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Strafrecht I. Workshop zur Vorlesung von Professor Dr. Urs Kindhäuser. Sachverhalt 1 § 11 Fall 6 b.
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Strafrecht I Workshop zur Vorlesung von Professor Dr. Urs Kindhäuser
Sachverhalt 1§ 11 Fall 6 b • X stößt den Y zur Seite, so dass nicht dessen Kopf, sondern nur die Schulter von einem herabstürzenden Ziegel getroffen wird. X hätte jedoch den Y noch kräftiger zur Seite stoßen können, so dass dieser überhaupt nicht getroffen worden wäre. X wollte jedoch, dass der ihm unsympathische Y einen Dämpfer erhält. Strafbarkeit des X?
Lösung SV 1 • (P) Objektive Zurechenbarkeit: Risikoverringerung ? Str: • Risikoverringerungslehre: (+), keine Strafbarkeit • Kindhäuser: mutmaßliche Einwilligung(Vergleich mit „untätig bleiben“) • 323 c
Sachverhalt 2§ 11 Fall 18 • Der von E verwundete O wird zur Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert. Ohne die gebotene Untersuchung wird dem O von Unfallarzt A ein Medikament injiziert, das eine allergische Reaktion mit tödlichem Ausgang auslöst.Strafbarkeit des E?
Lösung SV 2 • (P) Objektive Zurechenbarkeit, Str: • EA (-), da neues Risiko (allergische Reaktion) • AA (+) / (-) , je nach Vorhersehbarkeit; • Hier: lt. Kindhäuser nicht vorhersehbar, da grob fahrlässiges Verhalten des A
Sachverhalt 3§ 11 Fall 21 • A setzt das Haus des B in Brand. Um das vom Erstickungstod bedrohte Kind des B zu retten, dringt Nachbar N in das brennende Haus ein. Er wird hierbei von einem herabfallenden Balken getroffen und erleidet einen Schlüsselbeinbruch. Strafbarkeit des A nach § 229?
Lösung SV 3 • § 229 ? • Erfolg / Handlung / Kausalität (+) • Objektive Pflichtwidrigkeit (+) • Objektive Vorhersehbarkeit (+) • (P) Objektive Zurechenbarkeit? Str.: • EA: rettungsbedingte Erfolge stets zurechenbar • AA: nur bei vernünftiger Selbstgefährdung; ausschlaggebend ist die Zumutbarkeitsgrenze von § 323 c StGB
Sachverhalt 4§ 12 Fall 2 • Mutter M willigt täuschungsbedingt in eine Organspende für ihr Kind ein; das Organ wird jedoch von Arzt A, wie von vornherein geplant, einem Dritten implantiert.Strafbarkeit des A?
Lösung SV 4 • (P 1) Wo ist das Problem zu verorten? • MM / Kindhäuser: Einwilligung gehört in den objektiven Tatbestand als Ausschlusskriterium • HM: Einwilligung ist Rechtfertigungsgrund • (P 2) Wirksamkeit der Einwilligung? Str.: Rechtsgutbezogen oder auch Motiv entscheidend?
Sachverhalt 5§ 12 Fall 7 • M übt sich als Messerwerfer. Der 19jährige I erklärt sich bereit, sich vor eine Holzwand zu stellen und sich bewerfen zu lassen. Er ist sich der Gefahr, ggf. sogar tödlich getroffen zu werden, bewusst.Strafbarkeit des M?
Lösung SV 5 • (P) Einwilligung in Fremdverletzung (einverständliche Fremdgefährdung) • (Abgrenzung zu Einwilligung und Handeln auf eigene Gefahr) • Kriterien der §§ 216, 228 StGB (Einwilligungssperren führen zur Unwirksamkeit) • Parallele zur Selbstgefährdung • Kriterium der Sittenwidrigkeit
Sachverhalt 6§ 14 Fälle 7A, 7B, 7C • A schießt auf den Reiter R, wobei er gleichermaßen für möglich hält, dass er den R (§ 212) oder nur das Pferd (§ 303) trifft. Der Schuss trifft A): den R tödlichB): das Pferd tödlichC): weder R noch das Pferd. Strafbarkeit des A?
Lösung SV 6 • A: (P) Dolus alternativus; Str: • EA: nur das objektiv verwirklichte Delikt, hier 212; • AA: nur Vorsatz des schwereren Delikts • B: Str.: • EA: 212, 22, 303, 52 • AA: Nur § 212, 22 • C: • Nur Versuch des schwereren Delikts
Sachverhalt 7§ 14 Fall 10 • C glaubt irrig, den D bereits erwürgt zu haben. Zur Verwischung der Tatspuren wirft er die vermeintliche Leiche in eine Jauchegrube; erst jetzt stirbt D durch Ertrinken.Strafbarkeit des C?
