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Vorlesung:. Einführung in die vergleichende historisch-sozialwissenschaftliche Institutionenforschung I: Theorien der Institutionenanalyse und des Institutionenwandels im Überblick. Das Modul SYS 1: Vergleichende historisch-sozialwissenschaftliche Institutionenforschung.

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  1. Vorlesung: Einführung in die vergleichende historisch-sozialwissenschaftliche Institutionenforschung I: Theorien der Institutionenanalyse und des Institutionenwandels im Überblick TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  2. Das Modul SYS 1: Vergleichende historisch-sozialwissenschaftliche Institutionenforschung • Inhalte / Qualifikationsziele des Moduls SYS 1: • vertiefte Kenntnisse der Logik und Methodik des historischen undsozialwissenschaftlichen Systemvergleichs • zentrale Theorien sozialwissenschaftlicher Institutionenanalyse • zentrale Theorien institutionellen Wandels • Anwendung beider Theoriegruppen bei der vergleichenden Analyse zentralerpolitischer Institutionen aus Geschichte und Gegenwart • Aufbau des Moduls: • Vorlesung, 2 SWS, abgeschlossen mit Klausur, voraussichtlich in der letzen Semesterwoche zur Vorlesungszeit • Hauptseminar, 2 SWS, diesmal: „Demokratiezusammenbrüche im Vergleich“ (PD Dr. Kailitz / Erik Fritzsche, M.A.), abgeschlossen i.d.R. durch Referat und Hausarbeit • Leitgedanke: • theoretische und methodische Grundlagen schaffen für den gesamten MA-Studiengang ‚Politik und Verfassung‘ • insbesondere: Einführung in die Denkweisen und Theoreme des Historischen bzw. Evolutorischen Institutionalismus TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  3. Leitgedanken des MA-Studiengangs ‚Politik und Verfassung‘ (zumindest aus Sicht der Systemlehre …) • Politik als „Prozess der Herstellung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen in und zwischen Gruppen von Menschen“ … • schafft sich Strukturen / Institutionen, die solche Prozesse ordnen sowie mehr oder minder erwartbar bzw. steuerbar machen (v.a.: ‚Verfassungen‘, ‚Regime‘) • wird von solchen Strukturen / Institutionen sodann geprägt – und zwar nicht nur ‚hier und jetzt‘, sondern auch hinsichtlich … • ihrer grundsätzlich in Rechnung zu stellenden Spielräume (‚Machtbeschränkung‘ vs. ‚Machtfreisetzung‘) • der weiteren Entwicklungsmöglichkeiten jener Strukturen selbst (‚Pfadabhängigkeit‘). • Eben die Wechselwirkungen politischer Prozesse mit den sie ordnenden institutionellen Strukturen (‚Verfassungsstrukturen‘) gilt es … • theoretisch zu durchdringen • empirisch zu studieren (mit der geeigneten Methodenkompetenz!), und zwar auf nationaler, subnationaler und supra-/internationaler Ebene. • Nützlich ist das für das Verständnis und die praktische Begleitung von … • Konflikten um zu schaffende / bestehende Verfassungen, v.a. demokratische • Reformen politischer Institutionen bzw. solcher institutioneller Mechanismen, die politische Prozesse steuern • Versuchen der Stabilisierung brüchig gewordener politischer Ordnungen / Verfassungsstrukturen (z.B.: Stabilisierung von ‚failing states‘) TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  4. Ziel der Vorlesung • Vertrautmachen mit jenen Theorien über (politische) Institutionen und ihren Wandel, die einem helfen, die Wechselwirkungen zwischen Politik und ‚Verfassung‘ geistig zu durchdringen (Foliensatz SYS 1) • systematische Einführung in eine sehr gehaltvolle Theorie institutioneller Genese, Architektur und Geschichte, welche für die Analyse vielfältiger politischer Institutionen (Geschichte, Funktionslogik, Reform- und Stabilisierungsmöglichkeiten) sehr nützlich ist: Evolutorischer Institutionalismus (Foliensatz SYS 2) • Systematische Einführung in Ansätze sowie Methodik (historisch) vergleichender System- und Institutionenanalye (Foliensatz SYS 3) Achtung: Während der Vorlesung bilden konkrete politische Institutionen / Systeme nur das Beispielsmaterial für die zu vermittelnden übergreifenden Zusammenhänge; Befassung mit konkreten Institutionen / Systemen ist Aufgabe des Hauptseminars TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  5. Aufbau der Vorlesung • Überblicke • zentrale Theorien sozialwissenschaftlicher Institutionenanalyse • zentrale Theorien institutionellen Wandels • Systematische Einführungen • Evolutorischer Institutionalismus • Logik und Methodik des historischen und sozialwissenschaftlichen Systemvergleichs TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  6. Hinweise zur Lehrform und zum erfolgreichen Studierverhalten • Nutzung der so wertvollen Kleingruppensituation • Vorlesung in Art eines Seminarvortrags, der stets durch Fragen / Diskussionen unterbrochen werden kann • eingestreut in Vorlesung: ‚intellektuelle Hausaufgaben‘ – deren Ergebnisse immer wieder in Form von ‚Mini-Vorträgen‘ der Studierenden präsentiert und anschließend besprochen werden • Eigene Initiativen der Studierenden • umfangreiche Begleitlektüre zur Vorlesung • Möglichkeit, die Texte in der Vorlesung selbst (über den Vorlesungsstoff hinaus) als Diskussionsstoff einzubringenn • Rat: • Foliensatz der Vorlesung herunterladen / ausdrucken • schon vor den jeweiligen Vorlesungsstunden durcharbeiten • begleitende Lektüre, u.a. anhand der gegebenen Literaturhinweise TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  7. Literaturhinweise Es wäre gut, im Lauf des Semesters alle diese Titel wenigstens auszugsweise durchzuarbeiten! • (Neo-) Institutionalismus • Senge, Konstanze / Hellmann, Kai-Uwe (Hrsg.) 2006: Einführung in den Neo-Institutionalismus. Mit einem Beitrag. von W. Richard Scott, Wiesbaden • Hall, Peter A. / Taylor, Rosemary C. R., 1996: Political Science and the Three New Institutionalisms, in: Political Studies 44, 936-957. • Keohane, Robert 1988: International Institutions: Two Approaches, in: International Studies Quarterly, 32 (1988), S.379-396 • Peters, B. Guy: Institutional Theory in Political Systems, London 1999² • Historischer / Evolutorischer Institutionalismus • Mahoney, James, 2000: Path Dependence in Historical Sociology, in: Theory and Society, 29, 507-548. • Thelen, Kathleen, 2002: How Institutions Evolve. Insights from Comparative-Historical Analysis, in: Mahoney, James / Rueschemeyer, Dietrich (Hrsg.): Comparative Historical Analysis in the Social Sciences. New York, 208-240. • Patzelt, Werner J. (Hrsg.) 2007: Evolutorischer Institutionalismus, Würzburg. • Logik und Methodik des Systemvergleichs • Sabine Kropp / Michael Minkenberg, Hrsg., 2005: Vergleichen in der Politikwissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  8. zentrale Theorien sozialwissenschaftlicher Institutionenanalyse • Einführendes: ,Was ist eine Institution‘? • Überblicke: • zur Begriffs- und Theoriegeschichte • ‚klassische Institutionenkunde‘ vs. Neo-Institutionalismus • Institutionenökonomik (‚rational