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Vorromantik und Frühromantik in Deutschland. Vorlesung 7. Kritik der Urteilskraft (1790) Bedingungen der empirischen Urteile nach den Schlussrichtungen Klassifikation: vom Besonderen zum Allgemeinen Spezifikation: vom Allgemeinen zum Besonderen
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Vorromantik und Frühromantik in Deutschland Vorlesung 7
Kritik der Urteilskraft (1790) Bedingungen der empirischen Urteile nach den Schlussrichtungen Klassifikation: vom Besonderen zum Allgemeinen Spezifikation: vom Allgemeinen zum Besonderen Empfindung, die mit Lust oder Unlust verbunden ist Geschmacksurteil subjektiv Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt. keine Regeln zur Hervorbringung des Schönen nur Inspiration Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Unter allen [schönen Künsten] behauptet die Dichtkunst (die gänzlich dem Genie ihren Ursprung verdankt, und am wenigsten durch Vorschrift, oder durch Beispiele geleitet sein will) den obersten Rang. Immanuel Kant
Giambattista Vico • Principij di una scienza nuova d’intorno alla comune natura delle nazioni (1725; 3. Fassung 1744) • Zweifel am binären Wahrheitsmodell von Descartes • Erkenntnisformen der Historie • Versöhnung der analytisch-logischen Studienart mit der humanistisch-philologischen • Auffinden der Spuren des menschlichen Geistes • Der Mensch kann nur das wahrhaft erkennen, was er selbst geschaffen hat. • Geistesgeschichte als Schöpfung des Menschen • Gegenstand der Scienza nuova – sapienza poetica
Typische Verlaufsformen der Kultur • in triadischer Struktur • [...] l’antichità degli egizi in ciò grandemente ci gioverà, che ne serbarono due grandi rottami non meno meravigliosi delle loro piramidi, che una è narrata da Erodoto: ch’essi tutto il tempo del mondo ch’era corso loro dinanzi riducevano a tre età: la prima degli dèi, la seconda degli eroi e la terza degli uomini. L’altra è che, con corrispondente numero ed ordine per tutto tal tempo si erano parlate tre lingue: la prima geroglifica ovvero per caratteri sagri, la seconda simbolica o per caratteri eroici, la terza pistolare o per caratteri convenuti da’ popoli [...] • 3-Phasen-Zyklus von Barbarei, Humanismus und Korruption
3-Phasen-Modell • kultureller Fortschritt = zyklische Wiederholung • Charles Fourier: Le Nouveau Monde industriel et sociétaire, 1829 • Auguste Comte: Cours de philosophiepositiviste, 1830-42 • stadethéologique et militaire • stademétaphysique et légiste • stadepositif et industriel • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik • symbolische Urgeschichte • klassische Antike mit idealem Menschenbild • romantisches Christentum mit Unterscheidung zwischen Form und Inhalt • Marxismus bzw. Konjunktur- und Produktzyklen der Volkswirtschaft
Die Entdeckung Vicos • Goethe: Italienische Reise • deutsche Übersetzung 1822 • Herder und Schiller • Hauptaufgaben von Poesie: • Erfindung von Mythen • Erschütterung der Gemüter • Erziehung zur Tugend • Victor Hugo: Préface de Cromwell, 1827 • Alessandro Manzoni: Lettre à M.C***, 1823
Die Einheit der universellen Poesie • Johann Gottfried Herder: Ursachen des gesunknen Geschmacks bei den verschiednen Völkern, da er geblühet, 1775 • August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel • Die beste Theorie der Kunst ist ihre Geschichte. • Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, 1772 • ursprüngliches Sprechen in der Muttersprache • Friedrich Schlegel: Gespräch über die Poesie, 1800 • Es ist aller Kunst wesentlich eigen, sich an das Gebildete anzuschließen, und darum steigt die Geschichte von Geschlecht zu Geschlecht, von Stufe zu Stufe immer höher ins Altertum zurück, bis zur ersten ursprünglichen Quelle. • Das Ganze ruht auf dem festen Boden der alten Dichtung, eins und unteilbar durch das festliche Leben freier Menschen und durch die heilige Kraft der alten Götter.
