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Soziale Wirklichkeit als kollektiver Zwang Emile Durkheim (*1858 in Epinal — †1917 in Paris). Emile Durkheim (*1858 in Epinal — †1917 in Paris).
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Soziale Wirklichkeit als kollektiver ZwangEmile Durkheim (*1858 in Epinal — †1917 in Paris)
Emile Durkheim (*1858 in Epinal — †1917 in Paris) Soziale Tatsachen bestehen in besonderen Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die außerhalb des Einzelnen stehen und mit zwingender Gewalt ausgestattet sind, kraft derer sie sich aufdrängen. (Regeln der soziologischen Methode, 1895)
Vita und ausgewählte Werke • 1879-1882 - Studium an der Ecole Normale Supérieure • 1885-1886 - Studienreise nach Deutschland (Berlin, Leipzig) • 1887 - Dozent an der Universität Bordeaux • 1893 - De la division du travail social • 1895 - Les règles de la méthode sociologique • 1896 - Professur in Bordeaux • 1897 - Le suicide • 1898 - Gründung der “ L’année sociologique” • 1902 - Ruf an die Sorbonne in Paris • 1902 - Professor für Pädagogik dortselbst • 1912 - Les formes élémentaires de la vie religieuse • 1913 - Lehrstuhl für Soziologie • 1915 - L’Allemagne au-dessus de tout (Deutschland über alles) - Durkheims Sohn fällt im Krieg
Gesellschaftliches und intellektuelles Umfeld 1. fortschreitende Industrialisierung, Klassenkonflikte, Individualisierung, soziale Probleme, Anomie-Gefahr 2. französischer Rationalismus und soziologische Tradition (Motesquieu, Comte) 3. deutsche Soziallehre (“Kathedersozialismus” Adolf Wagners, Wilhelm Wundt’s Völkerpsychologie) 4. Auseinandersetzung mit englischem Utilitarismus (Spencer) 5. Kampf um die Existenzberechtigung der Soziologie als Fachwissenschaft: Suche nach ihrem spezifischen Gegenstand und Methode
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Was hält die Gesellschaft beisammen? Problemstellung: “Wie geht es zu, dass das Individuum, während es immer autonomer wird, immer mehr von der Gesellschaft abhängt?” (Über die Teilung der sozialen Arbeit, 1893) • 2 Typen sozialer Integration: • mechanische Solidarität • organische Solidarität
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes mechanische Solidarität • aufgrund von “Ähnlichkeit” • typisch für segmentäre, einfache Gesellschaften, • gekennzeichnet durch starkes Kollektivbewusstsein • Strafrecht: Sanktion bestätigt Geltung der kollektiven Norm
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes organische Solidarität • funktionaler Zusammenhang durch Arbeitsteilung • typisch für moderne Gesellschaften, • restitutives Recht • Sanktion erneuert die Vertragsfähigkeit des Individuums, • Individualisierung dadurch Gefahr der Anomie (Regellosigkeit) durch erzwungene oder übersteigerte Arbeitsteilung, • mögliche Integration durch Berufsverbände
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Übergang von mechanischer zu organischer Solidarität (soziale Bedingungen der Arbeitsteilung) • langsame Verbindung der Segmente durch soziale Dynamik und “moralische Dichte “, konkret durch: • demographische Entwicklung • zunehmende Mobilität und Kommunikation • Verdichtung der Lebensräume (Urbanisierung) Intensität Arbeitsteilung Kollektivbewusstsein Zeit mechanische Solidarität organische Solidarität
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Was sind soziale Tatsachen und wie lassen sie sich untersuchen? (Regeln der soziologischen Methode, 1895) Problemstellung: Eine Wissenschaft ist definiert durch einen besonderen Gegenstand und eine Methode. Was sind der besondere Gegenstand und Methode der Soziologie?
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Gegenstand der Soziologie: Soziale Tatsachen: Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, die Individuen als kollektiver “Zwang” auferlegt werden; • wirken “objektiv” auf das Individuum ein, lassen sie sich auch als objektive “Dinge” untersuchen; • wegen ihres überindividuellen, sozialen Charakters sind, können sie nur durch Soziales (nicht etwa durch Psychisches, Geographisches etc.) erklärt werden; • sie sind Resultate menschlicher Tätigkeit
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Methode der Soziologie • Soziale Tatsachen haben eine objektive Wirkung, sie lassen sich daher als “Dinge” untersuchen. • Soziale Tatsachen kommen nicht isoliert vor. Man muss sie in ihren Kontexten (Milieus) aufsuchen und sie möglichst in allen ihren Formen beschreiben (Morphologie). • Durch den Vergleich lassen sich dann Funktionen, Formen und Ursachen sozialer Tatsachen unterscheiden • Soziologie kann dann über Normalität und Funktionalität sozialer Tatbestände entscheiden(z.B.: Abweichendes Verhalten kommt in allen Gesellschaften vor. Daher auch funktional: ruft Sanktion hervor und stärkt so das Kollektivbewusstsein der Normgeltung; kann sozialen Wandel initiieren)
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Erprobung der Methode: (Studie über den Selbstmord 1897) Selbstmord als soziales Phänomen: - Selbstmordziffern in unterschiedlichen Gesellschaften stabil
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Selbstmord ist nicht pathologisch, geographisch, klimatisch oder ethnisch etc. bedingt: ø 86
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes • unterschiedliche soziale Milieus fördern oder hemmen die Selbstmordneigung • Schwäche, Stärke oder Wandel sozialer Bindungen als Selbstmordursache Selbstmordrate in verschiedenen Ländern pro Million Einwohner jeder Konfession
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes 3 Haupttypen von Selbstmord: • egoistisch (Bindungen zu schwach), • altruistisch (Selbstmord wird in bestimmten Situationen durch Gruppennorm gefordert), • anomisch (sozialer Wandel hebt die geltenden Orientierungen auf)
Entwicklung des Durkheim’schen Ansatzes Wie entsteht Kollektivbewusstsein und gemeinsames Wissen? (Elementarformen der Religion) • Untersuchung primitiver Gesellschaften und ihrer Religion (Totemismus) soll zeigen, wie soziales Wissen entsteht • Religion als symbolische Repräsentation der Macht der Gesellschaft über Individuen; die soziale Verbindlichkeit der religiösen Vorstellung ist ein Produkt der Gesellschaft selbst. • Begriffe und Kategorien des Denkens als symbolische Repräsentationen kollektiver Erfahrung in der Sprache, daher ihre objektive Geltung (z.B.: Zeit: Rhythmus der kollektiven Tätigkeiten, Kausalität: Handlung und Folgen etc.)
Durkheims Bedeutung • Grundlegende Definition des soziologischen Gegenstands und der Methode, • Entwicklung funktional-strukturalistischer Fragestellung, • Nachhaltige Wirkung in der Weiterentwicklung der Soziologie, Kulturanthropologie, Geschichtswissenschaft, Sprachwissenschaft etc.