choice-Institutionalismus) • ‚konstruktivistischer‘ Institutionalismus • akteurszentrierter Institutionalismus • institutionelle Analyse TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  9. Frage: ‚Braucht‘ der politische Prozess vielleicht ‚Institutionen‘ – und ‚schafft‘ er deren ‚Vorgänger‘ (z.B. ‚internationale Regime‘), wo immer für ‚richtige Institutionen‘ noch die Voraussetzungenfehlen? Was ist eine ‚Institution‘? (I) • ‚harter‘ Kern ‚des Politischen‘ (≈ ‚polity-Bereich‘), z.B. … • im Bereich des ‚Regierens‘: Verwaltung, Polizei, Armee • im Bereich des ‚Partizipierens‘ an Politik: Parlamente, Parteien, Verbände • ‚Gehäuse‘ und (!) ‚Werkzeug‘ politischer Prozesse, z.B. … • Rechtsstaat als Rahmen und Instrumentarium des politischer Gestaltungsabsichten • Parlament als Ort und Mittel politischer Auseinandersetzung • Ergebnis von Politik – und darin: ‚Vehikel‘ von politischen Werten / Ideen, z.B. … • unabhängige Gerichte (statt ‚Monarch = Gerichtsherr‘) als Vehikel von Rechtsstaatlichkeit (statt Willkürherrschaft) • Parlamente als Gegenlager zur Exekutive (statt ‚alle Macht in eine Hand‘) als Vehikel von (demokratischer) Partizipation TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  10. Prozesse Strukturen Inhalte Bei Politik geht es um die Frage: • Festgelegt werden inhaltsgeprägte & prozesssteuernde politische Strukturen durch • Verfassungen • Vereinbarungen über (internationale) Regime Was soll wie in welchem Rahmen allgemein verbindlich gemacht werden? policy politics polity TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  11. … und im Kern geht es bei Politik stets um das Schaffen / Stabilisieren / Nutzen / Reformieren / Bekämpfen / Beseitigen von Institutionen als den zentralen Ressourcen zur Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen. Was ist eine Institution? (II) • ein (formelles oder informelles) Regelwerk (‚eingelassen‘ in kulturelle Kontexte) • zur mehr oder minder dauerhaften Ordnung von Interaktionen zwischen Akteuren (Personen oder Organisationen/Institutionen), • das zu (mehr oder minder dauerhaften) sozialen Strukturen führt, • und zwar zur Erfüllung von Zwecken (‚Funktionen‘) • gleich ob in Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur oder Politik • gleich ob diese Zwecke manifest oder latent, symbolisch oder instrumentell sind • wobei die Stabilisierung jener Strukturen dadurch erfolgt, dass die Zwecksetzung (‚Leitidee‘) der Institution ‚werthaft aufgeladen‘ , ‚symbolisch repräsentiert‘ und dadurch bei den Akteuren bzw. Adressaten der Institution (auch) ‚emotional verankert‘ wird. • Im Übrigen lassen sich unterscheiden (siehe Maurice Hauriou) … • personenzentrierte Institutionen (‚institution-personne‘): Orden, Partei, Parlament …. Das alles sind selbst schon soziale Strukturen mit [personalen] Akteuren (‚institutionelle Strukturen‘). • sachzentrierte Institutionen (‚institution-chose‘): Ehe, Privateigentum, Asyl … . Um das alles herum entstehen dann soziale Strukturen mit personalen Akteuren (‚sekundäre‘ institutionelle Strukturen). TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Folge: Institutionen sind besonders ‚feste‘ Bestandteile sozialer bzw. politischer Wirklichkeit – und als solche ein zentraler Gegenstand sozial- bzw. politikwissenschaftlichere Forschung.

  12. nützlich sind so abstrakte analytische Kategorien v.a. für Vergleiche! Funktion Suprasystem System setzt dem Subsystem Rahmenbedingungen Funktion = eine Leistung, die ein (Sub-) System für ein (Supra-) System erbringt erbringt Leistungen für das Suprasystem ‚Strukturfunktionalismus‘ = eine analytische Perspektive, bei welcher das Zusammenwirken von Strukturen und Funktionen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht (in anderer Perspektive auch: ‚Funktionsstrukturalismus‘) TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  13. Arten von Funktionen manifest latent beabsichtigt,‚leicht erkennbar‘ (ursprünglich) unbeabsichtigt,‚nur mit analytischer Anstrengung erkennbar‘ instrumentell wirksam über technische oder institutionelle Mechanismen wirksam über Kommunikations- und Interpretationsbeeinflussung symbolisch TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  14. ausgewählte Parlamentsfunktionen: Beispiele für Arten von Funktionen • manifest: Gesetzgebung • latent: Sicherung von Kommunikation zwischen gesellschaftlicher Peripherie und zentralem politischen Entscheidungssystem • instrumentell-manifest: Wahl der Regierung • instrumentell-latent: Anreiz für Schaffung organisationsstarker Parteien • symbolisch-manifest: Widerspiegelung der im Volk vorhandenen politischen Ansichten • symbolisch-latent: Hervorhebung der Grenzlinie zwischen ‚vernünftigerweise akzeptablen‘ und ‚vernünftigerweise nicht akzeptablen‘ politischen Ansichten TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  15. Nötig zu verstehen: Verfassungen bzw. Vereinbarungen über internationale Regime schaffen sowohl sachzentrierte Institutionen (z.B. [Verteidigungs-] Krieg) als auch personenzentrierte Institutionen (z.B. Gerichtshöfe), die beide sowohl gut zusammenpassen als auch einander widerstreiten können. Institution und Organisation • Organisationen … • bestehen immer aus Akteuren, sind also stets soziale Systeme (wie Unternehmen aus Mitarbeitern). • Hingegen kann es auch rein ‚sachzentrierte‘ Institutionen (Hauriou: institution-chose) geben kann wie das Privateigentum oder die Ehe, d.h. solche, die zunächst einmal nur ‚Regelsysteme‘ (ohne konkret ‚geregelte‘ Personen / konkrete Beziehungen Personen) sind, um die herum sich erst sekundär soziale Strukturen (d.h.: Organisationen) entwickeln ( ‚Institutionen ohne Akteure‘). • Institutionen … • bringen ihre Ordnungsprinzipien und Geltungsansprüche auch noch symbolisch zum Ausdruck (wie Parteien oder Kirchen), • verankern sie dergestalt in emotionalen Tiefenschichten ihrer Akteure oder Adressaten • und erlangen so besonders große Stabilität. • Das heißt: • Institutionen werden zwar oft auch eine organisatorische Konkretisierung haben (nämlich die ‚Institutionsorganisation‘), können als ‚institutions-chose‘ aber auch ohne sie bestehen • Organisationen werden dann zu Institutionen, wenn sie ihre Ordnungsprinzipien und Leitideen auch noch symbolisch zum Ausdruck bringen. Im Bereich der Politik: ‚Verfassungen‘ sind sachzentrierte Institutionen, Verfassungsorgane (wie der Bundestag) und wichtige politische Akteure (wie Parteien) personenzentrierte Institutionen – und obendrein gibt es jede Menge an wichtigen Organisationen (wie die Steuerverwaltung oder die Liegenschaftsämter) TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  16. Umrisse der Begriffs- und Theoriegeschichte I • lateinische Antike: • institutio = Einleitung, Anleitung, Erziehung; Einrichtung • wichtig für Sprachgebrauch v.a. ‚institutio‘ = ‚Lehrbuch‘, meist in das Recht. • Folgenreich: „Gaii