Ein göttlicher Ursprung • Nationalliteraturen = Entfaltung von organisch-individuellen Ganzheiten • Schlüsselvokabular aus dem Bereich des Pflanzlichen, des Wassers und des Religiösen • Ströme der Poesie, Blüten der Dichtung, heilige Mysterien • Es ist nicht nötig, dass irgend jemand sich bestrebe, etwa durch vernünftige Reden und Lehren die Poesie zu erhalten und fortzupflanzen [...] • Wilhelm Heinrich Wackenroder: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders, 1796 • Ausdruck eines schöpferischen Subjekts
Ein mystisches Verhältnis • Beteiligung der Menschen an der Entstehung der untersuchten Dinge • [...] die Schönheit des Gedichts zu verstehen sind wir fähig, weil auch ein Teil des Dichters, ein Funke seines schaffenden Geistes in uns lebt und tief unter der Asche der selbstgemachten Unvernunft mit heimlicher Gewalt zu glühen niemals aufhört. • Friedrich Schelling: Philosophie der Kunst, 1802 • Diesen [Rückweg] betrat, Religion und Poesie verbindend, der große Dante, der heilige Stifter und Vater der modernen Poesie. • Petrarca gab der Kanzone und dem Sonett Vollendung und Schönheit. Seine Gesänge sind der Geist seines Lebens [...]
Gegensatz zu den Franzosen • [...] wie Boccaccios Verstand eine unversiegbare Quelle merkwürdiger meistens wahrer und sehr gründlich ausgearbeiteter Geschichten [...] • Aus solchen Quellen entsprungen, konnte bei der vorgezogenen Nation der Italiäner der Strom der Poesie nicht wieder versiegen. • Guarinis Pastor fido (1590): [...] dem größten ja einzigen Kunstwerk der Italiäner nach jenen Großen [...] • Er hätte an dem Beispiel der großen Nation wenigstens zeigen können, wie man eine sein kann, ohne alle Poesie.
Die National-Erinnerungen • Literatur = Inbegriff des geistigen Lebens eines Volkes • zwei Perspektiven: • 1. Monument: Produkt eines Genies • 2. Dokument der Geistesgeschichte einer Nation • Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen (1835-42) • homogenes Konstrukt → Identität des Volkes
Zwischen Klassik und Romantik • Friedrich Hölderlin (1770-1843) • Heinrich von Kleist (1777-1811) • Jean Paul (1763-1825) – eig. Johann Paul Friedrich Richter
West-östlicher Divan (1814-19, erweitert 1827) Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divan (1819)
Versammlung deutscher Gedichte mit stetem Bezug auf den „Divan“ des persischen Sängers Mahomed Schemseddin Hafis Hafis (Schiraz, um 1320 – um 1390) Joseph von Hammer- Purgstall (1774- 1856)
Hafis himmlische Liebe – irdische Liebe (homoerotisch, panerotisch) Diesseits – Jenseits Religion – Eros mystische Ekstase – Orgasmus und Weinrausch bei Goethe erweitert um Westen – Osten Bibel – Koran Antike und Mittelalter – Gegenwart Heteroerotik (dominierend; Suleika) – Homoerotik (Schenke)
Phänomen Wenn zu der Regenwand Phoebus sich gattet, Gleich steht ein Bogenrand Farbig beschattet. Im Nebel gleichen Kreis Seh ich gezogen, Zwar ist der Bogen weiß, Doch Himmelsbogen. So sollst du, muntrer Greis, Dich nicht betrüben, Sind gleich die Haare weiß, Doch wirst du lieben. Integration von Elementen der Farbenlehre in die Divan-Mystik
