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Klimawandel als Apokalypse. Ein Streifzug durch Spielfilme und TV-Movies. Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher Institut für Medien und Kommunikation. Inhalt des Vortrag. Rolle fiktionaler Welterklärung in den Medien Einfluss apokalyptischer Handlungs- und Bildmotive Das Genre des Katastrophenfilms
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Klimawandel als Apokalypse.Ein Streifzug durch Spielfilme und TV-Movies Prof. Dr. Joan Kristin BleicherInstitut für Medien und Kommunikation
Inhalt des Vortrag • Rolle fiktionaler Welterklärung in den Medien • Einfluss apokalyptischer Handlungs- und Bildmotive • Das Genre des Katastrophenfilms • Klimawandel im KatastrophenfilmThe Last Wave (1977)The Day After Tomorrow (2004) • Das Genre des Katastrophenfilms im TV Movie
Welterklärung via Fiktion? Fiktion als etablierte kulturelle Ausdrucksform: • Genres als thematische und formale Spezialisierung innerhalb fiktionaler Vermittlungsformen • Veranschaulichung von Wissensbeständen • Verdichtung von Phänomenen auf beispielhafte Erzählungen • Kausalstruktur der Handlung • Personalisierung von Ursachen und Wirkung • Moralische Implikationen: Du musst dein Leben ändern
Funktionspotenziale und Probleme • Komplexitätsreduktion durch personen-gebundene Kausalkonstruktion • Erlebnisoptimierung / Emtionalisierung • Fakten als Kulisse der Fiktion • Fakten als Authentisierung der Fiktion • Verzicht auf Kontextinformation • Verzicht auf Darstellung komplexer ökonomischer und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge
Überblick: Fiktion in den Medien Alle Massenmedien enthalten fiktionale Angebote • Zeitungsromane als Form des seriellen Erzählens in Printmedien • Radio-Hörspiele als akustisches Theater • Thematische und erlebnisorientierte Ausdifferenzierung der Erzählformen im Kino • Ausdifferenzierung der Erzählperspektiven: Fernsehen als Fenster zur Welt und Fenster in die Privatwohnungen • Das Internet ermöglicht Produktion und Verbreitung intermedialer fiktionaler Angebote
Fakten und Fiktion in der frühen Mediengeschichte • Im 7. Jahrhundert v. Chr. vermitteln Rhapsodenals Vortragskünstler vor einem Publikum Informationen von Naturereignissen oder kriegerischen Konflikten (Prokop) • Hybridisierung von Unterhaltung und Information • Rhapsoden sind Vorbilder der späteren Bänkelsänger
Wirkungsdimensionen:Traditionslinie der Angst-Bilder • Bereits im 16. Jhdt. ist eine Instrumentalisierung visueller Medien erkennbar • Die Laterna Magica wurde von katholischen Priestern eingesetzt, um mit Teufels- und Dämonendarstellungen die Angst der Menschen zu schüren und sie zum Glauben zu motivieren (Prokop 2001, 115) Laterna Magica
Darstellung des Klimawandels im populären Film • Die Darstellung des Klimawandels schließt an kulturhistorische Traditionslinien an • Dazu zählen visuelle Strategien der Angsterzeugung • Dramaturgien der Spannungssteigerung • Dramaturgien der Emotionalisierung • Motive der Apokalypse
Motive: Apokalypse • Visuelle Darstellungen des Klimawandels schließen an kulturhistorische Kontexte an • Katastrophen wurden in der christlichen Kulturtradition mit Weltuntergangsvisionen verknüpft • Göttliches Planen und Handeln bildet den sinnhaften Gegenentwurf zur Kontingenz der Ereignisse • Diese kulturhistorischen Motive und Ausdrucksformen wurden in die mediale Vermittlung integriert
