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Der italienische Humanismus und sein Einfluss auf Deutschland und Frankreich. 7. Sprachtheorien und Poetiken des Humanismus. Die humanistische Sprachtheorie. lingua naturalis – lingua artificialis Petrarca: Sänger in volgare – Philosoph in Latein
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Der italienische Humanismusund sein Einfluss aufDeutschland und Frankreich 7. Sprachtheorien und Poetikendes Humanismus
Die humanistische Sprachtheorie • linguanaturalis – linguaartificialis • Petrarca: Sänger in volgare –Philosoph in Latein • Josef Ijsewijn – KultursprachenEnglisch oder Französisch • Stephan Füssel: Ode ad Apollinemvon Conrad Celtis • Diglossie: Diese Ode war ein erstesmutiges Bekenntnis für einennationalen Humanismus in lateinischer Sprache und wirft ein bezeichnendes Licht auf die Diglossie dieser Epoche.
Latein und volgare • volgare illustre als Standard- oderLiteratursprache • Latein – größeres Ansehen undweitere Verbreitung • Ullmann: Admittedly, thereweresomewhocarriedwhattheythoughtwas truehumanismtoridiculouslenghts, aswhen, forinstance, duringtheConcileof Constance theBishopofFermo, Bertoldide Serravalle,translatedDante’sDivine Comedy intoLatinhexametersforthebenefitof a readingcirclelargelyfrequentedbyEnglishmen. • kommentierte Prosaübertragung – 3 Handschriften
La questione della lingua • Karl-Otto Apel: Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, 31980 • Zwar kann man wohl ganz allgemein davon ausgehen, daß die theoretische Entdeckung der Muttersprache im Abendland in einer Situation der Spannung zwischen volkssprachlichem ’Denken’ und lateinischer ’Formulierung’ der Gedanken erfolgt. [...] Gerade deshalb, weil die Spannung des Italienischen zur traditionellen ’Form’ des Lateinischen nicht so groß war wie die der germanischen Sprachen, konnte in Italien die Entdeckung der Muttersprache im Zeichen des Humanismus zuerst theoretisch ausgearbeitet werden. • Dante: Convivio
Dante: De vulgarieloquentia • Italienisch als Dialektvariation • grammatica = Latein • erste große Dichtung in volgare • erste philosophisch-programmatische Würdigung des neuen idioma • Muttersprache gefühlsmäßig als die Sprache Adams • erste Sprache laut Bibel das Hebräische • babylonische Sprachenverwirrung • Adam in der Commedia – seine Ursprache erloschen • natürliche Primärsprache – linguacorruptibilis • künstliche Sekundärsprache – linguagrammatica • Humanisten → antike puritas • neues idioma→ volgare illustre • Vorbild der Provenzalen
La questione della lingua • Höhenflug der linguaartificialis • Lorenzo Valla: Elegantiarumlinguælatinælibri, 1444 • Bruni: Dialogum ad PetrumPaulumHistrum, 1401 • NiccolòNiccoli – Kritik am Trecento • Dante – Wollarbeiter und Bäcker • Petrarca schwach • Boccaccio unzureichend • ein einziger Brief Ciceros und ein einziges Gedicht Vergils mehr
Die Stellung von Florenz • Giovanni Gherardi da Prato: Paradisodegli Alberti, 1425 –für die trecoronefiorentine • Bruni: Laudatio FlorentinæUrbis, 1404 – Athen • Dialogum ad PetrumPaulumHistrum II, 1406 –Dante = Homer und Vergil ebenbürtig • Petrarcas historische Bedeutung • Boccaccios Beitrag zum Ruhm der Stadt • Bruni: Vita di Dante, 1436: Lo scrivere in istilelitterario o vulgare non a fare al fatto, nèaltradifferenza è, se non comescrivere in grecood in latino. Ciascuna lingua ha sua perfezione e suo suono e suo parlare limato e scientifico. • Mangel an vorbildlichen Schriftstellern • Leon Battista Alberti: De reædificatoria – eine Frage der Zeit
