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„Das Geheimnis des Golem“ (D 2004) „Was macht ein Jude, wenn er in eine fremde Stadt kommt? Er geht als Erstes auf den Friedhof. Selbstverständlich. Was macht er dort? Natürlich! Er trifft einen anderen Juden. Und dann? Sie eilen in die Synagoge. Wo sonst könnten sie ungestört mauscheln? Ein antijüdisches Klischee? Es ist die Einstiegssequenz zu dem im Jahr 2004 ausgestrahlten Fernsehkrimi Das Geheimnis des Golem mit Kommissar Schimanski (alias Götz George). Hier werden offensichtlich klassische Stereotype bedient und traditionelle Judenbilder weitergegeben – trotz, vielleicht auch wegen eines durchaus aufrichtigen Interesses, Jüdisches im Film darzustellen.
Auf der "geistigen Suche eines Weges aus der moralischen Nachkriegskrise“ bekundete der Philosemitismus "die postnationalsozialistische, pragmatische, moralische Orientierung des Individuums oder - wie nach 1949 - die der Republik in ihrer nach Westintegration strebenden Gründungs- und Aufbauphase. Die winzige Minderheit der überlebenden Juden wurde durch dieses philosemitische Phänomen "nur zu dem Feind, den man zu lieben hatte.“ FrankStern, Philosemitismus. Steroetype über den Feind, den man zu lieben hat, in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart, Nr.8/1991
Abwesenheit des Jüdischen im deutschen Populärfilm der 50ger – 80er Jahre Thomas Elsaesser: Absence as Presence, Presence as Parapraxis. In: The German cinema book, ed. by Tim Bergfelder, Erica Carter and DenizGokturk,London : British Film Institute, 2002 Schnitte und Umsynchronisation bei Auslandsproduktionen…
Das Kino spricht deutschGlanz und Elend der SynchronisationVon Markus Metz & Georg Seeßlen • Joseph Garncarz:"Es ist so, dass in Deutschland der Nationalsozialismus einen direkten Einfluss hatte auf die Etablierung der Synchronisation. Es gibt eine Studie in einem amerikanischen Fachjournal aus dem Jahr 1950, und diese Studio listet 60 Länder aus der ganzen Welt auf, darunter 16 europäische Staaten, und von diesen 60 Ländern gibt es nur drei Länder, die ausschließlich Synchron-Fassungen akzeptieren: das sind Italien, Spanien und Deutschland. Alle anderen Länder der Welt, die in dieser Studie aufgelistet werden, synchronisieren standardmäßig nicht. Man kann sich jetzt berechtigterweise fragen, was haben diese drei Länder in den Dreißiger Jahren gemeinsam? Und man sieht schnell, dass es die drei Länder des europäischen Faschismus sind. Das bedeutet natürlich keineswegs, dass Synchronisation in irgendeiner Weise faschistisch ist, es bedeutet nur, dass Länder, die einen besonderen Wert auf ihre kulturelle Spezifik legen, die die eigene Sprache und die eigene Kultur höher schätzen als die Sprachen und Kulturen der Nachbarländer, dass diese Länder einen besonderen Wert darauf legen, dass alles Ausländische quasi in die eigene Sprache übersetzt wird."
Umsynchronisation • „Die Abenteurer“ (Robert Enrico, F 1967) • „Casablanca“ (USA 1942) • „Notorious - Berüchtigt“ (USA 1946) • „To catch a thief – Über den Dächern von Nizza“ (USA 1955)
Das deutsche Publikum der Wirtschaftswunderzeit indes schien allergisch zu sein gegen jede Erinnerung an das tausendjährige Reich und seine Verbrechen. Joseph Garncarz: "Wenn man sich die historischen Akten ansieht, die überliefert sind, dann wird deutlich, dass es eine Instanz gibt, die ganz wichtig war für solche Veränderungen wie etwa die von "Casablanca": Das waren nämlich die Verleiher. Wenn man heute sagt, die Nazis wurden herausgeschnitten, dann klingt das selbstverständlich wie ein Akt der Zensur. Das wollte eigentlich niemand so haben, aber irgendjemand hat aus irgendwelchen Gründen so gehandelt. Aber so war es wohl nicht: Auf der einen Seite haben wir Dokumente der Verleiher, die ganz klar belegen, dass die Verleiher davon ausgegangen sind, dass man Bilder des hässlichen Deutschen - und in der Regel waren ja alle Deutschen in amerikanischen Filmen Schurken - den Deutschen nicht zumuten könnte. Auf der anderen Seite gibt es Belege dafür, dass dies tatsächlich beim Publikum abgelehnt wurde. Zum Beispiel, als "The African Queen" auf dem Filmfestival in Locarno lief, kam es zu einem großen Protest der deutschen Filmkritiker: Dies zeigt, dass zumindest die deutschen Filmkritiker hochsensibel reagierten und dies unabhängig von politischen Positionen. Von daher ist es wirklich nachvollziehbar, dass die Veränderungen von amerikanischen Filmen, die die amerikanischen Verleiher selbst vorgenommen haben, die Absicht hatten, den Marktwert der Filme zu erhalten, also die Filme beim deutschen Publikum überhaupt absetzen zu können."
