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Warum Kooperation so gut gemeint und doch so schwer ist?. über Stolpersteine, Fallstricke und wie es manchmal trotzdem klappt mit der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie Praxisreihe HzE des Paritätischen Hamburg 6.1.2009 Prof. Dr. Christian Schrapper.
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Warum Kooperation so gut gemeint und doch so schwer ist? über Stolpersteine, Fallstricke und wie es manchmal trotzdem klappt mit der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie Praxisreihe HzE des Paritätischen Hamburg 6.1.2009 Prof. Dr. Christian Schrapper
Kooperation(lat.) Allg.: Zusammenarbeit, Zusammenwirken. • K. ist eine politische, wirtschaftliche oder soziale Strategie, die auf Zusammenarbeit und Austausch mit anderen basiert und zielgerichtet den (möglichen) eigenen Nutzen auf den Nutzen der K.-Partner abstimmt. Auf der Grundlage gemeinsamer Interessen werden etwa K.-Abkommen zwischen Staaten (z.B. zur wirtschaftlichen, technischen, kulturellen Zusammenarbeit), zwischen Unternehmen (z.B. bei der Entwicklung neuer Technologien) etc. geschlossen. • Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl. Bonn: Dietz 2006.
meine Aspekte • warum Kooperation und Vernetzung nicht nur gut sind … • … und dennoch überlebenswichtig • die K-Worte • von Stolpersteinen und Fallstricken • … aber dennoch?! • wie Zusammenarbeit gelingen kann … • … im „Hamburger Klima der Kooperation“ – der Leitfaden von 2007 • Fragen und Diskussion
warum Kooperation und Vernetzung nicht nur gut sind • aufgeladen mit positiven Erwartungen • in ungewissen Zeiten oft benutze Formel • für Rationalisierung und (Selbst-) Ausbeutung • um Besitzstände anzugreifen und Traditionen zu überwinden • um Konkurrenz zu „tarnen“ • im „wirklichen Leben“ oft ent-täuschend • Kinderschutz • „Frühwarnsysteme“, „Verantwortungsgemeinschaft“, „Kinderschutz geht uns alle an“ • Jugendhilfe und Schule • Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie bzw. Justiz • warum haben Kooperation und Vernetzung trotz allem einen so unzerstörbar „guten Ruf“?
Kooperation zwischen Schulen und Jugendhilfe ? ? 401 junge Menschen in Hilfen zur Erziehung davon 12 in SE-Beschulung 54 Allgemeinbild. Schulen 6 Berufsbild. Schulen 1 Kreis- jugendamt mit insges. 35 Mitarb. 7,5 Sozialpäd. im ASD 2 Jugendpfleger 1.054 hauptberufl. Lehrer/innen 18.120 Schüler/innen Quellen: Schulstatistik Stat. LA 2004/05 Landesbericht HzE RLP 2004
warum Kooperation und Vernetzung dennoch überlebenswichtig sind • Zusammenarbeiten und in Beziehung sein sichert(e) der Spezies Mensch das Überleben in widriger Umwelt • von Kindesbeinen an (Bindung) • in den Familienbande(n) • mit den peers und sonstigen Nachbarn • nur die andere Seite der gleichen Medaille „Überlebensstrategie“: Konkurrenz und Kooperation • der Mensch als „Kosten-Nutzen-Optimierer“: was nützen mir die Anderen?
