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Strafrecht BT Tötungsdelikte (Repetition) und Schwangerschaftsabbruch Vorlesung vom 19. Oktober 2009. HS 2009 Ass.-Prof. Dr. Jonas Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern.
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Strafrecht BT Tötungsdelikte (Repetition) und Schwangerschaftsabbruch Vorlesung vom 19. Oktober 2009 HS 2009 Ass.-Prof. Dr. Jonas Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern
Allgemeiner Aufbau einer Tatbestandsprüfung am Beispiel des vorsätzlichen Erfolgsdelikts (= Normalfall) Tatbestandsmässigkeit 1. Objektiver Tatbestand • besondere Tätereigenschaften (falls Sonderdelikt) • Tatobjekt (= Angriffsobjekt) • Tathandlung • Erfolg • Kausalzusammenhang • objektive Zurechnung 2. Subjektiver Tatbestand • Vorsatz • besondere Absicht • besondere Gesinnung (3. Objektive Strafbarkeitsbedingungen) Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 2
Vorsätzliche Tötung (Art. 111) – Prüfungsschema Tatbestandsmässigkeit 1. Objektiver Tatbestand • Tatobjekt: Mensch • Tathandlung • Taterfolg: Tod • Kausalzusammenhang: natürliche Kausalität • objektive Zurechnung 2. Subjektiver Tatbestand • Vorsatz Rechtswidrigkeit Schuld • insb. Art. 19: Schuldunfähigkeit (Abs. 1) und verminderte Schuldfähigkeit (Abs. 2) • insb. abnorme (krankhafte) Elemente in der Persönlichkeit des Täters, welche die Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit ausschliessen bzw. einschränken (Nähe zu Art. 113: Totschlag) Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 3
Vorgehen bei der Prüfung der Qualifikation (Art. 111) und der Privilegierungen (Art. 113, 114, 116) der vorsätzlichen Tötung • Schritt: Prüfung der vorsätz-lichen Tötung gemäss Art. 111 • Tatbestandsmässigkeit • Rechtswidrigkeit • Schuld • Schritt: Prüfung der qualifizie-renden bzw. privilegieren Merkmale • Tatbestandsmässigkeit • (Schuld) Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 4
Mord (Art. 112) – Prüfungsschema besondere Skrupellosigkeit als qualifizierendes Tatbestandselement • Gesamtwürdigung aller äusseren (objektiven) und inneren (subjektiven) Umstände, unter denen der Täter im konkreten Fall gehandelt hat • keine Gliederung in objektiven und subjektiven Tatbestand • die objektiven Umstände, die (eventuell zusammen mit subjektiven Umständen) die besondere Skrupellosigkeit begründen, müssen jedoch vom Vorsatz des Täters umfasst sein, was ebenfalls zu prüfen ist Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 5
Totschlag (Art. 113) – Prüfungsschema entschuldbare heftige Gemütsbewegung (= Affekt) bzw. entschuldbare grosse seelische Belastung als privilegierendes Tatbestandselement • keine Gliederung in objektiven und subjektiven Tatbestand • heftige Gemütsbewegung (= Affekt): akute (plötzlich auftretende) psychische Drucksituation • Abgrenzung von der Gemütsbewegung, die vorwiegend durch abnorme (krankhafte) Elemente in der Persönlichkeit des Täters bedingt ist; diese sind "nur" bei der Schuld zu berücksichtigen und können keine Privilegie-rung gemäss Art. 113 begründen • möglich ist jedoch ein Zusammentreffen von Affekt und persönlichkeits-bedingter Gemütsbewegung; dann kann Affekt zu einer Anwendung von Art. 113 und die persönlich-keitsbedingte Gemütsbewegung zusätzlich zu einer verminderten Schuldfähigkeit im Rahmen von Art. 113 führen • seelische Belastung: psychische Drucksituation, die sich über längere Zeit entwickelt hat • entschuldbar: "Massstab des Durchschnittsmenschen" Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 6
Tötung auf Verlangen (Art. 114) – Prüfungs-schema Objektiver Tatbestand • ernsthaftes und eindringliches Verlangen des Betroffenen • Urteilsfähigkeit des Betroffenen • Initiative muss vom Opfer ausgehen; intensives Bitten, das nach dem Willen des Betroffenen in unmittelbarer Zukunft erfüllt werden soll Subjektiver Tatbestand • Vorsatz • Wissen des Täters um das Verlangen des Betroffenen • Wille, dem Verlangen nachzukommen; Verlangen muss kausal sein für den Tatentschluss • achtenswerte Beweggründe • müssen Opfer bezogen sein; insbesondere Mitleid Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 7
