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5. Das Lukasevangelium. Eine befreiungstheologische Annäherung. Grundproblem: Weichzeichnung.
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5. Das Lukasevangelium Eine befreiungstheologische Annäherung
Grundproblem: Weichzeichnung • Das Lukasevangelium, dessen Adressaten primär hellenistische Städterinnen und Städter mit nicht jüdischen Wurzeln sind, zeichnet Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger gleichsam in die Verhältnisse seiner Empfängergemeinden ein. Dabei „verharmlost“ er in politischer und sozialpolitischer Hinsicht gelegentlich den Anspruch des Mannes aus Nazareth. Darum muss man/frau manchmal Lukas gegen Lukas lesen!
Hervorstechendes • Lk schreibt ein Doppelwerk: Evangelium und Apostelgeschichte und eignet es einem Empfähger zu (Theophilus) • Lk ist damit der erste „Kirchengeschichtler“ • Lk beschäftigt der Gegensatz arm/reich mehr als die anderen Evangelisten • Lk erwähnt auffallend oft den Heiligen Geist • Lk zeigt Jesus häufiger in Gesellschaft von Frauen und nennt diese z.T. namentlich
Lukas als ….. • Evangelium der Armen • Evangelium der Reichen • Evangelium der Frauen • Evangelium der Marginalisierten überhaupt • Evangelium des Heiligen Geistes
Frauengestalten • Nehmen bei Lukas mehr Raum ein • Werden einerseits als emanzipierte und befreite Frauen geschildert • Treten anderseits in traditionellen Rollen auf, aus denen sie sich zu Zeiten Jesu befreit hatten • Ambivalenz zwischen Frauenfreundlich- und Frauenfeindlichkeit
Namentlich bzw. nur bei Lk erwähnte Frauen • Elisabeth, Maria, Hanna • Maria fasst das ganze Evangelium in einem Prolog zusammen (Magnifikat Lk 1,46ff) • Schwiegermutter des Petrus • Maria und Marta (Lk 10,38 ff) • Witwe von Nain • Blutende Frau
… und weitere • Tochter des Jairus • Gekrümmte Frau • Die die Drachme Suchende • Hartnäckige Witwe • Arme Weitwe • Frauen bei Kreuz, bei Grablegung und leerem Grab • Magd, die Petrus erkennt
Zweierlei Weisen von Nachfolge • Männer werden primär berufen und dienen sekundär Jesus • Frauen dienen primär den Jesusleuten und folgen ihnen sekundär nach
Weitere Spuren von Frauen … • Frauen sind, wo nicht ausdrücklich erwähnt, oft mit gemeint • Griechisch „adelphoi“ (Brüder) schliesst Schwestern mit ein (darum heute besser als „Geschwister“ übersetzen) • Griechisch „mathetai“ (Jünger) schliesst Jüngerinnen mit ein (heute mit „Jüngerinnen und Jünger“ übersetzen) • Lk 8,1 ff: Neben den Zwölfen waren einige Frauen mit ihm: Maria aus Magdala, Susanne, Johanna und andere, welche ihm dienten mit dem, was sie besassen ...