institutiones“, juristisches Anfängerlehrbuch aus Mitte 2. Jh. n. Chr., oder die ‚Institutionen‘ des Kaisers Justinian, die weitgehend auf den ‚Gaii institutiones‘ beruhten und 533 n.Chr. obendrein selbst den Status eines Gesetzes erhielten. • Achtung: Noch 1536 erscheint das Theologielehrbuch von Johannes Calvin unter dem Titel ‚Institutio christianae religionis‘. • Nachklang bis heute: ‚Institution‘ (im heutigen Begríffsgebrauch) gekennzeichnet durch symbolisch-lehrhafte Verankerung eines strukturbildenden Sinngefüges in emotionale / kognitive Tiefenschichten von Menschen • institutio als ‚Einrichtung‘ eher benannt mit ‚constitutio‘ (Anordnung, Verfügung, Verordnung) oder mit ‚institutum‘ (Sitte, Brauch, Brauchtum, Vorhaben) • Mittelalter: • Das vom heutigen Institutionenbegriff Gemeinte wird im Wesentlichen vom Begriff der ‚universitas‘ = ‚Gesamtheit von am Gleichen Interessierten‘ abgedeckt (vgl. Otto v. Gierke, ‚Theorie der realen Verbandspersönlichkeit‘ in „Das deutsche Genossenschaftsrecht“) • Zentral: die von Ernst Kantorowicz formulierte Einsicht ‚universitas non moritur‘ – weil sie nämlich im Wechsel der sie tragenden Generationen weiterlebt (vgl. E. Kantorowicz, „The King‘s Two Bodies. A Study in Medieval Political Theology“) TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  17. Umrisse der Begriffs- und Theoriegeschichte II • Der heutige Institutionenbegriff (samt ‚Institution‘ als Begriffswort) wurzelt in den Werken von Montesquieu und Rousseau: Welche sozialen oder politischen Strukturen bzw. deren kulturelle Einbettungen muss man schaffen, wenn bestimmte Verhaltensregulationen auf Dauer gestellt werden sollen? • Achtung: Dieser Gedanke selbst ist schon uralt. Nur die Bezeichnung all dessen mit ‚Institution‘ (statt etwa einfach ‚Konstitution‘) ist neu – und obendrein der Gedanke, dass es um ein Hineinwirken in emotional-kulturelle Tiefenschichten geht ( Montesquieu: ‚esprit des lois‘, ‚principe du régime‘ [terreur/Despotie – honneur/Monarchie –vertu/Republik];  Rousseau: ‚religion civile‘). • Für die Sozialwissenschaften wird dann folgende Theorietradition wichtig: • Fustel de Coulanges (1830-1889), Lehrer von Émile Durkeim, studiert die ‚Institutionen‘ der antiken Stadt und betont deren Jahrhunderte überdauernde Stabilität (= politische Kernleistung) • Émile Durkheim (1858-1917), einer der Gründerväter der modernen Soziologie: „On peut (...) appeler institutions toutes les croyances et tous les modes de conduite institués par la collectivité. La sociologie peut être alors définie comme la science des institutions, de leur genèse et de leur fonctionnement .» • Von Durkheim an ist der Institutionenbegriff zentral für die Sozialwissenschaften: Institutionen sind die zentralen ‘faits sociaux’, die man wie ‘Dinge’ erforschen muss. • ‘Abrundung’ dieser einseitigen Position: ‘Les faits sociaux ne sont pas des choses’ – sondern Sozialkonstruktionen, die des ständigen Neubewirktwerdens in Tausenden von Alltagssituationen bedürfen (Prozesse der ‘sozialen Wirklicheitskonstruktion’; vgl. Berger / Luckmann, das Schrifttum zur Ethnomethodologie sowie die Dresdner ‘institutionelle Analyse’)

  18. Umrisse der Begriffs- und Theoriegeschichte III  Bitte selbständig weiterlesen! • Max Weber (1864-1920): Einführung des Begriffs der ‘Institutionalisierung’ für die Verfestigung von Vergesellschaftungen • Talcott Parsons (1902-1979): Institutionen (die ihrerseits Funktionen erfüllen) als Kernstücke sozialer Strukturen • Maurice Hauriou (1856-1929, Rechtswissenschaftler): Institutionen als rechtliche sowie soziale Konkretisierungen von ‘Leitideen’; Unterscheidung von ‘institution-personne’ und ‘institution-chose’ • Friedrich August v. Hayek (1899-1992, Wirtschaftswissenschaftler): Institutionen sind ‘wie lebende Organismen’; Anschluss: institutionelle Populationsökologie der 1970er; siehe Hannan/Freeman, Aldrich/McKelvey • John Rawls (1921-2002, Philosoph): Institutionen als ‘Mittel zum Zweck’ (vgl. Mancur Olson, Logik des kollektiven Handelns) • Arnold Gehlen (1904-1976): Instutionen dienen der ‘Daseinsentlastung’; sie helfen dem ‘Urmenschen’, sich auch noch in der ‘Spätkultur’ zurechtzufinden • Peter L. Berger (1929 - ) / Thomas Luckmann (1927 - ): Institutionen entstehen aus Habitualisierung von Rollen  Alles das ist von Interesse für politikwissenschaftliche Grundlagentheorien, deren Interesse über das ‚Nachzeichnen‘ konkreter (politischer) Institutionen hinausgeht, um sie auch von allgemeinen Prinzipien ihrer Konstruktion und Funktionslogik her zu verstehen. TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  19. ‚Klassische (politische) Institutionenkunde‘ z.B. W. Ismayr, Der Deutsche Bundestag • Ausgegangen wird von den Institutionen, „die da sind“, z.B. Monarch/Hof, Verwaltung, Gerichte, Parlamente, Parteien usw. • Diese Institutionen werden beschrieben hinsichtlich ihrer … • Rechtsgrundlagen, Handlungskompetenzen, Rolle im (rechtlichen) Gesamtsystem • Beschaffenheit (z.B. Zusammensetzung), tatsächlichen Wirkungsweise, erreichten Leistungen, Funktionsprobleme … • Diese Institutionen werden ferner erklärt durch … • Darstellung ihrer Geschichte (‚genetische‘ bzw. ‚historische‘ Erklärung) • Darlegung ihrer Zwecke, derentwillen ‚es sie braucht‘ (‚rationale‘ Erklärung). • Ferner kann man zu Werturteilen und Handlungsanweisungen (beibehalten – reformieren – abschaffen) über sie gelangen durch … • Erarbeitung von Wertmaßstäben, anhand welcher man die Ziele, Performanz und / oder Wirkungsfolgen konkreter Institutionen beurteilt • Erarbeitung von Werturteilen bzw. Handlungsanweisungen anhand einesteils solcher Wertmaßstäbe, andernteils empirischer Bestandsaufnahmen des Ist-Zustandes Bewertung: Notwendiger Ausgangspunkt aller Beschäftigung mit Institutionen – und unmittelbar praktisch wichtig für (Aus-) Bildung und (politische) Beteiligung TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt vgl. Carl Deichmann, Mehrdimensionale Institutionenkunde in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts. 1996