Lösung SV 7 • (P) Vorsatz: dolus generalis? Irrtum über den vorgestellten Kausalverlauf?Str: • eA: dolusgeneralis, daher 212 I (+) (Kritik: Unzulässige Fiktion zu Lasten des Täters) • AA: zwei selbständige Handlungen, daher § 212, 22, 222, 53 (Kritik: einheitlicher Lebensvorgang wird künstlich auseinander gerissen) • BGH: (BGHSt 14, 193) Lösung nach den Regeln „Irrtum über den Kausalverlauf“; hier: unwesentliche Abweichung, daher: 212 I (+)
Sachverhalt 8§ 16 Fall 7 • Haustyrann H pflegt, wenn er in stärkerem Maße Alkohol genossen hat, seine minderjährigen Kinder zu verprügeln. Als H eines Abends zur Flasche greift, schlägt ihn seine Ehefrau E vorsorglich mit dem Besenstiel bewusstlos. Handelt E gerechtfertigt?
Lösung SV 8 • (P1) Dauergefahr: • § 32 StGB? HM: (-) • § 34 StGB: (+) • (P2) Interessenabwägung
Sachverhalt 9§ 16 Fall 14 • In einem Wirtshaus ärgert Y den Z, der bereits zuvor durch aggressives Verhalten aufgefallen war, durch eine (abgeschlossene) schwere Beleidigung so sehr, dass dieser nach einem Bierglas greift, um damit zuzuschlagen. Y kann den Angriff nur dadurch abwehren, dass er dem Z mit einem mitgeführten Messer in den Oberarm sticht. Strafbarkeit des Y?
Lösung SV 9 • (P) Einschränkung des Notwehrrechts, (Gebotenheit): Notwehrprovokation • Unterschied: Absichtliche und fahrlässige Notwehrprovokation • Absichtsprovokation: Notwehrrecht (-) oder eingeschränkt • Fahrlässige Provokation: Keine Einschränkung oder gestuftes Notwehrrecht • Verteidigung analog § 228 BGB (Güterproportionalität) • Anlehnung an actioillicita in causa: Vorsatzprovokation führt zu Vorsatztat, fahrlässige Provokation zu Fahrlässigkeitstat
Sachverhalt 10§ 20 Fall 1 • A bemerkt, wie sich der Unbekannte U des Nachts auf einsamer Straße an einem Pkw, dessen Scheibe der Beifahrertür eingeschlagen ist, zu schaffen macht. Als sich A nähert, flieht U. Nach kurzer Verfolgung erreicht A jedoch U und hält ihn bis zum Eintreffen der Polizei, fest. In seinem vergeblichen Bemühen, sich zu befreien, schlägt U dem A heftig ins Gesicht. Bei U handelt es sich um einen Ausländer, der die Fragen des A nach dem Vorfall mangels hinreichender Sprachkenntnisse nicht beantworten konnte und selbst mit der Tat nichts zu tun hat, sondern aus Angst geflohen war, weil er den A für den Täter hielt.Handelt A gerechtfertigt?Handelt U gerechtfertigt?
Lösung SV 10 • (P1) Auslegung „auf frischer Tat“ Str: • MM: Verdacht genügt • HM: Frische Tat muss tatsächlich vorliegen • (P2) Einschränkung des Notwehrrechts bei Erkennbarkeit des Irrtums: Str: • EA: Normales Notwehrrecht • AA: Bei Erkennbarkeit (wie bei Fahrlässigkeit) abgestuftes Notwehrrecht
Sachverhalt 11§ 23 Fall 1 • A beabsichtigt, B zu erschießen. Um sich Mut anzutrinken, genießt er vorher in solchem Umfang Alkohol, dass er zum Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses i.S.v. § 20 schuldunfähig ist.Strafbarkeit des A?
Lösung SV 11 • (P) Fehlende Schuldfähigkeit, • Actio libera in causa: Str. Ausnahmemodell (bei doppeltem Vorsatz) arg: historische Auslegung Kritik: Verstoß gegen das Koinzidenzprinzip + Verstoß gegen Art. 103 II GG Mittelbare Täterschaft? (-), vgl. Wortlaut 25 I Alt.2 („ein anderer“) Tatbestandsmodell (Handlung: „Sichbetrinken“) § 323a StGB
Sachverhalt 12§ 24 Fall 3 • A kann seine Ehefrau E nur dadurch aus einem brennenden Haus befreien, dass er den unbeteiligten B verletzt; E hatte den Brand selbst gelegt. Strafbarkeit des A gem. § 223 I StGB zu Lasten des B?