Apostel … • Wird von Lk im Evangelium nicht konsequent auf die Zwölf eingeschränkt, sondern auch für grösseren Kreis von Jüngerinnen und Jüngern verwendet • Lk grenzt „apostoloi“ erst in Apg. auf die Zwölf ein • Lk setzt beim letzten Mahl (Lk 22) ausdrücklich die „mathetai“ voraus, also Frauen und Männer
Frauen in den Gemeinden des Lukasevangeliums Synchrone Bibellektüre nimmt die unterschiedlichen Lebenszusammenhänge nicht ernst, in denen Frauen A) zu Zeiten Jesu B) zu Zeiten des Urchristentums C) zu heutigen Zeiten leben
Galiläische Jesusbewegung um 30 u.Z. • Die Jüngerinnen und Jünger Jesu stammten mehr oder weniger alle aus ärmlichen Verhältnissen • Unterschiede arm-reich, Mann-Frau etc. angesichts des nahen Gottesreiches unwichtig • Die Sorge war die um das tägliche Brot
Hellenistische Stadtgemeinden um 80 u.Z. • Es gibt Arme und Reiche • Reiche Frauen sind relativ unabhängig und eigenständig • Wohlhabende Frauen spielen bedeutende rolle im öffentlichen Leben, sind aber politisch nicht aktiv • Arme Frauen oder Sklavinnen werden kaum wahrgenommen • Lk verbindet die „Erinnerungen“ an Frauen um Jesus in seinem Evangelium mit der Lebenswirklichkeit seiner Empfängergemeinden
Zwei Ebenen bereits im Evangelium • Die Erinnerung an die (zumeist) armen Frauen um Jesus vermischt sich mit der höchst unterschiedlichen Wirklichkeit der Frauen in den hellenistischen Stadtgemeinden des Lukas • Einige der von Lk gezeichneten Frauengestalten sind also „Typen“ aus den Gemeinden: Reiche Frauen, die ihre Häuser zur Verfügung stellen oder die Jünger mit ihrem Vermögen unterstützen; die Sünderin, die Jesus (7,36) die Füsse salbt, verarmte Witwen usw.
Sitz im Leben • Auch hier stellt sich also bei jeder Geschichte immer die „Frage nach dem Sitz im Leben“, der oft weniger in der Zeit Jesu als mehr in den Tagen von Lukas zu suchen ist • Wir werden also bei der Lektüre des Evangeliums eher in die Zeiten und an die Orte seines Entstehens verwiesen als in die Tage des Mannes aus Nazareth
Ideale Jüngerinnen • Maria, die Mutter Jesus, als vorbildlich Glaubende, die auch in der Geburtsstunde der Kirche (Apg. 1,14) gegenwärtig ist • Lk verändert den Konflikt zwischen Jesus und seiner Mutter bzw. Familie in Mk 3, und beschreibt eine völlig andere Beziehung (Weichzeichnung) • Marta und Maria haben in den Gemeinden einen gleichberechtigten Platz: die Tätige und die Hörende als zwei Typen, nicht gegeneinander ausgespielt
Gleichberechtigung von Männern und Frauen • Ja – als Gleichberechtigung im Glauben • Nein – als Gleichberechtigung im Gemeindeleben • Hier ist Lukas determiniert durch seine Zeit und seine Umwelt • Waren die Jesusleute noch eine „Nachfolgegemeinschaft von Gleichgestellten“, gab es in den Lk-Gemeinden klare Rollenverteilungen
Zusammenfassung • Den Frauen kommt im Lukasevangelium eine spezielle Aufgabe zu. Sie sind dazu da, Jesus zu bedienen, zu umsorgen, zu unterstützen, aufzunehmen. Ansonsten sind die Frauen, denen Jesus „begegnet“, eher passiv und auf seine Hilfe angewiesen. • Lukas erweist sich nicht nur in politischer (Römer), sondern auch in sozialpolitischer Hinsicht gelegentlich als „Weichzeichner“ der ursprünglichen harten Botschaft Jesu (Anpassung)
Tipps für die Lektüre von Lk und Apg • Frauen auch dort sichtbar machen, wo sie nicht ausdrücklich genannt werden • Hochschätzung Marias als Mutter Jesu und anderer vorbildlicher und unabhängiger Frauen für die heutige kirchliche Praxis nutzen • Lukas manchmal „gegen Lukas lesen“, d.h. die oft zugeschüttete emanzipatorische Kraft einer Geschichte wieder frei legen: Wo Frauen nur mit gemeint sind oder zurück gestuft werden, wird Lk dem Anspruch Jesu nicht gerecht
6. Christusmystik für bedrängte gemeinden Das Johannesevangelium
Während „Petrus“ das institutionelle Moment der Kirche verkörpert und „Paulus“ das intellektuelle, steht „Johannes“ für die mystische Dimension des Glaubens Petrus (Mt 16,16) garantiert fortan die Instution (Petersdom), Paulus die rechte Lehre (Protestantismus) und Johannes wird zur Leitfigur von Christ/-innen im Rande ihrer Kirchen (Mystik): Der Geist weht, wo er will!