Gingo Biloba Dieses Baums Blatt, das von Osten Meinem Garten anvertraut, Gibt geheimen Sinn zu kosten, Wie’s den Wissenden erbaut. Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Dass man sie als eines kennt? Solche Frage zu erwidern, Fand ich wohl den rechten Sinn; Fühlst du nicht an meinen Liedern, Dass ich eins und doppelt bin? Integration von Elementen der Goetheschen Lehre von der Metamorphose der Pflanzen in die Divan-Mystik
Dichten mit Goethe, nach Goethe Ein Seitenblick auf August von Platen Ich bin wie Leib dem Geist, wie Geist dem Leibe dir! Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir! Wen darfst du lieben sonst, da von der Lippe weg Mit ew’gen Küssen ich den Tod vertreibe dir? Ich bin dir Rosenduft, dir Nachtigallgesang, Ich bin der Sonne Pfeil, des Mondes Scheibe dir; Was willst du noch? was blickt die Sehnsucht noch umher? Wirf alles, alles hin: du weißt, ich bleibe dir! [Ghaselen, 1821]
Johann Paul Friedrich Richter • Johann Paul Friedrich Richter, der sich später „Jean Paul“ nannte, kam als Sohn eines Lehrers und Organisten in Wunsiedel zur Welt. 1765 wurde sein Vater Pastor in Joditz, 1776 erhielt er eine bessere Stelle in Schwarzenbach an der Saale. Die Atmosphäre des protestantischen Landpfarrhauses prägte Jean Pauls Kindheit. Weniger durch seinen konservativen Vater als durch einen verehrten Lehrer und den Pfarrer Erhard Friedrich Vogel des Nachbarortes Rehau wurde er mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraut gemacht. Abseits der politisch-literarischen Zentren seiner Zeit bildete sich Jean Paul autodidaktisch und besaß schon als 15-Jähriger ein umfangreiches Bücherwissen, das er in Exzerptheften zusammentrug. 1779 wechselte Jean Paul an das Gymnasium in Hof, wo er seinen engen Jugendfreund Johann Bernhard Hermann kennenlernte, das Vorbild vieler seiner Romanfiguren, etwa des „Leibgeber“ im Siebenkäs. Wenige Monate später starb sein Vater, wodurch die Familie in schwere materielle Nöte stürzte. Das Hofer Gymnasium, das Jean Paul besuchte, gibt es immer noch und wurde nach ihm benannt. Es gilt heute als eines der ältesten Gymnasien überhaupt in Bayern.
Im Mai 1781 immatrikulierte Jean Paul sich an der Universität Leipzig, betrieb sein Studium der Theologie jedoch nur sehr lustlos. Stattdessen begann er nun, sich als Schriftsteller zu verstehen: Er schrieb nach ersten literarischen Experimenten vor allem Satiren im Stile Jonathan Swifts und Christian Ludwig Liscows, die in gesammelter Form 1783 als Grönländische Prozesse gedruckt wurden. Nach dieser ersten Publikation blieben jedoch weitere Erfolge aus. 1784 musste Jean Paul vor seinen Gläubigern fliehen und kehrte als „gescheiterte Existenz“ nach Hof in das Haus seiner Mutter zurück. Wie er sich dort fühlte, ist in seinem späteren Roman Siebenkäs nachzulesen. Neben der drückenden Armut dieser Jahre belasteten Jean Paul auch der Tod eines Freundes im Jahr 1786 und der Selbstmord seines Bruders Heinrich 1789. Erst als Jean Paul ab 1787 ein Auskommen als Privatlehrer fand, linderte sich seine Notlage allmählich.