Lösung SV 12 • § 32 StGB scheitert daran, dass von B kein Angriff ausgeht. § 34 StGB scheitert an der Angemessenheit (Interessenabwägung): Derjenige, der für eine Gefahr zuständig ist, kann nur in geringem Maß die Solidarität Unbeteiligter beanspruchen. • (P) § 35 S.2? Str: • MM: 35 (-), A handelt schuldhaft • HM: Für die Frage, ob es A zumutbar ist, den Tod der E hinzunehmen, kann es keine Rolle spielen, ob diese den Brand gelegt hat oder nicht, daher 35 (+)
Sachverhalt 13§ 25 Fall 4 • E stürzt sich auf F, um ihn zu verprügeln, ergreift jedoch die Flucht, als F eine Pistole zieht. In panischer Angst, aber auch aus Wut über den Angriff schießt F jedoch E hinterher und verletzt ihn schwer. Strafbarkeit des F?Es ist zu unterstellen, dass der Tatbestand des § 226 StGB erfüllt ist.
Lösung SV 13 • (P1) § 32 (-) wegen fehlender Ggw. • (P2) § 33? Str.: Nachzeitig extensiver Notwehrexzess • (P3) „Auch“-asthenischer Effekt genügt, sofern er zumindest mitbestimmend ist
Sachverhalt 14§ 25 Fall 6 • Die mit einer Pistole bewaffnete J missversteht das Verhalten des harmlosen Spaziergängers S und glaubt irrig, dieser wolle sie vergewaltigen. In panischer Angst schießt sie dem S in den Kopf statt in Arme oder Beine.Strafbarkeit der J?
Lösung SV 14 • (P) Putativnotwehrexzess, Str.: • MM § 33 analog bei Unvermeidbarkeit • HM Nein: § 33 knüpft an § 32 an und verlangt objektiv gegebene Notwehrlage • AA: § 35 II analog
Sachverhalt 15§ 27 Fall 14 • R zielt in Tötungsabsicht mit einem Gewehr auf Z; die Kugel trifft jedoch, weil R leicht zitterte, wider Erwarten den in der Nähe des Z stehenden U tödlich.Strafbarkeit des R?
Lösung SV 15 • (P) aberratio ictus, • Str. bei Fällen, in den das Verletzungsobjekt derselben tatbestandlichen Gattung angehört wie das Angriffsobjekt: • HM wesentlicher Tatbestandsirrtum (im subj. TB zu prüfen), § 16 I S.1: 212 plus 222 • MM unbeachtlicher error in persona
Sachverhalt 16§ 29 Fall 1 • A schlägt den B nieder, ohne zu erkennen, dass B gerade im Begriff war, ihn mit einem Messer zu erstechen.Strafbarkeit des A?
Lösung SV 16 • 212 I: TB (+) • (P) RW: § 32 StGB (-), da kein subj. Rechtfertigung (zu prüfen nach Notwehrlage und Notwehrhandlung) • Ergo: § 212 I, 22 StGB: Nichtvollendung wird ersetzt durch fehlenden subj. Verteidigungswillen
Sachverhalt 17§ 29 Fall 2 • C will D am Rosenmontag mit einem Gummihammer zum Spaß auf den Kopf schlagen; D hält den Hammer für echt und streckt C mit einem Faustschlag nieder. Strafbarkeit des D nach § 223 I StGB?
Lösung SV 17 • (P) Erlaubnistatbestandsirrtum, Str: • § 32 (-), kein Angriff (oder Bagatellangriff, beides vertretbar) • § 34 (-), keine Gefahr • (P) Schuld (oder vor Schuld): ETBI: Str. • (modifizierte) Vorsatztheorie • Strenge Schuldtheorie • Eingeschränkte / rechtsfolgenverweisende Schuldtheorie • Lehre vom Gesamtunrechtstatbestand
Sachverhalt 18§ 32 Fall 3 • E bricht einen Tresor auf, in dem er größere Geldbeträge und Schmuck vorzufinden erwartet, tatsächlich befinden sich dort nur einzelne Münzen, die E enttäuscht liegen lässt. Strafbarkeit des E gem. § 242, 22?
Lösung SV 18 • § 242, 22: • Vorprüfung • Tatentschluss • Unmittelbares Ansetzen • RW • Schuld • (P) Rücktritt, 24: Fehlgeschlagener Versuch
Sachverhalt 19§ 32 Fall 6 • L glaubt, dem M einen tödlichen Messerstich versetzt zu haben; als M jedoch die Flucht ergreifen will, erkennt L, dass seine erste Aktion misslungen ist und er ein weiteres Mal auf M einstechen müsste, um ihn zu töten.Ist L von der Tat strafbefreiend zurückgetreten?