  20. Errungenschaft dieser Entwicklung: Starke Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Dimension der Politikwissenschaft – in Ergänzung zu ihren juristischen, geschichtswissenschaftlichen und philosophischen Dimensionen ( Szientifizierung, Szientismus; vgl. J.David Singer, Die szientifische Methode, Politische Vierteljahresschrift 1973/1974). Forschungsentwicklung: von der Institutionenkunde zum Neo-Institutionalismus • ‚behavioral revolution‘ der Sozialwissenschaften nach 2. Weltkrieg: • ‚Nicht Rechtsnormen, sondern das konkrete Verhalten von Individuen studieren!‘ ( Info) • wissenschaftstheoretisch-forschungspraktischer Hintergrund: methodologischer Individualismus • Lit: Jürgen W. Falter, Der ‚Positivismustreit‘ in der amerikanischen Politikwissenschaft, Opladen 1982 • Dominanz des ‚strukturfunktionalistischen Paradigmas‘ (Parsons …) • Lit.: Hilde Weiss, Soziologische Theorien der Gegenwart. Darstellung der großen Paradigmen, Wien 1993 • Kernbegriff: ‚soziales System‘ (mit Institutionen lediglich als ‚Sonderfällen‘ sozialer Systeme) • zu untersuchen: • deren Stukturen (darunter freilich auch: Institutionen) • die grundlegenden Funktionen, die alle Strukturen sozialer Systeme zu erfüllen haben: adaptation, goal attainment, integration, latent pattern maintenance (‚AGIL‘) • zentralerFortschritt: Löst institutionenanalytisches Denken von (verfassungs-) rechtlichen Kategorien • Folge: • ‚klassische‘ Institutionenkunde galt als ‚veraltet‘, nachgerade als ‚vor-wissenschaftlich‘ • Vorliebe für abstrakte systemtheoretische Darstellungsweisen, bei denen konkrete Institutionen vor allem als Beispielsmaterial für sie übergreifende Zusammenhänge dienten • Vorliebe für Befragungsmethoden, mit denen man sich Institutionen aber nur rekonstruierend zuwenden kann: Befragter – Rolle – Rollenstruktur - Institution in 1980ern ‚Wiederentdeckung‘ der Institutionen  Gegenbewegung zum Behavioralismus: Neo-Institutionalismus (und seine unterschiedlichen Ausprägungen) TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  21. Behavioralistische Forschungsfragen / -strategien • Welche Rollenorientierungen haben die Akteure Xi-n? • qualitative oder quantitative Befragungen geeigneter Stichproben; hermeneutische oder statistische Analysen • Wie verhalten sie sich, geprägt wovon? • qualitative oder quantitative Befragungen geeigneter Stichproben; qualitative oder quantitative Beobachtungen; hermeneutische oder (multivariate) statistische Analysen • Was sind die Folgen solchen Verhaltens? • qualitative oder quantitative Befragungen geeigneter Stichproben; qualitative oder quantitative Beobachtungen; hermeneutische oder (multivariate) statistische Analysen • theoriebildende ‚Zusammensetzung‘ / Synthese … • von Rollenorientierung / Rollenverhalten zu ‚Rolle‘ • von einzelnen Rollen über ‚Rollenmbündel‘ und ‚Rollenstruktur‘ (mit Funktionen) zu ‚Organisation / Institution‘ TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Forschungsbeispiele: Wahlke et al., The Legislative System (1962); Fenno, Home Style (1978)

  22. Analyseschema vonTalcott Parsons Allgemeine Aufgabeneines sozialen Systems: AGIL Hinarbeiten auf die vomSystem verfolgten Ziele Aufrechterhaltung der ‚Passung‘ zwischen dem System und seiner Umwelt Adaptation Goal attainment Latent pattern maintenance Integration Sicherung des Zusammenhalts des Systems Aufrechterhaltung der Wertgrundlagen, Sinnstrukturen und handlungsleitenden Selbstverständlichkeiten des Systems TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  23.  Prägt auf vielfältige Weise, unterschiedlich je nach Forschungsgebiet, seit 1990er Jahren die Politik-wissenschaft; in Deutschland u.a. wegen DFG-Schwerpunktprogramm ‚Theorie politischer Institutionen‘ Neo-Institutionalismus  Literaturhinweise • Seit 1970er Jahren: ‚Wiederentdeckung‘ der Wichtigkeit von Institutionen als konkret und anschaulich verhaltensregulierenden Ordnungen – und nicht nur als ‚abstrakte Funktionen erfüllende Systeme‘ • keine Engführung auf politische Institutionen, sondern auf alle Arten solcher Verhaltensregulierungen – von der Wirtschaft über die Kultur bis hin zur Gesellschaft und Politik, so dass politische Institutionen als Sonderfall allgemeiner Zusammenhänge analysierbar werden • keine ‚einheitliche Theorie‘, sondern lose verbundenes Nebeneinander von … • Rational choice- Institutionalismus: rationale Wahlhandlungen führen zur Einrichtung von Ordnungsarrangements, die wichtigen Interessen ihrer Akteure / Nutzer dienen; entfaltet v.a. als ‚Institutionenökonomie‘ • Soziologischer Institutionalismus: Betonung der ordnungskonstruierenden / ordnungsreproduzierenden Handlungen konkreter Akteure sowie der alledem vorausliegenden kulturellen Orientierungsleistungen • Historischer / Evolutorischer Institutionalismus (zu behandeln bei ‚Theorien sozialen Wandels‘) • Institutionelle Analyse (Dresdner Spezialität aus dem Sonderforschungsbereich ‚Institutionalität und Geschichtlichkeit‘): Untersuchung, wie aus Institutionalität als ‚Aggregatzustand sozialer Wirklichkeit zwischen Dauer und Wandel je konkrete Ordnungsstrukturen werden und sich wandeln (‚konstruktivistischer Ansatz‘) TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  24. Literatur zum Neo-Institutionalismus • Göhler, Gerhard: Die Eigenart der Institutionen, Baden-Baden 1994 • Göhler, Gerhard: Institution – Macht – Repräsentation. Wofür politische Institutionen stehen und wie sie wirken, Baden-Baden 1997 • Hall, Peter A. / Taylor, Rosemary C. R., 1996: Political Science and the Three New Institutionalisms, in: Political Studies 44, 936-957. • Senge, Konstanze / Hellmann, Kai-Uwe (Hrsg.) 2006: Einführung in den Neo-Institutionalismus. Mit einem Beitrag von W. Richard Scott, Wiesbaden TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  25. Institutionenökonomik • Entwicklung in der Wirtschaftswissenschaft, mit immer mehr Einwirkungen auf die Politikwissenschaft und deren Institutionenanalyse • Kernanliegen: • Untersuchung der Wirkung von Institutionen auf die Handlungsweisen von Interessenträgern aller Art • Dabei: Hinausgehenüber die neoklassische Wirtschaftstheorie mit ihren Zentralkonzept des ‚homo oeconomicus‘ = Menschen handeln nur rational hinsichtlich der Maximierung ihres Nutzens • wichtige Konzepte u.a.: • beschränkte Rationalität • asymmetrische Information • Rolle der Transaktionskosten • Opportunismus • unvollständige Verträge • Rolle von Marktmacht  Allesamt typisch für politische Prozesse und die aus ihnen entstehenden bzw. diese Prozesse prägenden Institutionen TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  26. Institutionenökonomikim Überblick Unglückliche Darstellung, weil die untenstehenden Theorien allesamt auch für die Analyse politischer Institutionen fruchtbar & einschlägig sind. Info Info Info Info Info vgl. auch: Erlei, Mathias / Leschke, Martin / Sauerland, Dirk : Neue Institutionenökonomik, Stuttgart 2007; Richter, Rudolf / Furubotn, Erik: Neue Institutionenökonomik, 3. Aufl. Tübingen 2003; Pappenheim, Reiner: Neue Institutionenökonomie und politische Institutionen, Frankfurt u.a. 2001 TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  27.  