Die Reihe seiner schriftstellerischen Erfolge begann 1793 mit dem Roman Die unsichtbare Loge. Jean Paul hatte dem Schriftsteller Karl Philipp Moritz das Manuskript geschickt, und Moritz zeigte sich begeistert: „Ach nein, das ist noch über Goethe, das ist was ganz Neues!“, soll er gesagt haben, und durch seine Vermittlung fand das Buch rasch einen Verlag in Berlin. In Die unsichtbare Loge verwendete Jean Paul, der seine Arbeiten zuvor unter dem Pseudonym J. P. F. Hasus geschrieben hatte, aus Bewunderung für Jean-Jacques Rousseau erstmals den Namen Jean Paul. Doch Die unsichtbare Loge blieb ein Fragment, denn Jean Paul widmete sich mit dem Hesperus oder 45 Hundposttage einem neuen Roman, der 1795 erschien. Das Buch, das zum größten literarischen Erfolg seit Goethes Die Leiden des jungen Werthers wurde, machte Jean Paul schlagartig berühmt. Johann Gottfried von Herder, Christoph Martin Wieland und Johann Wilhelm Ludwig Gleim äußerten sich enthusiastisch über den Hesperus – Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller fanden an dem Roman allerdings kein Gefallen.
Auf Einladung seiner Verehrerin Charlotte von Kalb besuchte Jean Paul 1796 Weimar. Im literarischen Zentrum seiner Zeit wurde er respektvoll aufgenommen, doch blieb das Verhältnis zu Klassikern wie Goethe und Schiller eher kühl und distanziert. Zwei Jahre später zog Jean Paul nach Weimar; inzwischen hatte er eine stattliche Anzahl literarischer Werke vorzuweisen: Siebenkäs (1796/97), Das Leben des Quintus Fixlein (1796), Der Jubelsenior (1797), Das Kampaner Tal (1797). Besonders in Weimar häuften sich die erotischen Verwicklungen, die Jean Paul Zeit seines Lebens begleiteten: Er verlobte sich mit Karoline von Feuchtersleben, was wegen des Standesunterschiedes einige Schwierigkeiten mit sich brachte - und als diese endlich ausgeräumt waren, entlobte Jean Paul sich wieder. Auch gegenüber Charlotte von Kalb musste er immer wieder neue Strategien der Ehe-Vermeidung austüfteln. Doch auch der ehescheue Jean Paul konnte sich schließlich seinem Schicksal nicht entziehen: Im Frühjahr 1800 lernte er auf einer Reise nach Berlin Karoline Mayer kennen, die er ein Jahr später heiratete. • Die Berlin-Reise stellte den Höhepunkt seines literarischen Ruhmes dar: Die preußische Königin Luise, die ihn am „Kleinen Musenhof“ ihrer Schwester Charlotte in Hildburghausen kennen gelernt hatte, zeigte sich ihm als begeisterte Leserin seiner Werke. Dies brachte Jean Paul dazu, im Oktober 1800 ganz nach Berlin zu ziehen, wo er sich unter anderem mit den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie mit Johann Ludwig Tieck, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und Johann Gottlieb Fichte anfreundete.
Doch vom Gipfel des Erfolges ging es allmählich bergab: Jean Pauls nächste Romane Titan (1800–1803) und Flegeljahre (1804/1805) erzeugten nicht mehr den früheren Enthusiasmus bei den Lesern, obwohl sie heute als seine wichtigsten Werke gelten. • 1804 siedelte er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Bayreuth um, nachdem er kurze Zeit in Meiningen und Coburg gewohnt hatte. In Bayreuth führte er fortan ein zurückgezogenes Leben, unterbrochen nur von einigen Reisen, z. B. nach Bamberg, wo er E. T. A. Hoffmann besuchte, oder nach Heidelberg, wo ihm 1817 nach einem ausgiebigen Punschgelage auf Vorschlag Hegels der Ehrendoktortitel verliehen wurde. Seine politischen Stellungnahmen (etwa in CottasMorgenblatt) fanden besonders bei patriotisch gesinnten Studenten lebhaften Widerhall. Er wurde zu einer Leitfigur der deutschen Burschenschaften. Bei Besuchen in Heidelberg (1817) und Stuttgart (1819) wurde er gar zum „Lieblingsdichter der Deutschen“ erhoben. • Jean Pauls literarische Werke aus diesen Jahren, wie Levana oder Erziehlehre (1807) oder Dr. Katzenbergers Badereise (1809), erhielten bei weitem nicht mehr die Beachtung, die der Hesperus erlangt hatte. 