Weltuntergänge im Film • Apokalypse als religiöse Vorstellung wird als Vorlage für Filmmotive verwendet • Visuell eindrückliche Visionen des Weltuntergangs • Filmische Abkehr von religiösen Erklärungsmustern (Strafe Gottes) • Kritik an ökonomisch ausgerichteten Werten • Personalisierung von Ursachen • Bevorzugtes Filmgenre apokalyptischer Darstellungen: Der Katastrophenfilm
Kino der Effekte • Im Kino der Effekte tritt eine Kette visueller Höhepunkte an die Stelle narrativer Zusammenhänge • Visuelle Attraktionen der Special Effects • Dazu zählen die Katastrophenfilme ("Erdbeben", "Der weiße Hai") • Schicksalhafte Ereignisse und persönliche Verantwortung ersetzen komplexe Erklärungsmuster von Ursache und Wirkung
Der Katastrophenfilm Genrekonventionen
Der Katastrophenfilm • Wachsende Bedeutung des Genres Katastrophenfilm im US-Kino seit den 1970er Jahren • Schwerpunkt Naturkatastrophen und technisch basierte Unglücke (Flugzeugabstürze) • Wirkungsvolle Kombinationen aus Katastrophen, Action, Erotik und Melodram • Blockbuster Filme des New Hollywood als Reaktion der Studios auf sinkende Kino-Besucherzahlen • Strategie der Adressierung eines jungen Zielpublikums
Höllenfahrt der Poseidon • Erster Katastrophenfilm in den frühen 1970er Jahren • Riesenwelle bringt ein Schiff zum Kentern • Eine Gruppe kämpft ums Überleben • Die nasse Kleidung der Frauen sorgt für die nötige Erotik
Charakteristika des Katastrophenfilms • Ungehörte Warner • Helden wider willen • Skrupellose Geschäftsleute oder Politiker als Antihelden • Fernsehnachrichten und Live-Übertragungen als Realitätspartikel in der Fiktion • Steigerung der Realitätseffekte durch wieder erkennbare Lokalisierung • Pseudowissenschaft z.B. mit Computern, technischen Geräten, Zahlen und Simulationen • Aufwändige Special Effects • Integration apokalyptischer Motive
Handlungsorte der Katastrophenfilme • „Vor allem die belebten Symbole des modernen Amerikas sahen sich hier ihrer Zerstörung ausgesetzt, um jene, die von und in ihnen lebten, vor neue Herausforderungen zu stellen: Flugzeuge waren es in der Airport-Serie (1970-1980), in Earthquake (Erdbeben, 1974) brach die Metropole L.A. zusammen, der höchste Wolkenkratzer der Welt geriet in The Towering Inferno (Flammendes Inferno, USA 1974) in Brand.“ (Jan Diestelmeyer 2006)
Gesellschaftskritische Dimensionen • Katastrophenfilme bewegen sich im Spannungsfeld zwischen populärem Erzählen und Gesellschaftskritik • Georg Seeßlen betont, dass im Genre des Katastrophenfilms gesellschaftliche Missstände und die Schwächen technischer Systeme aufgedeckt werden (Seeßlen 2001, 26) • Der Katastrophenfilm stelle das Vertrauen in den Staat und in gesellschaftliche Institutionen in Frage (Ebenda)
Klimawandel im Katastrophenfilm Zwischen Apokalypse und Wissenschaft
„The Last Wave“ als Vision der Apokalypse • Peter Weir zeichnete 1977 in „The Last Wave“ eine filmische mystische Vision der Apokalypse • Kontrastive Darstellung: Stadt – Land, Zivilisation – Naturvolk, Weiß – Schwarz, Hell - Dunkel • Regen und Hagel als visuelle Vorboten • Die Welt wird von einer riesigen Flutwelle bedroht • In der Kultur der Aborigines ist die Vision dieser Welle fest verankert • Rechtsanwalt David Burton empfängt diese Visionen als zweites Gesicht • Visionäres und mystisches Naturwissen tritt an die Stelle naturwissenschaftlicher Erklärungen • Fantasy statt Science als Wirkungsdimension
Die Welle als Kollektivsymbol Bedeutungsfelder: • Sintflut als Bildquelle • Absolute Vernichtung des Lebens • Wir werden überrollt • Ordnungen werden zerstört • Veränderung lässt sich nicht mehr aufhalten