Lösung SV 19 • (P1) Fehlschlag? Str.: • Einzelakttheorie • Gesamtbetrachtungslehre • (P2) Unbeendet oder beendet? Str.: • Tatplantheorie • Lehre vom Rücktrittshorizont
Sachverhalt 20§ 32 Fall 7 • P betäubt Q, um ihn anschließend unter Vortäuschung eines Suizids durch Erhängen zu töten. Infolge aufkommender Gewissensbisse nimmt er von seinem Tötungsvorhaben Abstand und verlässt den Tatort in der Annahme, Q werde das Bewusstsein alsbald wiedererlangen. Bereits die Betäubung führt jedoch zum Tod des Q. Strafbarkeit des P?
Lösung SV 20 • 212? (P) Zurechnung des Tötungsvorsatzes; Str: • EE: Erster Tötungsvorsatz genügt, 212 (+) • AA: Vorsatz ist dem Erfolg nicht zurechenbar, daher Weg frei zum Versuch und § 24; aber: 227 (+) und 222 (+)
Sachverhalt 21§ 32 Fall 8 • R will S mit der Abgabe von Schüssen erschrecken, wobei er mit der Möglichkeit eines tödlichen Treffers rechnet. Schon nach dem ersten Schuss ist S von panischer Angst ergriffen, so dass R sein Ziel für erreicht hält und von weiteren Schüssen absieht. Ist R strafbefreiend vom versuchten Totschlag zurückgetreten?
Lösung SV 21 • (P) Außertatbestandliche Zielerreichung (= Denkzettelfall); wird geprüft zB bei „Aufgeben der Tat“ oder davor; Str: • BGH: (BGH St 39, 221 ff) Rücktritt möglich • AA: Keine honorierbare Verzichtsleistung des Täters, Rücktritt (-)
Sachverhalt 22§ 32 Fall 11 • A bringt ihrem Ehemann E eine lebensgefährliche Menge Gift bei. Als das Gift zu wirken beginnt, verständigt A den Notarzt. Sie informiert N nicht über die Sachlage, sondern gibt vor, E habe beim Kaffeetrinken ein blaues Medikament eingenommen. N gelingt gleichwohl die Rettung des E. Ist E strafbefreiend zurückgetreten?
Lösung SV 22 • (P) Beendeter Versuch: Verhindern der Vollendung; Str: • EE: Ingangsetzen eines neuen Kausalverlaufs genügt; hier: (+) • Vermittelnde A.: Zurechenbarkeit in Analogie zu den Beteiligungsregeln; hier: lt. K. (+) • WA: „Ernsthaftes Bemühen“ wie in § 24 I S.2 bzw. optimale Rettungshandlung; hier (-)
Sachverhalt 23§ 32 Fall 16 • A will den von ihm vergifteten B retten, doch B, der sterben möchte, weigert sich, ärztliche Hilfe anzunehmen. Strafbarkeit des A?
Lösung SV 23 • 212? Scheitert an der obj. Zurechenbarkeit • § 212, 22? • (P1) Nichtvollendung (+) • (P2) Rücktritt bei objektiv nicht zurechenbarem Erfolg? Der Täter ist so zu stellen, als wäre die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet worden.
Sachverhalt 24vgl. § 33 Rn.36 ff. • Autofahrer A fährt mit 90 km/h auf einer Straße, auf der eine Höchstgeschwindigkeit mit 60 km/h zulässig ist. Plötzlich betritt der Fußgänger F verkehrswidrig die Fahrbahn und wird von A, der nicht mehr bremsen oder ausweichen kann, erfasst; F erleidet tödliche Verletzungen. Im Nachhinein lässt sich nicht mehr klären, ob A bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch hätte rechtzeitig bremsen oder ausweichen können.Hat sich A nach § 222 StGB strafbar gemacht?
Lösung SV 24 • I. TB • Erfolg, Handlung, Kausalität • Sorgfaltspflichtverletzung • Vorhersehbarkeit • (P) Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Str. • EA: Risikoerhöhungslehre: Keine Entlastung von den Folgen bei riskantem Fehlverhalten des Täters • AA: in dubio pro reo; andernfalls macht man aus Fahrlässigkeitsdelikten Gefährdungsdelikte
Sachverhalt 25§ 35 Fälle 7A und 7B • 7A: O droht zu ertrinken. B eilt zu einem in der Nähe befindlichen Rettungsring. Als er diesen dem O zuwerfen will, erkennt er in ihm einen persönlichen Feind. Daraufhin unterlässt er die Rettung des O, der nunmehr ertrinkt. • 7B: B wirft den Rettungsring dem O zu. Jetzt erkennt B den Feind und zieht den Ring zurück. O ertrinkt.Strafbarkeit des B in beiden Fällen?