1813 begann Jean Paul mit seinem letzten großen Roman, Der Komet, doch der Tod seines Sohnes Max 1821 war ein Schicksalsschlag, den der Autor nicht verwinden konnte - Der Komet wurde aufgegeben und blieb Fragment. Die letzten Lebensjahre waren von Krankheiten gezeichnet: 1823 erkrankte Jean Paul am Grauen Star und erblindete allmählich. 1825 kam Brustwassersucht hinzu, an der er am 14. November verstarb. • Er ist auf dem Friedhof in Bayreuth beerdigt
Jean Paul nimmt in der deutschen Literatur eine Sonderstellung ein und hat das Lesepublikum schon immer gespalten. Bei den einen erntete er höchste Verehrung, bei anderen Kopfschütteln und Desinteresse. Er trieb die zerfließende Formlosigkeit des Romans der Romantiker auf die Spitze; August Wilhelm Schlegel nannte seine Romane „Selbstgespräche“, an denen er den Leser teilnehmen lasse (insofern eine Übersteigerung dessen, was Laurence Sterne im TristramShandy begonnen hatte). Jean Paul spielte ständig mit einer Vielzahl witziger und skurriler Einfälle; seine Werke sind geprägt von wilder Metaphorik sowie abschweifenden, teilweise labyrinthischen Handlungen. In ihnen mischte Jean Paul Reflexionen mit poetologischen Kommentaren; neben geistreicher Ironie stehen unvermittelt bittere Satire und milder Humor, neben nüchternem Realismus finden sich verklärende, oft ironisch gebrochene Idyllen, auch Gesellschaftskritik und politische Stellungnahmen sind enthalten. • Besonders weibliche Leser schätzten seine Romane - dies lag vor allem an der Empathie, mit der Jean Paul die Frauenfiguren in seinen Werken gestalten konnte: Nie zuvor waren in der deutschen Literatur weibliche Charaktere mit einer solchen psychologischen Tiefe dargestellt worden. Allerdings finden sich auch nirgends sonst derart vergnüglich-misogyne Sticheleien wie bei Jean Paul.
Ähnlich vielgestaltig und verwirrend wie viele seiner Romane muss auch Jean Pauls Charakter gewesen sein: Er war wohl sehr gesellig und geistreich, gleichzeitig extrem sentimental, von fast kindlichem Gemüt und schnell zu Tränen gerührt. Seine Werke lassen immer wieder erkennen, wie sehr er sich nicht nur für Literatur, sondern auch für Astronomie und andere Wissenschaften interessierte. • Bei einem so kapriziösen Autor ist es kaum verwunderlich, dass sein Verhältnis zu den Weimarer Klassikern Goethe und Schiller immer zwiespältig war (so sagte Schiller, Jean Paul sei ihm „fremd wie einer, der aus dem Mond gefallen ist“). Herder und Wieland allerdings haben ihn geschätzt und unterstützt. Obwohl er immer auf Distanz zu den die Kunst verabsolutieren wollenden Klassikern blieb und obwohl in seinem theoretischen Ansatz – etwa in seiner Vorschule der Ästhetik – deutliche Einflüsse der Romantik festzustellen sind, ist er nicht zu den Romantikern zu rechnen. Er hielt auch hier kritischen Abstand; denn bei allem Subjektivismus verabsolutierte er das Ich des Autors nicht: Er besaß, was zwischen klassischem Ernst und romantischer Ironie selten geworden war: Humor (mit dessen Wesen er sich auch als Erster eingehend auseinandersetzte).