Weltuntergang durch Klimawandel „Weltuntergang – Das Gewitterinferno“ (Kanada 2003) • Kombination aus Katastrophen- und Familienfilm • Ökologische Katastrophe und ihre Folgen trifft auf Beziehungs- und Eltern-Kind-Konflikte • Faktenwissen wird durch Statements von Wissenschaftlern vermittelt • Wissenschaftliche Strategien stehen im Konflikt mit politischen Entscheidungen und militärischen Befehle • Nach der Rettung der Welt bleibt am Ende die wiederhergestellt glückliche „heilige“ Familie zurück
Handlungsmuster des Katastrophenfilms • Stereotype Handlungsmuster:- Vorstellung einer Gruppe von Personen (Empathie-Konstruktion)- Nur einzelne Menschen sehen die Zeichen der sich ankündigenden Katastrophe- Niemand glaubt ihren Warnungen- Erste Anzeichen für die Katastrophe treten ein- Die Katastrophe steigert sich schrittweise- Die Gruppe von Personen kämpft um ihre Rettung- Einzelne treten als Helden hervor- Nur wenigen gelingt es zu Überleben
Regisseur: Roland Emmerich • Schwerpunkt Blockbuster mit aufwändigen Special Effects • „The Day After Tomorrow“= „Independence Day“-Aliens • Produktionskosten 100 Millionen $ • Komplexitätsreduktion Wetter=Klima
Roland Emmerich: The Day After Tomorrow • Roland Emmerich thematisierte 2004 die Klima-erwärmung in seinem Katastrophenfilm „The Day After Tomorrow“ • Er orientiert sich an zentralen Charakteristika des Genres: - Kleine Ereignisse kündigen die Katastrophe an- Welle und Eis als Bildmotive der Zerstörung- Wissenschaftler, dessen Warnungen ungehört bleiben - die kleine Gruppe von Überlebenden, die um Rettung kämpft • Als Vorlage für das Drehbuch dienten Romane wie: Art Bell; Whitley Strieber: The Coming Global Superstorm
Erzählweise von „The Day After Tomorrow“ • Drei Akt-Dramaturgie: Ankündigung der Katastrophe – Steigerung der Katastrophe – Ende der Katastrophe • Wechselwirkungen dokumentarischer und narrativer Vermittlungsformen • Vielfalt der Erzählperspektiven Globale Perspektive: Astronauten beobachten den Sturm aus dem WeltallSubjektive Perspektive: Sam wird Augenzeuge der Überflutung und Vereisung Manhattans • Special Effects veranschaulichen die Folgen der Klimaerwärmung • Vielfalt der Handlungsorte signalisiert die globale Ausweitung der Ereignisse • Gezielte Emotionalisierung der Zuschauer • Gezielter Spannungsaufbau
Konfliktkonstellationen • Polare Konfliktstrukturen dominieren • Wissenschaft - Politik • Vater - Sohn • Ehemann – Ehefrau • Reich – Arm • Erste – Dritte Welt • Natur - Technik
System der Warnungen • Wissenschaftliche Prognosen lassen den Untergang zeitlich immer näher rücken • Mediale Prognosen: Fernsehberichte zeigen die globale Ausweitung der Katastrophe • Mystische Warnungen: Ein Obdachloser prognostiziert den Untergang • Warnungen der Natur: Hagel in Neu DelhiDie Vögel verlassen NYCTornados zerstören Los Angeles
Special Effects der Katastrophe Die Welle als Bildmotiv der Klima-Katastrophe
Wissenschaft versus Moral • Action und Reflexion wechseln • Die Klimakatastrophe und ihre Folgen werden immer wieder erläutert:- Auf Tagungen- In Krisensitzungen- In Dialogen der Wissenschaftler • Nach der Katastrophe erfolgt eine moralische Ansprache des Präsidenten:Man habe gedacht Ressourcen ohne Folgen ausbeuten zu können. Man habe sich geirrt. „Ich habe mich geirrt.“
Emotionalisierung • Vielschichtige Emotionalisierungsstrategien sichern die Wirkung der personalisierten Erzählweise: • Mutter bangt um ihren Sohn • Vater bereut die Vernachlässigung seines Sohnes • Kleiner, krebskranker Junge, der auf Rettung wartet • Wissenschaftler opfert sich selbst, um das Überleben seiner Kollegen zu sichern • Der Sohn verliebt sich • Er versucht seiner Freundin das Leben zu retten • Obdachloser versucht seinen Hund zu retten