Was ist Kooperation? • die höchste Stufe der Beziehungsfähigkeit sozialer Systeme: • Ko-existenz (trotz Konkurrenz) • Ko-ordination (statt Subordination) • Ko-operation (in der Balance von Autonomie und Abhängigkeit) • die „eigen-sinnige“ Kooperationslogik von Menschen und Organisationen • besser (weniger) Eigennutz als (mehr) Gemeinnutz • lieber alleine erster als einer unter vielen • besser Reibungsverlust als Funktionsverlust • besser zusammen und beschädigt als unbeschädigt und auseinander • daher: statt nach Kooperationshindernissen und –fehlern nach dem „Sinn im Unsinn“ fragen
Stolpersteine und Fallstricke oder: warum Kooperation eher scheitert als gelingt • … weil Aufgaben und Probleme abgeschoben werden sollen, statt gemeinsam daran zu arbeiten • … weil Vorgaben und Anweisungen gemacht werden, statt arbeitsteilig zu arbeiten • … weil mangelnde Kompetenzen und Mittel verdeckt werden, statt offen gelegt • … weil die Zusammenarbeit sich von selbst erledigen soll, statt die Mehrarbeit ausreichend auszustatten • … weil die Akteure Angst haben, mehr zu geben als nehmen zu können • … weil in der Kooperation das eigene Profil verloren geht • … weil Menschen und Systeme in Krisen zuerst an sich denken und ihrer „archaischen“ Logik folgen • …weil …
aber dennoch: warum ein „bezogenes Arbeiten“ gerade in der Arbeit mit Kindern und Familien so wichtig ist • weil Kinder in ihrer „Welt- und Selbsterkundung“ auf Erwachsene angewiesen sind, die sich produktiv in Beziehung setzen können • weil auch wir Fachmenschen in der Beratungs- und Erziehungsarbeit auf produktive Beziehungserfahrungen angewiesen sind • weil es praktisch und ökonomisch ist
Wie „zusammen arbeiten“ gelingen kann: • Kooperation und Vernetzung brauchen einen gemeinsamen Gegenstand • … müssen sich auf ein Mindestmaß geteilter Überzeugungen und Ziele stützen • … gelingen nur zwischen „Gleichen“ • … muss die „Logik“ des Anderen kennen und respektieren • das Fundament jeder Kooperation/Vernetzung ist Vertrauen – das erst in der Kooperation wachsen kann • Kooperation/Vernetzung muss sich für beide Seiten lohnen: mehr „bringen“, als sie kosten • Kooperation/Vernetzung sind immer personenabhängig – aber sie brauchen Strukturen und Verfahren, die Personen entlasten und schützen
Ein Klima der Kooperation fördern … Der Hamburger Handlungsleitfaden für eine gelingende Kooperation zwischen Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie von 2007 • komplexe Hilfebedarfe und die Bewältigung akuter Krisen erfordern systemübergreifende Hilfen • rechtzeitige, qualifizierte und verbindliche Zusammenarbeit ermöglicht eine an den Hilfebedarfen orientiertes Angebot zu entwickeln • gegenseitige Erwartungen: • JH: nicht bevormundet werden • KJP: nicht für Abschiebung benutzt werden • Leitprinzipien: • Verbindlichkeit und Eindeutigkeit von Rollen und Verantwortlichkeiten • Anerkennung der fachlichen Autonomie und kollegialer Dialog • Mitwirkung von Eltern, Kindern und Jugendlichen
Handlungsempfehlungen: • Hamburger Kooperationskonferenz • regionale und institutionsbezogene Kooperationsvereinbarungen • Übergänge gestalten • Fallverantwortung und Fallkonferenzen • Verfahren für Konfliktfälle • Fortbildung und Erfahrungsaustausch • Evaluation und Bewertung des Erfolges der Kooperation
Gibt es vergleichbare Kooperationsvereinbarungen zwischen der Jugendhilfe und den Zahnärzten? • nein, obwohl die Berührungspunkte für positive kindliche Entwicklung erheblich sind, aber u.a.: • die medizinische Behandlung wird (meist) unmittelbar erfolgreich erlebt; • ärztlich Anweisungskompetenz sind auch für alltägliche Pflegehinweise unbestritten; • und beides stellt nicht die institutionelle und persönliche Kompetenz der Pädagogen für Erziehung und Versorgung in Frage • Zuständigkeit, Kompetenz und Vermögen der Zahnärzte sind eindeutig und abgegrenzt