Sowohl die Aufklärung als auch die Metaphysik waren für ihn gescheitert, gleichwohl hatten sie ihren Platz in seinem Weltbild. So gelangte er zu einer Weltanschauung ohne Illusionen - verbunden mit humorvoller Resignation. Dazu passt, dass Jean Paul einer der ersten Fürsprecher der Philosophie Arthur Schopenhauers war. Er versuchte nicht zu indoktrinieren, sondern das Glück des Menschen darzustellen, auch und gerade in einer sich zunehmend entfremdenden Umwelt - in Rokoko-Schlössern und kargen Dörfern Oberfrankens. • Es ist erwähnenswert, dass er in seinen Schriften das literarische Motiv des "Doppel(t)gängers" nicht nur als erster beim Namen nennt und somit prägt, sondern es auch in unzähligen Variationen ausgestaltet (vgl. u.a. Siebenkäs und Leibgeber bzw. Schoppe, Liane und Idoine, Roquairol und Albano, um bloß einige zu nennen). So definiert er in seinem Siebenkäs: „Doppeltgänger (So heißen Leute, die sich selber sehen).“
Johann Christian Friedrich Hölderlin (Lauffen am Neckar 1770 – Tübingen 1843) Schüler in der schwäbischen Klosterschule Maulbronn 1788 mit Hegel und Schelling in Tübingen, Freundschaftskult 1794 in Jena Bekanntschaft mit Schiller („von Ihnen dependier ich unüberwindlich“), Fichte, Novalis; Jugendlyrik mehrere Hauslehrerstellen, 1796 bis 1798 Hauslehrer bei Familie Gontard in Frankfurt, Liebe zu Susette (im Roman „Hyperion “ 1797 und 1799: „Diotima“; neue Oden-Dichtung)
Friedrich Hölderlin 1798 zum (liberalen) Landgrafen von Homburg, mit dem demokratisch gesinnten Studienfreund und Homburger Regierungsrat Isaac von Sinclair, erste große Oden in alkäischen („An die Parzen“) oder asklepiadeischen Strophen („Socrates und Alkibiades“, „Heidelberg“)
Friedrich Hölderlin 1800 in Stuttgart, die großen Elegien: „Stuttgart“, „Der Gang aufs Land“, „Brot und Wein“, 1801 Hauslehrer in der Schweiz, Abbruch, zuhause in Nürtingen, vergebliche Suche nach Universitätsstelle in Jena; 1802 Hauslehrer beim Hamburgischen Konsul in Bordeaux – von Schwaben aus zu Fuß, im Winter, unglücklich und gemütskrank schon nach 4 Monaten wieder zurück.
Friedrich Hölderlin Tod „Diotimas“ in Frankfurt, dauernde Distanz Goethes, Entfremdung von Schiller, depressive Zustände und Gemütsverwirrung, Arbeit an den großen Hymnen („Patmos“, „Die Erinnerung“), bald nur noch in Fragmenten („Homburger Folioheft“ 1802-1806); nach letzter radkaler Politisierung 1801/02: 1804 zum Schein Bibliothekarsstelle in Homburg; 1806 gewaltsame Einlieferung in die Klinik; seit 1807 beim Schreiner Zimmer im Hölderlin-Turm am Neckarufer.
Vergessenheit, Besuch weniger Freunde und Bewunderer, darunter Mörike. Mythenbildung um seine Figur; Fouqué an Brentano: „Ein wahnsinniger Dichter erscheint mir ganz besonders furchtbar, und rührend, und geheiligt.“ Im Turm entstehen die „Scardanelli“-Gedichte. Hölderlin heißt Scardanelli und fühlt sich im 18. Jahrhundert. Tod im Turm sechsunddreißig Jahre später, im Juni 1843, 73 Jahre alt.
Entzweiung: An Diotima (1797) Schönes Leben! du lebst, wie die zarten Blüten im Winter, In der gealterten Welt blühst du verschlossen, allein. Liebend strebst du hinaus, dich zu sonnen am Lichte des Frühlings, Zu erwarmen an ihr suchst du die Jugend der Welt. Deine Sonne, die schönere Zeit, ist untergegangen Und in frostiger Nacht zanken Orkane sich nun.