Zweite Entdeckung der Muttersprache • Alternative zur lateinischen Kulturbegründung • Aufstieg der Medici-Herrschaft • Lorenzo de’ Medici: Comento • kulturelle Ausstrahlungskraftvon Florenz • adäquate Ausdrucksfähigkeitund Wohlklang • Alberti: Grammatica della linguavulgare, ~1450
Florentinische Kunstprosa • Graphie, Wortschatz und Syntax • Max Pfister: Studien zur Prosa des Florentiner Vulgärhumanismus, 1973: Diese Ausrichtung auf die klassische Sprachvollendung eines Cicero führte im Quattrocento zur Schaffung einer eigentlichen florentinischen Kunstsprache, die sich als Sprache der Gebildeten bewußt von der Volkssprache abhob. • Pietro Bembo: Prose della volgarlingua, 1525 • Petrarkismus • Castiglione: Il Libro del Cortegiano • Gian Giorgio Trissino: Epistola, 1525 • Lexikonprojekte und Sprach-Akademien
Deutschland und Frankreich • Johannes Kohlross: Enchiridion, das ist HandbüchlintütscherOrthographi, 1530 • Valentin Ickelsamer: TeutscheGrammatica, 1532 • Vocabolistaitaliano-tedesco, Venedig 1477 • Trennung der volkssprachlichen und der lateinischen Textwelt • Kleinschmidt: Die gelehrten Institutionen der Epoche wie Gymnasien, Kollegien und Universitäten beschränkten sich auf den lateinischen Äußerungsraum und leisteten selbst fast nichts für die volkssprachlichen Textformen. • Hans-Gert Roloff – reformatorische Propaganda-Komödie von Nikodemus Frischlin
Nachteile • Barbara Könneker: Dieser Gegensatz zwischen deutscher und lateinischer Schreibweise blieb für die literarische Entwicklung in Deutschland lange Zeit bestimmend. Er führte dazu, daß sich die neulateinische Dichtung bald zu einem selbständigen Literaturzweig ausbildete, der in enger Wechselbeziehung zu den Literaturen der Nachbarländer stand, während das deutschsprachige Schrifttum zwar von dorther vielfältige Anregungen bezog, in seiner vorwiegend pädagogischen Zielsetzung aber stärker der Tradition verhaftet blieb und den Anschluß an die gesamteuropäische Entwicklung im wesentlichen erst wieder im Zeitalter des Barock gefunden hat.
Deutsche Verspätung • Riccardo Bartolini gegen die vernaculalingua • Reinhard Wittmann: Geschichte des deutschen Buchhandels, 1991 • ~77% aller Wiegendrucke in Latein • 6% in Deutsch • 1500: 20 zu 1 • 1524: 3 zu 1 • Reformation • umanesimovolgare • Martin Opitz: Aristarchus siveDe contemptulinguæTeutonicæ, 1617 • französischer Einfluss
Frankreich • Tradition von Sachbüchern • BrunettoLatini: Trésor, Paris 1266 • inventio, dispositio, elocutio, memoria und pronuntiatio • truevement, ordre, parable, memoire und parleure • Rettorica – invenzione, disposizione ... • Ordonnance de Villers-Cotterêts, 1539 – dem Nationalstaat eine Nationalsprache • Vaugelas: Remarques sur la langue française, 1647 • Dominique Bouhours: Manières de bien penser dans les ouvrages d’esprit, 1687
Vollendung des Humanismus • Joachim du Bellay: Deffence et illustration de la languefrançoise, 1549 • SperoneSperoni: Dialogo delle lingue, 1542 • Du Bellay: unseullangagenaturel • Garin: […] während Denker wie Petrus Ramus und Alessandro Piccolomini mit Rücksicht auf die adligen Damen, die Kaufleute und die Verwaltungsbeamten ihre philosophischen Bücher bereits Mitte des 16. Jahrhunderts auf Französisch und Italienisch veröffentlichten. • Galileis vulgärsprachliche Naturwissenschaft = Verbindung von Sprachphilosophie und nominalistischer Wissenschaftstheorie
Der Zangenangriff • Erwerbsbürgertum und höfische Gesellschaft • das Französische • Nathan Chytræus ~1600 – Latein im öffentlichen Umgang • Latein als Wissenschaftssprache • Paracelsus 1528 in Basel