Was kann die JH, was die KJP nicht kann und umgekehrt? • JH und KJP sind historisch entstanden als „Stiefgeschwister“ mit gleichem Vater (Staat) und ungleichen Müttern (Medizin und Sozialpädagogik) • haben geschlossene Systeme ausgebildet mit deutlich unterschiedlichen Referenzen (Sprache, Ausbildung, Habitus, Bezugswissenschaften, Finanzierung, Organisationsform, etc) • erfüllen gesellschaftlich ähnliche Funktionserwartungen, aber mit unterschiedlichen Bewertungen: Sicherung und ggf. Wiederherstellung von Normalität für Individuum und Gesellschaft, • krank => gesund • unerzogen => erzogen
Was kann die Kinder- und Jugendhilfe?Junge Menschen unterstützen, sich zu bilden und Eltern unterstützen, ihre Kinder zu erziehen • Erziehung meint solche Prozesse, die Menschen dazu befähigen, aus freien Stücken das zu tun, was andere von ihnen erwarten – oder auch nicht. • Erziehung als menschliche Tätigkeit meint: • die absichtsvolle und zielgerichtete Anregung und Ermöglichung • der Aneignung von Wissen und Haltungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, • Kinder sind darauf angewiesen, sich aneignen zu können, was sie zum Über-Leben brauchen. • Erziehung, elterliche ebenso wie professionelle, findet sich immer in der Spannung von anregender Unterstützung und korrigierender Begrenzung zu den Selbstbildungs- bemühungen der Kinder.
Was kann die Kinder- und Jugendhilfe, wenn es schwierig“ wird? (2) • ob gelernte (Über-)Lebensstrategien schwierig werden, ist von Kontext, Situation und Personen abhängig • pädagogisch können kritische, gefährliche oder belastende Handlungen und Haltungen von Kindern nur über ihre Funktion verstanden werden • erst wenn die Funktion einer (Über-) Lebensstrategie verstanden werden kann, können alternative Strategien entwickelt, erprobt und angeeignet werden. • Erziehung muss Kindern immer wieder Angebote zum Um- und Neulernen für sie erfolgreicher und sozial respektierter Überlebensstrategien machen. • Für ihre originär (sozial-)pädagogischen Aufgaben braucht die Kinder- und Jugendhilfe ein eigenständiges sozialpädagogisches Verstehenskonzept (Diagnostik)
Wie kann sozialpädagogisch beurteilt werden, ob „die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist oder Beeinträchtigung droht“? • Teilhabe erfordert Kenntnis und (teilweise) Anerkennung der Regeln der Gemeinschaft. • Teilhabe ist eine aktive Gestaltung der Spannung von Zugehörigkeit (Sozialität) und Freiheit (Autonomie). • „Teilhabe am Leben der Gemeinschaft“ ist für Menschen überlebensnotwendig. • Teilhabe ermöglicht erst die Entwicklung von Selbstbild (Identität) und Dialogfähigkeit (Kommunikation) und setzt sie gleichzeitig voraus . • Erleben Menschen ihre Teilhabe (bei Kindern: Versorgung, Zuwendung, Liebe) bedroht, entwickeln sie Erklärungen (Selbst-und Weltbilder) und Handlungsmuster (Strategien), die Teilhabe wieder ermöglichen sollen. • Nur über das Verstehen solcher Bilder und Strategien kann sozialpädagogisch die „Beeinträchtigung von Teilhabe“ erschlossen und beurteilt werden … • … und können pädagogische Angebote entwickelt werden, dem jungen Menschen Teilhabe produktiv zu ermöglichen. • für eine gut abgegrenzte Zusammenarbeit mit der Jugendpsychiatrie heißt dies für die Jugendhilfe vor allem: Kindern mit psychischen Erkrankungen Orte und Beziehungen anzubieten, in denen sich diese als normal erleben und erfolgreich Welt aneignen (= bilden) können.