Versöhnung (I): Heidelberg (1800) Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, Mutter nennen, und dir schenken ein kunstlos Lied, Du, der Vaterlandsstädte Ländlichschönste, so viel ich sah. Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt, Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt, Leicht und kräftig die Brücke, Die von Wagen und Menschen tönt. Wie von Göttern gesandt, fesselt’ ein Zauber einst Auf die Brücke mich an, da ich vorüber ging, Und herein in die Berge Mir die reizende Ferne schien, Und der Jüngling, der Strom, fort in die Ebne zog, Traurigfroh, wie das Herz, wenn es, sich selbst zu schön, Liebend unterzugehen, In die Fluten der Zeit sich wirft.
Quellen hattest du ihm, hattest dem Flüchtigen Kühle Schatten geschenkt, und die Gestade sahn All’ ihm nach, und es bebte Aus den Wellen ihr lieblich Bild. Aber schwer in das Tal hing die gigantische, Schicksalskundige Burg nieder bis auf den Grund Von den Wettern zerrissen; Doch die ewige Sonne goss Ihr verjüngendes Licht über das alternde Riesenbild, und umher grünte lebendiger Efeu; freundliche Wälder Rauschten über die Burg herab. Sträuche blühten herab, bis wo im heitern Tal, An den Hügel gelehnt, oder dem Ufer hold, Deine fröhlichen Gassen Unter duftenden Gärten ruhn.
Heidelberg (u. a. „vaterländische“ Oden): • idyllisierende Darstellung der ‚altdeutschen’ Kleinstadt • als Stilisierung nach idealen Griechenland-Phantasien • und so als utopischer Vorschein einer versöhnten Welt • in der eigenen, vertrauten und (meint er) sich selbst entfremdeten • Kultur • das „Vaterländische“ im emanzipativen und utopischen Geist • verstanden: das Volk als potentielles Subjekt einer Revolution, die • das Goldene Zeitalter wiederherstellt • Anti-Schiller, weil über Schiller hinaus: nicht lediglich • „sentimentalische“ Erinnerung ans Verlorene im Dienste seiner • einstigen Wiederherstellung, • sondern Wiederbringung im Gedicht und durch das Gedicht hier • und jetzt: „Ich glaube an eine künftige Revolution der Gesinnungen • und Vorstellungsarten, die alles bisherige schamrot machen • wird.“ (1797) Darauf zielt seine neo-mythologische Dichtung.
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist 1777-1811
Heinrich von Kleist (1777 - 1811) • *18.10.1777 in Frankfurt a. d. Oder • Hoher Stellenwert des Militärs • Eltern sterben früh Stiefschwester • 1792: Beitritt zum Militär • 1802:Auswanderung in die Schweiz • 1803: Wiedereintritt ins Militär • schlechter gesundheitlicher Zustand • Patriotische Dichtungen • 1811: viele Misserfolge • Selbstmord mit seiner Lebensgefährtin ebenfalls 1811
Auszug aus seinen Werken • Dramatik: • Die Hermannsschlacht • Penthesilea • Der zerbrochene Krug • Novellen: • Michael Kohlhaas • Die Marquise von O. • Das Bettelweib von Locarno • „Die Familie Schroffstein“ • „Robert Guiskard“
MICHAEL KOHLHAAS Heinrich von Kleist (1777 - 1811)
Inhalt • Der Rosshändler Michael Kohlhaas möchte eine innerdeutsche Grenze passieren, jedoch werden ihm dabei zwei Pferde und sein Knecht von einem Junker abgenommen, da ein angeblich benötigter Passierschein fehlt. • Daraufhin möchte der immer gesetzestreue Kohlhaas das Papier nachliefern, wurde aber betrogen. • Er versuchte seine Pferde auf legalem Wege wieder zu bekommen. • Als das misslingt und seine Frau stirbt, schwört er ewige Rache. • Er brennt die Burg des Junkers nieder und tötet mehrere Menschen und führt Krieg gegen den Wenzel von Tronka. • Kohlhaas wird dann zum Tode verurteilt und schluckt vor seiner Hinrichtung die Kapsel, in welcher sich ein Zettel mit einem Namen befinden soll, welcher den Kurfürsten ins Verderben stürzen sollte.