Die Bedeutung der Übersetzungen • Leonardo Bruni: De interpretationerecta • Gewalt der Sprache → genusdicendi • deutsche Frühhumanisten – zwei Übersetzungsmethoden • Wyle und Arigo – wort zu wort • Steinhöwel und Eyb – nach dem synn und mainung der materien • Boccaccio: Vulgärsprache reinigen und bereichern • Hermann Gumbel: Deutsche Sonderrenaissance in deutscher Prosa, 1930 – neuer Prosatyp • Syntax und Stil, in Wort- und Satzstellung • Thomas Sebillet: Art poétique, 1548 – eigenständige Gattung
Die Epistolographie • Rationesdictandi, Artes dictamini, Modi epistolandiu.ä. ~500 Traktate • Paul Oskar Kristeller • ~1100 cursus = Satzende in der Prosa • Helene Harth – Wiederentdeckung Ciceros • Albrecht von Eyb: Margarita poetica, 1459 • Druck 1472 • weitere 15 Ausgaben bis 1503 • 4 in Italien und 4 in Frankreich • Anthologie zur Rede-, Brief- und Dichtkunst • Heinz Otto Burger – Bibel des deutschen Humanismus • NiccolòPerotti: Rudimentagrammaticæ, 1478 • Heinrich Bebel: Commentariaepistolarumconficiendarum, 1499 • Erasmus: De conscribendisepistolis, 1522
Schulung durch imitatio • Buck: In den Augen der Humanisten war das Dichten eine erlernbare Fähigkeit des menschlichen Geistes und daher einer Wissenschaft vergleichbar. • Petrarca – ex veteribusnovum • mellificatio: die Bienen von Blüte zu Blüte • Dichten = künstlerische Auseinandersetzung mit Inhalten und Formen der Tradition • antike Schriften über Literatur
Aristoteles: Poetik • Gerhard Regn: Mimesis und autoreferentieller Diskurs, 1987:In der Geschichte der italienischen Renaissancepoetik stellt die Wiederentdeckung der ’Poetik’ des Aristoteles das schlechthin herausragende Ereignis dar. • Kommentar von Averroes • 1498 Giorgio Valla – Latein • editioprinceps 1508 bei Aldo Manuzio • lateinische Übersetzung von Alessandro deiPazzi 1536 • Regn: Um 1550 herum war nämlich jener Zeitpunkt erreicht, seit dem die ’Poetik’ des Aristoteles nahezu unangefochten als obligatorischer Basistext der Dichtungstheorie anerkannt war.
Aristoteles: Poetik I. Allgemeiner Teil: Definition der Dichtung, Gattungen Mensch und Dichtung, TraditionII. Tragödie: Grundlegung: Definition und ‚qualitative‘ Teile der Tragödie (Handlungsaufbau, Charaktere, Gedankenführung, sprachliche Form, Melodik, Inszenierung) Handlungsaufbau: a) Ganzheit, Ausdehnung, Einheit b) Wirklichkeitsbezug c) Wendepunkte und ‚quantitative‘ Teile d) Verlauf und Personen Charaktere, Gedankenführung, Sprachliche FormIII. Epos: Übereinstimmung mit Tragödie Vergleich zur Geschichtsschreibung VerständnisproblemeBilanz: Vorrang der Tragödie
Aristoteles: Poetik • Plato – Nachahmung (griech. mimesis) • Robortello: Et poetae non esse propriumnarrareresgestas, sedqualesfierioportet, autpossibileest, secundumverisimile, velnecessarium. • Da der Dichter ein Nachahmer ist, wie ein Maler oder ein anderer bildender Künstler, muß er von drei Nachahmungsweisen, die es gibt, stets eine befolgen: er stellt die Dinge entweder dar, wie sie waren oder sind, oder so, wie man sagt, daß sie seien, und wie sie zu sein scheinen, oder so, wie sie sein sollten. • eleos und phobos → Katharsis • Manfred Fuhrmann: Dichtung – darauf läuft seine Lehre hinaus – steckt nicht an, sondern impft.
Quintilian: Institutiooratoria • 1470 GianantonioCampano in Druck • De copiaverborumDe imitationeQuo modoscribendumsitDe emendationeQuæscribendasintpræcipueDe cogitationeQuem ad modumextemporalisfacilitasparetur et contineatur • Franz Loretto: Diese Ausführungen stellen eine systematische literarhistorisch-kritische Studie dar, die wohl zum Bedeutendsten gehört, was wir von der Antike auf diesem Gebiet besitzen.
