300 likes | 532 Views
Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes privater Sicherheitsdienste für Polizeiaufgaben. oder: vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?. VSPB Zentralvorstands-Sitzung vom 29. April 2010, Winterthur.
E N D
Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes privater Sicherheitsdienste für Polizeiaufgaben oder: vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? VSPB Zentralvorstands-Sitzung vom 29. April 2010, Winterthur Dr.iur. Markus H.F. Mohler, Lehrbeauftragter für öffentliches, speziell Sicherheits- und Polizeirecht an den Universitäten von Basel und St. Gallen
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben Inhaltsübersicht • Das Problemgeflecht • Grundsätzliches • Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Einzelfragen • Konkordatisierung ohne Ende? • Zusammenfassung VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
1. Das Probelmegeflecht • Das Problemgeflecht • EU/EFTA FZA (SR 0.142.112.681, Art. 2 [Nichtdiskriminierung]; Vorbehalt im Anhang 1, Art. 5 [betr. öff. Ordnung, Sicherheit]) • Binnenmarktgesetz (SR 943.02), Art. 2 [Freier Marktzugang], Art. 4 [Anerkennung Fähigkeitszeugnisse]) • Rechtliche Voraussetzungen • Qualitative Anforderungen an Dienstleistende • Kantonale Polizeihoheit VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben Inhaltsübersicht • Das Problemgeflecht • Grundsätzliches • Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Einzelfragen • Konkordatisierung ohne Ende? • Zusammenfassung VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
2. Grundsätzliches • Sicherheit hat der Freiheit zu dienen, nicht umgekehrt • Sicherheitsgewährleistung = Kernaufgabe des Staates • Gewaltmonopol = Fundament der Rechtsstaatlichkeit; nicht delegierbar • Umfasst mehr als bloss Anwendung unmittelbarer physischen Zwangs: • Grundsätzlich jede hoheitliche Beschränkung von GR • Insbesondere auch Datenschutz VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
2. Grundsätzliches • Demokratisch legitimierte Kontrolle • Bedingt ununterbrochene Verantwortungslinie • Rechtsschutz (Rechtsweggarantie) • Sicherheit heisst v.a. auch Rechtssicherheit • Rechtsetzung demokratisch legitimiert undnotwendig • Rechtslage bzw. Kompetenzen der Handelnden müssen transparent sein (Vorhersehbarkeit und Bestimmtheit von Normen) VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben Inhaltsübersicht • Das Problemgeflecht • Grundsätzliches • Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Einzelfragen • Konkordatisierung ohne Ende? • Zusammenfassung VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
3. Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Gewaltmonopol ist materielles Bundesverfassungsrecht • Jegliche Einschränkungen von Grundrechten durch den Staat sind an hohe Hürden (Voraussetzungen, Bedingungen und Auflagen) gebunden • Voraussetzungen: Gesetzmässigkeit, Fähigkeiten von Organisation und Angehörigen • Bedingungen: GR-Konformität, Verhältnismässigkeit (Über- und Untermassverbot) • Auflagen: absolut rechtskonforme Umsetzung (v.a. Menschenwürde), Garantie wirksamen Rechtsschutzes VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
3. Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Art. 5 BV (richtet sich primär an Gesetzgeber): • Recht als Grundlage und Schranke staatlichen Handelns • Öffentliches Interesse • Verhältnismässigkeit • Treu und Glauben • Völkerrechtskonformität • Art. 35 BV • Grundrechte müssen in der ganzen Rechtsordnung zur Geltung kommen • Wer staatliche aufgaben wahrnimmt (ob Verwaltung, ausgelagerte Einheiten, öff. rechtl. Anstalten oder Private) haben zur GR-Verwirklichung beizutragen VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
3. Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Art. 36 BV (Einschränkung von GR) • Gesetzliche Grundlage (Gesetz oder VO) für alle GR-Einschränkungen • Schwerwiegende Einschränkungen brauchen formelle Gesetzesgrundlage (Gesetz!) • Öffentliches Interesse oder GR-Schutz Dritter • Verhältnismässigkeit • Unantastbarkeit des Kerngehaltes VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben Inhaltsübersicht • Das Problemgeflecht • Grundsätzliches • Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Einzelfragen • Konkordatisierung ohne Ende? • Zusammenfassung VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen Privatisierung • Begriffswirrwarr, so u.a. • „Privatisierung“, Auslagerung, Aufgabenübertragung, Erfüllungsgehilfen • „Ministerialaufgaben“ (Corp.Gov.Bericht I BR, BBl 2006 8234, 8260ff.): • primär Landesverteidigung und Polizei • „Grosser Bedarf an demokratischer Legitimation“ • „eignen sich grundsätzlich nicht zur Auslagerung“ (Umsetzungsbericht, 2) VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • „Privatisierung“, „Vollprivatisierung“: • Nur noch Rechtsetzungsverpflichtung des Staates • Aufgabenerfüllung ganz an Private übertragen, Bsp: • Überwachung ruhender Verkehr/OB durch Private • E I BGST (private Transportpolizei) • grundsätzlich unzulässig VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • Auslagerung • Eine konkrete Aufgabe wird Privaten übertragen, diese haben Entscheidungsbefugnisse, ob und wie in GR eingegriffen wird, Bsp.: • Private Sicherheitsdienste im halb-öffentlichen Raum bei Sportveranstaltungen • grundsätzlich ungeeignet VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • Erfüllungsgehilfe • Hilfsfunktion unter direkter Leitung und Aufsicht von Polizeiangehörigen, keine Entscheidungsbefugnisse betr. GR-Einschränkungen, Bsp.: • Verkehrsregelung durch Kadetten mit Anleitung und unter Aufsicht der Polizei (vgl. Art. 67 Abs. 3 SSV [SR 741.21]) • Ausnüchterungsgefängnis Zürich (1 Pol + 3 private Hilfskräfte) • zulässig VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • Datenrecht • In der Realität ungelöste Problematik (vgl. PBG [SR 745.1] Art. 54 Abs. 1) • Unverhältnismässige Rechtsetzung • Gesetzliche Grundlage für Datenbearbeitung durch Private • E BGST I + II: • Eingriff in die kant. Polizeihoheit betr. materielles Datenrecht • BV-widrige Regelung der Datenschutzkompetenzen • Kantonal: Ohne konkrete Gesetzesgrundlage keine Befugnis polizeirelevanter Datenbearbeitung durch Private VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen Zulässigkeitsgrenzen privater Interventionen • Öffentlicher Raum • Keinerlei selbständige Befugnisse • GR-Eingriffe nur im Auftrag, unter Leitung und Kontrolle der Polizei • Halb-öffentlicher Raum (z.B. Stadion, Zug, Tram) • Entspricht weitestgehend den Anforderungen des öffentlichen Raumes: minimal (vgl. unten: Wegweisungen) VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • Physischer Zwang • Anwendung durch Private = Abweichung vom Gewaltmonopol des Staates • Enge Ausnahmen: • Notwehr und Notwehrhilfe • Strafprozessuales Jedermannsrecht (vorl. Festnahme unmittelbar bei/nach Begehen eines Verbrechens oder Vergehens[Art. 218 CH-StPO ab 1.1.2011]) • Privatareal und halb-öffentlicher Raum; Besitzesstörung, Art. 926 ZGB (SR 210) VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • Fesselung • Nach gerechtfertigter vorläufiger Festnahme (strafprozessual, Jedermannsrecht) bloss, sofern sonst Übergabe an Polizei unmöglich oder bei Gewaltanwendung durch Festgenommenen • Polizeirechtlich unzulässig (sofern nicht von Polizei angeordnet) • Wegweisungen • Im öffentlichen Raum: • Nicht individualisierte Wegweisungen im Auftrag der Polizei: zulässig (Baustellen: Art. 67 SSV) • Individualisierte Wegweisungen: unzulässig VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
4. Einzelfragen • Wegweisungen (Forts.) • Im halb-öffentlichen Raum • Sofern jedermann ohne Einschränkung zugänglich: wie öffentlicher Raum, d.h. unzulässig • Sofern Zugangsbeschränkung (Billet): zulässig • Zwangsweise Durchsetzung: Polizei! • Hausrecht (Ladendetektive) • Massgebend: strafprozessuales Jedermannsrecht (konkret: bei geringfügigem Diebesgut = Übertretung, keine Festnahmerecht!) • Unflätiges Benehmen etc: zulässig • Zwangsweise Durchsetzung: Polizei VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben Inhaltsübersicht • Das Problemgeflecht • Grundsätzliches • Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Einzelfragen • Konkordatisierung ohne Ende? • Zusammenfassung VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