Aufbau - Struktur • Zwei Teile • Streben nach Recht • Rache
Sprache - Stil • Prosa • Verschachtelter Satzbau • Sehr langwierige Sätze • Sehr Sachlich (auch das Nachwort!) • historisch korrekt
Textauszug • Kohlhaas seufzte bei dieser Nachricht [Junker von Tronka ins Kloster nach Erlabrunn geflohen] tief auf; er fragte, ob die Pferde gefressen hätten? Und da man ihm antwortete: ja: so ließ er den Haufen aufsitzen, und stand schon in drei Stunden vor Erlabrunn. Eben, unter dem Gemurmel eines Gewitters am Horizont, mit Fackeln, die er sich vor dem Ort angesteckt, zog er mit seiner Schar in den Klosterhof ein, und Waldmann, der Knecht, der ihm entgegen trat, meldete ihm, dass das Mandat richtig abgegeben sei, als er die Äebtissin und den Stiftsvogt, in einem verstörten Wortwechsel unter das Portal des Kloster treten sah und; und während jener, der Stiftsvogt, ein kleiner, alter, schneeweißer Mann, grimmige Blicke auf Kohlhaas schießend, sich den Harnisch anlegen ließ, und den Knechten die ihn umringten, mit dreister Stimme zurief, die Sturmglocke zu ziehen: trat jene, die Stiftsfrau, das silberne Bildnis des Gekreuzigten in der Hand, bleich, wie Linnenzeug, von der Rampe herab und warf sich mit allen ihren Jungfrauen, vor Kohlhaasens Pferd nieder.
Hauptpersonen • Michael Kohlhaas
Rezeption • Begonnen 1804/05 • Vollendet 1810 • Beruht auf wahren Begebenheiten • Wahrer Name: „Hans Kohlhaase“
Interpretation – „(un)gerecht“ • „Nun, Kohlhaas, heut ist der Tag, an dem dir dein Recht geschieht.“ • Positiv – Wunsch erfüllt • Negativ – wird hingerichtet, nachdem er sein Recht erkämpft hatte („Krieg“)
Interpretation – „(un-) gerechtfertigt“ • Kohlhaas-Verhalten: • Sein Rechtsgefühl macht ihn zum Räuber und Mörder. • Selbstjustiz in Ordnung? • Kapsel • Kurfürst krank vor Neugier • Relativiert das Leid von Kohlhaas • Eine Art Genugtuung
Webtipps • http://www.vwv.de/newsletter/deutsch/pdf/0703_kleist1.pdf • http://infopool.martin-burger.de/schule/deu/kleistmiko.html • http://www.lgd.de/projekt/kleist/judith.htm
Erzählliteratur der Goethezeit – Romantik • deutsche Romantik: ein Abschnitt der sog. Goethezeit (1770-1832) • Ursprung des Begriffs „Romantik” • a) ‘roman’ < Roman • Mittelalter: Texte in der ‘linguaromana’«lateinischeGelehrtenliteratur weitergeführt durch F. Schlegel: Roman = romantisches Buch • b) Genrebezeichnungen • 17. Jh., England: ‘romantic’ – malerische Landschaft, schwärmerischer Charakter oder Ereignisse • 17-18. Jh. frz. ‘romantique’ – abenteuerliche Geschichte oder malerische Landschaft • F. Schlegel: Erweiterung des Begriffs und Verbindung der zwei Linien im Gespräch über die Poesie • Brief über den Roman: Roman = romantisches Buch • Epochen d. Dichtkunst: romantisch = die ganze Literatur nach der Antike (Dante, Petrarca, Boccaccio, Shakespeare, Cervantes = romantisch) • Mme de Staël (1808): ‘poésie romantique’«‘poésie classique’ = nördliche Literatur «antike Literatur (vgl. auch „la Querelle des Anciens et des Modernes” als Vorbereitung)