Eigenarten des Johannesevangeliums • Starke Unterscheidung von den Synoptikern • Statt vieler kurzer Geschichten und Worte lange Gespräche, Reden und Gebete, welche um ein Thema kreisen • Christus spricht in symolischen Wendungen von seiner Sendung als Sohn Gottes, z.B. in den „Ich-Bin-Worten“
Anspruch auf Ausschliesslichkeit • Joh 14,6: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater ausser durch mich!“ • Aus dem mit der Erde und dem Judentum tief verbundenen Rabbi aus Nazareth wird bei Johannes der gleichsam über der Erde schwebende Christus, der von allem Anfang um seine Sendung weiss und schliesslich auch heroisch stirbt
Vergleich Lk - Joh • Lukas domestiziert Jesus in der hellenistischen Stadt • Johannes stellt Jesus in kosmische Zusammenhänge und verklärt ihn als ewigen Logos, der Fleisch wird • Lukas hellenisiert den Juden Jesus, Johannes vergöttlicht ihn
Drama statt Historizität • Jesus geht einen dramatischen und konfliktreichen Weg zum Vater, von dem er als fleischgewordener Logos (Kap. 1) stammt, dessen Weltliebe er (2,12) bezeugt und zu dem er zurückkehrt (13-20). Auf diesem Weg bricht das göttliche Licht in die Finsternis ein, wird aber von dieser abgelehnt (1,5). Historisches wird der Dramatik untergeordnet (3 x Jerusalem).
Abermals: Sitz im Leben • Noch mehr als bei den Synoptikern spielt im johannäischen Schrifttum der Sitz im Leben eine zentrale Rolle. • Wer Joh verstehen will, muss eine Vorstellen von den Verhältnissen in den Gemeinden, für die das Johannesevangelium geschrieben wurde
Harte Konflikte überall • Der Dualismus, der für Joh charakteristisch ist, entspricht der Lebenswirklichkeit der Empfängergemeinden, die einerseits von Seiten des Staates und anderseits von Seiten der jüdischen Gemeinden bedrängt sind • Der durchgängige Gegensatz zwischen Jesus und „den Juden“ widerspiegelt den Konflikt zwischen den (abgefallenen) Christen und den (Tora treuen) Juden vor Ort und zeichnet einen mehrheitlich un-jüdischen Jesus
Dualismen • Jesus – Juden • Jüngerschaft – Welt • Licht – Finsternis • Söhne des Lichts – Söhne der Dunkelheit • Von oben – von unten • Wasser, das Durst nicht löscht – Wasser, das Durst in Ewigkeit stillt • Wahrheit - Lüge
Antisemitismus • Im Johannesevangelium finden sich Sätze mit einer grauenvollen Wirkungsgeschichte, z.B.: „Ihr (die Juden) habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, was euer Vater verlangt. Er war ein Mörder von Anfang an und steht nicht in der Wahrheit. Mir glaubt ihr nicht, weil ich die Wahrheit sage.“ (8,44 ff)
Spaltung • Jesus spaltet nicht nur zwischen Jüngern und Welt • Jesus spaltet gelegentlich auch die eigenen Jünger (6,60): „Sie murren und ziehen sich zurück.“ • Der johannäische Jesus ruft fortwährend in die Entscheidung
Die bedrängte Gemeinde • Johannes schreibt sein Evangelium für eine Gemeinde in einem Gebiet des Imperiums, in dem ein grosser Teil der Bevölkerung jüdisch war und das Leben – noch der Tempelzerstörung – streng nach der Tora führen musste. Damit verbunden war eine Abgrenzung von den Messias gläubigen Christen, auch aus politischen Gründen, denn die Christen standen im Verdacht, Aufrührer gegen Rom zu sein.