5. Konkordatisierung ohne Ende? Konkordate • Jail-Train-Street (Rahmenvertrag betr. Häftlingstransporte v. 14.4.2000/18.4.2005) • Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen v. 15.11.2007, i.K. seit 1.1.2010 • Nun in Vorbereitung: Konkordat über private Sicherheitsunternehmen • Konkordate problematisch bezüglich • Demokratieprinzip in den Kantonen und • programmierten Widersprüchen zu bestehenden Gesetzen VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
5. Konkordatisierung: Konkordatsentwurf v. 29.09.09 • Generelle Bemerkungen • Vorgelegter Entwurf so verfassungswidrig • Gesetzliche Ermächtigung an Private im Auftrag Privater GR-Einschränkungen vorzunehmen (Art. 5, 35, 36 BV) • Rechtswidrige Regelung von „Gewaltanwendungsbefugnissen“ (vgl. Komm. zu Art. 10) • und sinnlos • Wenn nur 1 Kanton mit weniger strengen Anforderungen abseits steht, gilt für eine so bewilligte Forma Konkordat auch in Konkordatskantonen nicht • Bemerkung im Komm., Kantone könnte strengere Anforderungen aufstellen, rein theoretischer Natur. VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
5. Konkoraditisierung: Konkordatsentwurf v. 29.09.09 • Verfassungswidrig: • Eingriffe in GR-Positionen durch Private für Private • Im Besonderen: Anwendung physischen Zwanges, falls nicht Notwehr/Notstand, Jedermannsrechte oder Besitzesschutz (926 ZGB) • Häftlingstransporte • „Ermittlungsdienste“, Observation: GR-Schranken • Konflikte mit bestehenden kant. Polizeigesetzen vorprogrammiert VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
5. Konkordatisierung: Konkordatsentwurf v. 29.09.09 • Verschiedenes • „Sicherheitsunternehmen“ ist nicht einfach natürliche Person (Art. 3 Abs. 1 lit. c). zu fordern: Handelsregistereintrag • Finanzielle Bonität? (Betreibungen, Verlustscheine, Konkurs) • Keine Übereinstimmung mit Art. 5 VES, wo dies sinnvoll wäre • Keine Schweigepflicht (gegenüber 1. E entfallen): z.B. Einsatzzentralen • Datenschutz wird nur behauptet, ist aber keineswegs genügend geregelt • Keinerlei Rechtsschutzregelungen VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
5. Konkordatisierung ohne Ende? • Rechtsgrundlagen • Generelle Rahmenbedingungen: Art. 5, 35 und 36 BV • Strafprozessual: ab 1.1.2011: CH-StPO (SR 312) • Polizeirecht Bund: Art. 178 Abs. 3 BV + materielles Gesetz + Art. 2 Abs. 1 lit. e ZAG (SR 364) – kumulativ! • Kantonales Polizeirecht • Sofern Private GR-relevante Handlungen vornehmen sollen: BV verlangt Gesetz (VO genügt) • Falls schwerwiegende Eingriffe vorgesehen: formelles Gesetz • Widerspricht aber dem Geist der BV bzw. dem Gewaltmonopol • Kantonales Verfassungsrecht kann strengere Anforderungen stellen VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
Private Sicherheitsunternehmen und Polizeiaufgaben Inhaltsübersicht • Das Problemgeflecht • Grundsätzliches • Vorgaben gemäss Bundesverfassung • Einzelfragen • Konkordatisierung ohne Ende? • Zusammenfassung VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
6. Zusammenfassung • Bund widersprüchlich: • Ministerialaufgaben wie Polizei grundsätzlich ungeeignet für „Privatisierung“, da grosser Bedarf an demokratischer Legitimation, dennoch: • VES (SR 124), die auch in kant. Polizeihoheit eingreift • ZAG • PBG • E PolAG (Art. 2 lit. d und e, 91ff.) • Kantone • Ähnlich wie Bund • (Zweifelhafte) Sonderrolle der KKJPD • Öffentliches Interesse? • Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit • Kostenfrage (Verhältnis von Qualität/Leistung und Kosten) VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
6. Zusammenfassung • Gemeinden: • Erhebliche Einbrüche in Gewaltmonopol • Tendenz: Rückzug auf „Gewährleistungsfunktion“ bzw. Rechtsetzung • Generell • Sicherheitspolizeilich: typischerweise GR-relevant: für Private ungeeignet bzw. unzulässig (schwerwiegende GR-Eingriffe) • Kriminalpolizeilich: ausgeschlossen • Im Strassenverkehr: bedingt geeignet VSPB ZV, 29. April 2010, Winterthur
Danke! Fragen / Diskussion