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Tabakkonsum im Jugendalter - Hintergründe, Einflussfaktoren und Präventionsstrategien Symposium Rauchfreie Schule Duisburg, 02.11.2006 Dipl.-Psych. Peter Lindinger Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg WHO - Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle www.tabakkontrolle.de.
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Tabakkonsum im Jugendalter - Hintergründe, Einflussfaktoren und Präventionsstrategien Symposium Rauchfreie SchuleDuisburg, 02.11.2006Dipl.-Psych. Peter LindingerDeutsches Krebsforschungszentrum HeidelbergWHO - Kollaborationszentrum für Tabakkontrollewww.tabakkontrolle.de
Scheinbar ist alles prima… • Rückgang der Prävalenz bei Jugendlichen • Rauchfreie Schule als verhältnispräventive Maßnahme • Weit verbreitete und bewährte Präventionsprogramme • Leitfaden zur rauchfreien Schule • Anti-Rauch-Kurs bei Regelverstößen • Zielgruppenspezifische Tabakentwöhnungsangebote • Großes öffentliches Interesse
…doch es gibt Probleme: • Trotz Rückgang Stagnation auf hohem Niveau • Rauchfreie Schule ist nicht überall implementiert • Zunehmende soziale Ungleichheit • Reichweite und Wirksamkeit von Programmen • Offene Schnittstellen • Soziale Norm • Nichtraucherschutz • Rauchprävalenz bei Erwachsenen
Warum gibt es so viele rauchende Jugendliche? • Es gibt viele Probierer • 55% Lebenszeit- Prävalenz von 12 bis 19 • Viele Probierer werden regelmäßige Konsumenten und Raucher • 26% gelegentliche und regelmäßige Raucher • Nichtraucher spielen mit dem Gedanken einzusteigen • 14% • Raucher rauchen gerne und wollen weiterrauchen • 39% • … und irgendwann später auf eigene Faust aufhören • 85% „my way“, Leatherdale & McDonald 2005 • Nur wenige Raucher wollen aufhören • 24% innerhalb der nächsten 30 Tage BZgA 2006
Warum gibt es so viele rauchende Jugendliche? • Raucher berichten von Ausstiegsabsichten, werden aber nicht aktiv • 35% überlegen, in den 6 Monaten aufzuhören • Es werden eigene Ausstiegsversuche unternommen, aber sie führen nicht zum Erfolg • 51% der Raucher haben es im letzten Jahr versucht, zusätzlich noch 15% davor • Geringe Selbstwirksamkeit • 20% trauen sich nicht, 28% trauen sich vielleicht zu, aufhören zu können • Mangelnde Aufklärung • nur 30% (25%; 19%) der rauchenden Jugendlichen (Nichtraucher) sind sehr sicher, dass Rauchen (Passivrauchen) sehr schädlich ist BZgA 2006
Wichtige Einflussfaktoren • Marketing • soziales Lernen • Die hohe Raucherprävalenz bei Erwachsenen begünstigt die Verbreitung des Tabakkonsums bei Kindern und Jugendlichen. • rasche Ausbildung von suchttypischen Konsummustern • Suchtpotenzial von Tabak: Tabakabhängigkeit ist nicht Folge eines kontinuierlichen Konsums, sondern eher eine Ursache
Wichtige Einflussfaktoren Mythos Peers? • Soziale Norm unter Jugendlichen ist eher rauchfrei • 84% der Raucher glauben, dass Freunde/innen es gut fänden, wenn sie aufhören • Nur 3% erwarten Missbilligung • 47% werden von Freunden aufs Rauchen angesprochen • 55% glauben, dass mind. die Hälfte der Freunde/innen gegen das Rauchen sind • Zustimmung für rauchfreie Schulen • 59% der Raucher sind mit Regelungen einverstanden BZgA 2006
Hintergrund Familie und Bildungsnähe… • Besonders gefährdet sind Kinder und Jugendliche, bei denen im Elternhaus geraucht wird • Raucherquote der 12- bis 19-Jährigen liegt bei 15%, wenn keine weiteren Raucher im Haushalt leben, • bei 40%, wenn gleichzeitig mehrere Haushaltsmitglieder rauchen. • In Haupt-, Real- oder Berufsschulen ist der Raucheranteil höher und weist der Freundeskreis von rauchenden Schülern einen höheren Raucheranteil auf als in Gymnasien. BZgA 2006
Gender Häufigkeit des Rauchens Kaum noch Geschlechtsunterschiede Konsummuster Bei Jungen härterer Konsum z.B. filterlose Zigaretten (Courtenay, 1998, 2000; Helfferich, 1995, 1997) Rauchmotive Bei Jungen: Demonstration des Könnens, des Aushaltens und des Muts beim Rauchen vor Erwachsenen sowie Demonstration der Härte gegenüber dem eigenen Körper Bei Mädchen: Rauchen hat den Hauch von etwas „Verruchtem“, ist mit „sexuellen und erotischen Symbolen verknüpft“ (Fromm & Proissl, 1998); Festhalten am Rauchen zur Verhinderung einer Gewichtszunahme medizinische Argumente gegen das Rauchen Bei Jungen: Konditionsverschlechterung Bei Mädchen: Hautalterung; Thrombosegefahr bei gleichzeitiger Einnahme der Pille; Schwierigkeit der Entwöhnung bei Schwangerschaft
Tabakabhängige Jugendliche = Verlust von Autonomie (HONC) • Hast Du schon einmal erfolglos versucht aufzuhören? • Rauchst Du jetzt immer noch, weil das Aufhören so schwer fällt? • Hast Du schon einmal das Gefühle gehabt, von den Zigaretten abhängig zu sein? • Hast Du manchmal richtig starkes Rauchverlangen? • Hast Du schon mal das Gefühl gehabt, dringend eine Zigarette zu brauchen? • Fällt es Dir schwer, an Orten nicht zu rauchen, wo man das eigentlich nicht darf? Wenn Du eine gewisse Zeit nicht geraucht hast oder versucht hast aufzuhören… • fandest Du es schwierig, Dich ohne Zigaretten zu konzentrieren? • warst Du gereizter, weil Du nicht rauchen konntest? • hattest Du dann ein starkes Verlangen oder Bedürfnis zu rauchen? • hast Du dich nervöser, angespannter oder unruhiger gefühlt, weil Du nicht rauchen konntest?