Die beiden US-Produktionen, in denen zeitgleich mit dem DEFA-Film „Sterne“ westdeutsche Zuschauer die Gelegenheit hatten, sich mit Themen zur Shoah auseinander zu setzen, halten in keiner Weise einen Vergleich mit „Sterne“ stand – weder vom Drehbuch noch von der suggestiven Kameraarbeit eines Werner Bergmann. Die beiden amerikanischen Spielfilme „The Young Lions“ (Die jungen Löwen, 1958, Regie: Edward Dmytryk, BRD-Start: 5.April 1958) und „The Diaryof Anne Frank“ (1959, Regie: George Stevens) sind typische Hollywood-Epen aus dem 20th Century-Fox-Studio, das mit dem Bildformat Cinemascope gegen die TV-Konkurrenz antrat.
Im Kriegsepos „The Young Lions“, das durch einen blondierten Marlon Brando als Nazi geradezu Kult-Charakter hat, kann man in einer kurzen Szene die Befreiung eines Konzentrationslagers sehen. Die deutsche Fassung des 162 Minuten langen Filmes wurde um 6 Minuten gekürzt – angeblich um die Freigabe ab 12 statt ab 16 Jahren durchzusetzen. Doch die fehlenden 6 Minuten bestehen aus Bildern der ausgemergelten und hohlwangigen Gestalten des Konzentrationslagers und wie Maximilian Schell auf seine eigenen Soldaten schießt, um sie weiter anzutreiben. Ein deutscher Offizier, der seine eigenen Leute abknallt und ausgehungerte KZ-Insassen waren offensichtlich Bilder, die der Verleih dem deutschen Wirtschaftswunderpublikum ersparen wollte.
Schwarzer Kies (BRD 1961), uncut 117 Min. Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland: Geldgier, Korruption und Vergnügungssucht. Ein Dorf im Hunsrück, 1960. Auf einem Flugplatz der Amerikaner wird eine neue Piste für Raketenrampen gebaut. Bei dem Versuch, eine LKW-Ladung Kies zu stehlen, wird ein Liebespaar überfahren; die Leichen verschwinden unter dem Kies der Landebahn...
Der Film entsteht in Lautzenhausen, einem 500-Seelen-Ort im Hunsrück, der sich durch die nahe Militärbasis in eine Art Goldgräberstadt verwandelt. Scheunen und Gasthäuser werden zu Bars und Vergnügungsstätten für die GIs umgebaut. Atmosphäre aus Geldgier, Korruption und Vergnügungssucht. Käutner inszeniert wirklichkeitsnah, die Mädchen in der Atlantic-Bar spielen sich ebenso selbst wie viele der mitwirkenden amerikanischen Soldaten. Zusätzliche Aufnahmen entstehen auf den Schotterwegen am Berliner Teufelsberg.
Käutners Versuch, einen spannungsgeladenen, reißerischen film noir kritisch-realistisch zu unterfüttern, stößt jedoch weitgehend auf Ablehnung: Eine "völlig missglückte Zeitkritik", urteilt Karena Niehoff im Tagesspiegel (18.5.1961). Die Jury "Junge Filmkritik" verleiht ihm gar einen Preis für "die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs.“
In seinem Film greift Käutner in einer Nebenhandlung den immer noch existierenden deutschen Antisemitismus an. Ein jüdischer Barbesitzer, ehemaliger KZ-Häftling, wird als "Saujude" beschimpft. Anlässlich der Filmpremiere kommt es zum Skandal. Der Zentralrat der Juden protestiert, reicht Strafantrag ein, Käutner wehrt sich, der Verleih zieht den Film zurück.
"Daß der Zentralrat der Juden so empfindlich reagierte, ist also nicht nur ein 'unseliges Mißverständnis', wie Produzent und Regisseur rasch replizierten. Diese Antwort verkennt die erhöhte Verwundbarkeit der Betroffenen gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da ein deutscher Massenmörder in Jerusalem vor Gericht steht. Gerade jetzt ist die Atmosphäre zu sehr belastet, als daß die Bemerkung ‚Du Saujud’ (deren öffentliche Wiederholung jedes deutsche Gericht heute ahnen wird) unbeanstandet von der Leinwand schallen könnte." (Süddeutsche Zeitung, 20.4.1961).