Jan-Erik Lane, Public administration and public management. The principal-agent perspective, London 2005 Prinzipal-Agent-Theorie (‚Agenturtheorie) … macht typische Probleme politischer Institutionenbildung hier als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! • Im Zug gesellschaftlicher Arbeitsteilung beauftragen Menschen (= Prinzipale) andere Menschen (= Agenten) damit, für sie Dienstleistungen zu erbringen, und zwar zum Zweck wechselseitiger Nutzenmaximierung. • Das kann sich über viele Stationen (d.h. P/A-Beziehungen) fortsetzen kann. • im Bereich der Politik: Herrschaft und Repräsentation (‚chain of delegation‘) sind P/A-Beziehungen! (vgl. Torbjörn Bergman, Parliamentary democracy and the chain of delegation, Dordrecht 2000) • Da es bei P/A-Beziehungen stets um (unvollkommene) Vertragsbeziehungen geht, lassen sich alle ‚Vertragstheorien‘ der politischen Theorie agenturtheoretisch reformulieren / durchleuchten • So entstehen mehr oder minder lange Handlungsketten, gekennzeichnet durch … • asymmetrische Informationsverteilung: • Agenten wissen mehr als ihre Prinzipale (verborgenes Wissen, verborgene Absichten, verborgene Handlungen) • verschiedene – (transaktions-)kostenreiche! – Möglichkeiten der Kontrolle: bürokratische Verfahren, Controlling, Anreize für korrektes Verhalten, (Unternehmens-) ‚Kultur‘, Reputation, Vertrauen … • Prinzipale können i.d.R. nicht klar beurteilen, welche Ergebnisse auf wirkliche (Fehl-) Leistungen ihrer Agenten, welche andere aber auf Glück oder Missgeschick der Agenten zurückgehen. • Agenten können ihren Informationsvorsprung zu Ungunsten des Prinzipals für sich nutzen (‚moral hazard‘ = Gefahr einer Verhaltensänderung nach [scheinbarem] Wegfall eines Risikos) • Opportunismus: P und A können je eigene (wechselnde!) Interessen verfolgen, woraus Konflikte und wechselseitig unbefriedigende Ergebnisse resultieren können. • unterschiedliche Risikoneigung von P und A – mit wechselseitiger Unzufriedenheit

  28. … macht typische Probleme politischer Institutionenbildung als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! Transaktionskostenökonomik • Transaktion = Übertragung von Verfügungsrechten an Gütern und / oder Dienstleistungen zwischen Vertragspartnern • vgl. Harold Lasswell (1950): Politik meint ‚Who gets what, when, and how?‘ • zu lösendes Problem: Die für solche Transaktionen nötigen Ressourcen (‚Kosten‘) sollen möglichst gering sein. Darunter fallen: • ex ante – Kosten: Informations-, Verhandlungs-, Vertragskosten • ex post – Kosten: Durchsetzung, Kontrolle, nachträgliche Vertragsanpassungen • Bedingungen, unter denen die Problemlösung erfolgt: • begrenzte Rationalität des jeweiligen Vorgehens wegen begrenzter Wahrnehmung / Information der Vertragspartner • Handeln unter Unsicherheit (unvorhergesehene Ereignisse; opportunistisches Verhalten des Vertragspartners …) • Skaleneffekte: Je mehr (gleichartige) Transaktionen, um so geringere Transaktionskosten • Vertrauen, gemeinsame Kultur (Präferenzen, Kompetenzen, Selbstverständlichkeiten …), auf dem Spiel stehende Reputation senken die Transaktionskosten TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt  Fritz, Carl-Thomas: Die Transaktionskostentheorie und ihre Kritik sowie ihre Beziehung zum soziologischen Neo-Institutionalismus. Frankfurt am Main: Peter Lang, 2005; Begründer: Ronald Coase, Nature of the Firm, 1937

  29. Theorie der Verfügungsrechte (‚property rights theory‘) … macht typische Probleme politischer Institutionenbildung hier als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! • Verfügungsrecht: Recht, eine Sache zu benutzen, aus ihr Erträge zu ziehen, sie zu verändern, sie – zum eigenen Gewinn – zu veräußern. • Zu lösendes Problem: • ‚Tragödie der Allmende‘: allgemein zugängliche Güter werden individueller Interessen wegen zum Nachteil der Gemeinschaft übernutzt, wenn es keine klaren – und durchgesetzten – Regelungen des Verfügungsrechtes über sie gibt (≈ ‚Trittbrettfahrer-Problem‘) • Wo keine klaren und durchgesetzten Verfügungsrechte bestehen, gibt es nur geringe Anreize für Investitionen, da niemand sicher sein kann, Nutzen aus seinen Investitionen zu ziehen. • Struktur des Problems: doppeltes ‚Gefangenendilemma‘: • Es ist kollektiv besser, wenn sich alle an eine Verfügungsrechteverteilung halten – individuell aber besser, sich nicht daran zu halten. • Es liegt im kollektiven Interesse, Rechtsverletzer zu bestrafen – doch es liegt im individuellen Interesse, sich an den Kosten solcher Bestrafung bzw. der Durchsetzung der Verfügungsrechteverteilung nicht zu beteiligen. • Lösung: • Bereitstellung einer Rechtsordnung, in deren Rahmen Verträge abschließbar und nötigenfalls veränderbar sind, die ihrerseits eine akzeptable Verfügungsrechteverteilung herbeiführen • Aufbau und Sicherung einer Staats- und Verfassungsordnung, die eine sowohl stabile als auch flexible Rechtsordnung dieser Art garantieren kann. TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt  Dietl, H./van der Velden, R.: Verfügungsrechtstheorie - Property Rights Theorie, in: Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4. Aufl., Hrsg. G. Schreyögg/A. v. Werder, Stuttgart (Schäffer-Poeschel), 2004, Spalten 1566-1572

  30. Wangenheim, Georg. v., Sie denken anders. Verfassungsökonomik und Verfassungsrecht, in: Wirtschaftsverfassung in Deutschland und Europa, Kassel 2007, S. 407-421 Verfassungs-ökonomik … macht typische Probleme politischer Institutionenbildung hier als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! • Verfassungen sind Regelwerke, die – neben anderem – zur Regulierung von (Verteilungs-) Konflikten dienen. ( Definition von Politik als Herstellung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen; Vertragstheorien …) • Dabei stellen sich u.a. die von der Agentur-, Transaktionskosten- und Verfügungsrechtstheorie und der beschriebenen Probleme. Sie zu lösen ist Aufgabe der Verfassungsökonomik, die im Wesentlichen spieltheoretisch( Th. Riechmann, 2008) vorgeht . • Ansatz: • Verfassungen sollen bei der Lösung politischer Konflikte nicht Nullsummenspiele herbeiführen (‚Was der eine gewinnt, verliert der andere‘), sondern Positivsummenspiele (‚win-win-situations‘) – v.a. deshalb, weil sie (oft) hinter einem ‚veil of ignorance‘ (J. Rawls) entstehen. • Analytisch werden unterschieden: • ‚Basisspiele‘ = reale politische Konflikte (mit ‚originären Präferenzen‘) • ‚Metaspiele‘ = Konflikte um die Festlegung jener Spielregeln, nach denen die realen politischen Konflikte ausgetragen / beigelegt werden sollen (mit ‚konstitutionellen Präferenzen‘) . • D.h.: Auf der Ebene der Metaspiele werden jene Anreizstrukturen geschaffen, welche das Verhalten der Spieler im Basisspiel steuern sollen; und folglich muss man die Metaspiele so einrichten, dass sie zu möglichst allgemein zustimmungsfähigen Regeln für Basisspiele führen. • Lösung: Einrichtung eines ‚Meta-Metaspiels‘, d.h. eines verfassungspolitischen Diskurses über sinnvolle Verfassungsprinzipien. Eben der ist der Ort des Auffindens konsensualer Konfliktlösungsmöglichkeiten. • Konkret geht es auf dieser dritten Ebene um die politisch-wissenschaftliche Erörterung der Einrichtung wünschenswerter institutioneller Mechanismen, etwa: Was wäre eine optimale horizontale oder vertikale Gewaltenteilung, was ein – durch das Wahlrecht zu steuernder – optimaler Parteienwettbewerb, was ein ‚politisch optimales‘ Mediensystem?

