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Die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) – Wege zur Neugestaltung ihrer Umsetzung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Verwaltungspolitisches Kolloquium Berlin-Brandenburg Humboldt-Universität zu Berlin 13. Juni 2008. Dr. Rolf Schmachtenberg
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Die Grundsicherung für Arbeitsuchende(Hartz IV) –Wege zur Neugestaltung ihrer Umsetzung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Verwaltungspolitisches Kolloquium Berlin-Brandenburg Humboldt-Universität zu Berlin 13. Juni 2008 Dr. Rolf Schmachtenberg Unterabteilungsleiter der Abteilung II b im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Arbeitsförderung, Arbeitslosenversicherung, Grundsicherung für Arbeitsuchende
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) – Wege zur Neugestaltung ihrer Umsetzung nach dem Urteil des BVerfG I. Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende (1) II. Eckdaten zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (5) III. Entscheidung des BVerfG (2) IV. Handlungsoptionen (12) V. Prüfauftrag der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (1) VI. Ausblick (1)
I. Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende Zusammenlegung von Arbeitlosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005; Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Ziel: Bekämpfung der Armut Erwerbsfähiger – Überwindung der Hilfebedürftigkeit • in der Regel durch Aufnahme bzw. Verbesserung einer Erwerbstätigkeit • bei gleichzeitiger Absicherung des Lebensunterhalts • Spannungsfeld • Vorrang Integration möglichst einzelfallgerechte Leistungsgewährung
II. Eckdaten zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (1) Struktur der Hilfebedürftigen (November 2007) Rund 7 Mio. Leistungsbezieher Nicht-Erwerbsfähige Erwerbsfähige 5,11 Mio. 1,93 Mio. 96 % 30% unter 15 Jahre § 10 SGB II und Sonstige * nicht arbeitslose eHb 58 Jahre und älter(vermutlich vor allem § 428 SGB III i. V. m. § 65 SGB II) 7% 11% nicht arbeitslose erwerbstätige eHb mit Bruttoeinkommen > 400 € 8% eHb in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen** 44% arbeitslose eHb November 2007 * z.B. Erziehung von Kindern unter drei Jahren, Pflege von Angehörigen, Krankheit, Schüler. ** Einbezogen werden hier nur diejenigen Maßnahmen, deren Teilnehmer in jedem Fall weiter als eHb erfasst sind: Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante, Förderung beruflicher Weiterbildung, Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen. Die Zahl gibt daher eine Untergrenze für den Anteil der Maßnahmenteilnehmer an den eHb an. Quelle: Statistik der BA
II. Eckdaten zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (2) Arbeitsmarktpolitische Instrumente - Förderfälle 3,2 Mio. zu aktivierende eHb* im März 2008 • dies sind 7,4 % weniger als im Vorjahr 572.200 Eintritte von Januar bis März 2008 • Eintritte leicht unter Vorjahresniveau wegen starken Rückgangs der zu aktivierenden Kunden • dabei meist genutzte Instrumente:34,2 % Arbeitsgelegenheiten23,1 % Trainingsmaßnahmen19,8 % sonstige weitere Leistungen 823.900 Teilnehmer im März 2008 im Bestand Quelle: Statistik der BA * zu aktivierende eHb = Arbeitslose und Maßnahmeteilnehmer
II. Eckdaten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (3) Zusammenfassung von Arbeitsmarkt- und Sozialförderung in einem ganzheitlichen Ansatz Anteil Bund/Kommunen
II. Eckdaten zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (4) Finanzstruktur: Von Beitrags- zur Steuerfinanzierung * * *In 2006 und 2007 überstiegen die Beitragseinnahmen die beitragsfinanzierten Ausgaben um 11 bzw. 7 Mrd. €.
347 ARGEn = Arbeitsgemeinschaften 69 zkT = zugelassene kommunale Träger Kommune und regionale Agentur für Arbeit arbeiten zusammen Die Kommune hat die alleinige Trägerschaft II. Eckdaten zur Grundsicherung für Arbeitsuchende (5) Umsetzungsstruktur 429 Kommunen 23 x gAw = getrennte Aufgabenwahrnehmung 5 % Personal: rd. 63.500(Vollzeitäquivalente), davon 56.000 in ARGEn, AAgAw 7.500 z. B. in den Bereichen Service, Ausbildungsvermittlung, Reha, überörtlich Personal: rd. 8.000
III. Entscheidung des BVerfG (1) Kommunalverfassungsbeschwerde von 11 (Land-)Kreisen 1. In der Hauptsache zurückgewiesen • soweit sich die Beschwerdeführer gegen die Zuweisung der Zuständigkeit für einzelne Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne vollständigen Ausgleich der sich daraus ergebenden finanziellen Mehrbelastung gewandt haben. 2. Teilweise stattgegeben • Die in § 44b SGB II getroffene Regelung, wonach die kommunalen Träger und die Bundesagentur für Arbeit (BA) zur einheitlichen Aufgabenwahrnehmung ihrer Aufgaben ARGEn bilden sollen, verstößt gegen Art. 28 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art 83 GG.
