170 likes | 281 Views
Finanztransaktionssteuer Völker- und unionsrechtliche Bedenken gegenüber extraterritorialen Effekten. Joachim Englisch. Überblick. Der KOM-Vorschlag (2013) für eine FTS im Wege Verstärkter Zusammenarbeit Völker- und unionsrechtliche Kritik und Reaktion der KOM Detailanalyse der Kritik
E N D
Finanztransaktionssteuer Völker- und unionsrechtliche Bedenken gegenüber extraterritorialen Effekten Joachim Englisch
Überblick • Der KOM-Vorschlag (2013) für eine FTS im Wege Verstärkter Zusammenarbeit • Völker- und unionsrechtliche Kritik und Reaktion der KOM • Detailanalyse der Kritik • Völkerrechtliche Aspekte („genuine link“) • Unionsrechtliche Aspekte (Art. 326 ff. AEUV)
EU-FTS: Entwicklung und Stand der Dinge 2010: KOM favorisiert noch eine FAS für den Finanzsektor 2011: KOM legt IA vor, das sich kritisch zur FTS äußert 2011: Auf Druck der MS legt die KOM gleichwohl einen Vorschlag für die Einführung einer FTS (statt FAS) vor 2012: Der Vorschlag erhält nicht die Unterstützung aller MS 2013: Der Rat autorisiert 11 MS, eine FTS über VZ einzuführen 2013: Die KOM legt einen modifizierten Vorschlag für eine EU11-FTS und eine Ergänzung des bisherigen IA vor 2014: Als Kompromiss zwischen divergierenden Interessen der 11 MS deutet sich die schrittweise Einführung der FTS an;das FinMin rechnet für 2015 nicht mehr mit Aufkommen
Weiter Anwendungsbereich der EU11-FTS • „Triple A“-Ansatz zwecks Eindämmung von Steuerflucht • All markets • All instruments • All actors Einige MS dringen auf Ausnahmen (Derivate, Repos, etc.) → bei schrittweiser Einführung evtl. zunächst nur Börsenumsatzsteuer • Insbesondere: weiter territorialer Anwendungsbereich • Ansässigkeitsprinzip strictusensu • Erweitertes Ansässigkeitsprinzip • Gegenparteiprinzip • Ausgabeortprinzip
Rechtl. Bedenken einiger MS • GB hält die Ermächtigung zur Verstärkten Zusammenarbeit für rechtswidrig und klagt beim EuGH dagegen (C-209/13);es beanstandet die Vereinbarkeit extraterritorialer Effekte … • mit Völkerrecht • mit den Vorgaben der Art. 326 und 327 AEUV • Der Juristische Dienst des Rates teilt diese Bedenken jeden-falls bzgl. des Gegenparteiprinzips (2013/0045 (CNS)) • Der JuristischeDienst der KOM hält die Bedenkenhingegen in einem “Non-Paper” für unbegründet • Einige der tMSsindunschlüssig
Bedeutung der Kritikpunkte • Steuerpolitisch brisant: • Weiter territoriale Anwendungsbereich ist Kernelement der Anti-Steuerumgehungsmaßnahmen • Fiskalischer Erfolg wie lenkungsteuerliche Legitimation hängen entscheidend davon ab • Auch juristisch ist die Kritik ernst zu nehmen, denn: • der EU-Gesetzgeber ist an Völkergewohnheitsrecht gebunden(st.Rspr. des EuGH, vgl. auch Art. 3 (5) EUV) • die Art. 326 ff. AEUV sind ebenfalls voll justiziable Vorgaben … obschon der EuGH jeweils nur zurückhaltend prüft
Völkerrecht & extraterritoriale Effekte • Überholt: Ständiger IGH, Lotus-Fall 1927 (keine Begrenzung) • Post-WWII-Entwicklung: Derartige Gesetzgebung erfordert grds. “genuine link”; inzwischenVölkergewohnheitsrecht • HinreichendsachgerechteAnknüpfungspunkteergebensich • ausdemPersonalitätsprinzip(Staatsangehörigkeit) ODER • ausdemTerritorialitätsprinzip (incl. der “effects doctrine”) • Tendenz: Abstellen auf gesetzgeberischeZielsetzungen • All dies gilt selbstverständlichauch für Steuergesetzgebung
Exkurs: Offizielle Zwecksetzung der EU-FTS • Signifikantes Steuermehraufkommen • Ergänzung von regulierungsrechtlichenAnsätzenzurVerhinderungkünftigerFinanzkrisen • Beteiligung des Finanzsektors an Folgekosten der Finanzkrise, “level playing field” imVerhältniszuanderenWirtschafts-sektoren (KompensationvermuteterUSt-Unterbesteuerung) • LenkungsteuerzurVerbesserung der Finanzmarkteffizienz
Beurteilung des Gegenpartei-Prinzips (I) … gemessen an den Zielsetzungen der FTS? • “Fairer Beitrag” zurBestreitung der Kosten der KriseimtMS? • Nein, allenfalls – zu – entfernter Zusammenhang • Ausgleich für vermutete USt-Unterbesteuerung im tMS? • Nein • Verbesserung von Effizienz/Stabilität d. FinanzmärkteimtMS? • Nein; allenfalls entfernte / schwache mittelbare Wirkungen • GerechtfertigtzwecksVermeidung von Steuerflucht? • Nein; dies begründet keinen legitimen Anknüpfungspunkt • Ähnlich das IA 2011 / der Juristische Dienst des Rates