Buch: Käutner, Walter Ulbrich Käutner schneidet alle Szenen mit jüdischem Bezug heraus und mildert auch den dunklen Schluss ab. Schnitte: Rolle des Barbesitzers „Loeb“, gespielt von Max Buchsbaum (1918-1992), zerstückelt und die jüdische Herkunft des US-Ermittlers „Eric Moeller“ (Heinrich Trimbur) geschnitten.
1960 Kirmes R/B: Wolfgang Staudte Produktion: Harald Braun Helmut Käutner Musik: Werner Pohl Kamera: Georg Krause Schnitt: Lilian Seng Götz George: Robert Mertens Juliette Mayniel: Annette Hans Mahnke: Paul Mertens Wolfgang Reichmann: Georg Hölchert
1959 ein Dorf in der Eifel • Bei der Kirmes wird das Skelett von Robert Mertens mit Wehrmachtshelm und Maschinenpistole gefunden. Er war 1944 desertiert und suchte in seinem Heimatdorf Hilfe. Keiner unterstützt ihn und er begeht Selbstmord, „beerdigt“ in einem Bombentrichter. Der ehemalige Ortsgruppenleiter der NSDAP ist jetzt Bürgermeister. • Auseinandersetzung mit der Mutter, die als Einzige zugibt, dass das Skelett ihr Son ist. Sie will ihn überführen. Aber wenn er ins Familiengrab kommen soll, müsste er von der Ehrentafel der Gefallenen entfernt werden und wird als „Deserteur“ gebrandmarkt.
Helmut Käutner: • „Kirmes stellt Menschen dar, die existieren, Zustände, die bestehen, Geschehnisse, die vorkamen und vorkommen. Er zeigt sie auf. Der Film klagt nicht an. Er stellt fest.“ • Egon Netenjakob, Staudte, Berlin 1991.
Der „Neue Deutsche Film“, auch Junger Deutscher Film • 60er Jahre bis 1983 • Stereotype, bzw. geradezu antisemitische Figuren bei: • 1.Volker Schlöndorff (geb. 1939) • 1971 Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach • 1979 Die Blechtrommel • 2.Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) • 1976 Der Müll, die Stadt und der Tod (Theaterstück von 1975), verfilmt als „Schatten der Engel“ von Daniel Schmid • 1978 In einem Jahr mit 13 Monden • 1980 Berlin Alexanderplatz • 1981 Lili Marleen Interessante Beispiele bei: • 1.Alexander Kluge (geb. 1932) , Abschied von Gestern, 1966 • 2.Theodor Kotulla (1928-2001), Aus einem deutschen Leben, 1977 • 3.Peter Lilienthal (geb. 1929), David, 1979
1966 Abschied von Gestern Regie: Alexander Kluge Drehbuch: Alexander Kluge nach dem Kapitel Anita G. aus seinem Buch Lebensläufe Kamera: Edgar Reitz Thomas Mauch Alexandra Kluge: Anita G. Hans Korte: Richter Werner Kreindl: Chef der Plattenfirma Günter Mack: Ministerialrat Pichota Eva Maria Meineke: Frau Pichota Alfred Edel: Universitätsassistent (spielt sich selbst) Fritz Bauer: Generalstaatsanwalt (spielt sich selbst)
1966 Abschied von Gestern • Düsseldorf / Braunschweig / Frankfurt • „Collage-Technik“: • „Kluge fügt zusammen, was ihm ein- und auffällt. Interviews und Inserts, Gedanken und Geschichten, Zitate und Zeichnungen, alte Fotos und Filme, Dokumentarisches, Erdachtes, Improvisiertes, Kommentierendes, alles wird Material, mit dem sein Spiel sich vorantreiben läßt.“ (Geschichte des Deutschen Films, S.227)
Handlungsgerüst des Films, der zeigt wie Anita der Gesellschaft entfremdet ist und nicht Fuß fassen kann • Die Jüdin Anita ist in der DDR aufgewachsen und flieht in die BRD. Sie arbeitet als Krankenschwester, stiehlt und wird verurteilt, entzieht sich der Bewährung und hat bei all ihren folgenden Arbeiten Schwierigkeiten und Probleme. Ihre Geliebten mißbrauchen sie, wie Pichota, der die von ihm schwangere Anita mit 100 DM abspeisen will. Sie stellt sich der Polizei, um ihr Kind im Gefängnis auf die Welt zu bringen.
Der ganze Film ist eine Auseinandersetzung mit der Shoah und ihrer Verdrängung und Anitas Ängsten – Vergangenheit und Visionen der Verfolgung.