Quintilian: Institutiooratoria • Loretto: Aus diesen und anderen Autoren, die es verdienen, gelesen zu werden, sind der Wortschatz, die Verschiedenheit der Redefiguren und die Methode des Satzbaues zu entnehmen, sodann ist das Sprachgefühl nach dem Muster aller Stilqualitäten zu bilden. Es kann nämlich nicht bezweifelt werden, daß ein Großteil der Kunstfertigkeit auf Nachahmung beruht. • imitatio im Sinne Petrarcas • generaelocutionis – nach aptum = Angemessenheit • genusgrande/sublimegenus medium/mediocregenus subtile/humile/tenue
RotaVergilii • Vergils drei Idealwerke: Æneis, Georgica und Bucolica • Johannes de Garlandia, 13. Jh. • Bembo: Rime, 1530 • JacopoSannazaro: Arcadia, 1504
Theoretische Kommentare • Conrad Celtis: Ars versificandi et carminum, 1486 • Beginn der Horazrezeption in Deutschland • Joachim Vadian: De poetica et carminisratione, 1514 • Girolamo Vida: De arte poetica, 1527 • Francesco Robortello: In librum Aristotelis De Poeticaexplicationes, 1548 • Girolamo Fracastoro: Naugeriussive De Poetica, 1555 • Ludovico da Castelvetro: Poeticad’Aristotelevulgarizzata et sposta,1570 in Wien • Ausdeutung von Aristoteles und Paraphrasierung von Horaz (Ars poetica)
Das Problem der neuen Gattungen • Regelsystem zur Beurteilung von Dichtung • Roman oder Tragikomödie • Giulio Cesare Scaligero • Walther Ludwig: LitteræNeolatinæ, 1989: Sie ist das bedeutendste literarästhetische Werk des 16. Jahrhunderts. Ihr Einfluß reicht bis tief ins 18. Jahrhundert hinein. In den ersten vier Büchern wird dort systematisch ein begriffliches Instrumentarium zur poetischen Kritik entworfen, worauf Buch V und VI dessen Anwendung auf lateinische Autoren, zuerst auf Vergil, dann auf die übrigen Dichter, einschließlich der neulateinischen, demonstrieren.
Giulio Cesare Scaligero • nach 1540, am Hof des Bischofs von Agen • 1561 in Genf, dann 1581 und 1586 in Heidelberg • Affektenlehre des Hermogenes aus Tarsos (160-225 n. Chr.) • Ideen- oder Eigenschaftslehre – affectus • Ilse Reineke: Julius Cäsar Scaligers Kritik der neulateinischen Dichter, 1988: […] zwischen den affectuscommunes, die allen drei Stilarten eigen sind, und den affectusproprii, die jeweils nur dem hohen (grande), niederen (infinum) oder mittleren (medium) Stil zuzuordnen sind, und weiterhin bei den affectuscommunes und den affectusgrandis generis zwischen den affectusperpetui und non perpetui.
22 Stilqualitäten nach Scaligero • I. AffectuscommunesA. Affectusperpetui a) perspecuitas (Durchsichtigkeit) b) cultus (Geschliffenheit) c) proprietas (Eigentümlichkeit) d) venustas (Anmut) e) numerositas (Rhythmik)B. Affectus non perpetui a) mollitia (Weichheit) b) suavitas (Lieblichkeit) c) incitatio (Schnelligkeit) d) puritas (Reinheit) e) acutum (Pointiertheit) f) acre (Scharfsinnigkeit) g) plenum (Adäquatheit) f) floridum (Blüte)
22 Stilqualitäten nach Scaligero • II. AffectuspropriiA. Affectusgrandis generis 1. perpetui a) dignitas (Würde) b) sonus (Klang) 2. non perpetui a) gravitas (Erhabenheit) b) vehementia (Heftigkeit)B. Affectusinfimi generis a) tenuitas (Schlichtheit) b) simplicitas (Einfachheit) c) securitas (Heiterkeit)C. Affectusmedii generis a) rotunditas (Abgerundetheit) b) volubilitas (Beweglichkeit) • Friedrich Gaede: Humanismus – Barock – Aufklärung, : Dieses Werk wurde Vorbild und Hauptquelle der einzelnen volkssprachlichen Poetiken und in Deutschland zuerst von Martin Opitz mit großem Erfolg für sein ’Buch von der deutschen Poeterey’ (1624) genutzt.
Das Erhabene • Longinos (?) : Peri Hypsous (1. Jh. n.Chr.) • Nicolas Boileau – Traité du sublime, 1674 • UnlehrbarkeitgroßerDichtung • göttlicheInspirationdes Genies