III. Entscheidung des BVerfG (2) Gründe für die Stattgabe • Einrichtung der ARGEn widerspricht dem Grundsatz klarerKompetenzzuordnung ARGEn sind als Gemeinschaftseinrich-tung von Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Trägern nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht vorgesehen • Einrichtung der ARGEn widerspricht dem Grundsatz eigenverant-wortlichen Aufgabenwahrnehmung zuständiger Verwal-tungsträger muss seine Aufgaben grds. mit eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener Organisation wahrnehmen • § 44b SGB II verstößt gegen Grundsatz der Verantwortungs-klarheit organisatorische und personelle Verflechtung bei der Aufgabenwahrnehmung behindert eine klare Zurechnung staatlichen Handelns zu einem der beiden Leistungsträger und zugleich Grundsätze der BVerfG-Entscheidung, die es umzusetzen gilt
IV. Handlungsoptionen – Überblick I Keine Grundgesetzänderung ohne große Finanzverschiebung • Getrennte Aufgabenwahrnehmung • Kooperatives Jobcenter (KJC) • Bundesauftragsverwaltung für passive Leistungen und KJC Keine Grundgesetzänderung mit großer Finanzverschiebung • Vollständige Übertragung auf die Bundesagentur für Arbeit • Übertragung auf die Länder, Weiterübertragung auf die Kommunen (indirekte/mittelbare Kommunalisierung) Mit Grundgesetzänderung • Beibehaltung der ARGEn durch Verfassungsänderung • Ausweitung und Entfristung der zkT (direkte/unmittelbare Kommunalisierung)
IV. Handlungsoptionen (2) Keine Grundgesetzänderung ohne große Finanzverschiebung 1. Getrennte Aufgabenwahrnehmung • § 44b SGB II und ARGEn bis Ende 2010 • Auflösung der ARGEn (Auslaufen/Kündigung der Verträge) • Getrennte Trägerschaft und getrennte Aufgabenwahrnehmung von BA und kommunalen Trägern (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB II) 2. KJC • Von BA und Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) entwickeltes Kooperationsmodell für die Zusammenarbeit der Träger vor Ort • Getrennte Trägerschaft und kooperative Aufgabenwahrnehmung (freiwillig) • Gemeinsames Arbeitsmarkt- und Integrationsprogramm, Kooperationsausschuss, verzahnte Prozesse 3. Bundesauftragsverwaltung für passive Leistungen + KJC • Vorschlag von Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen • Geldleistung (Alg II, Sozialgeld) wird allein von den Kommunen vollzogen; Länderaufsicht; Erstattung durch Bund (Alg II voll, Sozialgeld anteilig) – Art. 85 GG
IV. Handlungsoptionen (3) Keine Grundgesetzänderung mit großer Finanzverschiebung 4. Vollständige Übertragung auf die BA • Alle Leistungen des SGB II und SGB III werden von der BA ausgeführt, auch Sozialgeld (Leistungen für Unterkunft und Heizung) und sozialintegrative Leistungen • Mehrausgaben für den Bund in Höhe von ca. 10 Mrd. Euro 5. Mittelbare Kommunalisierung • Vollständige Übertragung der Aufgaben des SGB II auf die Länder • Weiterübertragung auf die Kommunen • Grundgesetzlicher (Regel-)Fall der Ausführung von Bundesge-setzen durch die Länder in eigener Angelegenheit (Art. 83 GG) • Einfachgesetzliche Änderung zustimmungsbedürftig im Bundesrat (Art. 104a Abs. 4 GG) • Verschiebung von Bundesmitteln in Höhe von ca. 35,5 Mrd. Euro
IV. Handlungsoptionen (4) Mit Grundgesetzänderung 6. Beibehaltung der ARGEn durch Verfassungsänderung • U. a. von Schleswig-Holstein eingebrachter Vorschlag • Verankerung der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung von Bundes- und Landesbehörden zur Durchführung der Grundsicherung im Grundgesetz (ähnlich Art. 108 Abs. 4 GG für die Finanzverwaltung) • Nähere Ausformung durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates 7. Ausweitung und Entfristung der zkT • Befürwortung durch Deutschen Landkreistag (DLT) • Eröffnung der kommunalen Option für weitere Kommunen bzw. deren dauerhafte Einräumung für alle 69 bisherigen zkT • Daneben: getrennte/kooperative Aufgabenwahrnehmung • Wahlrecht der Kommunen zwischen Option und getrennter/ kooperativer Aufgabenwahrnehmung
IV. Handlungsoptionen (5) Getrennte Aufgabenwahrnehmung Pro • Keine gesetzlichen Änderungen • Aus der Praxis bereits bekannt (23 gAw) • Klare Zuordnung der Verantwortungen Contra • Keine Leistungen aus einer Hand • Schwache Einbeziehung der Kommunen und Länder bei der Aktivierung • Bürgerunfreundlich