Zwischen Hammer und Ambos • Die Johannesgemeinden lebten zwischen dem Hammer ihrer Tora gebundenen jüdischen Geschwister und dem Ambos der römischen Soldateska • Dagegen führten sie gleichsam einen Zweifrontenkrieg und mussten ihre eigene christliche Identität bewahren
Die grosse Versuchung • Abfall vom jungen Christentum und Rückkehr in den Schoss des Judentums, wo man – im Arrangement mit der Staatsmacht – besser leben kann als in der bedrängten kleinen Herde • Rückkehr in die Synagoge, aus der man ausgeschlossen wurde • Konzessionen an die römische Staatsmacht („Welt“), Laxheit, Glaubensabfall ….
Leben als Christ-/in bedeutete • Gesellschaftliche Marginalisierung • Wirtschaftlicher Boykott • „Nikodemus“ (Joh 3,1) ist der Typ des Christen, der nur im Verborgenen den Glauben lebt (nachts), am Tage aber Jude ist mit allen Vorteilen • Zwischen Stühle und Bänke fallen • Gemeinde fühlt sich von der jüdischen Obrigkeit („den Juden“) und den herrschenden Verhältnissen („der Welt“) bedroht
Einziger Ausweg • Besinnung auf Christus als Weg, Wahrheit und Leben • Bruch mit „Juden“ (die keine Gotteskinder sind) und mit „Welt“, die einem in Versuchung bringt • Joh ist – mehr als die Synopitker – Zeit gebunden und darum bedürftig der kritischen Auslegung
Trost der Ausgegrenzten • Die Ausgegrenzten erfahren ihren Trost in der fortwährenden Chrstusmeditation, welche dessen Geheimnis umkreist und immer tiefer in es eindringt • Sprache der Liebe • Joh ist eine fortwährende Liebeserklärung an den Vater, der sich in seinem Sohn offenbart, und an den Sohn als ewigen Logos
Parteiisch und exklusiv • Wer verliebt ist, setzt alles auf eine Karte, denkt im Schema von Entweder-Oder und verliert sich an das Objekt seiner Liebe total
Liebessprache im der Bildrede vom Weinstock und der Rebe • Wer in Christus ist, ist mit ihm in Ewigkeit symbiotisch verbunden, wie die Trauben verbunden sind mit dem Weinstock. • Lektüre von Joh 15!
Hingabe • Es gibt keine grössere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freundinnen und Freunde hingibt! (Joh 15,13)
Gemeinschaftliche und widerständige Mystik • In der Johannesgemeinde soll man an den Namen Seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie er die Menschen geliebt hat und es Seinem Gebot entspricht (1. Joh 3,16) • Orthopraxis statt Orthodoxie • Gemeinde als „Chavura“, als Freundeskreis ohne erkennbare Hierarchie und Ordnung
Frauen bekennen Jesus als Messias • Marta in Joh 11 (lange vor Petrus in den Synoptikern) • Die Frau am Brunnen in Joh 4 • Maria Magdalena begegnet (Kap 20) dem Auferstandenen zuerst und wird seine Botin
Der Jünger, den Jesus liebte • Liegt an der Seite Jesu (13,23) • Steht mit Maria unter dem Kreuz und übernimmt Jesu Verantwortung für sie (19,25) • Ist im Wettlauf zum Grab der erste der Jünger (20) • Jüngerschaft erweist sich in der engen Verbundenheit = relational • Verfasser von Joh - ???????????
Verfasserschaft • Weniger eine Einzelperson als eher eine ganze „Schule“ oder ein „Kreis“ • Joh und die Joh Briefe und die Apokalypse gingen durch verschiedene Hände, bevor sie am die Wende zum 2. Jahrhundert ihre endgültige Gestalt annahmen
Aktualität • Keine Ämter • Keine Hierarchien • Vorbild für Freikirchen • Bei Joh begegenen wir einer Kirche, die nicht in erster Linie Struktur, Hierarchie und Amt ist, sondern eine Freundeskreis, eine Gemeinschaft von Geschwistern, die von einem neuen Gebot (Liebe: 13,34) beseelt sind und einander liebevoll über die nächste Runde helfen und einander in der Hoffnung unterstützen und so der Welt bezeugen, dass Gott die Liebe ist (1. Joh 4,8)