ichs' verfügt) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  24. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Kulturelles System und Wert (Parsons & Shils 1951; Parsons 1967) ● Kulturelles System kein Handlungssystem, sondern Symbolsystem; zuoberst in einer Kontroll-Hierarchie des Handelns, die über das soziale System zum Individuum und seinem Organismus hinabreicht ● Aufgrund der Transferierbarkeit von Symbolen (Überlebensfähigkeit auch ausserhalb unmittelbar gegebener Handlungssysteme) kann kulturelles System sein Wertmuster in andere Systeme exportieren ● starke Interdependenz des Wertmusters mit anderen Komponenten des kulturellen Systems: - den anerkannten Wissensbeständen und Ideen - den anerkannten Stilen und Geschmäckern - den anerkannten (religiösen, ideologischen) Deutungen* von Werten *Unverzichtbar vor allem wegen dem Problem real beobachtbarer Handlungsausgänge, die nach dem dominierenden Wertmuster ungerecht scheinen und damit dessen Gültigkeit in Frage stellen P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  25. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Soziales System und Wert (I) (Parsons & Shils 1951; Parsons 1951, 1967) ● Soziales System als kollektives Handlungssystem ● Als Wertmuster handelnde Grundeinheit des sozialen Systems ist nicht das Individuum, sondern die Rolle ● Manche Rollen sind stärker institutionalisiert und repräsentieren das dominierende Ethos 'reiner' als andere ● gemeinsames Handeln liegt erst bei einem solidarischen, Wertmuster teilenden Kollektiv vor - Aggregationsformen wie soziodemografische Personenkategorie oder blosse Pluralität sind dafür nicht ausreichend ● das aus dem kulturellen System importierte Wertmuster wird zu Normen spezifiziert, die für Rollen und Kollektive gelten ● Soziale Systeme müssen unter realweltlichen Bedingungen der Knappheit gratifikatorischer Objekte operieren, wodurch die Allokation von direkten Belohnungen, Humanressourcen und facilities (Instrumenten zur leichteren Rollenerfüllung) zentrales Problem wird P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  26. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Soziales System und Wert (II) ● Grosse Belastungen des sozialen Systems: - Diskrepanzen (misfits) zwischen dem Angebot an individuellen Begabungen und den zu einem gegebenen Zeitpunkt zu füllenden Rollen - geweckte Gratifikationserwartungen in Individuen, die überwiegend nicht eingelöst werden können ● Wertsozialisation kann nicht alle Probleme des sozialen Systems lösen; erforderlich ist unter anderem die mit Durchsetzungsmacht ausgestattete, soziale Ordnung aufrechterhaltende Autorität sowie die soziale Kontroll-Institution der Psychotherapie ● Soziales System löst sich auch bei übermässiger Belastung nicht in Hobbesschen 'Naturzustand' auf - es zerfällt höchstens in Teilsysteme, wird von anderem Sozialsystem absorbiert oder verändert sich radikal ● diverse Imperfektionen des sozialen Systems repräsentieren auch Anpassungschancen an veränderte Umweltbedingungen P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  27. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Personales System und Wert (I) (Parsons & Shils 1951; Parsons 1967) ● Personales System als individuelles Handlungssystem ● individuelles Handeln erklärt sich häufiger aus internalisierten kulturellen Werten als direkt aus Überlebenszielen; Akteure sind dabei Muster der Wertorientierung, statt dass sie solche nur 'haben' ● ausser durch die Wertorientierungwird ein konkreter Handlungsausgang durch eine Situation, die darin gegebenen (breit verstandenen) Objekte und eine (relativ unspezifisch als verfügbare Energie verstandene) Motivationbewirkt ● wichtigster Lernmechanismus im Rahmen der Sozialisation ist die Identifikation mit einem significant other (vorrangige Bezugsperson, Vorbild); sie setzt bereits im Kindesalter die Wahrnehmung von Rollen und daran geknüpfte Erwartungen voraus ● In Form der Sentiments erhalten auch ausschliesslich gelernte, aus organischen Bedürfnissen allein nicht erklärbare Werte ihre affektive Basis im Individuum P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  28. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Personales System und Wert (II) ● innere Konflikte aufgrund der Koexistenz verschiedener funktionaler Subsysteme werden durch die zahlreichen Varianten psychischer Abwehr gemässigt, Konflikte mit einer veränderten Aussenwelt durch Anpassung ● Individuum muss sich bis zu einem gewissen Grad so sehen lernen, wie andere es sehen (was z.B. das Teilen geschlechtsgebundener Werte bedeutet) ● sofern sich individuelle und kollektive Interessen konfliktiv gegenüberstehen, handelt es sich um den Gegensatz persönlicher need dispositions und sozialer role expectations (doch betont Parsons diesen Konflikt weniger als z.B. Freud) (Parsons & Shils 1951: 91-92; vgl. Freud 1960) ● ungenügende Passung personaler und rollenspezifisch bezw. kollektiv erwarteter Wertorientierung können zur Entfremdung (alienation) und zur Erfahrung negativer Sanktionen durch das Kollektiv führen P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  29. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Drei Modi der Handlungsorientierung (Parsons & Shils 1951: 72, 165, 205) Parsons zieht einen groben Strukturierungsversuch des Werteraums der Vorstellung eines 'grenzenlos pluralistischen Wertuniversums' vor. Er sieht dabei wie manche Zeitgenossen viele Handlungen überwiegend an einem der drei folgenden 'Modi' orientiert (vorstellbar als Meta-Werte): (1) dem Kognitiv-Wahren Überzeugungen dominieren den Bezug zum bereits gegebenen Handlungsziel, so dass von instrumentellem Handeln gesprochen werden kann und möglichst effiziente Zielerreichung in den Vordergrund rückt. (2) dem Expressiv-Schönen Expressive Symbole dominieren den Bezug zum Handlungsziel, so dass von expressivem Handeln, zur unmittelbaren Erreichung eines positiv besetzten Nahzieles, gesprochen werden kann. (3) dem Evaluativ-Guten Evaluative Standards dominieren den Bezug zum Handlungsziel, so dass von moralischem Handeln, mit seiner typischen Orientierung an den Zielen anderer bezw. des Kollektivs gesprochen werden kann. P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  30. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Drei Modi der Handlungsorientierung Geistesgeschichtlicher Hintergrund ▲ Platons (5./4. Jh.v.Chr.) Ideenlehre, v.a. gemäss der 'Dialoge': Das Gute, Schöne, Wahre als universal* verstandene höchste, unmittelbar göttliche Ideen, denen der Mensch nachzustreben hat ▲ Erneut hoher Stellenwert derTrias des Guten, Schönen, Wahren durch neuzeitliche Wiederentdeckung (nicht monotheistischer) antiker Ideen (insbesondere in Aufklärung und Humanismus) *demgegenüber vertritt Aristoteles eine Wesensabhängigkeit des Guten Als 'Symbol bügerlicher Werte' geltend: Alte Oper in Frankfurt am Main P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  31. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Parsons: Fünf Pattern-Variables (Parsons & Shils 1951: 76-91, 172-175, 184-185, Fig. 10) Parsons hat ausser den drei Modi auch fünf Gegensatzpaare zur Charakterisierung individueller ebenso wie sub- und gesamtkultureller Wertorientierungen genutzt: die Pattern Variables. 1. Affektivität - Affektive Neutralität Handeln gemäss affektivem Impuls vs. Disziplinierung des Handelns 2. Selbstorientierung - Kollektivorientierung Verfolgung privater Ziele vs. Verfolgung von Kollektivzielen 3. Universalismus - Partikularismus Gleichbehandlung aller Objekte einer Kategorie vs. Sonderbehandlung gemäss spezifischer Objektbeziehung 4. Zuschreibung - Leistung Priorität von Leistungsattributen eines Objekts vs. Priorität anderer Attribute 5. Spezifität - Diffusheit Reaktion auf begrenztes Spektrum von Objekteigenschaften vs. Reaktion auf breites Spektrum von Objekteigenschaften Parsons: Die Koexistenz verschiedener subkultureller Patterns ist eine integrative Herausforderung für jede Gesellschaft (Bsp. US-Hispanics vs. WASPs) P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  32. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Kritische Neuorientierung des Parsons-Schülers Robert K. Merton(vgl. Merton 1976; Korte 2000: 182-184) ► Funktion der Werte erschöpft sich nicht weitgehend im Systemerhalt und systemischer Integration (Gesellschaften können auch als Ganze zu bestimmten Zielen unterwegs sein) ► Nonkonformistische Minoritäten können die höchstrangigen Werte einer Gesellschaft reiner repräsentieren als die konformistische Mehrheit ► Individuen können in sehr beträchtlichem Mass von Rollenerwartungen abweichen, aber an dieselben auch überangepasst sein ► Soziologie hat sich (auch) mit gesellschaftlichen Problemen wie Anomie und sozialer Benachteiligung zu befassen, bezw. mit den sozialstrukturellen Möglichkeiten und Mitteln von Gesellschafts- mitgliedern, überhaupt normenkonform handeln zu können. P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

  33. HS 2008 / lic. phil. E. Albert / Soziologie der Werte und des Wertewandels SUZ Quellenhinweise Freud, S. (1960 [1930]). Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt am Main: Fischer. Hillmann, K.H. (2002). Wertfreiheit (Werturteilsproblem). In G. Endruweit & G. Trommsdorff (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie (S. 691-694). Stuttgart: Lucius & Lucius. Korte, H. (2000). Einführung in die Geschichte der Soziologie. Opladen: Leske + Budrich. Luhmann, N. (1973). Zweckbegriff und Systemrationalität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft. Merton, R. K. (1976). The Sociology of Social Problems. In R.K. Merton & R. Nisbet (Hrsg.), Contemporary Social Problems (S. 3-43). New York: Harcourt Brace Jovanovich. Parsons, T. & Shils, E.A. (1951). Values, Motives, and Systems of Action. In: In T. Parsons & E.A. Shils (Hrsg.), Toward A General Theory of Action (S. 47-275). New York: Harper & Row. Parsons, T. (1951). The Social System. Glencoe: The Free Press. Parsons, T. (1967). Sociological Theory and Modern Society. New York: The Free Press. Simmel, G. (2001 [1920]). Philosophie des Geldes. Köln: Parkland Verlag. Weber, M. (1976 [1922]). Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). Weber, M. (1988 [1922]). Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck). P2: Werttheorie bei soziologischen Klassikern

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