IV. Handlungsoptionen (6) KJC Pro • Kooperation von Agentur für Arbeit und Kommune als eigenstän-dige Leistungsträger • Klare (getrennte) Zuständigkeiten, eindeutige Weisungsstränge • Klare Finanzverantwortung, Einheit von Finanz- und Aufgaben-veranwortung • Möglichkeit der engen Zusammenarbeit vor Ort besteht weiterhin, allerdings freiwillig Contra • Keine Hilfe aus einer Hand • Doppelstrukturen der öffentlichen Verwaltung, insbesondere bei der Leistungsgewährung
IV. Handlungsoptionen (7) Bundesauftragsverwaltung für passive Leistungen und KJC Pro • Berücksichtigung regionaler Besonderheiten und Nutzung regionaler Kompetenzen durch Aufgabenwahrnehmung vor Ort • Zustimmungsgeneigtheit einzelner Länder • Passive Leistungen aus einer Hand Contra • Auseinanderfallen von aktiven und passiven Leistungen • Erhebliche Änderung der bestehenden Verwaltungsstruktur, Doppelstrukturen der öffentlichen Verwaltung • Auseinanderfallen von Ausgaben- und Aufgabenverantwortung umfassende Kostenverantwortung des Bundes, aber nur un-zureichende Steuerungsmöglichkeiten und Kontrollbefugnisse • Geringe Bundeseinheitlichkeit der Grundsicherung für Arbeit-suchende • Ungeeignete Verwaltungsform für einen Bereich der Größe und Bedeutung der Grundsicherung für Arbeitsuchende
IV. Handlungsoptionen (8) Vollständige Übertragung auf die BA Pro • Leistungen des SGB II und SGB III aus einer Hand Contra • Verzicht auf wichtige sozialpolitische Kompetenzen der Kommunen, insbesondere im Bereich der Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie den sozialintegrativen Leistungen • Keine Erfahrung des Bundes bzw. der BA mit diesen Leistungen • Entstehung von erheblichen Mehrausgaben für den Bund • Keine Akzeptanz bei Ländern und Kommunen
IV. Handlungsoptionen (9) Mittelbare Kommunalisierung Pro • Klare Zuständigkeiten, klare Verantwortlichkeiten • Klare Finanzverantwortlichkeit der Länder müsste geschaffen werden (Umverteilung Mehrwertsteuer) • Länder können einheitliche Anlaufstellen schaffen • Politische Debatte über Kommunalisierung wäre beendet Contra • Wegfall der überregionalen Finanzierung (Solidarität) • Doppelstrukturen der öffentlichen Verwaltung • Keine Bundeseinheitlichkeit der Grundsicherung für Arbeitsuchende • Bundesweite Vermittlung wäre durch neue Schnittstellen erschwert • Erhebliche Finanzverschiebung • Intransparenz
IV. Handlungsoptionen (10) Beibehaltung der ARGEn durch Verfassungsänderung Pro • Grundsatz der Leistungserbringung aus einer Hand würde weiterhin Geltung beanspruchen • Fortführung der bestehenden Verwaltungsstrukturen der ARGEn, auf verfassungsrechtlich sicherer Grundlage könnten Probleme im Zusammenwirken der Verwaltungsträger angegangen und gelöst werden Contra • Auch nach Verfassungsänderung zweifelhaft, ob entscheidende strukturelle Probleme der ARGEn in der Praxis gelöst werden können (Personal, Haushalt, Aufsicht) • Kritisch im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip (Legitimation, Transparenz) • Keine Bundeseinheitlichkeit (falls Landesbehörden) • Aufbau einer doppelten öffentlichen Arbeitsverwaltung
IV. Handlungsoptionen (11) Ausweitung und Entfristung der zkT Pro • Gewährleistung der Leistungserbringung aus einer Hand (allerdings nur hinsichtlich der Aufgaben des SGB II) • Kommunen/Städten, die keine Kommunalisierung wollen, wird diese nicht aufgedrängt Contra • Keine Übereinstimmung von Durchführung- und Finanzierungs-verantwortung • Nebeneinander von Bundes- und Kommunalzuständigkeit nur im Rahmen einer Experimentierklausel vertretbar • Durchführung relativ intransparent, Einflussmöglichkeiten des Deutschen Bundestages stark beschnitten • Evaluation würde nicht abgewartet
V. Prüfauftrag der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) vom 9. Mai 2008 • Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, bestehend aus • Staatssekretär Scheele, BMAS (Federführung), • Bundesressorts (BMF, BMI, BMJ, BK), • Ländern, • kommunalen Spitzenverbänden und • BA. • 3 Prüfaufträge: • KJC (Berichterstatter: BMAS) Nr. 2 • Bundesauftragsverwaltung für passive Leistungen und KJC (Berichterstatter: Bayern) Nr. 3 • Beibehaltung der ARGEn durch Verfassungsänderung (Berichterstatter: Schleswig-Holstein) Nr. 6 (Nr. 7)
VII. Ausblick Zeitplan: 27. Juni 2008 Abschluss Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene Juli bis September Politische Richtungsentscheidung Aktivierender SozialstaatversorgenderSozialstaat Oktober 2008 Vorbereitung der Umstellung Januar 2009 Beginn der Umstellung (24 Monate erforderlich)