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Einführung Entwicklungsdiagnostik. 15.04.2013 Lukas Lier, Benjamin Boch. Gliederung. Einführung in die Entwicklungsdiagnostik Was ist Entwicklung? Was ist Entwicklungsdiagnostik? Was sind Entwicklungsstörungen? 2. Geschichte der Entwicklungsdiagnostik 3. Psychometrie 4. Diskussion.
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EinführungEntwicklungsdiagnostik 15.04.2013 Lukas Lier, Benjamin Boch
Gliederung • Einführung in die Entwicklungsdiagnostik • Was ist Entwicklung? • Was ist Entwicklungsdiagnostik? • Was sind Entwicklungsstörungen? 2. Geschichte der Entwicklungsdiagnostik 3. Psychometrie 4. Diskussion
„was ist“ • „was sollte sein“ • „unter welchen Bedingungen kann erreicht werde, was sein sollte“
Vergleich mit repräsentativer Normstichprobe Verlauf, Muster • „was ist“ • „was sollte sein“ • „unter welchen Bedingungen kann erreicht werde, was sein sollte“ Vergleich mit Schulkameraden Status Quo Subjektive Kriterien Alltagserfahrung/ Augenmaß Objektive Kriterien (auf wissenschaftlichen Theorien basierend) Objektive Tests
Definition „Ein Differentieller, gerichteter, kumulativer Prozess, der sich über längeren Zeitraum erstreckt. Er bezieht sich sowohl auf Veränderungen im individuellen Lebenslauf, als auch auf relative Konstanz interindividueller Unterschiede. An ihm ist eine Vielzahl innerer und äußerer Faktoren beteiligt und vollzieht sich in enger Wechselbeziehung mit den jeweiligen soziokulturellen und historisch-epochalen Gegebenheiten.“ (Nickel et al, 1989)
Traditioneller Entwicklungsbegriff (Esser & Petermann, 2010) • (biologische) Reifungsprozesse • Stufenmodell der Entwicklung • Aufeinander aufbauende Schritte in • Richtung höherwertiger Endzustand
Kritik am Traditionellen Entwicklungsbegriff • „Probabilistic Epigenetics“ (Gottlieb, 2003) • Kritik • Verläufe sind variabel (z.B. normales Laufen ohne Vorstufe „flüssiges Krabbeln“) • Entwicklung nicht linear (Sprünge) • Vom Modell abweichende Fehlentwicklungen • Endreifezustand Stabilität / Stagnation • Abbauprozesse im Alter • Veränderbarkeit gesamte Lebensspanne
Disjunktive vs. kumulative Entwicklungsverläufe Disjunktive: Eigenschaft tritt im Entwicklungsverlauf auf und verschwindet wieder z.B. Krabbeln (Übergang zum laufen) Kumulativ: zu den bereits erlernten Reaktionen kommen immer neue hinzu. z.B. Sprachenlernen. Kumulatives Defizit: Durch die „schlechte“ Bewältigung eines Entwicklungsschrittes erhöht sich die Wahrscheinlichkeit den nächsten auch nicht adäquat zu bewältigen.
Deterministische vs. probabilistische Entwicklung Zusammenhänge Deterministisch: Schubförmiger Verlauf der Entwicklung. Ob eine Entwicklungsaufgabe gelöst werden kann oder nicht, hängt vollständig von der zugrunde liegenden Eigenschaft ab. Probabilistisch: kontinuierlicher Verlauf. Eigenschaft beeinflusst Wahrscheinlichkeit => zu verschiedenen Zeitpunkten ist die „richtige“ Bewältigung der Aufgabe unterschiedlich wahrscheinlich
Aufgaben der Entwicklungsdiagnostik • Erkennen einer Entwicklungsstörung • Eines Entwicklungsrückstandes • Einer beschleunigten Entwicklung • Evaluation von Interventionsmaßnahmen • Prognosen für den späteren Entwicklungsverlauf
Felder der Entwicklungsdiagnostik • Statusdiagnostik • Bestimmung momentaner Entwicklungsstand im Vergleich zu Gleichaltrigen • Normal, auffällig, gestört • Förderdiagnostisches Vorgehen • Verlaufsuntersuchung • Interventionsevaluation • Qualitätssicherung medizinischer Behandlung • Auswirkung Intensivmedizin bei Frühgeborenen • Prognose
Global vs. Einzeldomäne • Beginn 20. Jahrhunderts: Erfassung des allgemeinen Entwicklungsstandes (z.B. Bühler Hetzer Kleinkindertests) • Heute: Erfassung einzelner Funktionsbereiche • Erfassen große Bandbreite kindlicher Entwicklung und ermöglichen so differenzierte Aussagen zum allgemeinen Entwicklungsstand des Kindes (Esser & Petemann, 2010)
Bandbreite: • Körper- / Handmotorik • Wahrnehmung • Lernen und Gedächtnis • Sprachentwicklung • emotionale und soziale Entwicklung
Besonderheit der Entwicklungsdiagnostik • Systematische Beobachtung von Verhalten • Testung bereits bei Säuglingen • Besondere Anforderungen an Setting und Untersucher • Empathie • Erfahrung • Aufgaben flexibel an Motivation und Aufmerksamkeitsbereitschaft Kindes anpassen
Dimensionale vs. Kategoriale Diagnostik • Dimensional: hinter den Phänomen liegen bestimmte Dimensionen. z.B. Intelligenzdiagnostik • Kategoriale Diagnostik: Zuordnung zu verschiedenen Kategorien.