  31.  Guy Kirsch: Neue Politische Ökonomie, Stuttgart 2004; Dennis C. Mueller: Public Choice III, Cambridge 2003. Neue politische Ökonomie (public choice – Theorie) • Analyse individueller und kollektiver politischer Akteure (wie: Wähler, Verwaltungen, Parteien, Verbände …) • … anhand wirtschaftswissenschaftlicher Konzepte mit Schwerpunkt auf … • rational handelndem, von Eigeninteressen geleitetem ‚homo oeconomicus‘, der seinen Nutzen maximieren will und seine Entscheidungen danach ausrichtet • Annahme von (immer wieder neu herbeizuführenden) Gleichgewichtszuständen durch Verlagerung des ‚modalen Politikpunkts‘ / der ‚modalen Handlungsstrategie‘ im zwei- oder mehrdimensionalen Handlungsraum ( ‚spatiale Modelle‘; vgl. David Austen-Smith, Positive political theory, 2 Bde, Ann Arbor / Mich., 1999/2005) • konkrete Anwendungsfelder u.a.: ökonomische Theorie … der Demokratie, der Bürokratie, der Interessengruppen, des Parteiverhaltens, der Regulierung, politischer Vorteilssuche, politischer Konjunkturzyklen, des Wirtschaftswachstums usw. … macht typische Probleme politischer Institutionen und politischen Institutionenverhaltens als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  32.  Wendt, Alexander: Social theory of international politics, Cambridge u.a. 200811 ‚konstruktivistischer‘ Institutionalismus oft attraktiv für ideologische und aktionistische (‚progressive‘) politische Positionen • Generell: ein Ansatz, der – nicht gründlich durchdacht – auf intellektuelle Abwege führt! • ‚harter Kern‘: • Institutionen ‚fallen nicht vom Himmel‘, sondern werden von Menschen geschaffen, aufrechterhalten – und beseitigt. Sie sind also ‚Konstruktionen‘ auf der Grundlage von Wissenssystemen, Glaubensakten und Interessen • Hintergrundtheorien: ‚soziale Konstruktion der Wirklichkeit‘ (P. Berger/ Th. Luckmann, A. Giddens, Ethnomethodologie …;  Patzelt, Grundlagen der Ethnomethodologie, 1987) • richtige, doch viele Studierende als ‚erkenntnistheoretischer Konstruktivismus‘ in die Irre führende Kernaussage der Theorien der Konstruktion sozialer Wirklichkeit: • Institutionen werden durch menschliches Handeln erzeugt; menschliches Handeln wirdgeprägt u.a. durch Leitideen, ‚kognitive Landkarten‘, Ideologeme usw., d.h.: durch kulturelle / intellektuelle ‚Konstruktionen‘. • Folge: Verändert man seine intellektuellen / kulturellen Konstruktionen und – davon angeleitet – das Handeln vieler, so ändern sich bisherige Institutionen oder entstehen neue Institutionen ( ‚Thomas-Theorem‘) • falscher, doch häufiger Schluss: • Weil Institutionen Konstruktionen sind, Konstruktionen aber intellektuell umgeschaffen werden können, lassen sich Institutionen auch alleindurch ‚intellektuelle/kulturelle Umkonstruktion‘ verändern (‚Man denkt sie sich anders, also ist sie anders!‘). • Und das hieße: Institutionen haben keine ‚Existenz an sich‘, sondern sind Ergebnisse reiner Interpretation – weshalb sich die Welt schon durch Uminterpretieren verändern lässt! völlig richtig & analytisch höchst fruchtbar gedanklicher Kurzschluss – und völlig irreführend

  33. ≈ Begriffe / Theorien ‚konstruktivistische‘ Erkenntnistheorie ‚Konstruktionsmodell‘der Erkenntnis (Heinz v. Förster) ‚Kategorien‘ • richtig: Information über O ist immer durch theoretische Begriffe (vor-) strukturiert • Anspruch: Vor Augen führen, dass sinnvolle Empirie nicht möglich ist. • Problem: Leben 6 Millionen Juden sowie ihre Nachkommen dann wieder,wenn man sich ein Geschichtsbild konstruiert, in dem es keinen Holocaust gab? Oder wurden sie nach (!) Konstruktion eines solchen Geschichtsbildes nie umgebracht? ‚erkanntes‘ Objekt O konstruiert geistig erkennendesSubjekt S Operationswirklichkeit ? Perzeptionswirklichkeit ‚erkanntes‘ Objekt O‘ konstruiert geistig Von einer ‚Operationswirklichkeit‘, die unabhängig von unserer Perzeptionswirklichkeit bestünde, kann man nicht sinnvoll sprechen. Es ist nicht so, dass man etwas ‚erkennt‘; vielmehr wählt man Denkkate-gorien und konstruiert anhand ihrer etwas, das man dann so behandelt, als ob es ‚die Wirklichkeit‘ wäre. TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  34. Das ‚Thomas-Theorem‘ = ‚Gesetz‘ von der wirklichkeitskonstruktiven Rolle bloßer Situationsdefinitionen • „Wenn Menschen eine Situation als so-und-nicht-anders-beschaffen definieren • und von dieser Situationsdefinition ausgehend handeln, • dann sind die Folgen dieses Handelns real, • ganz gleich, wie irreal die Situationsdefinition war.“ Ideologie, gerade auch alsfalsches Bewusstsein reale Handlungsfolgeeiner irrealen Ursache TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  35. Eine Bank ist wirtschaftlich gesund. Dennoch wird in den Medien berichtet, sie stehe vor dem Bankrott. Viele Einleger glauben den Medien. Sie ziehen darum ihre Einlagen von der Bank ab. Die Bank kommt in Liquiditätsprobleme. Jetzt erleben die Einleger, dass die Bank wirklich Liquiditätsprobleme hat. Auch die Zweifler ziehen nun ihre Einlagen ab. Die Bank geht in Konkurs. Operationswirklichkeit Medienwirklichkeit Perzeptionswirklichkeit Situationsdefinition Handeln auf der Grundlageder Situationsdefinition Operationswirklichkeit Beglaubigung der zunächstirrealenSituationsdefinition Handeln auf der Grundlageder Situationsdefinition Operationswirklichkeit Beispiel zum‚Thomas-Theorem‘ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  36. Mayntz, Renate / Scharpf, Fritz W. (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, Frankfurt a.M./New York 1995 akteurszentrierter Institutionalismus … macht typische Probleme politischer Institutionenbildung hier als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! • im Kern: eine Synthese der schon behandelten Einsichten des Neo-Institutionalismus. • Elemente: • Institutionen sind das Werk (‚eine Konstruktion‘) des sozialen Handelns konkreter Akteure. Dieses ist kein ausschließlich rationales Handeln, sondern es spielen auch internalisierte Normen eine wichtige Rolle. • Darum lassen sich Institutionen nicht auf Regelsysteme reduzieren, sondern umfassen auch die bei ihrer Konstruktion verwendeten Symbolsysteme, ‚kulturellen Skripte‘ und ‚Deutungsrahmen‘. • Institutionen prägen gewiss ihrerseits das Handeln der Akteure – sowohl durch ‚incentives‘ als auch durch ‚constraints‘. • Hinsichtlich von bzw. in Institutionen handeln Akteure unter jenen Rationalitätsdilemmata, die von den Spielarten der Institutionenökonomik behandelt werden. • Auf diese Weise entstehen stets Unterschiede zwischen ‚realem Verhalten‘ und ‚wirklichen Präferenzen‘, weshalb kollektive Entscheidungen nicht der Summe individueller Interessen entsprechen (können). TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  37. Werner J. Patzelt: Institutionalität