Authentisierung • Film als Simulation möglicher Ereignisse • Authentisierung durch Medienberichterstattung • Authentisierung durch Technik und Zahlen • Authentisierung durch Experten-Statements • Authentisierung durch Augenzeugen
Moralische Botschaften Nächtlicher Dialog zweier Wissenschaftler • „Was soll aus uns werden? • Entscheidend ist, das wir aus unseren Fehlern lernen. Ich würde aus meinen gerne lernen“ • Weitere Dialoge beinhalten Reflexionen über Herkunft und Zukunft der Zivilisation • Die konservative Moral bleibt abstrakt und wird nicht direkt auf den Klimawandel bezogen
Klimawandel im Animationsfilm • Perspektivwechsel im Animationsfilm • Klimawandel aus der Perspektive betroffener Tiere • Klimawandel wird zum Auslöser fiktionaler Konflikte • Identifikation erhöht die Betroffenheit • Musik und Animation als Comic Relief
Klimawandel im Katastrophenfilm • Klimawandel bleibt ein Naturereignis • Dargestellt werden die Folgen, nicht die Ursachen • Verzicht auf die Dimensionen Information und Aufklärung • In Einzelfällen: Verlagerung der Kritik auf Institutionen und ihre Vertreter
Was sind TV Movies? • Als TV Movies werden eigenproduzierte Filme der kommerziellen Sendeanstalten bezeichnet • Die Ursprünge dieser Filme liegen in den Made-For-TV-Movies in den USA • Made-for-TV-Movies als „Geheimrezept“ amerikanischer Sendeanstalten: • um gegen die Vielzahl gleichartiger Serienangebote Quoten zu erzielen und • durch Programmereignisse das eigene Senderimage zu fördern.
Das TV Movie-Genrespektrum • Bio-Pics/History-Pics: („Wambo“, „Der Fall Vera Brühne“ „Die Sturmflut“) • Schlagzeilenfilme ("Der Amokläufer von Euskirchen" „Der Kindermord“) • Krankheit der Woche („Schlag weiter kleines Kinderherz“) • Mamifilme („Mami, ich will nicht sterben“) • Women in Despair ("Vergewaltigt und andere Lügen" „Tödliche Hochzeit“, „Verfolgt – Mädchenjagd auf der Autobahn) • Teenager Movies („Klassenfahrt - Geknutscht wird immer“) • Thriller („Der Sandmann“, „Schrei, wenn du kannst“)
Katastrophen in TV Movies • Katastrophenfilme als Exportartikel deutscher Sendeanstalten • Pro Sieben verkauft eigenproduzierte Katastrophenfilme ins Ausland • SAT.1 produzierte Katastrophenfilme als internationale Co-Produktionen
Mit Effekt zum Affekt • Dokumentarische Aufnahmen und Special Effects werden durch Emotionale Szenen ergänzt („Emotion Dressing“) • Historische Katastrophen werden als persönliche Einzelschicksale präsentiert und emotionalisiert • Keine wissenschaftliche Reflexion der Ereignisse Szenen aus „Die Sturmflut“ (RTL)
Erzählstrukturen der TV Movies • Der Handlungsaufbau passt sich den Sehgewohnheiten der Zuschauer an. • In den ersten drei Minuten müssen Thema und Geschichte erkennbar werden, um einen Programmwechsel zu verhindern. • Im weiteren Verlauf werden mit dem Ziel der Zuschauerbindung lange Zwischenszenen vermieden. • Vor den Werbeblöcken werden Handlungs-Höhepunkte platziert, die erst nach der Werbung aufgelöst werden. • Da in Deutschland drei Werbeblöcke erlaubt sind, hat sich eine Vier-Akt-Dramaturgie entwickelt.
Fazit: Klimawandel als filmische Fiktion • Nichtwissenschaftliche Form der thematischen Auseinandersetzung • Dominanz der Erlebnisdimensionen • Einbindung der Thematik in Genrekonventionen • Gleichbleibende Handlungsstruktur • Strategie der Personalisierung • Visuelle Effekte • Keine Lösungsangebote abseits allgemeiner Moral