Kindestötung (Art. 116) – Prüfungsschema Tatbestandsmässigkeit 1. objektiver Tatbestand • Sonderdelikt: als Täterin kommt nur die Mutter in Frage • Tatobjekt: neugeborenes Kind der Täterin • Zeitpunkt: während od. unmittelbar nach der Geburt (d.h. ab Einsetzen der Eröffnungswehen bis ca. 2 Std. nach der Geburt) 2. subjektiver Tatbestand • Vorsatz (Verschulden) • Verminderung der Schuldfähigkeit wegen Geburt wird gesetzlich vermutet und ist Grund für die Privilegierung; kann beim Verschulden nicht ein zweites Mal berücksichtigt werden • jedoch gegebenenfalls Berücksichtigung anderer Faktoren, welche die Schuldfähigkeit tangieren Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 8
Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115) – Prüfungsschema Charakterisierung • inhaltlich keine Privilegierung einer vorsätzlichen Tötung; sondern eigenständiger Tatbestand • Ausgestaltung der Anstiftung zur bzw. Gehilfenschaft bei Selbsttötung als eigenständiger Straftatbestand, da Selbsttötung nicht strafbar ist (daher keine Anwendung der allgemeinen Bestimmungen zur Teilnahme gemäss Art. 24 und 25, weil keine Haupttat) • Abschliessende Regelung der strafbaren Beteiligung an einer eigenverantwortlich begangenen Selbsttötung. Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 9
Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115) – Prüfungsschema (Fortsetzung) Tatbestandsmässigkeit Objektiver Tatbestand • Selbsttötung eines anderen • Betroffener verursacht seinen eigenen Tod; alleinige Tatherrschaft beim Betroffenen • Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen • muss zumindest versucht worden sein • Tathandlung: Anstiftung im Sinne von Art. 24 oder Gehilfenschaft im Sinne von Art. 25 Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 10
Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord (Art. 115) – Prüfungsschema (Fortsetzung) Subjektiver Tatbestand • Vorsatz • betreffend Selbsttötung des anderen • betreffend Verleitung (Tatentschluss) bzw. Hilfeleistung • selbstsüchtige Beweggründe • materielle Vorteile: Geld (Erbschaft; Entschädigung für Hilfeleistung ???) • immaterielle Vorteile: Aufmerksamkeit ??? Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 11
Exkurs: Tätigkeit von Sterbehilfeorganisatio-nen wie Exit oder Dignitas Charakterisierung der Tätigkeit: Hilfeleistung für Sterbewillige durch Zur-Verfügung-Stellen von tödlichen Stoffen und/oder Anleitung zur Selbst-tötung • keine "tatherrschaftliche" Tötungshandlung durch den Sterbehelfer; Tatherrschaft beim Suizidenten • Problem: Zurechnungsfähigkeit des Sterbewilligen Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 12
Exkurs: Tätigkeit von Sterbehilfeorganisatio-nen wie Exit oder Dignitas (Fortsetzung) Strafrechtliche Erfassung • Normalfall: Beihilfe zum Selbstmord gemäss Art. 115 • Entscheidend für Strafbarkeit: Selbstsüchtige Beweggründe • in der Praxis meist zu verneinen • jedoch heute in der politischen Öffentlichkeit vermehrt angesprochen: Entschädigung für Hilfeleistung; Aufmerksamkeit in den Medien und in der Öffentlichkeit ("Geltungssucht") • bei fehlender Zurechnungsfähigkeit des Sterbewilligen • Art. 115 und auch Art. 114 scheiden aus • anwendbar ist Art. 111 • Problem: Sachverhaltsirrtum betreffend Art. 115 (Irrtum über die Zurechnungsfähigkeit des Sterbewilligen) • BGer-Urteil 6B_48/2009 vom 11. Juni 2009 Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 13