und Geschichtlichkeit in evolutionstheoretischer Perspektive, S. 287-374 in ders., Hrsg., Evolutorischer Institutionalismus, Würzburg 2008 … macht typische Probleme politischer Institutionenbildung hier als Sonderfälle ganz allgemeiner Zusammenhänge transparent! institutionelle Analyse • Schwerpunkt des Interesses sind nicht Institutionen, sondern ist ‚Institutionalität‘ als ‚Aggregatzustand‘ sozialer Wirklichkeit zwischen Dauer und Wandel. • Untersucht werden die Mechanismen und Prozesse der Stabilisierung solcher – prinzipiell ‚flüchtigen‘ Ordnungsarrangements, also: der Verfestigung jenes opaken ‚Aggregatzustandes‘ in (zeitweise) bestehende soziale Strukturen. • Derartige Stabilisierungsmittel sind u.a.: • Selbstsymbolisierung der Geltungsansprüche und Ordnungsprinzipien, der Leitideen und Leitdifferenzen eines Sozialgefüges • ‚Geltungsgeschichten‘ als stabilisierende Kontinuitätsbehauptungen • ‚Subjektformierung‘ als koordinierende Anpassung von individuellen Habitusformen an bestehende soziale Strukturen • Machtverdeckung – um jene Prozesse schwer (an-)greifbar zu machen, welche solcher Verfestigung sozialer Strukturen dienen. TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  38. zentrale Theorien institutionellen Wandels • Einführendes • Überblicke • zyklische Entwicklungstheorien • Verfassungskreisläufe • Aufstieg und Altern von Kulturen / Sozialgebilden • Revolutionstheorie • lineare Entwicklungstheorien • Historischer Materialismus • ‚zunehmende Rationalisierung‘ • ‚Wandel gesellschaftlicher Integrationsmechanismen‘ • Modernisierungstheorie • Wandel ohne ‚vorgegebenes‘ Ziel • Historischer Institutionalismus • Evolutorischer Institutionalismus TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  39.  Göhler, Gerhard (Hrsg.): Institutionenwandel, Opladen 1997 Defizite der referierten institutionenanalytischen Theorien • recht nebensächliche Berücksichtigung des Faktors ‚Zeit‘ • ‚Zeit‘ zwar implizit berücksichtigt bei der Konstruktion von Institutionen, beim Abschluss und Verändern von Verträgen, bei der Verfügungsrechtsproblematik usw., doch nirgendwo als expliziter Faktor • keine (ausreichende) ‚Modellierung‘ der Geschichtlichkeit von Institutionen (also: ‚Ahistorizität‘), und somit keine (guten) Ansatzpunkte für … • Diagnose / Therapie von ‚Institutionenverfall‘ • Abschätzung von Notwendigkeit und Erfolgsaussichten von – auf längere Wirkungsfristen berechneten – Reformen • Das ist umso unbefriedigender, als bei der Betrachtung des Zusammenhangs von ‚Politik‘ und ‚Verfassung‘ Erscheinungen wie die folgenden unübersehbar sind: • ‚Verfassungskreisläufe‘ • ‚Verfassungsevolution‘ • Systemzusammenbrüche also nötig: Blick auf Theorien institutionellen Wandels Hierfür viele Kandidaten: von der Geschichsphilosophie bis zu ‘Evolutionstheorien‘ unterschiedlichster Art TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  40. institutioneller Wandel: einige analytische Kategorien • ‚Einheiten‘ des Wandels • einzelne institutionelle Strukturen, gesamtgesellschaftliche Strukturen • Elitengruppen [R. Dahrendorf], (politische) Generationen [K. Mannheim] • kognitive / affektive / normative Ordnungen, die der Generierung institutioneller Strukturen zugrunde liegen [u.a. T. Parsons] • ‚Dimensionen‘ des Wandels • ‚Tempo‘ ( Zeitstrukturen & Chronorhythmik [F. Braudel, La longe durée], ‚Ereignisdichte‘ …) • ‚Tiefgang‘ ( bis hinunter zu welchen Ebenen: sozoale Makro-, Meso-, Mikroebene – und dann?) • ‚Richtung‘ • Form: linear, exponentiell, logarithmisch; zyklisch • Steuerbarkeit: deterministisch bzw. teleologisch, [rein] kontingent, teleonomisch, ‚post-stabilisierend‘ bzw. pfadabhängig …) • ‚Prägefaktoren‘ des Wandels • ‚innere‘ Faktoren, v.a.: ‚Bauplan‘ / ‚Grundform‘ eines Systems, z.B. einer Verfassung • ‚äußere‘ Faktoren, v.a.: Anforderungen aus der Umwelt / Nische eines Systems • typischerweise studierte inhaltliche Bereiche sozialen / institutionellen Wandels: • Ordnung / Fortschritt • Herrschaft / Teilhabe • Solidarität / Differenzierung • Produktivkräfte / Produktionsverhältnisse • Religion / Säkularisierung

  41. Historizismus  Karl Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen 20037 • (Irr-)Lehre, dass die Geschichte einen objektiv notwendigen Verlauf nimmt ( ‚Determinismus‘) • Folgerungen aus dieser (Irr-)Lehre: • Man kann den notwendigen Verlauf der Geschichte objektiv erkennen. • Das Ziel von Geschichts- und Sozialwissenschaft besteht darin, den notwendigen Gang der Geschichte objektiv zu erkennen. • Politik soll solche Erkenntnis beherzigen und – auf der Grundlage einer derartigen ‚wissenschaftlichen Weltanschauung‘ – das geschichtlich objektiv Notwendige herbeiführen(Gemeinwohl a priori) NB: Nicht zu verwechseln mit ‚Historismus‘, d.h. einer geschichtswissenschaftlichen Schule und Epoche, welche ihren Gegenstand möglichst genau beschreiben und aus sich selbst heraus, am besten entlang seines Selbstverständnisses, verstehen wollte. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  42. Kontingenz • Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716): „Contingens est quod nec impossibile nec necessarium“ deutsch: „Kontingent ist, was weder unmöglich noch notwendig ist“ • D.h.: ‚Kontingenz‘ meint, daß den Lauf der Dinge verändernde Ereignisse und Prozesse ... • aus gleich welchen Gründen • mit gleich welchen Wahrscheinlichkeiten zwischen 0 und 1 • in einem System oder in dessen Umwelt auftreten und so die Entwicklung eines Systems, oder von dessen Umwelt, in wenig vorhersehbarer Weise beeinflussen. • Folgenreich für Systementwicklung und Systemgeschichte: ‚doppelte Kontingenz‘ – einesteils im System, andernteils in dessen Umwelt. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  43.  Bernhard Hassenstein, Biologische Teleonomie, Neue Hefte für Philosophie, 20/1981, S. 61-71; Pleines, Jürgen-Eckhardt (Hrsg.), 1994: Teleologie. Ein philosophisches Problem in Geschichte und Gegenwart. Würzburg. Teleologie und Teleonomie • Unterschied zu verstehen analog zu dem zwischen Astrologie und Astronomie • Teleologie: • ein System trägt sein Ziel in sich (= Finalismus) • d.h.: es hat eine notwendige Entwicklungsrichtung und Geschichte (= Determinismus, Historizismus) • Teleonomie: • ein System hat eine bestimmte Struktur und Funktionslogik • z.B. der Körperbau eines Wirbeltiers – vom Fisch über den Vogel bis zum Menschen • die Freiheitsgrade seiner Weiterentwicklung sind darum eingeschränkt, d.h.: es kann nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt alles werden • z.B. es wird kein lebensfähiges Wirbeltier ohne Wirbelsäule entstehen • anders formuliert: seine Entwicklung ist nicht notwendig, sondern kontingent, und dabei pfadabhängig • d.h.: Sehr wohl könnten / können kontingent neue Arten von Wirbeltieren entstehen – doch keines ohne Wirbelsäule! TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  44.  ‚Was gestern wurde, prägt heute, was morgen sein kann‘ Geschichte Pfadabhängigkeit Mahoney, James, 2000: Path Dependence in Historical Sociology, in: Theory and Society, 29, 507-548 t4: zwei längst getrennte Pfade kommen wieder zusammen! t4 t1 t2 t3 A B offene Zukunft – irreversibler Ablauf man schleppt mit, was man wurde C  Prägekraft ‚der Evolution‘ t1: noch istalles möglich! „kein Weg führt mehr von A nach D, und doch ....!“ t3: Pfade A und B trennen sich t2: Pfade A und B trennen sich von C und D • kontingenteAbzweigungen an ‚critical junctures D • nicht vorhersehbareErgebnisse • nur imNachhinein, bei derhistorischen Analyse, klarerkennbareEntwicklungen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  45. = klassisches Thema der Politikwissenschaft, zentral für Studiengang ‚Politik und Verfassung‘ Verfassungskreisläufe • Leitgedanken / Beobachtungen: • Sogar ‚gute Ordnungen‘ / ‚bewährte institutionelle Formen‘ werden, wenn sie denn einmal entstanden sind / stabil sind, immer wieder schlecht genutzt / übernutzt / ‚zum Schlechteren reformiert‘. • Gründe: neue Generationen gehen mit dem Überkommenen riskant / ignorant / selbstsüchtig um; ‚die Umstände haben sich gewandelt‘; moralischer Verfall der Regierenden (Habsucht, Überheblichkeit, Ungerechtigkeit, Herrschsucht … • Dann entstehen Systemkrisen / Institutionenkrisen, aus denen – oft zum Schlechteren, manchmal auch zum Besseren – veränderte ‚reformierte‘ Systemstrukturen / institutionelle Formen hervorgehen. • wichtige Autoren: • Platon, Politeia: Aristokratie – Timokratie – Oligarchie – Demokratie – Tyrannis – Aristokratie … • Aristoteles, Politik: Monarchie – Tyrannis – Aristokratie – Oligarchie/Plutokratie – Politie – Ochlokratie/Demokratie – Monarchie – Tyrannis … • Polybios, Universalgeschichte: Basilie/Monarchie – Tyrannis – Aristokratie – Oligarchie – Demokratie – Ochlokratie – Basilie/Monarchie – Tyrannis … • empfohlene ‚Heilmittel‘ gegen solche ‚Degeneration‘ (‚constitutional engineering): • Gewaltenteilung mit wechselseitiger Kontrolle (Polybios, Locke, Montesquieu …) • Anvertrauung der unterschiedlichen ‚Gewalten‘ / Institutionen an unterschiedliche Gesellschaftsgruppen (z.B. - wie in der Römischen Republik – Senat dem Adel, Gesetzgebung dem Volk, Exekutiv- und Prärogativmacht gewählten Magistraten, die ihrerseits sowohl dem Adel als auch dem Volk verantwortlich sein konnten; so Polybios oder Montesquieu). • exemplarische Bestrafungen bei Skandalen, um so die ursprünglichen Prinzipien wieder vor Augen zu führen / in Geltung zu halten (so Machiavelli in den ‚Discorsi‘)

  46. Aufstieg und Altern von Kulturen / Sozialgebilden • Leitgedanken / Beobachtungen: • Oft fängt etwas an, blüht (unter großen, die vorhandenen Möglichkeiten entfaltenden Wandlungen) auf und stagniert dann (ggf. auch auf hohem Niveau) – und das alles so, als habe jenes Gebilde nun alle ‚in ihm angelegten Möglichkeiten‘ irgendwie ausgeschöpft • z.B. Menschen, Unternehmen, Parteien, Staaten, Kulturen … • Fehlen äußere Herausforderungen, dann kann dieses Gebilde noch lange bestehen, ohne sich allerdings noch grundlegend zu wandeln. Erwächst ihm kulturelle (oder wirtschaftliche, militärische, demographische …) Konkurrenz, so zerfällt leicht seine Form. Es ist aber sehr wohl möglich, dass Teile des Gebildes (und seiner Kultur) von neuen Kulturen / Sozialgebilden aufgenommen und weitergetragen werden. • theoretische Folgerungen: • Nicht nur Lebewesen, sondern auch die von Menschen hervorgebrachten Institutionen und Kulturen haben eine Art ‚Lebenszyklus‘, den es einfach zu erkennen und dann zu akzeptieren gilt: ‚Gegen ihn‘ Politik machen zu wollen, ist sinnlos (‚Das Morsche muss man zum Einsturz bringen‘, ‚Die Zeit von X ist vorbei!‘ usw.). • Institutionen und Kulturen darf man nicht ‚mechanisch nach Jahreszahlen‘ vergleichen, sondern muss sie hinsichtlich ihres jeweiligen ‚Entwicklungsstadiums‘ vergleichen. • wichtige Autoren (beziehen sich auf Kulturen, nicht auf Institutionen): • Oswald Spengler (1880-1936), ‚Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte‘, 2 Bde, orig. 1918/1922 • Arnold Toynbee (1889-1975), ‚A Study of History‘, 12 (!) Bde, 1934-1961; gekürzte dt. Ausgabe ‚Der Gang der Weltgeschichte‘, 2 Bde, Zürich 1949/1958

  47. … und ‚nach der Revolution‘ mag dann ‚vor der Revolution‘ sein – und komme diese neue vielleicht auch erst nach Jahrzehnten! Die Revolution nach Chalmers Johnson, Revolutionstheorie, dt. Köln 1971) durchbricht die Abschreckungslogik des zpEs • Desynchronisation von politischem Prozess und Umweltwandel ‚Auslöser‘ • Funktionsdefizite des zpES Protest:System ändern! zpEs rascher Systemumbau Autoritätsverlust des zpES verfügbareInstitutionen Steuerungsmusterder Eliten revolutionäre Erhebung Systemerhaltung durch Repression Protest:Wandel stoppenoder korrigieren! Wandel: Ergebnis abhängig von den Machtverhältnissen und derTatkraft der Akteure • exogen • endogen Gesellschaft Polarisierung TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  48. ‚Antizipationsschleifen-Politik‘ • Wenn ... • die Adressaten einer Handlung wissen, dass diese Handlung eintreten und sicher ganz bestimmte Folgen haben wird • oder wenn ... • der Autor einer Handlung weiß, dass die Adressaten seiner Handlung (darum) ganz sicher auf eine bestimmte Weise reagieren werden • dann • reicht es für den Autor der Handlung meist aus, seine Handlung nur anzudeuten oder zu symbolisieren, • aber nur solange wie ... TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  49. Exogener Wandel = in der Umwelt des Systems: • politische Umwelt: etwa Nachbarstaat wird aggressiv, neue Fernwaffen schaffen Bedrohung • wirtschaftliche Umwelt: Krise im internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem • gesellschaftliche: Bevölkerungsdruck in anderen Staaten und Migration aus ihnen nimmt zu • natürliche Umwelt: Klimawandel, Überflutungen, Erdbeben, GAU TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  50. Endogener Wandel = erzeugt im System selbst: • technischer Wandel: neue Techniken verändern die Struktur der Arbeitswelt (Produktivkräfte Produktionsverhältnisse) • wirtschaftlicher Wandel: Gesellschaft verliert internationale Konkurrenzfähigkeit, Inflation • gesellschaftlicher Wandel: Überalterung, Einwanderung ohne Lösung des Integrationsproblems, Klassenkonflikt • kultureller Wandel: Zerfall alter Wertgrundlagen, Ausbreitung neuer, mit dem bisherigen System nicht kompatibler handlungsleitender Werte TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

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