Rauchende Jugendliche – abhängig? • Nach einer aktuellen kanadischen Studie finden sich bereits zweieinhalb Monate nach dem ersten Paffen Anzeichen mentaler Abhängigkeit • Schon nach etwa fünf Monaten wird von suchttypischem „craving“ und körperlicher Abhängigkeit berichtet • Entzugssymptome traten bereits 11 Monate nach dem ersten Paffen auf, wohingegen tägliches Rauchen nach etwa 2 Jahren beobachtet wird. • Dieses tägliche Rauchen beginnt in Deutschland mit durchschnittlich mit 14,8 Jahren.
Prävention: Tabakbezogene Lebenskompetenzprogramme Gut evaluiert, Erfolg versprechend, mit Optimierungspotenzial
Stark im Leben: Hinz, PH Ludwigsburg Umfang Neun Doppelstunden in Klasse 7 und drei Doppelstunden in Klasse 8 Inhalte Orientierung an den in der Suchtprävention bewährten Life Skills Ansätzen; zentrale Elemente: Selbstsicherheitstraining (in Kleingruppen unter Leitung von ausgewählten Schülern), ein Flirttraining (um funktionale Äquivalente für den Tabakkonsum anzubieten) Berücksichtigung des Raucherstatus In 2 von 24 Unterrichtsstunden erhielten Raucher und Nichtraucher unterschiedlichen Unterricht Berücksichtigung des Geschlechts In 3 von 24 Unterrichtsstunden erhielten Jungen und Mädchen unterschiedlichen Unterricht (räumliche Trennung in 2 Unterrichtsstunden) erfolgreich bei Nichtrauchern und Jungen
Wenn Prävention nicht reicht: Formate der Tabakentwöhnung • Wettbewerbe • Selbsthilfeansätze: Internet, Bücher/Broschüren, • Kurzinterventionen in der Grundversorgung (5 As, 5 Rs) • Quitlines: reaktiv, proaktiv • Gruppenprogramme: • mehrere Termine, verhaltenstherapeutisch • einmalig und lösungsorientiert • Individuelle Behandlung
Angebote zur Behandlung von jungen Rauchern: just be smokefree Ausgang: N = 1265, Rücklauf N = 466 (32,9%); davon 408 Aufhörwillige Effektivität: 6 Monate post: 188 gaben an, aufgehört zu haben; im Schnitt seit 144 Tagen Entspricht 14,9% Abstinenzquote (intention-to-treat) 46,1% der Rücklaufe 8,5% nach 12 Monaten Prädiktoren: Alter Geschlecht (? - geringere Rücklaufquote bei m) Tägliches Rauchen Erfolgszuversicht Konsummenge Hanewinkel & Wiborg 2006
Was braucht es, um nachhaltig etwas zu verbessern • Umfassende Tabakkontrollstrategie • Klare und intensivierte Aufklärung (Suchtpotenzial, Passivrauch) • Tabakentwöhnungskampagnen zur Anregung von Ausstiegsversuchen • weil eine Zunahme von Ausstiegsversuchen die jährliche Ausstiegsrate (definiert als das Produkt von Ausstiegsversuchen und Erfolgsrate) in einer Population stärker beeinflusst als eine Steigerung der Erfolgsrate dieser Ausstiegsversuche. • Behandlung der Tabakabhängigkeit als versicherungsfinanzierte Versorgungsleistung
Fazit • Wie Beispiele guter Praxis zeigen, bietet das schulische Setting Möglichkeiten, den Einstieg in den Tabakkonsum zu verhindern und eine beginnende Tabakabhängigkeit zu behandeln. • Zusätzliche Unterstützung ist notwendig und hilfreich: Expertise, gute und schlechte Erfahrungen, Kirchen, Vereine, Kommunen, Local Heros, Kinder- und Jugendärzte etc. • Neben einem guten Zusammenspiel aller Akteure und Gremien bedarf es Maßnahmen auf nationaler Ebene, um die soziale Norm in Bezug auf das Rauchen nachhaltig zu verändern. • Solange Kinder und Jugendliche in Deutschland 20 Millionen „gut gelaunt genießende“ Modelle tagtäglich rauchen sehen, wird Tabakprävention ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, das Schule alleine nicht lösen kann