Exkurs: Ärztliche Sterbehilfe Ärztliche Sterbehilfe im Rahmen der ärztlichen Behandlung oder Betreuung; bei unheilbarer Krankheit mit baldigem Todeseintritt; reales od. mutmassliches Einverständnis des Betroffenen Passive Sterbehilfe (Unterlassen) Verzicht auf lebens-verlängernde Thera-pien; nach h.L. auch Abbruch von lebens-verlängernden The-rapien nicht strafbar Aktive Sterbehilfe (Handeln) Direkteaktive Sterbehilfe zielgerichtete Tötung zur Verkürzung des Leidens strafbar gemäss Art. 114 Indirekteaktive Sterbehilfe schmerzlinderde Mittel mit Herabsetzung der Lebensdauer als Nebenwirkung nicht strafbar Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 14
Schwangerschaftsabbruch (Art. 118 - 120) – Einordnung im Gesetz • Straftaten gegen Leib und Leben • Tötungsdelikte (Art. 111 - 117) • Schwangerschaftsabbruch (Art. 118 - 121) • Körperverletzungsdelikte (Art. 122 - 126) • Gefährdung des Lebens und der Gesundheit (Art. 127 - 136) Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 15
Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Systematik der Straftatbestände Art. 118: Strafbarer Schwangerschaftsabbruch • Abs. 1: durch Dritte mit Einwilligung der Schwangeren • Abs. 2: durch Dritte ohne Einwilligung der Schwangeren • Abs. 3: durch die Schwangere nach der zwölften Schwangerschaftswoche Art. 119: Strafloser Schwangerschaftsabbruch • Abs. 1: Indikationenregelung • Abs. 2: Fristenregelung Art. 120: Übertretungen durch Ärztinnen und Ärzte bei Fristenregelung Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 16
Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Rechtsgut Primär geschütztes Rechtsgut: (entstehendes) menschliches Leben während der Schwangerschaft (pränataler Lebensschutz) • Schutz auch gegenüber der Mutter; allerdings (aufgrund der Fristenregelung) erst nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode Sekundär geschütztes Rechtsgut: Gesundheit und Selbstbestimmungs-recht der schwangeren Frau (Schutz über bestimmte Rechfertigungs-gründe) • Indikationsregelung: Gesundheit der Frau • Fristenregelung: Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frau Spannungsverhältnis zwischen den beiden Rechtsgütern bzw. Interessen • pränataler Lebensschutz versus Gesundheit und Selbstbestim-mungsrecht der schwangeren Frau Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 17
Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Tatobjekt Tatobjekt: Schwangerschaft = "Leibesfrucht" • menschliche Embryonen bzw. Föten • Embryo: von der Kernverschmelzung von Eizelle und Samen bis zum Abschluss der Organentwicklung (d.h. circa bis zur 8. Schwangerschaftswoche) • Fötus: vom Abschluss der Organentwicklung bis zur Geburt (d.h. circa ab der 9. Schwangerschaftswoche) • unabhängig von der Lebensfähigkeit nach der Geburt • Beginn der Schwangerschaft (im strafrechtlichen Sinn) • Nidation: Einnistung der befruchteten Einzelle in der Gebärmutterschleimhaut (gleichgestellt: Implantation) • Art. 118-120 nicht anwendbar zwischen Befruchtung und Einnistung • Ende der Schwangerschaft (im strafrechtlichen Sinn) • Einsetzen der Eröffnungswehen; danach Schutz gemäss Art. 111 ff. Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 18
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1) Art. 118: Strafbarer Schwangerschaftsabbruch 1 Wer eine Schwangerschaft mit Einwilligung der schwangeren Frauabbricht oder eine schwangere Frau zum Abbruch der Schwangerschaft anstiftet oder ihr dabei hilft, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 erfüllt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. Täterperson: jede Person ausser der Schwangeren selbst Tatobjekt: Schwangerschaft (d.h. Embryo bzw. Fötus) Drei Tathandlungsvarianten • 1. Abbrechen der Schwangerschaft • 2. Anstiftung einer schwangeren Frau zum Abbruch der Schwangerschaft • 3. Hilfe an die schwangere Frau bei Abbruch der Schwangerschaft Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 19
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1) 1. Tathandlungsvariante: Abbrechen der Schwangerschaft • = jedes Abtöten eines Embryos oder Fötus zwischen Nidation und Einsetzen der Geburtswehen • mit Einwilligung der Schwangeren • Urteilsfähigkeit • keine Willensmängel • ausdrückliche oder konkludente Mitteilung Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 20