Beurteilung des Gegenpartei-Prinzips (II) … gemessen an der Besteuerungstechnik (KOM-Ansatz)? • KOM: Die FTS istRechtsverkehrsteuer → Es genügt, wenn eine Partei des Rechtsverkehrsvorgangs im tMS ansässig ist, um den Verkehrsakt als solchen der nat. Steuerhoheit zu unterstellen und somit auch alle daran beteiligten Parteien • Kritik: zu entfernter Anknüpfungspunkt / nicht sachgerecht • Bei einer Verkehrsteuer muss der Verkehrsvorgang als solcher (nach Gegenstand, Handelsort, Erfüllungsort etc.) einen hinreichenden territorialen Bezug zum tMS aufweisen • Ansässigkeit der Gegenpartei ist für Besteuerungswürdigkeit irrelevant
Beurteilung des Ausgabeortprinzips (I) … gemessen an den Zielsetzungen der FTS? • “Fairer Beitrag” zurBestreitung der Kosten der KriseimtMS? / Ausgleich für vermuteteUst-UnterbesteuerungimtMS? • Nein • Höhere Effizienz der Finanzmärkte im tMS? • Nein • BeitragzurStabilität der FinanzmärkteimtMS? • Bei Wertpapierhandel insb. bzgl. HFT denkbar; bei Derivaten (-) Kann Ausgabeort bei allein auf Verkehrsteuertechnik abhebender Betrachtung (KOM) einen „genuine link“ darstellen? • Bei Wertpapieren wohl ja, bei Derivaten hingegen wohl nein
Beurteilung des Ausgabeortprinzips (II) • Legt UK stampduty (genauer SDRT) andere Beurteilung nahe? • SDRT folgt dem Ausgabeortprinzip • Keine Vergleichbarkeit im Lichte der jeweiligen Zielsetzungen: • Historisch betrachtet war SD/SDRT zunächst eine Steuer auf die Inanspruchnahme von Abrechnungssystemen und Registern → Rechtfertigung nach dem Äquivalenzprinzip • Inzwischen: Konzeption als indirekte Steuer auf den Erwerb von Beteiligungskapital→ Ausgabeort erscheint als „genuine link“ noch vertretbar, zumal Derivate ausgenommen sind
Unionsrecht & extraterritoriale Effekte • Art. 326 AEUV: VZ darf … • den Binnenmarkt nicht beeinträchtigen; • den Handel zwischen den MS nicht behindern / diskriminieren; • nicht zu Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen MS führen • Art. 327 AEUV: VZ muss die Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten der übrigen MS achten • FTS isterst der dritteAnwendungsfalleiner VZ • Wenig caselaw; aber Rückgriff auf Grundfreiheits-Rspr. möglich • Im Folgenden: nur ernsthaft in Betracht kommende Verstöße
Art. 327 AEUV • EuGH: Die VZ darf ‘nicht zur Verabschiedung von Maßnahmen führen, die nicht beteiligte MS an der Ausübung ihrer Zuständigkeiten und Rechte hindern’ • Gegenpartei-Prinzip und Ausgabeortprinzip der EU11-FTS beeinträchtigenaber das souveräne Recht der übrigen MS, über “ob” und “wie” der Besteuerung und RegulierungihrerFinanzindustrie und ihrerFinanzmärktezuentscheiden • EU11-FTS hat Lenkungseffekte mit Blick auf bestimmte Transaktionen auf den Finanzmärkten dieser MS • EU11-FTS unterläuft (etwaige) USt-Erleichterungen für Finanz-dienstleistungen, die im jeweiligen MS „konsumiert“ werden
Art. 326 AEUV • Vorgabe: Keine Wettbewerbsverzerrungen zwischen MS • KOM: EU11-FTS vermindert Wettbewerbsverzerrungendurch Doppelbesteuerung / doppelter Nichtbest. zwischen tMS • Aber: das ist schon anderweitig (hier: Art. 113) Voraussetzung → Art. 326 bezieht sich auf das Verhältnis zwischen tMS und nicht-teilnehmenden MS • Daher verstößt die EU11-FTS gegen Art. 326 AEUV • Wettbewerbsverzerrungen bzgl. der Attraktivität der jeweiligen Finanzmärkte sind offenkundig • Davon abgesehen: Verringert die EU11-FTS wirklich das Risiko von Doppelbesteuerung?
Ist Verstoß gegen Art.326 f. zu rechtfertigen? • Art. 326 f. AEUV stehen nicht unter Rechtfertigungsvorbehalt • Eine dahingehende Rechtsfortbildung durch den EuGH wäre aber nicht überraschend und auch angemessen • Aber: VHM-Kontrolle nach denselben (strengen) Maßstäben • Lassen sich Gegenpartei- und Ausgabeortprinzip aus Gründen der Vermeidung von Steuerflucht rechtfertigen? • Grundsätzlich ein vom EuGH anerkannter Rechtfertigungsgrund • ABER: Verlagerung von Aktivitäten in MS mit attraktiverem Steuersystem ist keine missbräuchl. Steuerflucht (st.Rspr. EuGH) • Vhm Rechtfertigung mit Blick auf Finanzmarktstabilität? • Allenfalls das Ausgabeortprinzip für Wertpapiere; s.o.
Interesse an vertiefter Auseinandersetzung? • The Financial Transaction Tax Proposal Under the Enhanced Cooperation Procedure (mitJ. Vella / A. Yevgenyeva)British Tax Review 2013, S. 223-259 • Europäische Finanztransaktionssteuer durch Verstärkte Zusammenarbeit – wohlbegründet oder bloße Symbolpolitik?Internationale Steuer-Rundschau, S. 387-396 • Zur Völkerrechtswidrigkeit extraterritorialer Effekte der französischen Finanztransaktions-steuer (mit C. Krüger)Internationales Steuerrecht 2013, S. 513-519 • Joachim.Englisch@uni-muenster.de