Normorientierte vs. Kriteriumsorientierte Diagnostik • Normorientiert: Wert wird in Bezug zu einer bestimmten Norm gesetzt. • Kriteriumsorientierte Diagnostik: Unabhängig von einer bestimmte Norm wird Stand beurteilt. z.B. kann das Kind schon eingeschult werden?
3 Bereiche der Entwicklungsdiagnostik Screening Allgemeine Entwicklungstests Spezifische Entwicklungstests
1. Screening • Kurztestverfahren (10-20 min) • Klassifizierung (auffällig / nicht-auffällig) in grundlegenden Entwicklungsbereichen • auffällig = Unterschreiten cut-off-Werts (z.B. 10. Perzentil) • Wichtig: weitere Quellen hinzuziehen (Tröster, Flender & Reineke, 2005) • Anlass: Testung Gesamtbevölkerung, Prophylaxe • Bsp.: Denver-Entwicklungsskalen (DES, Flehmig et al, 1973)
1. Screening (Bsp.) Denver-Entwicklungsskalen (DES, Flehmig et al, 1973) Altersbereich: 0 – 6 J. Grobmotorik, Sprache, Feinmotorik-Adaptation, Sozialkontakt Dauer: Durchführung 15 min, Auswertung 1 min Diagnose: „Normal“, „Fraglich“, „Abnorm“ http://entwicklungsdiagnostik.de
2. Allgemeine Entwicklungstests Höherer Untersuchungsaufwand (nach Alter 30-90 min) Differenziertere Darstellung nach Domänen Anlass: Profil-Analyse
2. Allgemeine Entwicklungstests (Beispiel) • Griffith-Entwicklungsskalen (GES, Brandt & Sticker, 2001) • Erfassungsbereiche: Motorik, Persönlich-Sozial, Hören und Sprechen, Auge und Hand, Leistungen • Dauer: Durchführung 30-60 min, Auswertung: 5 min
3. Spezifische Entwicklungstests Sollen umschriebene Leistungsbereiche zuverlässig erfasssen ( bestimmte Entwicklungsbereiche oder Entwicklungsstörungen) Anlass: z.B. Hochrisikogruppe
3. Spezifische Entwicklungstests (Beispiel) • Prüfung optischer Differenzierungsleistungen bei Vierjährigen (POD-4, Sauter, 2001) • Alter: 4,0 – 4,11 Jahre • Entwicklungsstand differenzierter visueller Wahrnehmung, Abklärung Entwicklungsrückstände • basale Fähigkeiten für den Erwerb der Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen) • Erkennen von Raum-Lage-Unterschieden • Unterscheidung von Groß- und Kleindetails • Identifizierung von Reihenfolgen
Intelligenztest (Binet & Simon, 1905) • Frankreich (1904): Sonderschulzuweisung durch • subjektives Lehrerurteil • Ziel: objektives Verfahren zur Erfassung retardierter Kinder • „Échelle métrique d´intelligence“ (1905) • Ziel: Messung intellektueller Fähigkeit statt • Schulleistung • 6 Altersstufen • mit Alter zunhemender Schwierigkeitsgrad • Rechts und links unterscheiden (ab 6 J.) • Rückwärts von 20 bis 0 zählen (ab 8 J.) • Zufällig angeordnete Wörter in sinnvolle Satzreihe • bringen (ab 11 J-) • Konzept: Mentales Entwicklungsalter
Beispiel: 6-Jähriger • Mentales Entwicklungsalter / Intelligenzalter (IA) alle für 6-Jährige 2 für 7-Jährige 1 für 8-Jährige (Grundalter) 6 Jahre + 2 Monate x 2 + 1 Monat x 2 = 6;5 Jahre • tatsächliches Lebensalter (LA) 6 Jahre • Differenzwert D = IA – LA 6;5 Jahre – 6 Jahre = + 5 Monate • Problem: Intelligenzentwicklung verläuft nicht linear
Allgemeine Entwicklungsdiagnostik • Arnold Gesell (ab 1925) • Kognitiver Bereich • Motorisches • Adaptives • Sprachliches • Soziales Verhalten • Entwicklungsnormen für bestimmte Altersstufen • Entwicklungstest (1941) / „Gesell-Skalen“
Allgemeine Entwicklungsdiagnostik Griffith (1950): Stufenleiter „Abilities of babies“ Überarbeitungen: „Griffiths Mental Development Scales“ (dt. Griffiths-Entwicklungsskalen)
Psychometrie 1.Hauptgütekriterien • Objektivität • Reliabilität • Validität 2. Nebengütekriterien • Skalierung • Normierung • Testökonomie • Nützlichkeit • Zumutbarkeit • Unverfälschbarkeit • Fairness
Objektivität • Ein Test ist dann objektiv, wenn er dasjenige Merkmal, das er misst, unabhängig von Testleiter, Testauswerter und von der Ergebnisinterpretation misst (Moosbrugger & Kelava, 2007) • => In der Entwicklungsdiagnostik nicht immer leicht herzustellen, da häufig keine „Testleiterunabhängigkeit“ • Verhalten des Kindes stark abhängig von situativen Bedingungen, Verhaltensreaktionen werden stimuliert
Implikationen: • Durchführungsobjektivität Die Durchführung des Tests sollte für alle Probanden gleich sein. • Auswertungsobjektivität Die Auswertung sollte immer mit den gleichen Mitteln erfolgen. • Interpretationsobjektivität Man muss sich auf festgelegte Regeln beziehen, wenn man Testergebnisse interpretiert. Diese Implikation kann man durch die Interrater-Übereinstimmung überprüfen.