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1) 2. Tathandlungsvariante: Anstiftung einer schwangeren Frau zum Abbruch der Schwangerschaft • Anstiftung als eigenständige Tatbegehung • Voraussetzungen im Sinne von Art. 24 • objektiv: Hervorrufen des Entschluss zur Abtreibung bei der Schwangeren sowie vorsätzlicher und rechtswidriger Schwangerschaftsabbruch im Sinne von Art. 118 Abs. 1 oder Abs. 3 (mind. Versuch) • subjektiv: Vorsatz betreffend Schwangerschaftsabbruch und betreffend Anstiftung (Tatentschluss) Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 21
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1) 3. Tathandlungsvariante: Hilfe an die schwangere Frau beim Abbruch der Schwangerschaft • Gehilfenschaft als eigenständige Tatbegehung • Voraussetzungen im Sinne von Art. 25 • objektiv: kausaler Beitrag zu einem vorsätzlichen und rechtswidrigen Schwangerschaftsabbruch im Sinne von Art. 118 Abs. 1 oder Abs. 3, der mind. versucht worden ist • subjektiv: Vorsatz betreffend Schwangerschaftsabbruch und betreffend Gehilfenhandlung • Versuch strafbar Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 22
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 1. TB-Variante: durch Dritte mit Einwilligung (Abs. 1) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (Eventualvorsatz ausreichend) • insb. Kenntnis von der Einwilligung der Schwangeren • liegt gar keine Einwilligung der Schwangeren vor: Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 13 Abs. 1 • hat Täter keine Kenntnis von der Einwilligung, die aber tatsächlich vorliegt: untauglicher Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 i.V.m. Art. 118 Abs. 2 Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 23
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 2. TB-Variante: durch Dritte ohne Einwilligung (Abs. 2) 2 Wer eine Schwangerschaft ohne Einwilligung der schwangeren Frau abbricht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. Objektiver Tatbestand • Täterperson: jede Person ausser der Schwangeren selbst • Tatobjekt: Schwangerschaft (d.h. Embryo bzw. Fötus) • Tathandlung: Abbrechen der Schwangerschaft Subjektiver Tatbestand • Vorsatz (Eventualvorsatz ausreichend) • wenn Täter irrtümlicherweise annimmt, Schwangere habe eingewilligt: Sachverhaltsirrtum gemäss Art. 13 Abs. 1, der zu Strafbarkeit gemäss Art. 118 Abs. 1 führt Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 24
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 2. TB-Variante: durch Dritte ohne Einwilligung (Abs. 2) Besondere Konstellation: Tötung einer schwangeren Frau • bei Wissen oder Inkaufnahme, dass Opfer schwanger ist: echte Konkurrenz zwischen Tötungsdelikt und Art. 118 Abs. 2 Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 25
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – 3. TB-Variante: durch Schwangere (Abs. 3) 3 Die Frau, die ihre Schwangerschaft nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode abbricht, abbrechen lässt oder sich in anderer Weise am Abbruch beteiligt, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 Absatz 1 erfüllt sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Objektiver Tatbestand • Täterkreis: nur Schwangere selbst • Zeitpunkt: nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode; vorher ist die Schwangere selbst in jedem Fall straflos • Tathandlungen • aktiver Schwangerschaftsabbruch • passiver Schwangerschaftsabbruch • Beteiligung am Abbruch in anderer Weise Subjektiver Tatbestand: Vorsatz Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 26
Strafbarer Schwangerschaftsabbruch (Art. 118) – Sanktionsdrohung und Verjährung Sanktionsdrohung • Abs. 1: FS bis 5 Jahre oder GS (Verbrechen) • Abs. 2: FS von 1 bis 10 Jahren (Verbrechen) • Abs. 3: FS bis 3 Jahre oder GS (Vergehen) Verjährung (Abs. 4) • Schwangerschaftsabbruch gemäss Abs. 1: verkürzte Verjährungsfrist von 3 Jahren • Schwangerschaftsabbruch gemäss Abs. 2: normale Verjährungsfrist von 15 Jahren (Art. 97 Abs. 1 lit. b) • Schwangerschaftsabbruch gemäss Abs. 3: verkürzte Verjährungsfrist von 3 Jahren Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 27
Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Systematik Rechtsnatur: Rechtfertigungsgründe • Abs. 1: Indikationsregelung • relevant nach der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode • Abs. 2: Fristenregelung • anwendbar im Zeitraum zwischen der Nidation und dem Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode Wichtig: für die Strafbarkeit der Schwangeren selbst ist der Rechtferti-gungsgrund der Fristenregelung bedeutungslos, da ihr Verhalten im betreffenden Zeitraum gemäss Art. 118 Abs. 3 gar nicht tatbestands-mässig ist. Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 28
Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Fristenregelung (Abs. 2) Art. 119: Strafloser Schwangerschaftsabbruch 2 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist ebenfalls straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau, die geltend macht, sie befinde sich in einer Notlage, durch eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt vorgenommen wird. Die Ärztin oder der Arzt hat persönlich mit der Frau vorher ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten. Fünf Voraussetzungen • 1. Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der Frist • 2. Ausführung durch zugelassenen Arzt • 3. Schriftliches Verlangen der Schwangeren • 4. "Notlage" • 5. Beratungsgespräch Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 29
Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Indikationsregelung (Abs. 1) Art. 119: Strafloser Schwangerschaftsabbruch 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. Drei Voraussetzungen • 1. Medizinische oder sozial-medizinische Indikation • Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung der schwangeren Frau • Gefahr einer schweren seelischen Notlage für die schwangere Frau • 2. Zustimmung der Schwangeren • 3. Ausführung durch zugelassenen Arzt Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 30
Strafloser Schwangerschaftsabbruch (Art. 119) – Organisationsvorschriften (Abs. 4 und 5) 4 Die Kantone bezeichnen die Praxen und Spitäler, welche die Voraussetzungen für eine fachgerechte Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und für eine eingehende Beratung erfüllen. 5 Ein Schwangerschaftsabbruch wird zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde gemeldet, wobei die Anonymität der betroffenen Frau gewährleistet wird und das Arztgeheimnis zu wahren ist. Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 31
Schwangerschaftsabbruch (Art. 118-120) – Systematik Art. 120: Übertretungen durch Ärztinnen oder Ärzte 1 Mit Busse wird die Ärztin oder der Arzt bestraft, die oder der eine Schwangerschaft in Anwendung von Art. 119 Abs. 2 abbricht und es unterlässt, vor dem Eingriff: a. von der schwangeren Frau ein schriftliches Gesuch zu verlangen; b. persönlich mit der schwangeren Frau ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten, sie über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs zu informieren und ihr gegen Unterschrift einen Leitfaden auszuhändigen, welcher enthält: 1. ein Verzeichnis der kostenlos zur Verfügung stehenden Beratungsstellen, 2. ein Verzeichnis von Vereinen und Stellen, welche moralische und materielle Hilfe anbieten, und 3. Auskunft über die Möglichkeit, das geborene Kind zur Adoption freizugeben; c. sich persönlich zu vergewissern, dass eine schwangere Frau unter 16 Jahren sich an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle gewandt hat. 2 Ebenso wird die Ärztin oder der Arzt bestraft, die oder der es unterlässt, gemäss Art. 119 Abs. 5 einen Schwangerschaftsabbruch der zuständigen Gesundheitsbehörde zu melden. Tötungsdelikte (Teil 3) und Schwangerschaftsabbruch Folie 32