Reliabilität • Ein Test ist dann reliabel (zuverlässig), wenn er das Merkmal, das er misst, exakt, d.h. ohne Messfehler, misst (Moosbrugger & Kelava,2007). • Nach Fissenie, 1990 gelten Reliabilitäten unter .80 als niedrig, von .80 bis .90 als mittel und über .90 als hoch Formen der Reliabilität: • Retestreliabilität • Splithalf-(Testhalbierungs)Reliabilität • Interne Konsistenz • Paralleltestreliabilität
Retestreliabilität • Annahmen: der wahre Wert einer Person verändert sich nicht über zwei Messzeitpunkte und der Messfehlereinfluss bleibt gleich • Retestreliabilät ist hoch, wenn zwei Messungen mit diesem Test zu verschiedenen Messzeitpunkten hoch korrelieren
Paralleltestreliabilität • Zwei Tests bzw. Testhälften sind parallel, wenn sie gleiche wahre Werte sowie gleiche Fehlervarianzen aufweisen. • Die Paralleltestreliabilität eines Testverfahrens ist hoch, wenn zwei parallele Testformen dieses Verfahrens hoch miteinander korrelieren.
Probleme für die Entwicklungsdiagnostik? • Wann ist ein Test wirklich parallel? • Hoher situativer Einflüsse vor allem bei Kindern
Splithalf- (Testhalbierungs-) Reliabilität • Wird gebildet, indem der Test mit verschiedenen Methoden getrennt wird. • Die Korrelation zwischen beider Testhälften ist die Schätzung der Reliabilität des Tests mit einer halben Länge.
Interne Konsistenz und Cronbachs Alpha • Reliabilitätsmaß für einen Skalensummenwert oder Mittelwert ( Cronbachs Alpha) auf der Basis der mittleren Korrelation zwischen Items nach Aufwertung durch die Sperman Brown Formel. • Bei Homogenen Tests sollte Cronbachs Alpha hoch ausfallen.
Faustregel zur Interpretation von Cronbachs Alpha • > 0,9 exzellent • > 0,8 gut • > 0,7akzeptabel • > 0,6 fragwürdig • > 0,5 schlecht • > 0,5 inakzeptabel
Validität0.70 > gute Validität, zwischen 0.50 und 0.69 = mittlere Validität • Inhaltsvalidität: Wie gut spiegelt der Test den definierten Inhaltsbereich wieder? • Konstruktvalidität: ist das Ausmaß, in dem ein Test ein hypothetisches (latentes) Merkmal reflektiert, mit dem sich Personen beschreiben lassen (nach Cronbach & Meehl, 1955). • Kriteriumsvalidität: Ein Test ist valide hinsichtlich eines Kriteriums, wenn der Zusammenhang stark genug ist, um auf der Basis der Testwerte praktisch brauchbare Aussagen hinsichtlich der Ausprägung eines Kriteriums zu machen (Krohne & Hock, 2007). • Sehr wichtig für die Entwicklungsdiagnostik: die prognostische Validität (= Wie gut kann ein Test Vorhersagen treffen) Problem: Prognostische Validität bei Kleinkindern 0 -2 Jahre und großen Messabständen gering
Möglichkeiten zur Entwicklungsprognose Messergebnis wird in eine festgelegte Entwicklungssequenz eingeordnet, oder im Vergleich zur spezifischen Norm betrachtet Wygotski (1987) Zone der nächsten Entwicklung. 1. Status wird bestimmt 2. Welche Zone der nächst höheren Entwicklung kann das Kind unter Anleitung erreichen Prospektive und retrospektive diagnostische Information ( z.B. Depression) Mehrfachmessungen: bei mehr als zwei Messzeitpunkten können auch Geschwindigkeitsparameter geschätzt werden
Nebengütekriterien • Normierung: Unter Normierung (Eichung) eines Tests versteht man das Erstellen eines Bezugssystems, mit dessen Hilfe die Ergebnisse einer Testperson im Vergleich zu den Merkmalsausprägungen anderer Personen eindeutig eingeordnet und interpretiert werden können (Moosbrugger & Kelava, 2007).